Beschluss vom Amtsgericht Halle (Saale) - 103 II 3552/12
Tenor
Auf die Erinnerung vom 2. August 2012 wird der Beschluss der Rechtspflegerin vom 24. Juli 2012 aufgehoben.
Der Antragstellerin wird Beratungshilfe für die Angelegenheit „Rückforderung Kindergeldzuschlag von der Familienkasse“ gewährt.
Gründe
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Das Rückforderungsschreiben vom 25. Juni 2012 der Bundesagentur für Arbeit begründete Beratungsbedarf.
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Zwar ist dann, wenn gegen einen Bürger eine Forderung geltend gemacht wird, der Bürger grundsätzlich gehalten, zunächst Eigenbemühungen zu entfalten, um das Problem zu lösen. Gemäß § 1 Abs. 1 BerHG wird Beratungshilfe gewährt für die Wahrnehmung von Rechten. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller ein Rechtsproblem hat, für dessen Lösung er anwaltliche Hilfe benötigt. Sinn der Beratungshilfe ist es, Unbemittelten eine außergerichtliche Rechtsberatung zu gewähren. Anwaltliche Hilfe ist erst erforderlich, wenn eine Beratung und ggf. Vertretung wegen rechtlicher Probleme notwendig ist. Dies wird sich im Regelfall aber erst erkennen lassen, wenn sich der Rechtssuchende zunächst selbst um eine Lösung des Problems bemüht, und sich hierbei Rechtsfragen ergeben. (Beschluss des Gerichts vom 7. Januar 2011, Az. 103 II 3506/10, veröffentlicht bei juris). Diese Eigenbemühungen werden in Regelfall schriftlich zu erfolgen zu haben. Zum einen gilt dies schon aus Nachweisgründen: Wenn im Rahmen eines Antrages auf Beratungshilfe behauptet wird, telefonische Eigenbemühungen entfaltet zu haben, wird sich dies mit vertretbarem Aufwand kaum nachweisen lassen, sodass dem Gericht im Ergebnis zugemutet wird, dem Antragsteller seine unüberprüfbare Behauptung zu glauben. Zweites ist es weitaus erfolgversprechender, sich schriftlich um eine Lösung zu bemühen: Ein Schreiben wird beim Gegner zur Akte genommen und regelmäßig auch geprüft und beantwortet, während ein Anruf unter Umständen folgenlos bleibt. Gesprochene Worte sind vergänglich und hinterher kaum rekonstruierbar. (Beschluss des Gerichts vom 4. Februar 2011, Az. 103 II 4313/10, veröffentlicht bei juris).
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Vorliegend handelte es sich aber nicht mehr um die bloße Anmahnung von Außenständen, sondern um eine behördliche Mahnung mit Androhung der zwangsweisen Einziehung und Festsetzung von Mahngebühren, wobei letztere in der Form eines Verwaltungsaktes erging. Hier sind Eigenbemühungen nicht mehr möglich.
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Es bestand auch nicht mehr die Möglichkeit, die – grundsätzliche zumutbare – Rechtsberatung durch die Behörde als andere zumutbare Möglichkeit für eine Hilfe im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG in Anspruch zu nehmen. Die Familienkasse trat hier als Vollstreckungsbehörde auf. Hinsichtlich von Rechtsproblemen, die den zu vollstreckenden Titel selbst betreffen, kann die Vollstreckungsbehörde keinen Rechtsrat erteilen. Zumindest wäre die Inanspruchnahme dieses Rechtsrates nicht mehr zumutbar, wenn die Behörde in der Vollstreckung dem Bürger als Gegner gegenübertritt.
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Die Annahme im angefochtenen Bescheid, es bestehe Sachzusammenhang mit einer anderen Tätigkeit, ist nicht nachvollziehbar, zumal noch nicht einmal erkennbar ist, ob in der anderen Sache („Nichtzusendung eines Bescheides vom 8. Mai 2012“) überhaupt Beratungshilfe bewilligt worden ist. Sollte dies so sein und sollte die vorliegende Sache tatsächlich dieselbe Angelegenheit wie die andere Beratungshilfesache sein, muss dies dann eben im Verfahren über die Vergütungsfestsetzung berücksichtigt werden. Die Bewilligung von Beratungshilfe enthält keine bindende Feststellung des Inhalts, dass es sich um eine andere Angelegenheit im Sinne des § 2 Abs. 2 BerHG handelt im Verhältnis zu eventuellen anderen Sachen, in denen schon Beratungshilfe bewilligt worden ist oder noch bewilligt werden wird. Dies folgt schon daraus, dass im Bewilligungsverfahren über einen Antrag des rechtssuchenden Bürgers, im Vergütungsfestsetzungsverfahren jedoch über einen Antrag des Rechtsanwalts entschieden wird.
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Die Begründung des – im übrigen der Antragstellerin nicht bekanntgemachten – Nichtabhilfebeschlusses der Rechtspflegerin vom 20. August 2012 liegt ebenfalls neben der Sache. Wenn sich der Rechtssuchende bereits mit behördlichen Vollstreckungsmaßnahmen einschließlich der Festsetzung von Mahngebühren konfrontiert sieht, sind Eigenbemühungen weder möglich noch zumutbar (soweit nicht lediglich Erfüllung der zu vollstreckenden Forderung eingewandt werden soll). Hinzu kommt Folgendes: Wenn sich der Rechtssuchende der Vollstreckung aus einem ihm vermeintlich nicht bekanntgegebenen Behördenbescheid ausgesetzt sieht, reicht es keinesfalls aus, „den fehlenden Bescheid selbst zu monieren“, wie die Rechtspflegerin meint. Vielmehr drängen sich in diesem Zusammenhang zwei Rechtsprobleme geradezu auf, die unter dem Druck eventuell laufender Rechtsbehelfs- und Antragsfristen umgehend gelöst werden müssen: Zum einen die Frage, ob eine wirksame Zustellung des Vollstreckungstitels erfolgt ist, zum anderen die Frage, ob ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Rechtsbehelfsfrist zu stellen ist. Dies ist durch Eigenbemühungen nicht zu leisten, da hier spezifische, mitunter eingehende, Rechtskenntnisse erforderlich sind.
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Referenzen
- § 1 Abs. 1 BerHG 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 2 BerHG 1x (nicht zugeordnet)
- 103 II 3506/10 1x (nicht zugeordnet)
- 103 II 4313/10 1x (nicht zugeordnet)