Urteil vom Amtsgericht Bocholt - 18 Ls-45 Js 623/11-20/13
Tenor
Die Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
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G r ü n d e :
2Es ist bereits zweifelhaft, ob die Anklage vorliegend den Voraussetzungen des § 200 StPO entspricht. Denn der zentrale Inhalt der Anklageschrift ist die Tat im strafprozessualen Sinne. Sie muss im Anklagesatz soweit als möglich konkretisiert und individualisiert geschildert werden, um als historisch einmaliger Vorgang erkennbar und umgrenzt zu sein. Dass die vorliegende Anklage diesen Anforderungen genügt, ist zumindest zweifelhaft. Die Anklage wirft der Angeklagten vor, dass sie in der von ihr gegründeten T. KG Arbeitnehmer beschäftigt hätte, die Pflege oder Haushaltsdienstleistungen bei Dritten erbracht hätten. Allerdings fehlt es in der Anklage an Angaben, welche Personen konkreten die Angeklagte beschäftigt hätte und bei welchen Personen diese Dienstleistungen erbracht worden wären. Zudem mangelt es an der konkreten Zuordnung der Zeiträume, zu welchen die angeblichen Angestellten der Angeklagten die Dienstleistungen bei wem erbracht hätten. Die allgemeinen Angaben über Summen reichen hierzu sicherlich nicht aus.
3Das Gericht hat davon abgesehen, das Verfahren einzustellen, da nach seiner Auffassung bereits nach der Anklageschrift im Zusammenhang mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung die Angeklagte freizusprechen ist.
4Es gibt bereits erhebliche Zweifel, ob vorliegend durch die Angeklagte der objektive Tatbestand des § 266 a StGB erfüllt ist. In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, ob die ausländischen Pflegekräfte / Hauswirtschafterinnen in Deutschland abhängig beschäftigt waren oder selbstständig waren. Nach Klärung dieser Frage ist die Frage zu klären, ob die Pflegekräfte / Hauswirtschafterinnen Angestellte des zu Pflegenden bzw. seines Angehörigen gewesen sind oder der Angeklagten. Selbstständig wären die Pflegekräfte / Hauswirtschafterinnen dann gewesen, wenn sie entsprechend der Rechtsprechung des BAG die für die Erreichung des wirtschaftlichen Erfolges notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen organisiert und für die vertragliche Leistung gegenüber dem Besteller verantwortlich gewesen wären. Die entscheidende Frage ist, wer die Verantwortung übernommen hat und wer aus Konsequenzen der übernommenen Verantwortung haftet (vgl. Schüren in NZA 2013, 176, 177). Maßstab, dies festzustellen, ist die vertragliche Fixierung, wobei eine klare vertragliche Fixierung der Aufgaben nach Ansicht des BAG ein wichtiges Indiz für das Vorliegen einer echten Selbstständigkeit ist. Fehlt es an einer abgrenzbaren Pflegekraft als Eigenleistung zurechenbaren Leistung, kommt eine Selbstständigkeit kaum in Betracht, weil der Dienstleistende erst durch weitere Weisungen den tatsächlichen Gegenstand der vom Dienstleister zu erbringenden Leistung und damit Art und Einsatz des Personals bindend organisiert (vgl. Werths in Werkverträge, ein unkalkulierbares Compliancerisiko in BB 2014, 297). Ob diese Voraussetzungen vorliegend erkennbar gegeben sind, ergibt sich aus der Anklageschrift nicht. Aus Anklageschrift ergibt sich nur, dass die Pflegekräfte bzw. die Haushaltshilfen bestimmten Personen zugeordnet sind, sodass sowohl separate Dienstleistungsverträge denkbar sind, als auch eine abhängige Beschäftigung. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass eine abhängige Beschäftigung dann gegeben wäre, wenn die Pflegekräfte bzw. Haushaltshilfen nicht nur im Haushalt der zu betreuenden Person untergebracht wären und ihre Arbeitskraft einem Vertragspartner zur Verfügung gestellt hätten, sondern auch, wenn sie einem Weisungsrecht entweder des Haushaltsvorstands oder aber der Angeklagten unterlegen wären. D.h. die anfallenden Arbeiten hätten nach Weisung des Haushaltsvorstands oder der Angeklagten erledigt werden müssen und nicht selbstbestimmt individuell nach eigenen Vorstellungen, wie es bei