Urteil vom Amtsgericht Bielefeld - 10 Ds-16 Js 279/11-1009/12
Tenor
Der Angeklagte wird wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von
120 Tagessätzen in Höhe von je 15,00 EUR
verurteilt.
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen zu tragen.
Angewendete Vorschriften: § 222 StGB
1
Gründe
2I.
3Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 30-jährige Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger. Er hat sein am 01.04.2006 begonnenes Medizinstudium im Laufe des Jahres 2012 erfolgreich abgeschlossen. Das Approbationsverfahren ruht derzeit mit Blick auf das vorliegende Strafverfahren. (...)
4Strafrechtlich ist der Angeklagte bislang nicht in Erscheinung getreten.
5II.
6Der Angeklagte absolvierte als Medizinstudent sein praktisches Jahr seit dem 21.02.2011 im evangelischen Krankenhaus in Bielefeld. Seit dem 13.06.2011 war er insoweit auf verschiedenen Stationen im Bereich der Kinderheilkunde eingesetzt und versah dabei seit dem 15.08.2011 seinen Dienst auf der Kinderstation K8.
7Zum Tatzeitpunkt am Montag, den 22.08.2011, befand sich auf dieser Station der am 17.10.2010 geborene und an myeloischer Leukämie erkrankte Säugling U zur stationären Behandlung. Die Behandlung des Kindes sah vor, dass dieses sowohl eine Kurzinfusion mit dem Antibiotikum „Refobacin“ bekommen sollte, und zwar in die bereits laufende Infusion, als auch zusätzlich ein oral zu verabreichendes Antibiotikum („Cotrim K Saft“).
8An der morgendliche Stationsübergabe, bei der die auf der Station tätigen Ärzte, am 22.08.2011 insbesondere die Zeugin V, vom Pflegepersonal, hier von der Zeugin T, über die nächtlichen Entwicklungen und bevorstehenden Aufgaben in Kenntnis gesetzt wurden, nahm der Angeklagte erst einige Minuten nach deren Beginn teil. Zu diesem Zeitpunkt war die Behandlung des Säuglings U bereits abschließend besprochen worden.
9Nach der Übergabe wurde der Angeklagte seitens der Krankenschwester, der Zeugin T, darüber in Kenntnis gesetzt, dass bei dem Patienten U ein sog. Medikamentenspiegel/ „Berg- und Tal-Spiegel“ ermittelt werden sollte. Er erhielt von ihr den Auftrag, dem Säugling vor der bevorstehenden Verabreichung des Medikamentes „Refobacin“ die erste von zwei hierfür erforderlichen Blutproben zu entnehmen. Die ausdrückliche Beauftragung weitergehender Tätigkeiten erfolgte nicht. Dem Angeklagten wurde lediglich erläutert, dass anschließend das Medikament Refobacin „angehängt werde“.
10Während der Blutentnahme durch den Angeklagten, bei der sich neben dem Säugling und dem Angeklagten zunächst nur die Zeugin U mit im Krankenzimmer befand, betrat die Zeugin T im Rahmen ihrer Stationsrunde für die Verteilung der oral zu verabreichenden Medikamente den Raum und legte mit dem an die Mutter gerichteten Bemerken „Hier ist das orale Antibiotikum“ eine unbeschriftete Spritze (ohne Nadel, verschlossen mit einem roten Combi-Stopper) auf dem Frühstückstablett der Zeugin U ab, welches sich auf dem Nachttisch befand. Dieses Antibiotikum sollte dem Kind, wie nach einem vorgegebenen Turnus (Montag/ Mittwoch/ Freitag) bereits mehrfach in der Woche zuvor, von der Zeugin U oral verabreicht werden.
11Spritzen für die intravenöse Verabreichung von Medikamenten werden dagegen stationsübergreifend in aller Regel jeweils in einem Dienstzimmer und dort auf einer speziell hierfür vorgesehenen Ablage gesammelt und sind mit einem Aufkleber beschriftet, der den Patientennamen, den Namen des Medikaments einschließlich Dosierung sowie die Zimmernummer enthält, und darüber hinaus mit einer Kanüle samt Schutzhülle versehen. Auch ist deren Verabreichung dann dort im Therapieplan abzuhaken.
