Urteil vom Amtsgericht Halle (Saale) - 93 C 4615/11

Tenor

1.) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.230,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.000,00 € seit dem 17. Februar 2011 und aus weiteren 75,00 € seit dem 1. März 2011 zu bezahlen.

2.) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.) Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

4.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung, auch zu einem Teilbetrag, durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 2.210,05 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, an welchem sie als Fußgängerin beteiligt war.

2

Die am 9. September 1997 geborene Klägerin überquerte am 8. November 2010 gegen 16.45 Uhr die R…straße in H… als Fußgängerin im Bereich der Straßenbahnhaltestelle „H…straße“. Sie kam aus Richtung H…straße und überquerte die R…straße von der (aus Richtung Innenstadt in Richtung Zoo gesehen) rechten zur linken Straßenseite. Eine Ampel oder ein Fußgängerüberweg befindet sich dort nicht. Auf der (aus Richtung Innenstadt gesehen) rechten Straßenseite der R…straße, also auf der Seite, von der aus die Klägerin die Straße überquerte, stand am Straßenrand ein Geldtransporter, dessen Beifahrer gerade den Fahrkartenautomaten an der Haltestelle leerte. Die Klägerin überquerte die Straße (aus Richtung Innenstadt gesehen) hinter dem Geldtransporter, sodass dieser für die Klägerin die Sicht auf die Fahrbahn aus Richtung Innenstadt versperrte. Von dort kam der Beklagte zu 1. mit seinem bei der Beklagten zu 2. pflichtversicherten PKW Renault, amtliches Kennzeichen …-……. Der Beklagte zu 1. fuhr die Klägerin an, sodass diese stürzte und verletzt wurde.

3

Die Klägerin erlitt Prellungen an den Unterschenkeln, im Hüftbereich und am Bauch sowie eine Distorsion des linken Sprunggelenks und einen Bruch des Endgliedes des linken Daumens. Zudem wurden Gegenstände der Klägerin (Kleidung, Brille, Handy) beschädigt. Die Klägerin befand sich vom 8. bis zum 10. November 2010 in stationärer Krankenhausbehandlung.

4

Die Klägerin behauptet, sie habe vor dem Überqueren der Straße am Fahrbahnrand angehalten und sich durch Blick nach links vergewissert, dass die Straße frei ist. Sie ist der Ansicht, dass ihr auch kein Mitverschulden anzulasten sei, weil insoweit ein altersgemäßer Maßstab anzulegen sei und daher ihr Verschulden dem eines Erwachsenen nicht gleichgesetzt werden könne. Für ihre Verletzungen hält die Klägerin ein Schmerzensgeld von mindestens 2.000,00 € für angemessen. Die Klägerin beruft sich auf einen ihr entstandenen Sachschaden von 210,05 € (85,05 € Zeitwert für beschädigtes Handy, 55,00 € Kosten für eine neue Brille, 20,00 € Zeitwert für beschädigte Stiefel, und 50,00 € Zeitwert für beschädigte Uhr). Eine in der Klage erwähnte Kostenpauschale von 20,00 € findet sich hingegen in den Anträgen der Klägerin nicht wieder.

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Die Klägerin beantragt,

6

1.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld nicht unter 2.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils aktuellen Basiszinssatz hieraus seit dem 17. Februar 2011 zu bezahlen.

7

2.

die Beklagten zu verurteilen, der Klägerin weitere 210,05 € Schadensersatz nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 1. März 2011 zu bezahlen.

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3.

die Beklagten zu verurteilen, der Klägerin entstandene außergerichtliche Kosten in Höhe von 311,09 €, die als Nebenforderung geltend gemacht werden, zu bezahlen.

9

Die Beklagten beantragen,

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die Klage abzuweisen.

11

Die Beklagten behaupten, die Klägerin sei vom Fahrbahnrand auf die Straße gelaufen, ohne vorher nach links und rechts zu blicken. Die Beklagten sind der Ansicht, dass die Klägerin das Vorrecht des Beklagten zu 1. missachtet habe, weshalb sie das Alleinverschulden an dem Unfall treffe. Die Beklagten bestreiten auch die von der Klägerin behaupteten Sachschäden und halten das geltend gemachte Schmerzensgeld für überhöht.

