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    "file_number": "5 RBs 152/22",
    "date": "2022-05-24",
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    "type": "Beschluss",
    "ecli": "ECLI:DE:OLGHAM:2022:0524.5RBS152.22.00",
    "content": "<h2>Tenor</h2>\n\n<p>Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.</p>\n<p>Das Verfahren wird eingestellt.Die Kosten des Verfahrens und die der Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse (§§ 467 Abs 1; 473 Abs. 1 StPO; 46, 79 Abs. 3 OWiG)  .</p><br style=\"clear:both\">\n\n<span class=\"absatzRechts\">1</span><p class=\"absatzLinks\"><strong><span style=\"text-decoration:underline\">Gründe</span></strong></p>\n<span class=\"absatzRechts\">2</span><p class=\"absatzLinks\">I.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">3</span><p class=\"absatzLinks\">Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 126 Abs. 1 SchulG NW zu einer Geldbuße von 300 Euro verurteilt.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">4</span><p class=\"absatzLinks\">Gegen das Urteil haben die Staatsanwaltschaft und die Betroffene, jeweils mit der Begründung der Verletzung materiellen Rechts Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, beide Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">5</span><p class=\"absatzLinks\">II.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">6</span><p class=\"absatzLinks\">Die nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Einstellung des Verfahrens (§§ 79 Abs. 3 OWiG; 353, 354 Abs. 1 StPO).</p>\n<span class=\"absatzRechts\">7</span><p class=\"absatzLinks\">Es besteht ein Verfahrenshindernis, weil ein wirksamer Bußgeldbescheid nicht erlassen worden ist.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">8</span><p class=\"absatzLinks\">Zum einen ist bereits zweifelhaft, ob ein Bußgeldbescheid überhaupt erlassen wurde. Der Aktenbestandteil Bl. 7-10 d.A. lässt aus sich heraus nicht klar erkennen, ob dies der endgültige Bußgeldbescheid sein soll oder lediglich ein Entwurf. In der Kopfzeile steht „Entwurf/erstellt von“. Der „Entwurf“ ist auch nicht unterzeichnet. Das könnte dafür sprechen, dass ein endgültiger Willensakt der Behörde, dass der Bußgeldbescheid auch tatsächlich so erlassen werden sollte, fehlt. Wohl spricht die  nachgeheftete Verfügung zu einem Schreiben der Bußgeldbehörde an den Schulleiter, mit dem eine „Durchschrift“ des „Bußgeldbescheids“ übersandt wurde und welche unterschrieben ist, für einen solchen Willensakt. Dieses Indiz wird allerdings dadurch entkräftet, dass die Sachbearbeiterin der Bußgeldbehörde auf telefonische Nachfrage gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft angegeben hat, dass es sich bei Bl. 7-10 d.A. lediglich um, einen Entwurf handele (vgl. Vermerk Bl. 164 d.A.).</p>\n<span class=\"absatzRechts\">9</span><p class=\"absatzLinks\">Selbst wenn man von einem am 19.08.2022 erlassenen Bußgeldbescheid ausgehen wollte, so ist dieser unwirksam.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">10</span><p class=\"absatzLinks\">Nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG muss der Bußgeldbescheid \"die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeld vor Schriften\" enthalten. Das entspricht den Anforderungen, die an die Anklageschrift und an den Strafbefehl gestellt werden, dem der Bußgeldbescheid nachgebildet worden ist. Der Bußgeldbescheid erfüllt auch dieselben Aufgaben. Er enthält wie der Strafbefehl die Beschuldigung, die den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens - im Falle der Einspruchseinlegung, wie die Anklageschrift, auch den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens - in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abgrenzt und mithin auch den Umfang der Rechtskraft (§ 84 OWiG) bestimmt. Außerdem soll