Urteil vom Amtsgericht Ahaus - 16 C 83/06
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor Vollstre-ckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d :
2Die Parteien sind durch einen Energieversorgungsvertrag miteinander verbunden. Auf den Stromlieferungsvertrag finden die Bestimmungen der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV) Anwendung. Vom späten Nachmittag des 25.11.2005 bis zum 01.12.2005 wurde die Klägerin und ihr Ehemann von der Beklagten nicht mit Strom versorgt. Ursächlich hierfür war die großflächige Versorgungsstörung im westlichen Münsterland infolge extremer Witterungsbedingungen. Das Schneetief "Thorsten" führte von Freitagmittag (25.11.2005) bis Sonnabend (26.11.2005) zu heftigen Schneefällen in der genannten Region. Die Temperaturen während des Schneefalls lagen kaum unter null Grad Celsius, teilweise sogar darüber. Dadurch war der Schnee naß, so dass er gut an Bäumen, Stahlkonstruktionen und Drähten haftete. Es herrschte außerdem kräftiger Wind, wodurch die Anlagerung von Schnee an Hindernissen, Bäumen und Überlandleitungen verstärkt wurde. Die maximalen Windgeschwindigkeiten lagen am Nachmittag des 25.11.2005 an den drei Meßstationen des deutschen Wetterdienstes in der Umgebung bei 15 - 20 m pro Sekunde (Windstärke 6 - 7, in Böen 8). Am späten Nachmittag des 25.11.2005 brachen in der gesamten Region, unter anderem auch im Netzgebiet der Beklagten, zahlreiche Strommasten und rissen die Leitungsseile. Unter anderem brachen 6 Masten der 110-kv-Hochspannungsfreileitung, über die das Mittel- und das Niederspannungsnetz der Beklagten in W versorgt werden, zusammen.
3Die X AG beauftragte Professor Dr. Ing. U mit der Erstellung eines Gutachtens zur Ermittlung der Schadensursache der am 25./26.11.2005 im westlichen Münsterland geschädigten Stahlgittermasten des Hoch- und Mittelspannungsnetzes. Auf das Kurzgutachten vom 13.02.2006 (Blatt 45 ff. d.A.) wird Bezug genommen. Auf die Zusammenfassung des Untersuchungsberichtes der Bundesnetzagentur aus Juni 2006 (Blatt 110 ff. d.A.) und dem Untersuchungsergebnis des Gutachtens der Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM-Gutachten Blatt 116 ff. d.A.) wird Bezug genommen.
4Unmittelbar nach dem 25.11.2005 haben die für den Einsatz der Notstromaggregate allein zuständigen Behörden entschieden, unter Berücksichtigung der einzelnen Notsituation die Aggregate zunächst dort einzusetzen, wo mit gleichem Aufwand der größte Erfolg erzielt werden konnte. Aus diesem Grund wurde in der Nachbarschaft der Klägerin ein Notstromaggregat angeschlossen, mit dem 117 Häuser versorgt werden konnten. Die Ortsnetzsituation, an die das Gebäude der Klägerin angeschlossen ist, versorgt nur 12 Hausanschlüsse. Am 26.11.2005 erwarb die Klägerin einen Campinggaskocher für 75,00 Euro. Am 28.11.2005 kaufte die Klägerin ein Notstromaggregat zum Preis von 549,00 Euro. Das Aggregat war 4 Tage in Betrieb und verbrauchte 1,5 l C pro Stunde. Insgesamt verbrauchte es C im Wert von 172,80 Euro und 1,5 l Öl für 20,40 Euro. Durch das Notstromaggregat konnte die Klägerin einen Raum ihres Hauses auf 16 Grad Celsius beheizen. Alle übrigen Räume des klägerischen Hauses kühlten auf 6- 9 Grad Celsius ab. Erst ab dem 2.12.2005 waren die Räume der Klägerin wieder beheizbar. Der Ehemann der Klägerin erklärte dieser gegenüber die Abtretung seiner immateriellen Schadensersatzansprüche wegen nicht zur Verfügung gestellter Stromversorgung. Der Ehemann der Klägerin forderte die Beklagte vergeblich zur Zahlung von insgesamt 2.421,20 Euro auf.
5Die Klägerin behauptet, der Zusammenbruch der Stromversorgung am 25.11.2005 wäre bei ordnungsgemäßer Wartung und Instandsetzung der Strommasten vermeidbar gewesen. Die Beklagte hätte in zumutbarer Weise das Haus der Klägerin unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Stromversorgung durch Notstromaggregate versorgen können. Ausreichend starke Notstromaggregate seien bei der Firma T GmbH in A vorhanden gewesen. Ab dem 25.11.2005 hätte das Erdkabel am Knotenpunkt Kriegerkanal in W an das Haus der Klägerin angeschlossen werden können. Bei ordnungsgemäßer Koordination der Kommunen hätte das Haus der Klägerin noch am 25.11.2005 mit Strom versorgt werden können. Gefriergut im Wert von 100,00 Euro sei unbrauchbar geworden. Die Klägerin vertritt die Auffassung, für die durch den Stromausfall einhergehende Beeinträchtigung der Lebensqualität sei ein Schmerzensgeld von je 750,00 Euro für sie und ihren Ehemann angemessen.
6Die Klägerin beantragt,
7- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 921,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.12.2005 zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, welches den Betrag in Höhe von 1.500,00 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punktenüber dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.12.2005 zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 104,65 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.12.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte behauptet, dass sowohl der Zusammenbruch der Mittelspannungsfreileitungen der Beklagten wie auch andere Leitungen in der Region, allein infolge extremer und unvorhersehbarer Witterungsbedingungen entstanden sei und auf höhere Gewalt zurückzuführen sei.
11Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
13Die Klage ist nicht begründet.
14Die geltend gemachten Ansprüche stehen der Klägerin aus keinem Rechtsgrund zu.
15Ein Anspruch aus eigenem Recht und abgetretenem Recht steht der Klägerin gegen die Beklagte weder auf Schadensersatz wegen Verletzung der Pflichten aus dem Versorgungsvertrag oder aus unerlaubter Handlung zu. Ebenso kommt eine Haftung der Beklagten für Verrichtungsgehilfen nicht in Betracht. Es fehlt an einem eigenen Verschulden der Beklagten. Ein der Beklagten zurechenbares Verschulden Dritter liegt ebenfalls nicht vor. Die Beklagte ist entsprechend den Anforderungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 AVBEltV entsprechend entlastet. Weder die Organe der Beklagten und deren Mitarbeiter haben den Ausfall der Stromversorgung des Hauses der Klägerin grob fahrlässig herbeigeführt oder infolge grober Fahrlässigkeit erst verspätet wieder hergestellt. Grob fahrlässig ist die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße. Dies ist der Fall, wenn sich aufdrängende Überlegungen unterbleiben und unbeachtet bleibt, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten muß. Ein Verschulden der Beklagten wegen mangelhafter Wartung der Strommasten liegt nicht vor. Die Strommasten entsprachen den geltenden Errichtungsnormen und waren einwandfrei gewartet und instand gehalten worden. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Ergebnis des Untersuchungsberichtes der Bundesnetzagentur. Darin heißt es unter anderem:
16"Die extreme Wettersituation hat für das Hochspannungsnetz im Münsterland ungewöhnliche Belastungen gebracht. Zu der Schadenssituation im Münsterland ist es nur gekommen, weil mehrere Schadensauslöser gleichzeitig aufgetreten sind.
17Diese waren:
18- starker Wind (bis Orkanstärke), der das Anbacken des Schnees erst ermöglichte und der auch Staudruck auf die Leiterseile brachte
- extreme N an Schneefall
- Temperaturen auf 0 Grad Celsius
- sehr nasser Schnee, mit hohem spezifischem Gewicht
- einsetzender S, der die Schnee- und Eiswalzen weiter beschwerte
- einseitige Belastung der Abspannfelder, die auf Abspannmasten torsionsauslösend wirkten
- Windrichtung senkrecht zur Trassenführung
- einzelne Leiterseile, die in sich drehbar sind und das Anwachsen auf allein Seiten ermöglichen
Diese Faktoren haben die Masten deutlich stärker beansprucht, als es die
20Errichtungsnorm von den Masten fordert. Die geforderten Normwerte wurden
21von den Freileitungen erfüllt."
22Anhaltspunkte an dem Ergebnis des Untersuchungsberichtes der Bundesnetzagentur zu zweifeln, bestehen nicht. Es handelt sich um einen amtlichen Untersuchungsbericht. Als Fachbehörde verfügt die Bundesnetzagentur auch über die nötige Sachkunde, um die Gründe für den Zusammenbruch des Stromnetzes zu beurteilen.
23Eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten liegt auch nicht darin begründet, dass sie nicht alle im November 2005 im Münsterland zusammengebrochenen Masten schon im Vorfeld über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus modernisiert hat. Eine Sorgfaltspflicht zur Modernisierung über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus käme nur in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass ein Umbrechen von Masten infolge extremen Wetters drohte. Jedenfalls vor den lang andauernden Stromausfällen im Westmünsterland im November 2005 lagen aber keine solchen Anhaltspunkte vor. Der Zusammenbruch beruhte letztlich auf einem ungewöhnlichen Wetterereignis, das in der Region seit langem nicht beobachtet wurde. Darüber hinaus sind nicht nur allein die Mittelspannungsfreileitungen der Beklagten betroffen gewesen, sondern großflächig im westlichen Münsterland bei allen in der betroffenen Region tätigen Netzbetreibern Freileitungen zusammengebrochen. Unter anderem sind unstreitig 6 Masten der 110 kV Hochspannungsfreileitungen A-W von der RWE zusammengebrochen, über die das Mittel- und schließlich auch das Niederspannungsnetz der Beklagten in W versorgt wird. Auch infolge des Zusammenbruchs der 110 kV-Leitung war eine Stromversorgung in W nicht möglich.
24Eine Haftung der Beklagten liegt auch nicht darin begründet, dass sie nicht genügend Notstromaggregate zur flächendeckenden Versorgung weiter Teile des Westmünsterlandes vorhielt. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagten bekannt war, dass die Firma T GmbH aus B-A Notstromaggregate vorhielt, liegen nicht vor. Eine Verpflichtung der Beklagten, das klägerische Haus mit Notstromaggregaten zu versorgen, ist nicht ersichtlich. Bei der Schneekatastrophe im Münsterland handelte es sich um einen öffentlichen Notstand i.S.v. § 1 Abs. 1 FSHG-NRW. Die Versorgung mit Notstromaggregaten stellt eine Abwehrmaßnahme in Bezug auf ein Großschadensereignis nach dem FSHG dar, für das der Kreis C2 verantwortlich war. Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Koordinieren des Kreises C2 liegen nicht. Ein fahrlässiges bzw. grob fahrlässiges oder schuldhaftes Verhalten der Beklagten ist nicht ersichtlich.
25Nach alledem war die Klage bereits dem Grunde nach abzuweisen.
26Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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