12

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2012 verwiesen.

13

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin K… N…, S… Fr… und K… W…. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird bzgl. der Zeugen N… und Fr… auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2012 und bzgl. des Zeugen W… auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10. Januar 2013 verwiesen.

14

Die Strafakte 620 Js 39992/10 der Staatsanwaltschaft Halle war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist teilweise begründet. Anspruchsgrundlage gegen den Beklagten zu 1. ist § 7 Abs. 1 StVG. Anspruchsgrundlage gegen die Beklagten zu 2. ist § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.

16

Unstreitig wurde die Klägerin bei dem Betrieb des Kraftfahrzeuges des Beklagten zu 1. geschädigt. Dies reicht aus, um einen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG grundsätzlich zu bejahen. Es handelt sich um einen Anspruch aus Gefährdungshaftung, sodass es unerheblich ist, ob den Beklagten zu 1. ein Verschulden trifft. Da der Schaden auch nicht einem beteiligten Kraftfahrzeughalter entstanden ist, ist auch keine Abwägung gemäß § 17 StVG vorzunehmen, sodass es auch unerheblich ist, ob der Schaden durch ein für den Beklagten zu 1. unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Eine Ersatzpflicht der Beklagten wäre gemäß § 7 Abs. 2 StVG vielmehr nur ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht worden wäre. Dies ist aber offenkundig nicht der Fall.

17

Es verbleibt daher nur die Frage, ob gemäß § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB die Klägerin ein Mitverschulden an der Schadensentstehung trifft. Die Beweislast hierfür trifft die Beklagten. Daher ist es im Ansatz verfehlt, danach zu fragen, inwieweit die Klägerin bewiesen hat, dass sie kein Verschulden trifft. Vielmehr müssen die Beklagten beweisen, dass die Klägerin ein Mitverschulden trifft. Da die Beklagten überhaupt keinen Schadensersatz leisten wollen, müssen sie sogar beweisen, dass die Klägerin ein Alleinverschulden oder jedenfalls ein die Haftung aus Betriebsgefahr ausschließendes überwiegendes Mitverschulden trifft. Dies ist den Beklagten nicht gelungen. Bei der Abwägung gemäß § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB ist insbesondere auch zu beachten, dass die Klägerin bei dem Unfall 13 Jahre alt, also noch ein Kind war.

18

Der Bundesgerichtshof hat insoweit folgende Grundsätze aufgestellt (Urteil vom 13. Februar 1990, Az. VI ZR 128/89, zitiert nach juris):

19

„Die Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG soll die übrigen Verkehrsteilnehmer von den Schadenslasten freihalten, in denen sich die Gefahr des Kraftfahrzeugbetriebs aktualisiert. Kinder sind durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen wegen der fehlenden Eingewöhnung und Erfahrung im Straßenverkehr erheblich stärker gefährdet als Erwachsene. Entsprechend dem Haftungszweck der Gefährdungshaftung muss daher die Haftung für die Betriebsgefahr auch dieses bei Kindern erhöhte Risiko auffangen. In diesem Sinn ist der Umstand, dass ein Kind durch sein verkehrswidriges Verhalten mit zu dem Unfall beigetragen hat, haftungsrechtlich der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, wenn und soweit sich darin altersgemäß der Lern- und Eingewöhnungsprozess in die Gefahren des Straßenverkehrs niederschlägt, mit dessen Schadenslasten nach dem Zweck der Gefährdungshaftung der StVG der Kraftfahrzeugbetrieb mitbelastet sein soll. Dass der Gesetzgeber die Belastung des Straßenverkehrs mit den Risiken der Verkehrserziehung von Kindern auch im übrigen als eine Hypothek primär des Kraftfahrzeugbetriebs ansieht, zeigt § 3 Abs. 2a StVO, der dem Kraftfahrzeugführer sogar besondere Verhaltenspflichten auferlegt, die dem Hineinwachsen der Kinder in den Verkehr Rechnung tragen. Aus diesem Grund kann bei der Abwägung nach §§ 9 StVG, 254 BGB der Betriebsgefahr des an dem Unfall beteiligten Kraftfahrzeugs haftungsentlastend nicht in derselben Weise, wie das für ein Mitverschulden von erwachsenen Verkehrsteilnehmern zu geschehen hätte, das verkehrswidrige Verhalten des geschädigten Kindes gegenübergestellt werden. Soweit sich in dessen Unfallbeitrag altersgemäße Defizite der Integrierung in den Straßenverkehr und seine Gefahren auswirken, stellt dieser Beitrag auch dann nicht von der Haftung nach § 7 StVG frei, wenn er objektiv als grob verkehrswidrig erscheint und deshalb, wäre ein Erwachsener geschädigt worden, die Haftung für den Halter entfallen lassen würde.

