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    "date": "2019-01-31",
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    "ecli": "ECLI:DE:OVGNRW:2019:0131.11A1458.15A.00",
    "content": "<h2>Tenor</h2>\n\n<p>Das angefochtene Urteil wird ge&#228;ndert.</p>\n<p>Der Bescheid des Bundesamts f&#252;r Migration und Fl&#252;chtlinge vom 27. Januar 2015 wird aufgehoben.</p>\n<p>Die Beklagte tr&#228;gt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Instanzen.</p>\n<p>Der Beschluss ist wegen der Kosten vorl&#228;ufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in H&#246;he des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kl&#228;ger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher H&#246;he leistet.</p>\n<p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p><br style=\"clear:both\">\n\n<span class=\"absatzRechts\">1</span><p class=\"absatzLinks\"><span style=\"text-decoration:underline\">G r &#252; n d e :</span></p>\n<span class=\"absatzRechts\">2</span><p class=\"absatzLinks\">Der Senat entscheidet &#252;ber die Berufung des Kl&#228;gers nach Anh&#246;rung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig f&#252;r begr&#252;ndet und eine m&#252;ndliche Verhandlung nicht f&#252;r erforderlich h&#228;lt (vgl. &#167;&#160;130a VwGO). Einer Zustimmung der Beteiligten zu dieser Verfahrensweise bedarf es nicht.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">3</span><p class=\"absatzLinks\">Die Berufung hat Erfolg.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">4</span><p class=\"absatzLinks\">I.&#160;Die gegen den Bescheid des Bundesamts f&#252;r Migration und Fl&#252;chtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 27.&#160;Januar 2015 gerichtete statthafte Anfechtungsklage</p>\n<span class=\"absatzRechts\">5</span><p class=\"absatzLinks\">-&#160;vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 &#8209;&#160;1 C 32.14 -, BVerwGE 153, 162 = juris -</p>\n<span class=\"absatzRechts\">6</span><p class=\"absatzLinks\">ist zul&#228;ssig. Dem Kl&#228;ger fehlt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht das daf&#252;r erforderliche Rechtsschutzbed&#252;rfnis. Ein solches besteht f&#252;r denjenigen, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzw&#252;rdiges Interesse verfolgt. Das Rechtschutzbed&#252;rfnis fehlt hingegen, wenn die Klage f&#252;r den Kl&#228;ger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tats&#228;chliche Vorteile bringen kann. Dabei ist jedoch kein strenger Ma&#223;stab anzulegen und das Rechtsschutzbed&#252;rfnis im Zweifel zu bejahen.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">7</span><p class=\"absatzLinks\">Vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke<em>,</em> VwGO, Kommentar, 24. Auflage 2018, Vorb &#167;&#160;40 Rn. 30 und 38, m. w. N.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">8</span><p class=\"absatzLinks\">Ausgehend hiervon ist das Rechtsschutzbed&#252;rfnis im Fall des Kl&#228;gers zu bejahen. Die Durchf&#252;hrung des Verfahrens ist f&#252;r ihn weder mit Blick auf die von ihm wegen seines hier am 1. August 2018 geborenen deutschen Kinds nach &#167; 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG beantragte Aufenthaltserlaubnis nutzlos geworden (1.) noch ist das erforderliche Rechtsschutzbed&#252;rfnis wegen der zuvor auf seinen Antrag erfolgten Ausstellung eines nigerianischen Nationalpasses durch die nigerianische Botschaft in C.&#160;&#160;&#160;&#160;&#160; entfallen (2.).</p>\n<span class=\"absatzRechts\">9</span><p class=\"absatzLinks\">1.&#160;Die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids angeordnete Abschiebungsanordnung nach Belgien hat sich nicht erledigt. Denn die beantragte Aufenthaltserlaubnis ist dem Kl&#228;ger bisher noch nicht erteilt worden.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">10</span><p class=\"absatzLinks\">2.