12Nach der Blutentnahme verließ der Angeklagte kurzzeitig das Krankenzimmer, kehrte dann aber zurück und sah sich veranlasst, dem Säugling die nur zur oralen Gabe bestimmte Antibiotikaspritze in das intravenöse Infusionssystem zu verabreichen. Einen ärztlichen Auftrag hatte der Angeklagte hierfür nicht erhalten.
13U erlitt nach der Gabe einen anaphylaktischen Schock, an dem er trotz mehrstündiger erfolgloser Reanimation verstarb.
14III.
15Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten sowie dem Verlauf seines praktischen Jahres beruhen auf seinen Angaben in der Hauptverhandlung vom 22. Oktober 2012, denen das Gericht gefolgt ist, und die Feststellungen zu etwaigen Vorstrafen auf der in der Hauptverhandlung verlesenen Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 27.08.2012.
16Der Angeklagte hat die intravenöse Gabe des oral zu verabreichenden Antibiotikums Cotrim bei dem daran in der Folge verstorbenen Säugling U eingeräumt.
17Er hat sich dahin eingelassen, dass es am Tattag um die Blutabnahme vor und nach einer Medikamentenvergabe gegangen sei. Von einer Kurzinfusion oder oralen Vergabe sei dabei nicht die Rede gewesen. Es sei ihm nicht bekannt gewesen, dass bei dem Säugling ein weiteres Antibiotikum oral verabreicht werden sollte. Als die Zeugin T während der Blutentnahme die unbeschriftete Spritze (ohne Nadel) in das Zimmer des später verstorbenen Säuglings gebracht habe, sei er davon ausgegangen, dass es sich dabei um die besprochene Vergabe des Medikamentes nach der ersten Blutentnahme gehandelt habe und er dieses verabreichen solle. Er habe seinen Auftrag jedenfalls so aufgefasst, wisse jedoch nicht sicher, ob dies ausdrücklich so ausgesprochen worden sei. Auch habe die Zeugin T die Hereingabe lediglich mit den Worten „Hier ist das Medikament“ kommentiert. Dass diese Bemerkung nicht ihm habe gelten sollen, habe er nicht feststellen können. Es sei nach entsprechender Anleitung und Einweisung auch nicht ungewöhnlich gewesen, dass Medikamente von den Studenten im praktischen Jahr auch intravenös verabreicht wurden. Ein Laufzettel sei dann abgehakt worden. Dies sei neben Blutentnahmen nahezu täglich erfolgt, von ihm jedoch zumindest bei dem Patienten U zuvor noch nicht durchgeführt worden. Vorliegend habe er auf direkten Auftrag der Krankenschwester gehandelt
18Die Einlassung des Angeklagten ist, soweit sie den tatsächlichen Feststellungen widerspricht, jedoch als Schutzbehauptung zu werten und wird durch das Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vom 22. Oktober 2012, insbesondere durch die uneidlichen Aussagen der Zeugen T, V und P widerlegt.
19Danach sieht das Gericht die unter II. getroffenen Feststellungen vollständig als erwiesen an.
20Die Zeugin U hat zunächst bekundet, dass sie nach einer schwierigen Nacht sehr müde gewesen sei, als der Angeklagte zur Blutentnahme das Zimmer betreten habe. Während er das Blut abgenommen habe, sei die Krankenschwester mit einer Spritze erschienen, welche von ihr mit den Worten „Hier ist das Antibiotikum“ dort abgelegt worden sei, wo das Essen abgestellt werde. Der Angeklagte habe dann kurz das Zimmer verlassen. Sie selbst sei mit ihrem Jungen beschäftigt gewesen, dann sei alles sehr schnell gegangen. Der Angeklagte sei zurückgekehrt und habe die Spritze intravenös verabreicht. Daraufhin habe ihr Kind die Augen verdreht und es sei Schaum aus dem Mund gelaufen.
