Urteil vom Amtsgericht Essen - 17 C 249/92
Tenor
Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 70,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 08.07.1992 und 7,50 DM vorgerichtliche Mahnkosten zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Gerichtskosten tragen der Kläger und die Beklagte zu 2) je zu 1/2.
Von den außergerichtlichen Kosten trägt der Kläger die der Beklagten zu 1) voll und die eigenen zu 1/2, die Beklagte zu 2) die eigenen voll und die des Klägers zu 1/2.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 495 a Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.
2Entscheidungsgründe:
3Die Klage ist zulässig.
4Der Rechtsstreit gehört gemäß § 13 GVG vor die ordentlichen Gerichte, da die Realschule T2 eine Privatschule ist, ihre Benutzung privatrechtllch organisiert ist, der vom Kläger geltend gemachte Entschädigungsanspruch aus dieser privatrechtlich organisierten Benutzung dieser in seiner Trägerschaft befindlichen Privatschule resultiert und es sich deshalb um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 13 GVG handelt.
5Die Klage ist zum Teil begründet.
6Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 2) wegen der Abmeldung der Beklagten zu 1) von der Klassenfahrt nach S Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 70,00 DM. Der Anspruch folgt aus § 651 i Abs. 2 Satz 2 BGB. Tritt danach bei einem Reisevertrag der Reisende vom Vertrag zurück, so kann der Reiseveranstalter eine angemessene Entschädigung verlangen., Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
7Durch das Schreiben der Zeugin T1 vom 14.10.1991 an die Beklagte zu 2) und die von der Beklagten zu 2) auf dieses Schreiben hin abgegebene schriftliche Einverständniserklärung ist zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2) ein Vertrag zustandegekommen.
8Mit dem genannten Schreiben hat die Zeugin T1 der Beklagten zu 2) konkludent die Teilnahme der Beklagten zu 1) an der Klassenfahrt nach S angeboten. Dieses Angebot wirkt gemäß §§ 164 Abs. 1, 177 Abs. 1 BGB unmittelbar für und gegen den Kläger, weil die Zeugin T1 das Schreiben vom 14.10.1991 in ihrer Eigenschaft als Klassenlehrerin der Klasse 8b der in der Trägerschaft des Klägers befindlichen Realschule T2 und damit den Umständen nach im Namen des Klägers an die Beklagte zu 2) gerichtet und der Kläger die Schulfahrt genehmigt hat. Ein Lehrer handelt bei der Organisation von Schulveranstaltungen typischerweise im Verantwortungsbereich des Schulträgers. Eine Eigenverpflichtung des anmeldenden Lehrers würde die Amtspflichten und Berechtigungen eines Lehrers bei weitem überspannen. Eine Abwälzung der damit verbundenen Haftungsrisiken durch den Schulträger wäre eine erhebliche Fürsorgepflichtverletzung. Nach aller Lebenserfahrung kann deshalb von niemandem angenommen werden, daß der Klassenlehrer sich bei der Organisation einer Schulfahrt selbst verpflichten will. Etwas anderes ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht daraus, daß die Stornogebühren auf das Konto der Zeugin T1 überwiesen werden sollten. Dem kommt lediglich die Bedeutung einer Vereinfachung der Abwicklung zu.
