Urteil vom Amtsgericht Aachen - 14 C 750/69
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Beklagte als Vater der Klägerin gilt.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin vom Tage der Geburt (2.8.1968) bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres als Unterhalt eine im voraus zu entrichtende Geldrente von monatlichen 120,00 DM, die rück-ständigen Beträge sofort, die künftig fällig werdenden am zweiten Tage eines jeden Lebensmonats zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist, soweit es den Unterhaltsanspruch bis August 1969 ein-schließlich betrifft, gegen Sicherheitsleistung von 1.600,00 DM, im übri-gen ohne eine solche vorläufig vollstreckbar; der Beklagte kann die Voll-streckung durch 1.500,00 DM Sicherheit abwenden.
1
Tatbestand
2Die Klägerin wurde am 2.8.1968 von der Verkäuferin H geb. I, geboren. Die Ehe der Kindesmutter mit dem Dreher H aus F ist durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts B2 vom 28.11.1967 (1 R 404/67) geschieden worden. Auf die Ehelichkeitsanfechtungsklage des geschiedenen Ehemannes der Kindesmutter ist durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts B2 vom 03. Juni 1969 (12 R 345/68) festgestellt worden, dass die Klägerin nicht dessen eheliches Kind ist.
3Der Beklagte hat der Kindesmutter innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit (5.10.1967 – 3.2.1968) beigewohnt.
4Die Klägerin verlangt vom Beklagten den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt.
5Die Klägerin beantragt,
6festzustellen, dass der Beklagte als der Vater gelte, und ihn zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsrente von 120,00 DM vom Tage der Geburt an bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu verurteilen.
7Der Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen, hilfsweise: ihm zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwensen.
9Er bestreitet seine Vaterschaft und behauptet, die Kindesmutter habe innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit auch mit anderen Männern Geschlechtsverkehr gehabt (Beweis: Vernehmung der Zeugen B und C aus B2). Er sei unmöglich der Vater (Beweis: Einholung eines erbbiologischen Gutachtens).
10Über die Behauptung des Beklagten ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung der Kindesmutter als Zeugin und durch Einholung eines Blutgruppengutachtens des Prof. Dr. T aus B2.
11Auf die Sitzungsniederschrift vom 3.2.1970 und das schriftlich erstattet Gutachten wird Bezug genommen. Verwiesen wird auch auf die zu Beweiszwecken beigezogenen Akten 12 R 345/68 des LG B2.
12Entscheidungsgründe
13Der Feststellungsantrag ist gem. § 256 ZPO zulässig.
14Die Klage ist auch in vollem Umfang begründet.
15Der Unterhaltsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 1708 Abs. 1 i. V. mit § 1710 BGB. Der Beklagte ist der Vater der Klägerin. Er hat unstreitig der Kindesmutter innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt (§ 1717 BGB). Die Behauptung des Beklagten, die Kindesmutter habe innerhalb dieser Zeit auch mit anderen Männern verkehrt, ist durch die Beweisaufnahme widerlegt. Die Kindesmutter hat bekundet, innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit nur mit dem Beklagten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Der Aussage der Kindesmutter kommt besonderer Beweiswert zu, weil sie diese Angaben auch schon im Ehelichkeitsanfechtungsprozess des geschiedenen Ehemannes gegen die Klägerin gemacht hat. Die Aussage der Zeugin wird zudem bestätigt durch das Gutachten von Prof. Dr. T. Der Sachverständige konnte an Hand der Verteilung aller untersuchten Blut- und Serummerkmale die Vaterschaft des Beklagten nicht nur nicht ausschließen, sondern positiv feststellen. Lange Zeit konnte ein positiver Vaterschaftsnachweis nur durch ein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten geführt werden, während das Blutgruppengutachten lediglich zum Ausschluß eines präsumtiven Erzeuges führten konnte. Zu neuerer Zeit sind jedoch neben die klassischen Blutgruppen zahlreiche neuentdeckte Blutmerkmale getreten, so dass im Einzelfall aufgrund der festgestellten Merkmalskonstellation und der statistischen Häufigkeit der einzelnen Merkmale in der Bevölkerung unter Umständen eine so hohe Wahrscheinlichkeit der Erzeugerschaft eines bestimmten Mannes ermittelt werden kann, dass der positive Vaterschaftsbeweis als erbracht angesehen werden muß.