21Zu Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben der Kindesmutter zum generellen Ablauf bestand für das Gericht kein Anlass.
22Die Zeugin T hat sodann die Abläufe am 22.08.2011, insbesondere soweit sie die morgendliche Übergabe, die anschließende Einweisung des Angeklagten sowie die Hereingabe der Spritze in das Krankenzimmer betreffen, so wie unter II. festgestellt geschildert.
23Darüber hinaus hat sie dargelegt, dass das Medikament Cotrim K allen dort in der Onkologie befindlichen Kindern regelmäßig verabreicht werde. Im Rahmen ihrer Stationsrunde für die Verteilung der oral zu verabreichenden Medikamente weise sie gewohnheitsmäßig immer auf die zu erfolgende orale Gabe der Medikation hin, so auch hier. Die Ablage einer intravenös zu verabreichenden Spritze auf einem Frühstückstablett sei zudem absolut unüblich. In einem solchen Fall werde unmittelbar ein Spritzentablett übergeben. Grundsätzlich würden die intravenös eingesetzten Spritzen aber im Dienstzimmer in einer speziellen Ablage („Spritzenecke“) aufbewahrt, wo auch die erfolgte Vergabe abgehakt werde und diese Spritzen speziell beschriftet seien. Das Antibiotikum Refobacin hingegen habe sie später als Kurzinfusion selbst anhängen wollen.
24Die Zeugin T war für das Gericht uneingeschränkt glaubwürdig und ihre Aussage ebenso glaubhaft. Sie hat den Hergang der Ereignisse detailliert geschildert. Ihre Bekundungen waren schlüssig und in sich widerspruchsfrei. Besondere überschießende Be- oder eigene Entlastungstendenzen vermochte das Gericht dabei nicht festzustellen. Gestützt wird die Richtigkeit ihrer Angaben zum einen dadurch, dass die Zeugin zeitnah zu dem Vorfall bereits die wesentlichen Geschehnisse in ihrem am 22.08.2011 um ca. 11:00 Uhr abgefassten Bericht (Bl. 62 d. A.) entsprechend niedergelegt hat, zum anderen durch übereinstimmende Angaben der weiteren Zeugen V und P (siehe dort).
25Soweit vorliegend Wortlaut-Details, nämlich ob die Zeugin T bei Hereingabe der Spritze den Hinweis „Hier ist das orale Antibiotikum“ oder etwa nur „Hier ist das Antibiotikum“ geäußert habe, im Fokus stehen, war hinsichtlich der Angaben der Kindesmutter indes zu berücksichtigen, dass diese der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig ist (in der Hauptverhandlung war ein Dolmetscher erforderlich) und nach eigenen Angaben auch übermüdet und mit ihrem Kind beschäftigt gewesen sei. In diesem konkreten Punkt ist ihre Aussage daher aus Sicht des Gerichts nicht geeignet, die Angaben der Zeugin T in Zweifel zu ziehen, zumal diese auch eine plausible Erklärung vorweisen konnte, warum auch hier der Hinweis auf die „orale“ Verabreichung geäußert worden sei, da dies im Rahmen ihrer Medikamentenrunde schon aus Gewohnheit erfolge. Überdies hat aber nicht nur die Zeugin T, sondern auch Angeklagte selbst an dieser Stelle abweichende Angaben zu denen der Zeugin U gemacht („Hier ist das Medikament“).
26Die Zeugin V hat zunächst das spätere Erscheinen des Angeklagten in der Übergabebesprechung bzw. sein Fehlen bei der dortigen Besprechung des Patienten U bestätigt. Der Auftrag zur Blutentnahme sei dann von der Zeugin T erteilt worden. In der Woche auf Station K8 sei er zuvor von ihr in die Praxis der Blutentnahme bei schon angelegtem Kathetersystem eingeführt worden. Auch habe er ihrer Kenntnis nach in den ca. 2 Monaten, in denen er im Bereich der Kinderheilkunde tätig war, auf Ansprache und Einweisung auch bereits Antibiotika in laufende Infusionen appliziert.