9Mit Rückgabe der auf dem Abtrennabschnitt des Schreibens vom 14.10.1991 befindlichen Einverständniserklärung an die Zeugin T1 hat die Beklagte zu 2) gegenüber dem Kläger konkludent die Annahme des genannten Angebots des Klägers erklärt. Hierbei hat sie als alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge für die Beklagte zu 1) und damit den Umständen nach nur im eigenen Namen gehandelt. Nach dem Grundgedanken des § 1626 8GB s011 das Sorgerecht von Eltern nämlich keinen Machtanspruch (also auch zur Verpflichtung des Kindes), sondern den Bedürfnissen des Kindes entsprechend Positionen zum Schutz und zur Hilfe vermitteln. Dies bedeutet für das Schulwanderungsrecht, daß sich die Eltern bei Schülerfahrten regelmäßig selbst verpflichten. da sie das Kind im schulischen Bereich nicht zum wirtschaftlich Verpflichteten, sondern zum Berechtigten machen und ihm gleichsam Unterhalt durch geldlich verschaffte Sachleistung gewähren wollen. Daß Eltern bei der Anmeldung eines Kindes zu einer Klassenfahrt regelmäßig ein eigenes Geschäft und nicht ein Geschäft des Kindes wahrnehmen, läßt sich aus § 1357 BGB entnehmen. Danach werden durch Geschäfte, die ein Ehegatte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie vornimmt, beide Ehegatten, nicht aber die Familie als Ganzes berechtigt und verpflichtet. Daraus ist zu entnehmen, daß derartige Geschäfte solche der Eltern und nicht des Kindes sind. Zu diesen Geschäften zählt auch die Anmeldung zu einer Klassenfahrt. Denn eine derartige Veranstaltung liegt nicht ausschließlich im Interesse des Kindes, auch wenn es der primäre Nutznießer ist. Daneben wird der Familie eine Urlaubsreise für das Kind möglich, wozu vor allem sozialschwache Familien weniger in der Lage sind. Im übrigen dienen Schulfahrten vornehmlich auch besonders Bildungszwecken. Die Kinder sollen keinen Urlaub im herkömmlichen Sinne machen, sondern ihnen soll durch die Reise Allgemeinbildung vermittelt werden. Hinzukommt, daß durch die Fahrten in Gemeinschaft anderer Schüler das Sozialverhalten der Kinder verbessert wird, was durchaus auch ein Anliegen der Eltern sein muß.
10Entgegen der Ansicht der Beklagten zu 2) schließt der Wortlaut ihrer Einverständniserklärung deren rechtliche Verbindlichkeit nicht aus. Nach den allgemein gültigen Auslegungsregeln kommt es bei der Beurteilung der Verbindlichkeit eines Rechtsgeschäfts nicht allein auf den Wortlaut, sondern auf den Sinn der abgegebenen Erklärung an (§§ 133, 157 BGB). Wäre die Einverständniserklärung der Beklagten zu 2) hinsichtlich der Teilnahme der Beklagten zu 1) an der Klassenfahrt tatsächlich nicht als Verpflichtungserklärung zu verstehen, so hätte die gesamte Veranstaltung im Bereich des Unverbindlichen mit der Folge stattgefunden, daß auch keiner der teilnehmenden Schüler einen Anspruch auf Teilnahme an der Veranstaltung oder gar an Bereitstellung von Verpflegung oder Unterkunft gehabt hätte. Dies aber kann offensichtlich nicht Sinn der Erklärung der Beklagten zu 2) sein. Der Kläger durfte sie deshalb ihrem objektiven Erklärungswert nach, das heißt aus seiner Sicht nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte, durchaus als Verpflichtungserklärung und damit als verbindlich verstehen.
11Mit der von der Beklagten zu 2) im eigenen Namen erklärten Annahme des von der Zeugin T1 im Namen des Klägers erklärten Angebots ist zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2) ein Vertrag zustande gekommen. Dieser Vertrag ist gemäß § 177 Abs. 1 BGB wirksam, da der Kläger ihn genehmigt hat. Das ist aufgrund der vom Kläger vorgelegten Genehmigung vom 21.01.1992 bewiesen.
12Bei diesem Vertrag handelt es sich um einen Reisevertrag im Sinne der §§ 651 a ff BGB. Reiseveranstalter im Sinne des § 651 a BGB ist nicht die Schule, da ihr gemäß § 6 Schulverwaltungsgesetz NW keine Rechtsfähigkeit und damit auch keine Fähigkeit zum Abschluß von Verträgen zukommt. Reiseveranstalter ist vielmehr der Kläger. Das Gesetz definiert den Begriff des Reiseveranstalters nicht. Hauptfall ist die Pauschalreise. Es genügt aber auch, wenn der Veranstalter 2 Leistungen zu einer Gesamtleistung zusammenfaßt, wobei eine von ihnen nicht völlig untergeordnet sein darf. Als Beispiel kann Beförderung und Unterkunft in einem Vertrag genannt werden. Weiter ist nicht erforderlich, daß der Reiseveranstalter gewerbsmäßig oder mit Gewinnabsicht handelt. Der Reisevertrag ist allein auf die Herbeiführung des gesamten Erfolges in eigener Verantwortung des Reiseveranstalters gerichtet, wobei dieser die Einzelleistungen abstimmt und zu einer Einheit verbindet. So ist eine Volkshochschule, die einmalig eine Reise organisiert, als Reiseveranstalter anzusehen. Die Leistungsträger, hier der Landessportbund, welche die Leistungen für den Reiseveranstalter erbringen, sind Erfüllungsgehilfen des Veranstalters. Dementsprechend ist vorliegend auch der Kläger als Reiseveranstalter im Sinne des Reisevertragsrechtes anzusehen. Es liegt zwar weder eine Pauschalreise noch eine gewerbsmäßige Veranstaltung vor. Doch hat hier der Kläger - organisiert durch Lehrer und Schulleiter- verschiedene Leistungen zu einer Einheit zusammengefaßt und den Eltern/Schülern vermittelt. Es handelt sich dabei um die Bereitstellung der Unterkunft sowie die Organisation des Transportes nach S, wobei beide Leistungen als gleichwertig anzusehen sind.
