List view for cases

GET /api/cases/330005/
HTTP 200 OK
Allow: GET, PUT, PATCH, DELETE, HEAD, OPTIONS
Content-Type: application/json
Vary: Accept

{
    "id": 330005,
    "slug": "bverwg-2020-06-18-2-b-2420",
    "court": {
        "id": 5,
        "name": "Bundesverwaltungsgericht",
        "slug": "bverwg",
        "city": null,
        "state": 2,
        "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
        "level_of_appeal": "Bundesgericht"
    },
    "file_number": "2 B 24/20",
    "date": "2020-06-18",
    "created_date": "2020-07-29T10:00:04Z",
    "updated_date": "2020-07-29T10:05:02Z",
    "type": "Beschluss",
    "ecli": "ECLI:DE:BVerwG:2020:180620B2B24.20.0",
    "content": "<h2>Tenor</h2>\n\n<div>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt/>\n            <dd>\n               <p>Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. November 2019 wird aufgehoben.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt/>\n            <dd>\n               <p>Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zur&#252;ckverwiesen.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt/>\n            <dd>\n               <p>Die Entscheidung &#252;ber die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n      </div>\n   \n<h2>GrĂ¼nde</h2>\n\n<div>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_1\">1</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Ma&#223;gabe Erfolg, dass das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit gem&#228;&#223; &#167; 41 LDG SH, &#167; 69 BDG und &#167; 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zur&#252;ckzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des &#167; 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor. Die rechtliche Bewertung der auf den durchsuchten Speichermedien des Beklagten gefundenen Bilder als kinderpornographische Schriften und die Beurteilung des genauen Inhalts der Dateien auf der Grundlage von Ausf&#252;hrungen eines - zur Kl&#228;rung eines technischen Aspekts - gerichtlich bestellten Sachverst&#228;ndigen anstelle der Einnahme eines Augenscheins durch das Gericht verst&#246;&#223;t gegen das in &#167; 4 LDG SH und &#167; 96 Abs. 1 VwGO verankerte Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_2\">2</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>1. Der 1962 geborene Beklagte steht als Studienrat im Dienst des klagenden Landes. Am 26. Juni 2013 wurde der Beklagte in T. bei der Einreise in die USA mit der Begr&#252;ndung verhaftet, zum Zwecke der Aufnahme sexueller Kontakte mit unter 12-j&#228;hrigen Kindern in die USA eingereist zu sein. Anfang Oktober 2014 wurde der Beklagte aufgrund eines entsprechenden Schuldeingest&#228;ndnisses durch den US District Court T. zu einer Freiheitsstrafe von 189 Monaten verbunden mit einer anschlie&#223;enden lebenslangen \"F&#252;hrungsaufsicht\" verurteilt. Aufgrund der Informationen der amerikanischen Strafverfolgungsbeh&#246;rden leitete die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen den Beklagten ein. In dessen Rahmen wurden mehrere Speichermedien des Beklagten sichergestellt und auf kinderpornographische Schriften untersucht. Mitte Juni 2016 erhob der Kl&#228;ger Disziplinarklage zum einen wegen des Vorwurfs, der Beklagte habe den Versuch unternommen, im Ausland Kinder im Alter von f&#252;nf bis elf Jahren sexuell zu missbrauchen. F&#252;r seinen geplanten Aufenthalt in Mexiko vom 26. bis zum 30. Juni 2013 habe er f&#252;r einen Betrag von 1 025 $ mehrere M&#228;dchen f&#252;r sich \"bestellt\", die bestimmten Kindern aus kinderpornographischen Serien &#228;hneln sollten. Bei seiner Landung in den USA habe er in seinem Gep&#228;ck Damenunterw&#228;sche in sehr kleinen Gr&#246;&#223;en, Fesselungsutensilien und eine Augenbinde gehabt. Gegenstand der Disziplinarklage ist zum anderen der Vorwurf, in der Zeit vom 9. M&#228;rz 2005 bis zur Beschlagnahme am 8. August 2013 insgesamt 944 kinderpornographische Schriften besessen zu haben.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_3\">3</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Beamtenverh&#228;ltnis entfernt. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht das Verfahren aufgrund von &#167; 41 Abs. 1 Satz 1 LDG SH sowie &#167;&#167; 56 und 65 Abs. 1 Satz 1 BDG beschr&#228;nkt und den Vorwurf, den Versuch unternommen zu haben, im Ausland Kinder im Alter von f&#252;nf bis elf Jahren sexuell zu missbrauchen, sowie den Vorwurf des Besitzes von 256 Posing-Bildern aus dem Verfahren ausgeschieden. Die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zur&#252;ckgewiesen. Durch sein au&#223;erdienstliches Verhalten, das den Straftatbestand des vors&#228;tzlichen Besitzes von kinderpornographischen Schriften nach &#167; 184b Abs. 4 StGB in der Fassung vom 31. Oktober 2008 erf&#252;lle, habe der Beklagte als Lehrer an einer allgemeinbildenden Schule das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endg&#252;ltig verloren.