&#160;Die gegen Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids erhobene Klage ist nicht von vornherein aussichtslos, weil der Kl&#228;ger einen nigerianischen Nationalpass beantragt und angenommen hat und ein etwaiges Asylverfahren durch die Bundesrepublik Deutschland schon deswegen nicht mehr durchzuf&#252;hren w&#228;re. Unabh&#228;ngig davon, dass Gegenstand der gegen Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids erhobenen Klage die Frage ist, ob die Voraussetzungen des &#167; 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG vorliegen, d. h. ob der Asylantrag des Kl&#228;gers deswegen unzul&#228;ssig ist, weil Belgien f&#252;r die Durchf&#252;hrung seines Asylverfahrens zust&#228;ndig ist, f&#252;hrt die Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses des Ausl&#228;nders nicht in jedem Fall automatisch zu einem Erl&#246;schen seiner Rechtsstellung als Asylberechtigter bzw. Fl&#252;chtling gem&#228;&#223; &#167; 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Vielmehr kommt diesem Verhalten eine Indizwirkung dahin zu, dass sich der Betroffene wieder unter den Schutz seines Heimatlands stellen will, die aber durch die Umst&#228;nde des Einzelfalls entkr&#228;ftet werden kann.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">11</span><p class=\"absatzLinks\">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2017&#160;- 1 C 28.16&#160;-, BVerwGE 159, 270 = juris.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">12</span><p class=\"absatzLinks\">Ausgehend hiervon f&#252;hrt die Annahme des nigerianischen Nationalpasses durch den Kl&#228;ger schon nicht &#8222;automatisch&#8220; zum Erl&#246;schen eines etwaigen Anspruchs auf die Anerkennung von Asyl oder die Zuerkennung der Fl&#252;chtlingseigenschaft. Zudem tr&#228;gt der Kl&#228;ger hierzu vor, er mache keine staatliche Verfolgung, sondern eine solche durch die Boko Haram geltend. Ob und in welchem Umfang vor diesem Hintergrund eine Asylanerkennung oder Zuerkennung der Fl&#252;chtlingseigenschaft in Betracht kommt, bleibt daher der Pr&#252;fung in einem Asylverfahren vorbehalten, das von der Bundesrepublik Deutschland durchzuf&#252;hren ist. Im Rahmen (der Zul&#228;ssigkeitspr&#252;fung einer Anfechtungsklage) des hier anh&#228;ngigen Verfahrens ist jedenfalls f&#252;r die Kl&#228;rung dieser Frage kein Raum.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">13</span><p class=\"absatzLinks\">II. Die Anfechtungsklage ist auch begr&#252;ndet. In dem f&#252;r die rechtliche Beurteilung ma&#223;geblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. &#167;&#160;77 Abs.&#160;1 Satz&#160;1 AsylG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 27.&#160;Januar 2015 rechtswidrig und verletzt den Kl&#228;ger in seinen Rechten (&#167;&#160;113 Abs.&#160;1 Satz&#160;1 VwGO).</p>\n<span class=\"absatzRechts\">14</span><p class=\"absatzLinks\">1. Die Voraussetzungen der f&#252;r die Feststellung der Unzul&#228;ssigkeit des Asylantrags (Ziffer 1. des Bescheids vom 27.&#160;Januar 2015) im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (&#167; 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ma&#223;geblichen Rechtsgrundlage des &#167;&#160;29 Abs.&#160;1 Nr.&#160;1 AsylG sind nicht erf&#252;llt. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzul&#228;ssig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europ&#228;ischen Gemeinschaft oder eines v&#246;lkerrechtlichen Vertrags f&#252;r die Durchf&#252;hrung des Asylverfahrens zust&#228;ndig ist.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">15</span><p class=\"absatzLinks\">Belgien ist nicht mehr zust&#228;ndig f&#252;r die Durchf&#252;hrung des Asylverfahrens des Kl&#228;gers. Eine Zust&#228;ndigkeit Belgiens besteht nicht mehr nach der Verordnung (EU) Nr.&#160;604/2013 des Europ&#228;ischen Parlaments und des Rates vom 26.&#160;Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der f&#252;r die Pr&#252;fung eines von einem Drittstaatsangeh&#246;rigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zust&#228;ndig ist (Dublin&#160;III-VO).</p>\n<span class=\"absatzRechts\">16</span><p class=\"absatzLinks\">Denn wegen versp&#228;teter Stellung des Wiederaufnahmegesuchs an C1.&#160;&#160;&#160;&#160;&#160;&#160; ist nunmehr die Beklagte f&#252;r die Durchf&#252;hrung des Verfahrens des Kl&#228;gers zust&#228;ndig (a.). Auf diesen Zust&#228;ndigkeits&#252;bergang kann sich der Kl&#228;ger berufen (b.).