20

Bei der Abwägung nach §§ 9 StVG, 254 BGB wird deswegen die an sich sonst gebotene Betrachtung der Verursachungsanteile bei der Bewertung des Mitverschuldens von Kindern entscheidend erweitert auf die Berücksichtigung der subjektiven Faktoren auf Seiten des Kindes, die an altersgemäßen Maßstäben gemessen werden müssen. In diesem Rahmen ist neben einer quotenmäßigen Haftungsverteilung auch für eine Haftungsfreistellung des Halters Raum. Allerdings kommt eine völlige Haftungsfreistellung bei kleinen Kindern – wie hier bei einem 8-jährigen Jungen – nur im Ausnahmefall in Betracht. Das ist nur dann denkbar, wenn auf der Seite des Kindes - gemessen an dem altersspezifischen Verhalten von Kindern - auch subjektiv ein besonders vorwerfbarer Sorgfaltsverstoß vorliegt. Andererseits wird das objektive Gewicht des Unfallbeitrags in der Abwägung mit der Betriebsgefahr immer mehr an Bedeutung gewinnen, je stärker Kinder vom Alter her in den Straßenverkehr integriert sein müssen. Je jünger das Kind ist, desto eher ist sein verkehrswidriges Verhalten dem Gefahrenkreis zuzurechnen, dessen Schadenslasten die Gefährdungshaftung dem Halter des Kraftfahrzeugs zuweist.“

21

In diesem Zusammenhang ist zu Lasten der Klägerin zu beachten, dass sie die Straße an einer Stelle überquert hat, die hierfür nicht geeignet war. Auch wenn dies im Regelfall hunderte von Personen pro Tag an genau dieser Stelle tun, wie der Zeuge W… glaubhaft bekundet hat, war bei dem Unfall eine besondere Situation gegeben, da die Sicht auf die Fahrbahn durch den Geldtransporter versperrt war. Dies hätte die Klägerin, die immerhin nach den glaubhaften Angaben ihrer gesetzlichen Vertreter in der mündlichen Verhandlung täglich den recht weiten Weg von H…-S… zum G…-Gymnasium selbstständig mit der Straßenbahn zurücklegt, klar sein müssen. Die Klägerin hat unzweifelhaft gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen. Eine Alleinhaftung der Beklagten kommt daher nicht in Betracht.

22

Andererseits ist das Verschulden der Klägerin altersspezifisch zu relativieren. Impulsives, spontanes, wenig überlegtes Verhalten ist auch für einen oder eine 13jährige noch typisch. Angesichts der Tatsache, dass die Stelle, die die Klägerin nutzte, oft zum Überqueren der Straße genutzt wird, kann von einem altersspezifisch auch besonders vorwerfbaren Sorgfaltsverstoß keine Rede sein.