der Selbstständigkeit gegeben wäre. Selbst wenn man vorliegend davon ausgehen würde, was sich aus der Anklage nicht eindeutig ergibt, dass ein solches Weisungsrecht bestand, dann ist zu klären, wer es ausgeübt hat, nämlich entweder der Haushaltsvorstand oder die Angeklagte. Nur im letztgenannten Fall wäre davon auszugehen, dass die Angeklagte Arbeitgeberin der Pflegekräfte oder der Haushaltshilfen wäre, im erstgenannten Fall dagegen wäre es der Haushaltsvorstand bzw. der zu Pflegende. Dieser Frage ist vorliegend überhaupt nicht nachgegangen worden, wie der Zeuge L. eindrucksvoll bestätigt hat. Um diese Frage der Scheinselbständigkeit zu ermitteln hätten die Vertragsbeziehungen zwischen den einzelnen Parteien, nämlich die Vertragsbeziehungen zwischen dem Haushaltsvorstand bzw. dem zu Pflegenden, dem Vermittler und der Pflegekraft ausgewertet werden müssen. Und es hätte zudem ermittelt werden müssen, wie denn diese vertraglichen Beziehungen gelebt worden sind, d.h. wer faktisch das Weisungsrecht ausgeübt hat. Selbst wenn man also vorliegend davon ausginge, dass die Pflegekräfte abhängig beschäftigt wären, ist immer noch offen, ob sie abhängige Beschäftigte waren des zu Pflegenden bzw. dessen Angehörigen oder ob sie abhängig beschäftigt waren bei der Angeklagten. Hierzu finden sich in der Anklage keinerlei Hinweise. Die floskelhaften Behauptungen der Anklage können hierzu nicht ausreichen. Es ist schlichtweg lebensfremd, wenn die Pflegekraft vor Ort Weisungen über die Ausführung ihrer Arbeit von der Angeklagten erhält, obwohl sie in dem Haushalt des zu Pflegenden integriert ist, sodass nur dieser oder dessen Angehörige überhaupt in der Lage sind, festzustellen, welche Bedürfnisse der zu Pflegende hat und wie diese zu befriedigen sind. Dass die Angeklagte regelmäßig die zu Pflegenden besucht hat, um so festzustellen, welche Leistungen erbracht werden müssen, ergibt sich aus der Anklageschrift nicht. Auch aus dem sonstigen Akteninhalt ergeben sich hierauf keine Hinweise. Der private Vermittler, wie vorliegend die Angeklagte, wird bei dieser Konstellation üblicher Weise nicht Auftraggeber der Betreuungsperson und damit auch beim Vorliegen von Scheinselbstständigkeit nicht zum Arbeitgeber. Vielmehr spricht vieles dafür, dass, wenn Scheinselbstständigkeit vorliegend angenommen würde, Arbeitgeber der Haushaltsvorstand bzw. der zu Pflegende wäre. Für eine direkte Vertragsbeziehung zwischen dem zu Pflegenden respektive dessen Angehörigen und der Pflegekraft spricht, dass zumindest teilweise diese das Entgelt an die Pflegekraft / Haushaltshilfe direkt gezahlt haben. Das die Rechnungen der Pflegekräfte keine Umsatzsteuer auswiesen, ist ohne Belang. Mögliche Umsatzsteuerverkürzungen der Pflegekräfte bzw. der Auftraggeber gehen nicht zu Lasten der Angeklagten.
5Selbst wenn man vorliegend entgegen der obrigen Auffassung der Ansicht ist, dass der objektive Tatbestand erfüllt ist, so mangelt es zumindest am subjektiven Tatbestand. Denn die Deutsche Rentenversicherung Bund hat das Geschäftsmodell der Angeklagten geprüft. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Arbeitgebereigenschaft betreffend der Angeklagten bzgl. der rumänischen Haushaltshilfen / Pflegekräfte nicht vorliegt (Schreiben vom 08.07.2014, Bl. 649 d.A.). Es mag dahin stehen, ob diese Rechtsauffassung richtig oder falsch ist. Entscheidend ist, dass, wenn die Deutschen Rentenversicherungsanstalt nach Prüfung zu dem Ergebnis kommt, das Geschäftsmodell der Angeklagten sei legal bzw. sie wäre nicht Arbeitgeberin, dann kann man der Angeklagten nicht vorwerfen, dass sie als juristischer Laie mit vergleichsweise geringer Schulbildung zum gleichen Ergebnis gekommen ist. Dass die Abgrenzung selbst für die Fachleute des Hauptzollamts schwierig ist, hat der Zeuge eindrucksvoll bestätigt. Auch vor diesem Hintergrund war die Angeklagte mangels Vorsatz freizusprechen.
6Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO.
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