27Ferner hat die Zeugin V bestätigt, dass die intravenös zu verabreichenden Spritzen üblicherweise an einem bestimmten Sammelplatz gelagert und im normalen Tagesablauf (mit Ausnahme von Notfallsituationen) nicht in die Krankenzimmer hereingereicht werden. Auch seien diese mit dem Patientennamen, Medikament und Dosierung sowie der Zimmernummer beschriftet und mit einer Kanüle versehen.
28Auch die Zeugin V war für das Gericht uneingeschränkt glaubwürdig und ihre Aussage gleichermaßen glaubhaft. Hierfür sprechen auch die übereinstimmenden Angaben der Zeugin C, soweit diese mit dem Vorgang befasst war. Der Zeugin C, ebenfalls Assistenzärztin, war am Tattag die „Spritzenrunde“ übertragen. Zwischen 8 und 9 Uhr wurde von ihr in diesem Rahmen noch vor der Tat bei U das Medikament „Fortum“ injiziert. Die entsprechende, gemäß den Angaben der Zeugin V beschriftete Spritze hatte sie zuvor im Dienstzimmer auf der Ablagefläche für derartige Spritzen erhalten.
29Auch der Zeuge P, Chefarzt der Kinderklinik, hat die Kennzeichnung/ Beschriftung der intravenösen Spritzen bestätigt und zudem die Unterschiedlichkeit im Erscheinungsbild durch Vorlage von zwei Spritzenmodellen, in einem Fall mit Kanüle und Beschriftung, im anderen ohne Nadel und mit rotem Combi-Stopper als Verschluss, anschaulich untermalt. Zur Vermeidung von weiteren Verwechslungen sei unmittelbar ab dem 23.08.2011 für die oralen Vergaben eine abweichende, lilafarbende Spritzenversion (die eigentlich für Sonden von Frühgeborenen Verwendung finden) eingeführt worden, deren Spitze nicht in derartige laufende Systeme passe.
30Weiter hat er ausgeführt dass die Studenten im praktischen Jahr der Aufgabenverteilung durch einen Stations- oder Oberarzt unterliegen und insbesondere im Falle von intravenösen Injektionen nur auf ärztliche An- und Unterweisung tätig werden dürfen. Die Übertragung etwa von Blutentnahmen sei insoweit unproblematisch auch durch das Pflegepersonal möglich gewesen, zumal in der Woche zuvor auf Station K8 auch eine spezielle Einweisung des Angeklagten hierzu erfolgt sei.
31Ebenso erhielten die Studenten im praktischen Jahr zu Beginn ihrer Tätigkeit eine Einweisung in die „Spritzenecke“ samt Handhabung der Therapiepläne, die auf allen Stationen gleichermaßen geführt werde.
32Die Angaben des Zeugen P waren für das Gericht glaubhaft. Der Zeuge hat durch seine sachliche Schilderung auch keinerlei Anhaltspunkte auf überschießende Belastungstendenzen vermittelt, zumal ihm das Schicksal des verstorbenen Säuglings sichtlich nahe ging. Vielmehr hat er die strukturellen Gegebenheiten ausführlich und zu jeder Zeit schlüssig dargelegt.
33Der von dem Angeklagten benannte Zeuge I vermochte die Angaben der vorherigen Zeugen nicht in Zweifel zu ziehen. Dieser war kurz vor dem Angeklagten selbst als Student im praktischen Jahr in der Kinderklinik tätig (bis 27.03.2011), davon einige Wochen auch im Bereich der Onkologie. Er hat bestätigt, dass die Studenten – auf Anweisung der Stationsärzte – regelmäßig mit Blutentnahmen betraut worden seien. Teilweise sei dies auch bei Injektionen ins laufende System der Fall gewesen, wobei die Spritzen (samt Kanüle und Klebeetikett) insoweit grundsätzlich auf dem Tablett im Dienstzimmer bereit gelegen hätten. In diese Organisation sei man bereits in der ersten Woche des Praktikums eingewiesen worden.