23

Andere als Mitverschulden zu wertende Verhaltensweisen der Klägerin haben die Beklagten nicht bewiesen, obwohl sie insoweit die Beweislast trifft. Insbesondere haben die Beklagten nicht bewiesen, dass die Klägerin die Straße betreten hat, ohne vorher nach links zu schauen. Ebensowenig haben die Beklagten bewiesen, dass die Klägerin beim Überqueren der Straße durch ihr Handy abgelenkt war. Die Zeugin N… hat als „Knallzeugin“ den Unfall selbst nicht beobachtet. Der Zeuge W… hatte keine genaue Erinnerung mehr. Lediglich der Zeuge Fr… hat bekundet, dass die Klägerin loslief, ohne nach links zu schauen. Sicher war aber auch er nicht („ich dächte“, wie er mehrmals sagte). Andererseits sagte er, dass die Klägerin das Handy nur in der Hand gehalten habe, ohne damit zu telefonieren, wohingegen der Zeuge W… „glaubte“, die Klägerin habe telefoniert. Alles in allem waren die Aussagen eher unsicher und teilweise auch widersprüchlich. Es ist angesichts der Tatsache, dass die Zeugen erleben mussten, wie ein Kind von einem Auto angefahren wird, auch nicht verwunderlich, dass den Zeugen sich in erster Linie die Erinnerung an diesen Unfall einprägte und die Erinnerung an zweitrangige Fragen bzgl. des Geschehens vor dem Unfall (Hat die Klägerin angehalten und nach links geschaut? Hat die Klägerin mit einem Handy telefoniert?) wenig ausgeprägt ist. Insgesamt kann das Gericht auf die Aussagen der Zeugen N…, Fr… und W… keine einen weiteren Mitverschuldenseinwand der Beklagten rechtfertigende Feststellungen treffen.

24

Bei der Abwägung gemäß § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB ist der Mitverschuldensanteil der Klägerin daher mit 50 % zu bemessen, sodass eine Haftung der Beklagten zu 50 % verbleibt.

25

Soweit sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf das Urteil des OLG Karlsruhe vom 20. Juni 2012 (Az. 13 U 42/12, zitiert nach juris) berufen hat, in welchem dem dortigen, beim Unfall 10 Jahre und 9 Monate alten, Geschädigten sogar eine Mithaftung von 2/3 angelastet wurde, ist der Fall mit dem hier vorliegenden nicht zu vergleichen. Zwar war einerseits der damals Geschädigte sogar noch gut zwei Jahre jünger als die Klägerin im vorliegenden Verfahren. Andererseits aber hat im vorliegenden Verfahren die Klägerin einen üblichen und oft genutzten Weg genommen, während in dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall der Geschädigte eigens eine den Gehweg von der Fahrbahn trennende Bepflanzung überstiegen hat, was das dortige Fehlverhalten weitaus gravierender erscheinen lässt als das Fehlverhalten der Klägerin im vorliegenden Fall.

26

Soweit sich aus weiteren Gerichtsentscheidung, die die Beklagten bislang nicht zitiert haben, die sie aber noch „für sich entdecken“ könnten, etwas anderes ergeben könnte, sollen unmittelbar die zutreffenden Ausführungen des OLG Karlsruhe a. a. O. zitiert werden:

27

„Der vom Landgericht angeführte, vom OLG Celle (Beschluss v. 8.6.2011 - 14 W 13/11 -, NJW-Spezial 2011, 459) entschiedene Fall ist nicht mit dem streitgegenständlichen vergleichbar. Dort rannte ein Junge im Alter von 11 Jahren und 7 Monaten außerhalb geschlossener Ortschaft bei freier Sicht über eine Landstraße, nachdem er aus dem Auto seiner Mutter ausgestiegen war. Besonderheiten wie im vorliegenden Fall - Stadtverkehr, stehende Autos, keine Sicht - lagen dort nicht vor. Nicht vergleichbar ist auch der Fall des Kammergerichts (Urt. v. 24.06.2010 - 12 U 178/09, MDR 2011, 27), in dem es um die Mithaftung eines 16jährigen ging, der ein Absperrgitter überstiegen hatte, um die Straße zu überqueren, und der mit einem rückwärts einparkenden Fahrzeug kollidiert war, das er vorher bemerkt hatte. Soweit sich aus der Entscheidung des OLG Hamm (Urt. v. 13.7.2009 - 13 U 179/08 -, zit. n. juris), die das Landgericht ebenfalls anführt, in dem dort entschiedenen Sachverhalt ein strengerer Maßstab für die Bewertung des Verstoßes eines Geschädigten, der die Altersgrenze des § 828 Abs. 2 S. 1 BGB erst seit Kurzem überschritten hat, ergeben sollte, vermag der Senat dem für den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt nicht zu folgen.“