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_4\">4</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>2. Die Beschwerde beanstandet, das Gericht habe die auf den Speichermedien des Beklagten sichergestellten Fotos nicht selbst in Augenschein genommen und damit nicht selbst bewertet, sondern habe sich Zahl und Inhalt der Dateien lediglich durch den Sachverst&#228;ndigen mitteilen lassen. Die vom Beklagten damit der Sache nach erhobene R&#252;ge, das Oberverwaltungsgericht habe bei der W&#252;rdigung der auf den Speichermedien des Beklagten vorgefundenen Dateien gegen das Gebot der materiellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (&#167; 4 LDG SH und &#167; 96 Abs. 1 VwGO) versto&#223;en, ist begr&#252;ndet.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_5\">5</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>Das Oberverwaltungsgericht ist in tats&#228;chlicher Hinsicht davon ausgegangen, der Beklagte sei im Zeitraum vom 22. Juli 2006 bis zur Beschlagnahme am 8. August 2013 im Besitz kinderpornographischer Schriften gewesen. Das Verhalten des Beklagten erf&#252;lle den Straftatbestand des Besitzes von kinderpornographischen Schriften nach &#167; 184b Abs. 1 StGB in der Fassung vom 31. Oktober 2008. Diese Bestimmung definiert kinderpornographische Schriften als pornographische Schriften (&#167; 11 Abs. 3 StGB), die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern (&#167; 176 Abs. 1 StGB) zum Gegenstand haben. Dass es sich bei den auf den Speichermedien des Beklagten sichergestellten Dateien (Fotos und Videos) um solche im Sinne dieser gesetzlichen Begriffsbestimmung handelt, setzt eine Bewertung der Dateien anhand der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen voraus. Zu bewerten ist insbesondere das Alter der betroffenen Personen (Kind i.S.v. &#167; 176 Abs. 1 StGB) und die Art der dargestellten Handlung. Dar&#252;ber hinaus hat das Berufungsgericht bei der Aussch&#246;pfung des durch die abstrakte Strafandrohung er&#246;ffneten Orientierungsrahmens auch auf die Art und Weise des dargestellten Sexualverkehrs von Erwachsenen mit Kleinstkindern abgehoben.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_6\">6</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>In den F&#228;llen des Besitzes kinderpornographischer Schriften ergeben sich die f&#252;r die Bemessung der Disziplinarma&#223;nahme relevanten Feststellungen zum Inhalt und auch zur Zahl der Dateien regelm&#228;&#223;ig aus Entscheidungen der Strafgerichte, denen im unterschiedlichen Umfang Bindungswirkung nach &#167; 41 LDG SH und &#167; 57 BDG zukommt. Mangels einer strafgerichtlichen Entscheidung muss das Disziplinargericht hier die insoweit relevanten Feststellungen selbst treffen.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_7\">7</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>Im Berufungsurteil hat das Oberverwaltungsgericht wiederholt auf seinen Beweisbeschluss vom 30. Oktober 2019 (gemeint ist wohl 31. Oktober 2019) verwiesen. Nach diesem Beschluss sollte &#252;ber das Vorhandensein kinderpornographischer Schriften auf den bei der Durchsuchung des Wohnhauses des Beklagten am 8. August 2013 sichergestellten Datentr&#228;gern, aber auch &#252;ber deren Inhalt durch Verwertung zweier bereits erstellter Gutachten des Sachverst&#228;ndigen S. Beweis erhoben werden. Im Urteil ist ausgef&#252;hrt, der Umstand, dass sich unter den auf den Speichermedien des Beklagten sichergestellten Dateien auch kinderpornographische Schriften (Bild- und Videodateien) finden, ergebe sich aus der Auswertung der elektronischen Datentr&#228;ger des Beklagten durch diesen Sachverst&#228;ndigen. Auch hinsichtlich der Feststellungen zum Alter der betroffenen Kinder (0 bis 14 Jahre) sowie zum genauen Gehalt der auf den Dateien dargestellten sexuellen Handlungen wird auf das nach &#167; 4 LDG SH, &#167; 98 VwGO und &#167; 411a ZPO in das gerichtliche Disziplinarverfahren einbezogene Sachverst&#228;ndigengutachten vom 28. Mai 2015 verwiesen. Auch im &#220;brigen wird aus dem Berufungsurteil deutlich, dass sich die Beweisaufnahme auf den Sachverst&#228;ndigenbeweis beschr&#228;nkt hat, bei dem es ausschlie&#223;lich um \"technische\" Fragen aus dem IT-Bereich ging.