</p>\n<span class=\"absatzRechts\">17</span><p class=\"absatzLinks\">a.&#160;Das Wiederaufnahmegesuch der Beklagten an C1.&#160;&#160;&#160;&#160;&#160;&#160; ist erst nach Ablauf der Frist des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist das Wiederaufnahmegesuch so bald wie m&#246;glich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung i. S. d. Art. 9 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 zu stellen. Die Eurodac-Treffermeldung datiert ausweislich der Verwaltungsvorg&#228;nge auf den 8. Mai 2014, das auf Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO gest&#252;tzte Wiederaufnahmegesuch an C1.&#160;&#160;&#160;&#160;&#160;&#160; wurde erst am 5. August 2014 und damit nach Ablauf der Frist des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO gestellt. Selbst wenn mit dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen w&#252;rde, der Eurodac-Treffer sei der Beklagten erst am 22. Mai 2014 bekannt geworden, w&#228;re die Zweimonatsfrist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO nicht eingehalten.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">18</span><p class=\"absatzLinks\">b.&#160;Der Kl&#228;ger kann sich auf den Ablauf der Frist f&#252;r die Stellung des Wiederaufnahmegesuchs mit der Folge des Zust&#228;ndigkeits&#252;bergangs auf die Beklagte berufen. Art.&#160;27 Abs.&#160;1 Dublin III-VO garantiert einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz, der u.&#160;a. die M&#246;glichkeit beinhaltet, einen Rechtsbehelf gegen eine &#220;berstellungsentscheidung einzulegen und die Einhaltung der zur Bestimmung des zust&#228;ndigen Mitgliedstaats ma&#223;geblichen Vorschriften der Dublin III-VO zur gerichtlichen &#220;berpr&#252;fung zu stellen. Darauf hat der Gerichtshof der Europ&#228;ischen Union in Fortf&#252;hrung seiner bisherigen Rechtsprechung</p>\n<span class=\"absatzRechts\">19</span><p class=\"absatzLinks\">-&#160;Urteile vom 7. Juni 2016 - C-63/15 Ghezelbash und C-155/15 Karim -, beide juris &#8209;</p>\n<span class=\"absatzRechts\">20</span><p class=\"absatzLinks\">hingewiesen und betont, dass sich ein Asylsuchender im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihm gegen&#252;ber ergangene &#220;berstellungsentscheidung auf den Ablauf der Frist f&#252;r die Stellung des Aufnahmegesuchs berufen kann, wobei dies auch dann gilt, wenn der ersuchte Mitgliedstaat zur Aufnahme des Asylbewerbers bereit ist.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">21</span><p class=\"absatzLinks\">Vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 - C-670/16 Mengesteab -, juris, Rn.&#160;41 ff., 62.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">22</span><p class=\"absatzLinks\">2.&#160;Die auf &#167; 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (a. F.) gest&#252;tzte Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig. Nach den &#167;&#167; 34a Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG (n. F.) ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen f&#252;r die Durchf&#252;hrung des Asylverfahrens zust&#228;ndigen Staat (&#167; 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgef&#252;hrt werden kann. Diese Voraussetzungen sind nicht erf&#252;llt. Die Abschiebung nach C1.&#160;&#160;&#160;&#160;&#160;&#160; ist nicht durchf&#252;hrbar; C1.&#160;&#160;&#160;&#160;&#160;&#160; ist nach den unter I. getroffenen Feststellungen nicht mehr zust&#228;ndig f&#252;r die Durchf&#252;hrung des Asylverfahrens des Kl&#228;gers.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">23</span><p class=\"absatzLinks\">Die Kostenentscheidung folgt aus den &#167;&#167;&#160;154 Abs.&#160;1 VwGO, 83b AsylG.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">24</span><p class=\"absatzLinks\">Die Entscheidung zur vorl&#228;ufigen Vollstreckbarkeit beruht auf &#167;&#160;167 VwGO, &#167;&#167;&#160;708 Nr.&#160;10, 711 Satz&#160;1 ZPO.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">25</span><p class=\"absatzLinks\">Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des &#167;&#160;132 Abs.&#160;2 VwGO nicht vorliegen.</p>\n      "
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