34Seine Angaben decken sich im Wesentlichen mit den Schilderungen des medizinischen Fachpersonals.
35Durch das in der Hauptverhandlung im Anschluss an das rechtsmedizinische Gutachten vom 10.11.2011 (Bl. 90 ff. d. A.) mündlich erstattete Gutachten der Sachverständigen Dr. W hat das Gericht schließlich festgestellt, dass todesursächlich ein anaphylaktischer Schock nach der intravenösen Gabe des oral zu verabreichenden Medikamentes Cotrim-K war. Zeichen dieses Schocks, hier hyaline Thromben als Merkmal einer „Überblähung“ sowie amorphes Fremdmaterial, seien vor allem an Lunge und Niere des Säuglings vorhanden gewesen.
36Die ausführlichen Feststellungen der erfahrenen Sachverständigen waren für das Gericht durchweg nachvollziehbar. Daher bestand kein Anlass, die Richtigkeit der sachverständigen Ausführungen in Frage zu stellen. Diesen konnten vielmehr als fundierte Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts dienen.
37IV.
38Der Angeklagte hat sich durch sein Handeln wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB strafbar gemacht.
39Er hat den Tod des Säuglings U durch Fahrlässigkeit verursacht, indem er bei und durch die intravenöse Gabe des oral zu verabreichenden Medikamentes Cotrim-K seine Sorgfaltspflichten in der konkreten Situation nicht unerheblich verletzt hat.
40In der Gesamtbetrachtung war hierbei zunächst zu berücksichtigen, dass der Angeklagte zur Tatzeit erst seit einer Woche auf der Station K8 tätig und mit der Behandlung des verstorbenen Säuglings nicht vertraut war. Insbesondere hatte er keinerlei Kenntnisse über die aktuelle Medikation bei dem Säugling. Auch war er bei deren Besprechung im Rahmen der morgendlichen Übergabe noch nicht zugegen.
41Gleichwohl verabreichte er vorliegend das Medikament Cotrim-K, ohne hierzu ausdrücklich beauftragt oder befugt zu sein. Insbesondere lag eine, insoweit grundsätzlich übliche, ärztliche Beauftragung nicht vor. Dies war dem Angeklagten auch bewusst. Beauftragt wurde er indes lediglich von der Zeugin T, jedoch auch nur mit der Entnahme einer ersten Blutprobe. Später im Krankenzimmer dann nahm er bei Hereingabe der Spritze fälschlicherweise an, er sei auch mit der Verabreichung des Medikaments beauftragt (wenngleich nicht ärztlicherseits!) und ebenso fälschlicherweise, es handele sich um das Antibiotikum, von dem die Zeugin T morgens nach der Übergabe mit ihm erläuternd gesprochen hat.
42Tatsächlich aber gab es eine Reihe von Punkten, bei deren kritischer und gewissenhafter Überprüfung er seinen Irrtum hätte bemerken können und müssen. Zuallererst betrifft dies die Bemerkung der Zeugin T, es handele sich um das „orale Antibiotikum“, der zu entnehmen war, dass die Spritze nicht zur intravenösen Gabe vorgesehen war. Aber auch unabhängig davon, ob diese Bemerkung so gefallen ist, hätte er dies, so er denn mangels ärztlicher Anweisung dennoch tätig werden wollte, was allein schon einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten darstellt, kritisch hinterfragen müssen und sodann zum gleichen Ergebnis kommen können.
43Stutzig machen müssen hätte ihn zum einen der morgendliche Hinweis der Zeugin T, dass nach der Blutentnahme Refobacin „angehängt werde“. Dieses „anhängen“ meint nämlich allein eine Kurzinfusion und nicht die intravenöse Verabreichung. Nur als Kurzinfusion entspricht die Verabreichung des Refobacins den Regeln der ärztlichen Kunst. Den Begriff „anhängen“ kann man im Übrigen und insbesondere bei einem bereits laufenden Infusionssystem nur als Verabreichung per Infusion, nicht aber per intravenöser Injektion verstehen. Dies gilt typischerweise schon nach laienhaftem Verständnis, umso mehr aber für einen Medizinstudenten im bereits 6. Monat seines Praxisjahres.