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_8\">8</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>Dies gen&#252;gt nicht den Anforderungen des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (&#167; 4 LDG SH und &#167; 96 Abs. 1 VwGO). Dieser besagt u.a., dass im Interesse der Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidung die Feststellung der zentralen rechtserheblichen Tatsachen durch Mittel zu erfolgen hat, die in gr&#246;&#223;tm&#246;glicher N&#228;he zu der infrage stehenden Tatsache, d.h. in m&#246;glichst direkter Beziehung zu ihr stehen. Das lediglich mittelbare Beweismittel kann zul&#228;ssigerweise nur verwendet werden, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unm&#246;glich, unzul&#228;ssig oder unzumutbar erscheint (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1989 - 6 RKa 4/89 - SozR 1500 &#167; 128 Nr. 40 Rn. 10, BFH, Urteil vom 12. Juni 1991 - III R 106/87 - BFHE 164, 396 Rn. 9 jeweils m.w.N. und BVerwG, Beschluss vom 13. Oktober 1994 - 8 B 162.94 - juris Rn. 2).</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_9\">9</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>Ein Sachverst&#228;ndiger ist ein Gehilfe eines Gerichts, auf dessen Sachverstand das Gericht zur&#252;ckgreifen muss, soweit dies zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts geboten ist. Dementsprechend kommt die Beauftragung eines Sachverst&#228;ndigen nur hinsichtlich solcher Umst&#228;nde in Betracht, f&#252;r deren Feststellung und Beurteilung dem Gericht die erforderliche Sachkunde fehlt. F&#252;r die Feststellung der Zahl (das blo&#223;e Z&#228;hlen) sowie f&#252;r die Beurteilung des Inhalts der aus den Speichermedien gewonnenen Dateien ist das Gericht selbst sachkundig; deren Inaugenscheinnahme ist origin&#228;re Aufgabe des Tatsachengerichts. Die Kenntnisse &#252;ber den genauen Inhalt der Dateien, die f&#252;r die Bemessung der Disziplinarma&#223;nahme entscheidend sind, h&#228;tte sich das Oberverwaltungsgericht selbst durch das unmittelbare Beweismittel der Einnahme eines Augenscheins (&#167; 4 LDG SH, &#167; 98 VwGO und &#167;&#167; 371 ff. ZPO) verschaffen m&#252;ssen.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_10\">10</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>Hier kann auch nicht auf die ordnungsgem&#228;&#223;e Durchf&#252;hrung der Beweisaufnahme durch das Verwaltungsgericht verwiesen werden, dessen tats&#228;chliche Feststellungen sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht h&#228;tte. Denn auch das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich des Inhalts der auf den Speichermedien des Beklagten festgestellten Dateien auf die bereits eingeholten Gutachten des Sachverst&#228;ndigen vom 17. November 2014 und vom 28. Mai 2015 verwiesen.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_11\">11</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>Bei dem erneuten Berufungsverfahren wird das Oberverwaltungsgericht auch zu pr&#252;fen haben, ob das Ausscheiden des unter 1. der Klageschrift vorgeworfenen Sachverhalts durch seinen in der Berufungsverhandlung verk&#252;ndeten Beschluss aufrecht zu erhalten ist.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_12\">12</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>In seiner bisherigen Rechtsprechung ist der Senat davon ausgegangen, durch &#167; 56 BDG und die entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen solle dem Disziplinargericht die M&#246;glichkeit er&#246;ffnet werden, Vorw&#252;rfe au&#223;er Betracht zu lassen, die eine aufw&#228;ndige Beweisaufnahme erforderlich machen w&#252;rden, die aber f&#252;r das Ergebnis der Disziplinarklage nach gegenw&#228;rtigem Stand nicht erheblich sein werden. Das Disziplinarverfahren solle damit von &#252;berfl&#252;ssigem Ballast befreit werden k&#246;nnen, m&#252;sse aber weiterhin die gebotene Gesamtw&#252;rdigung der Pers&#246;nlichkeit des Beamten ohne Abstriche erm&#246;glichen (BVerwG, Beschluss vom 20. August 2013 - 2 B 8.13 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 22 Rn. 6).</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_13\">13</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>Die W&#252;rdigung der Pers&#246;nlichkeit des Beklagten k&#246;nnte hier aber auch die Ber&#252;cksichtigung der schwerer wiegenden Dienstpflichtverletzung, den Missbrauch von mehreren M&#228;dchen im Alter von f&#252;nf bis elf Jahren versucht zu haben, erfordern. Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob ein Beamter nur Darstellungen von sexuellem Missbrauch von Kindern durch den Besitz kinderpornographischer Schriften nutzt oder ob er konkrete Schritte unternommen hat, um selbst Kinder sexuell zu missbrauchen.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n         <dl class=\"RspDL\">\n            <dt>\n               <a name=\"rd_14\">14</a>\n            </dt>\n            <dd>\n               <p>Die Darlegungen des Oberverwaltungsgerichts zur M&#246;glichkeit, &#252;ber die Berufung in Abwesenheit des anwaltlich vertretenen Beklagten zu verhandeln, begegnen keinen rechtlichen Bedenken.</p>\n            </dd>\n         </dl>\n      </div>\n   "
}