13Die gegen die rechtliche Wertung des Vertrages als Reisevertrag gerichteten Einwände der Beklagten zu 2) greifen nicht durch.
14Die Ansicht der Beklagten zu 2), der Vertrag sei schon deshalb kein Reisevertrag, weil die Klassenfahrt keinen Erholungscharakter habe, trifft nicht zu. Der Erholungscharakter ist kein begriffsnotwendiges Merkmal einer Reise im Sinne des Reisevertragsrechtes.
15Wenn dies so wäre, könnten zum Beispiel Studienreisen nicht nach dem Reisevertragsrecht beurteilt werden. Dasselbe Schicksal würde sogar zahlreichen Urlaubsreisen widerfahren, da Urlaubsreisen - wie allgemein bekannt ist - unter den heute herrschenden Verhältnissen häufig auch keinerlei Erholungscharakter mehr haben. Davon abgesehen haben auch Klassenfahrten für die teilnehmenden Schüler zum Teil durchaus Erholungscharakter.
16Die §§ 635, 636 RVO stützen die Argumentation der Beklagten zu 2) nicht. Diese Bestimmungen behandeln die Haftung des Unternehmers gegenüber seinen Arbeitnehmern und entsprechend bei einem Unfall die des Schulträgers gegenüber dem Schüler und nicht die Frage der Haftung Dritter bei Reisen.
17Entgegen ihrer Behauptung war die Beklagte zu 2) auch durchaus über die Person des Reiseveranstalters und den Reisepreis unterrichtet, da ihr bekannt war, daß es sich um eine Schulfahrt, mithin um eine vom Schulträger organisierte Veranstaltung, handelte und sich der Reisepreis aus dem ihr zugegangenen Schreiben der Zeugin T1 vom 14.10.1991 ergibt.
18Unerheblich ist, daß die Beklagte zu 2) nicht selbst an der Klassenfahrt teilgenommen hat. Allein entscheidend ist, wer Vertragspartner des Reisevertrages geworden ist. Das ist aus den genannten Gründen die Beklagte zu 2). Vertragspartei eines Reisevertrages kann auch jemand sein der selbst nicht reist.
19Ausreichend ist ein - auf welchen Gründen auch immer beruhendes - Interesse an dem Reisevertrag, der dann insoweit Vertrag zugunsten Dritter ist (§ 328 Abs. 1 BGB). Ob der Berechtigte tatsächlich reist, ist deshalb nicht von Belang . Daß die Beklagte zu 2) ein Interesse an dem Reisevertrag hatte und sich dementsprechend selbst binden wollte. ergibt sich aus den vorangehenden Ausführungen.
20Da es sich bei dem zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2) zustandegekommenen Vertrag um einen Reisevertrag im Sinne der §§ 651 a ff BGB handelt, konnte die Beklagte zu 2) gemäß § 651 i Abs. 1 BGB vor Beginn der Klassenfahrt jederzeit vom Vertrag zurücktreten. Diesen Rücktritt hat sie unstreitig am 24.01.1992 telefonisch gegenüber der Zeugin T1 erklärt.