44Zum anderen hätte das Erscheinungsbild der verwendeten Spritze Anlass zur Überprüfung gegeben. Entgegen der für intravenöse Gaben üblicherweise verwendeten Version mit Kanüle (Nadel) und beschriftetem Klebeetikett fehlten hier sowohl Nadel als auch Beschriftung, zudem war die Spritze anstelle mit einer Schutzhülle nur noch durch einen roten Combi-Stopper verschlossen. Dies sowie die übliche Lagerung im Dienstzimmer (einhergehend mit dem Umstand, dass das Ablegen einer intravenös zu verwendenden Spritze auf einem Frühstückstablett absolut unüblich ist) ist als Grundlagenwissen anzusehen und daher im Stadium des Angeklagten als bekannt vorauszusetzen. Überdies ist die Handhabung stationsübergreifend gleich und es erfolgt in der Regel – wie auch der Zeuge I angegeben hat – zu Beginn des Praktikums auch eine Einweisung. Ferner hatte der Angeklagte nach eigenen Angaben auch bereits intravenöse Injektionen ausgeführt, war also bereits mit den „richtigen“ Spritzen in Berührung gekommen und wusste um deren Erscheinungsbild. Auch war ihm die Praxis bekannt, dass bei deren Verabreichung anschließend ein Laufzettel abzuzeichnen ist, der hier allerdings offensichtlich fehlte.
45Nach alledem hätte sich der Angeklagte im Mindesten vor Verabreichung der Spritze vergewissern müssen, etwa durch Nachfrage bei der Zeugin T, wem die Hereingabe der Spritze galt bzw. welche Anwendungsform hierfür vorgesehen war. Dies wäre dem Angeklagten auch möglich und zumutbar gewesen, zumal er vor Verabreichung das Krankenzimmer ohnehin noch einmal kurz verlassen hat und die Verabreichung nicht eilbedürftig war.
46Für den Angeklagten streiten auch keine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe.
47V.
48Bei der Strafzumessung war die gegen den Angeklagten zu verhängende Strafe dem Strafrahmen des § 222 StGB zu entnehmen, der Freiheitsstrafe von 1 Monat bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe innerhalb des Rahmens des § 40 StGB vorsieht.
49Im Einzelnen hat das Gericht unter Beachtung der in § 46 StGB genannten Strafzumessungstatsachen zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er das objektive Tatgeschehen eingeräumt hat und sein Bedauern der dramatischen Folgen der Spritzenvergabe aufrichtig zum Ausdruck gebracht hat. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft und war vor dem Tatzeitpunkt bereits auch in die intravenöse Vergabe von Medikamenten eingewiesen worden. Ferner waren etwaige sich durch eine Verurteilung ergebende Hindernisse im Rahmen seines beruflichen Fortkommens zu berücksichtigen.
50Unter Berücksichtigung der genannten Umstände einschließlich der Persönlichkeit des Angeklagten hat das Gericht zwar noch eine Geldstrafe, jedoch eine solche in Höhe von 120 Tagessätzen, für tat- und schuldangemessen erachtet. An dieser Stelle ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass auch die Verhängung einer Geldstrafe im Falle einer fahrlässigen Tötung ausdrücklich vorgesehen ist und ausgehend von den drastischen Folgen der Tat (Versterben eines anderen Menschen) ein „gerechter“ Schuldausgleich aber sowohl mit einer Geld- als auch mit einer etwaigen Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen gewesen wäre, kaum erreicht werden kann.
51Die Höhe der einzelnen Tagessätze war anhand der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten (...) auf 15,00 € festzusetzen.
52VI.
53Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO.
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Referenzen
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