er dem Betroffenen ein Bild von der Berechtigung des gegen ihn erhobenen Vorwurfes verschaffen, damit der Betroffene wie beim Strafbefehl prüfen kann, ob er Einspruch einlegen und wie er für diesen Fall - das gilt wiederum auch für die Anklageschrift - seine Verteidigung in der Hauptverhandlung vorbereiten soll. Deshalb genügt zur Bezeichnung der \"Tat\" in § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG die Angabe der allgemeinen (\"abstrakten\") gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll und gegen welchen Vorwurf er sich daher verteidigen muss. Der Umfang der Tatschilderung wird maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt. Da das Bußgeldverfahren eine schnelle und Verwaltungskosten einsparende Ahndung der Ordnungswidrigkeiten bezweckt, verbieten sich überhöhte Anforderungen an die Schilderung von selbst; auch ein in Rechtsfragen unerfahrener Bürger muss jedoch den Vorwurf verstehen können (vgl. nur: OLG Hamm, Beschl. v. 16.09.2021 – III-4 RBs 277/21 – juris).</p>\n<span class=\"absatzRechts\">11</span><p class=\"absatzLinks\">Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung ist seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Mängel in dieser Richtung lassen sich weder mit Hilfe anderer Erkenntnisquellen, etwa dem Akteninhalt im Übrigen, ergänzen noch nachträglich, etwa durch Hinweise in der Hauptverhandlung, \"heilen\". Der Bußgeldbescheid erwächst, sofern er nicht angefochten wird, in Rechtskraft. Er muss daher auch selbst die für seine Wirksamkeit notwendigen Voraussetzungen erfüllen, d.h. die Gefahr einer Verwechslung mit einer möglichen gleichartigen Ordnungswidrigkeit desselben Betroffenen ausschließen (BGH NJW 1970, 2222; OLG Bamberg, Beschl. v. 18.11.2015 - 3 Ss OWi 1218/15 - juris; OLG Hamm a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss v. 13.01.2022 – 5 RBs 278/21; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.01.2020 - 1 Rb 21 Ss 967/19 - juris, jew. m.w.N.).</p>\n<span class=\"absatzRechts\">12</span><p class=\"absatzLinks\">Diesen Anforderungen wird ein etwaiger erlassener Bußgeldbescheid vom 19.08.2021 nicht gerecht, wie die Staatsanwaltschaft zutreffend bemängelt und auch das Amtsgericht – allerdings erst bei Abfassung der Urteilsgründe – festgestellt hat.</p>\n<span class=\"absatzRechts\">13</span><p class=\"absatzLinks\">Der Vorwurf gegen die Betroffene wird in tatsächlicher Hinsicht lediglich wie folgt konkretisiert: „Es ist festgestellt worden, dass ihr Kind A trotz Mahnungen durch die Schule wiederholt unentschuldigt den Schulunterricht versäumt hat. Die Fehlzeiten sind der Anlage zu entnehmen.“ Der etwaige Bußgeldbescheid, welcher in den Akten enthalten ist, enthält eine solche Anlage nicht. Soweit eine solche Anlage als Bl. 6 dem Bußgeldbescheid vorgeheftet ist, zeigen schon sein Ort der Abheftung (vor dem etwaigen Bußgeldbescheid) wie auch die Papierart, dass es sich hierbei um einen Bestandteil des Anhörungsschreibens der Schule vom 24.06.2021 handelt, in dem auf diese Anlage verwiesen wird. Unerheblich ist, ob der der Betroffenen zugestellten Ausfertigung des Bußgeldbescheids eine Anlage beigefügt war. Es kommt auf den in den Akten befindlichen Bußgeldbescheid an. Dieser – sofern ein Bußgeldbescheid überhaupt erlassen wurde – enthält keine Anlage und noch nicht einmal einen konkreten Verweis auf einen bestimmten Aktenteil (der freilich auch nicht ausreichen würde, vgl. OLG Hamm a.a.O.), in welchem die Anlage zu finden wäre. Von daher kann auch nicht festgestellt werden, ob eine etwaige übersandte Anlage dem Willen der Bußgeldbehörde entspricht. Damit sind bereits schon sämtliche Tatdaten (noch nicht einmal ein Tatzeitraum) und die Zahl der Taten aus dem Bußgeldbescheid nicht erkennbar.</p>\n      "
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