Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 4 UF 75/21
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Schwerte vom 17. März 2021 – 12 F 60/20– aufgehoben, festgestellt, dass bislang keine wirksame Endentscheidung vorliegt und die Sache zur erneuten Entscheidung – auch über die außergerichtlichen Kosten der zweiten Instanz – an das Familiengericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.533,36 € festgesetzt.
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Gründe:
2I.Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner die Rückzahlung von UVG-Leistungen, die er in der Zeit ab Juni 2019 für die leibliche Tochter des Antragsgegners erbracht hat.
3Mit dem am 17.03.2021 erlassenen Beschluss hat das Familiengericht den Antragsgegner für die Zeit vom 01.06.2019 bis zum 29.02.2020 zur Zahlung von 1.719,40 € sowie für die Zeit von März bis August 2020 zu einem monatlichen Unterhaltsbetrag i.H.v. 135,66 €, für September 2020 in Höhe von 20,00 €, für Oktober 2020 in Höhe von 120,00 €, für November und Dezember 2020 in Höhe von monatlich 135,66 € sowie ab Januar 2021 in Höhe von monatlich 179,00 € verpflichtet. Den weitergehenden Antrag hat es zurückgewiesen.
4Gegen die am 19.03.2021 zugestellte Entscheidung hat der Antragsgegner mit am 16.04.2021 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese nach beantragter Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 21.06.2021 mit Schriftsatz von diesem Tage begründet.
5II.Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache vorläufigen Erfolg.
61.Da das Rechtsmittel der Beschwerde auch der Beseitigung der scheinbaren Wirkungen der angegriffenen Entscheidung – dazu nachfolgend – dient, ist diese hier nach den §§ 117 Abs. 1, 2. FamFG i.V.m. den in Bezug genommenen Regelungen zum Berufungsrecht der ZPO zulässig, insbesondere ist die Beschwerde form- und fristgerecht eingelegt worden. Denn ein Schein- oder Nichtbeschluss kann mit denjenigen Rechtsmitteln angefochten werden, welche gegen eine rechtlich existente Entscheidung gleichen Inhalts statthaft wären (BGH FamRZ 2012, 1287; Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl., 2022, vor § 300, Rn. 14).
72.Der am 17.03.2022 erlassene Beschluss des Amtsgerichts ist nichtig, weil er entgegen § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 313 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ohne volles Rubrum, also die Bezeichnung der Beteiligten, erlassen wurde. Bei einem Beschluss, aus welchem die Zwangsvollstreckung stattfinden soll, muss die genaue und eindeutige Bezeichnung des Rubrums unmittelbar aus dem Text der vom Richter unterzeichneten Urschrift ersichtlich sein. Dies ist im Hinblick auf die weitreichenden Wirkungen eines Vollstreckungstitels ein Gebot der Klarheit und Rechtssicherheit (BGH NJW 2003, 3136; OLG Düsseldorf FamRZ 2020, 530; OLG Köln, Beschluss vom 23.06.2020 – II-10 UF 60/20 –, FamRZ 2020, 1930 (Ls); OLG Saarbrücken, Beschluss vom 07.07.2021 – 6 UF 82/21 –, FamRZ 2022, 551 (Ls.)).
8So liegt der Fall hier. Der angefochtene Beschluss enthält lediglich die Bezeichnung des Gerichts, das Datum der Entscheidung und den Namen des erkennenden Richters. Die Beteiligten des Verfahrens, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Prozessbevollmächtigten, die nach § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 313 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anzugeben sind, sind gar nicht bezeichnet. Ein solcher Beschluss ist nach den Grundsätzen des sog. Schein- oder Nichturteils unbeachtlich und wirkungslos und beendet die Instanz nicht (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2020, 530; Zöller/Feskorn, a.a.O., § 38 FamFG Rn. 8).
9Dem steht auch nicht entgegen, dass Hauptanwendungsfall der Schein- oder Nichturteile das Fehlen einer ordnungsgemäßen Verkündung bzw. die Zustellung oder Mitteilung eines nicht verkündeten oder von der verkündeten Entscheidung abweichenden bloßen Entwurfs ist. Denn die vorliegende Fallkonstellation, dass ein vom Richter unterschriebener ordnungsgemäß verkündeter und auch als solcher den Beteiligten zugestellter Beschluss an einem gravierenden Rubrumsfehler leidet, da dort die Beteiligten nicht aufgeführt sind, ist der Fallgestaltung eines sog. Schein- oder Nichturteils gleichzusetzen (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2020, 530; OLG Köln, Beschluss vom 23.06.2020 – II-10 UF 60/20 –, FamRZ 2020, 1930 (Ls); OLG Saarbrücken, Beschluss vom 07.07.2021 – 6 UF 82/21 –, FamRZ 2022, 551 (Ls.)).
10Dieser Formfehler der Urschrift kann auch nicht durch mit vollständigem Rubrum versehene Ausfertigungen geheilt werden (vgl. BGH NJW 2003, 3136); abgesehen davon, dass auch solche hier ebenfalls nicht vorlagen.
11Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist die beanstandete Entscheidung – wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich – aufzuheben, festzustellen, dass bislang keine wirksame Endentscheidung vorliegt, und die Sache zwecks Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens und zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsmittelinstanz – an das Familiengericht zurückzuverweisen (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2020, 530; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 07.07.2021 – 6 UF 82/21 –, FamRZ 2022, 551 (Ls.)).
12III.Die Niederschlagung der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 20 FamGKG.
13Die Entscheidung ist unanfechtbar, da die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht gegeben sind (§ 70 FamFG).
14IV.Im Rahmen der erneuten Entscheidung wird das Familiengericht zu berücksichtigen haben, dass die fiktive Leistungsfähigkeit nicht auf der Basis einer 48-Stunden-Woche ermittelt werden kann, da es keine Arbeitsstellen mit einer entsprechenden regelmäßigen Arbeitszeit gibt.
15Allenfalls kommt – unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – in Betracht, fiktiv eine Erwerbstätigkeit von 40-Stunden in der Woche sowie eine weitere Nebentätigkeit von 8-Wochenstunden anzunehmen. Ob vorliegend eine solche Annahme möglich ist, erscheint nach Aktenlage allerdings im Hinblick auf die vorgelegten Belege zu krankheitsbedingten Einschränkungen des Antragsgegners fraglich. Da die Stellungnahmen des ärztlichen Dienstes ohne konkrete Untersuchung und Vorstellung des Antragsgegners erstellt worden sind, dürfte die Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens geboten sein.
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Referenzen
- FamFG § 38 Entscheidung durch Beschluss 1x
- 12 F 60/20 1x (nicht zugeordnet)
- FamGKG § 20 Nichterhebung von Kosten 1x
- 10 UF 60/20 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 313 Form und Inhalt des Urteils 2x
- FamFG § 70 Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde 1x
- FamFG § 2 Örtliche Zuständigkeit 1x
- 6 UF 82/21 3x (nicht zugeordnet)
- FamFG § 117 Rechtsmittel in Ehe- und Familienstreitsachen 1x
- FamFG § 113 Anwendung von Vorschriften der Zivilprozessordnung 2x