21Damit hat der Kläger gemäß § 651 i Abs. 2 Satz 1 BGB den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verloren. Gemäß § 651 i Abs. 2 Satz 2 BGB kann er jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen. Die Höhe der Entschädigung bestimmt sich gemäß § 651 i Abs. 2 Satz 3 BGB nach dem Reisepreis unter Abzug des Wertes der vom Kläger ersparten Aufwendungen sowie dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben konnte. Im vorliegenden Fall ist eine Entschädigung in Höhe von 70,00 DM angemessen, weil der Kläger diesen Betrag aufgrund der krankheitsbedingten Nichtteilnahme der Beklagten zu 1) an der Klassenfahrt nach dem mit dem Landessportbund geschlossenen Nutzungsvertrag vom 18.10.1991 als "Ausfallgebühr" an den Landessportbund zahlen mußte und tatsächlich auch gezahlt hat. Das ist aufgrund des vom Kläger vorgelegten Nutzungsvertrages vom 18.10.1991 und der glaubhaften Aussage des Zeugen G vom 05.05.1993 bewiesen. Darüberhinausgehende Anteile des Reisepreises, zum Beispiel erhöhte Kosten für die Beförderung, macht der Kläger nicht geltend. Bei dem von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruch handelt es sich deshalb um einen reinen Regreßanspruch, der sogar noch unterhalb der Angemessenheitsgrenze des § 651 i Abs. 2 BGB liegt. Soweit die Beklagte zu 2) darauf hinweist, die Hälfte des Tagessatzes als Ausfallentschädigung sei in jedem Fall unangemessen, ist darauf hinzuweisen, daß der Tagessatz des Landessportbundes nur einen Teilbestandteil des Reisepreises ausmacht. Es wären auch noch die - erhöhten - Beförderungskosten anzusetzen. Bei der Berechnung der Angemessenheit ist jedoch vom Gesamtreisepreis auszugehen. Im übrigen sind Stornogebühren bis zur Hälfte des Reisepreises - wie gerichtsbekannt ist - im Reisevertragsrecht durchaus üblich.
22Unerheblich ist, daß die Beklagte zu 1). wegen Krankheit, das heißt unverschuldet, nicht an der Klassenfahrt teilnehmen konnte und die Beklagte zu 2) auf die Entschädigungspflicht nicht hingewiesen worden ist. Der Entschädigungsanspruch aus § 651 i Abs. 2 Satz 2 BGB entsteht unabhängig vom Verschulden des Reisenden. Auf ihn muß auch nicht besonders hingewiesen werden. Insoweit darf zunächst nicht übersehen werden, daß das Reisevertragsrecht im wesentlichen Normen enthält, die den Reisenden schützen. Nur wenige Vorschriften lösen Haftungstatbestände für den Reisenden aus. Mithin ist die rechtliche Situation von Eltern und Kindern bei Anwendung der Normen des Reisevertragsrechts wesentlich günstiger als im Rahmen anderer Vertragsgestaltungen. Hinzukommt, daß es sich bei dem Entschädigungsanspruch aus § 651 i Abs. 2 BGB nicht um einen vertraglichen Anspruch handelt, der gegebenenfalls nach dem AGBG zu beurteilen wäre. Vielmehr folgt der Anspruch aus dem Gesetz. Das Gesetz sieht jedoch keine Hinweispflicht des Reiseveranstalters auf die Haftung nach § 651 i BGB vor. Ein unterlassener Hinweis kann deshalb auch nicht zum Haftungsausschluß führen. Im übrigen ist es auch nicht völlig außergewöhnlich, wenn Eltern für kurzfristig abgesagte Teilnahmen ihrer Kinder an Schulfahrten haften müssen.
23Die Beklagte zu 2) schuldet dem Kläger deshalb aufgrund der Abmeldung der Beklagten zu 1) von der Klassenfahrt als angemessene Entschädigung die vom Kläger an den Landessportbund gezahlte "Ausfallgebühr" in Höhe von 70,00 DM, während die Klage gegen die Beklagte zu 1) unbegründet ist, da die Beklagte zu 2) den Reisevertrag nach den vorangegangenen Ausführungen lediglich im eigenen Namen mit dem Kläger geschlossen hat und deshalb zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) vertragliche Beziehungen nicht bestehen.
24Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 2) ferner als Schadensersatzanspruch wegen Verzuges gemäß den §§ 284, 286 BGB Anspruch auf Ersatz der ihm durch seine Mahnschreiben vom 25.02. und 10.04.1992 entstandenen Kosten, die gemäß § 287 ZPO auf insgesamt 7,50 DM veranschlagt werden können.
25Die Zinsforderung ist wegen Verzuges gemäß den §§ 284 Abs. 1 Satz 2,
26288 Abs. 1 BGB begründet.
27Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs.1 , 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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