16Insbesondere erlaubt die serostatistische Auswertung von Blutgruppengutachten nach der Methode von Esser-Möller die Wahrscheinlichkeit einer Vaterschaft korrekt zu berechnen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzueweisen, dass sich Bluteigenschaften zum Teil besser für erbkundliche Untersuchungen eignen als die äußerlich erkennbaren Körpermerkmale, auf die sich die Anthropologen stützen, weil sie genau identifizierbar und klassifizierbar sind, in der Regel beim Neugeborenen bereits voll entwickelt, von Alter, Geschlecht und Umwelt unabhängig und keinen Mutationen unterworfen sind. Das Verfahren nach Esser-Möller ergibt einen Hinweis auf eine Vaterschaft, wenn der Eventualvater ein Blutgruppenmerkmal besitzt, welches auch beim Kind nachzuweisen ist, das aber die Mutter nicht besitzt. Je seltener sich ein Merkmal in der Bevölkerung findet, umso höhere Hinweiswerte liefert dieses Merkmal. Mit der Anzahl der Merkmale, in denen Kind und der in Anspruch genommene Mann übereinstimmen, nimmt der Verdacht zu, dass letzterer tatsächlich der wirkliche Erzeuger ist; die Vaterschaftswahrscheinlichkeit steigt entsprechend an.
17Der nach dem Verfahren nach Esser-Möller ermittelte Wahrscheinlichkeitsgrad gibt an, in wie viel von 100 gleich gelagerten Fällen ein Richter die Wahrheit träfe, wenn er regelmäßig den in Anspruch genommenen Mann als Erzeuger deklarierte.
18Prof. Dr. T hat in seinem Gutachten anhand der gewonnenen Blut- und Serumsformeln die Vaterschaftswahrscheinlichkeit errechnet und ist zu einem Wert von 99,9 % gelangt. Ein solcher Wert kommt einer naturwissenschaftlichen Sicherheit nahe und ist vom Sachverständigen mit dem Prädikat "praktisch erwiesen" belegt worden. Bei einem solchen Wahrscheinlichkeitswert ist die Möglichkeit eines Irrtums so gering, dass aus der festgestellten Vaterschaftswahrscheinlichkeit mit einem für die Erfordernisse des praktischen Lebens ausreichenden Grad der Gewissheit auf die Abstammung anerkannten Rechtssatz, dass an den juristischen Beweis weniger strenge Anforderungen zu stellen sind als an den naturwissenschaftlichen.
19Die dem Gericht durch das Gutachten von Prof. Dr. T vermittelte Überzeugung, dass der Beklagte der Vater der Kläger ist, könnte durch ein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten nicht erschüttert werden wegen der bereits hervorgehobenen Möglichkeit einer exakteren Feststellung des Bluteigenschaften als Grundlage der Berechnung gegenüber den äußeren Körpermerkmalen. Auf die Einholung eines solchen Gutachtens wurde daher verzichtet.
20Es versteht sich unter den gegebenen Umständen von selbst, dass es auf die Vernehmung der vom Beklagten benannten Mehrverkehrszeugen ohnehin nicht mehr ankam.
21Der Unterhaltsanspruch ist auch in der geforderten Höhe berechtigt; dies wird auch vom Beklagten nicht in Abrede gestellt.
22Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Ziff. 6 und § 713 Abs. 2 ZPO.
23Streitwert: 2.400,00 DM
24Schnitzler
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.