28

Zur Schadenshöhe gilt folgendes:

29

Ein Schmerzensgeld von 2.000,00 € ist angemessen. Dabei ist zu beachten, dass die Verletzungen zwar nicht schwer waren und auch folgenlos abheilten, aber auch nicht mehr im Bagatellbereich lagen. Die Klägerin musste zwei Tage stationär im Krankenhaus bleiben, konnte nach dem Unfall eine Zeitlang gar nicht laufen (da sie an einen Fuß ein Schiene bekam und die erforderlichen Unterarmstützen wegen des gebrochenen Daumens nicht benutzen konnte) und konnte insbesondere auch wegen psychischer Beeinträchtigungen die Schule bis zum 6. Dezember 2010 nicht besuchen (wie sich aus der Bescheinigung des G…-Gymnasiums vom 2. Juli 2012 ergibt). Zu beachten ist schmerzensgelderhöhend auch, dass die Klägerin wegen ihrer Verletzungen an einer Eiskunstlaufveranstaltung, für welche sie lange geprobt hatte und bei welcher sie die Rolle des „Pinocchio“ hätte tanzen sollen, nicht teilnehmen konnte.

30

Die von der Klägerin schlüssig vorgetragene und teilweise auch mit Nachweisen unterlegten Sachschäden sind grundsätzlich zu erstatten, wobei das Gericht angesichts der unsicheren Frage des Zeitwertes und unter Beachtung der Tatsache, dass die Klägerin für die Schadenshöhe die Beweislast trifft, die Sachschäden unter Ansetzung eines „Sicherheitsabschlages“ gemäß § 287 ZPO auf insgesamt 150,00 € schätzt. Die in der Klage erwähnte Kostenpauschale von 20,00 € ist nicht Teil der Klageanträge und kann daher nicht zugesprochen werden.

31

Die Feststellungen zu den Verletzungen und Schäden der Klägerin beruhen, soweit streitig, auf den Angaben der gesetzlichen Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Der inhaltliche Wert einer Aussage ist unabhängig von der formalen Stellung der Auskunftsperson (Zeuge oder Partei). Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass einem Zeugen mehr zu glauben ist als den Angaben einer Partei in einer informatorischen Anhörung. Das Gericht hat gemäß § 286 ZPO den gesamten Inhalt der Verhandlung zu würdigen, wozu Parteianhörungen ebenso zählen wie Zeugenvernehmungen. Das Gericht darf sogar im Rahmen der freien Beweiswürdigung einer Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen geben (BGH NJW 2003, 2527, 2528). Es darf nicht sein, dass einen Verkehrsunfallprozess stets diejenige Partei gewinnt, die im Gegensatz zur Gegenseite zufälligerweise einen Zeugen hat. Dies hieße, das Ergebnis eines Prozesses vom Zufall abhängig machen. Der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozess (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet es sogar, die Partei, die keinen Zeugen hat, gemäß § 141 ZPO anzuhören und das Ergebnis der Anhörung bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (BGH a.a.O., ebenso EGMR NJW 1995, 1413f., BVerfG NJW 2001, 2531f.). Dem Gericht steht es in jedem Verfahren frei, sich auf Grund einer Parteianhörung, jedenfalls aus dieser im Zusammenhang mit weiteren Indiztatsachen, die die Darstellung der Partei stützen, unter Ausschöpfung aller angebotenen Beweise eine Überzeugung im Sinne des § 286 ZPO zu bilden (Stackmann, NJW 2012, 1249ff.). Eine restriktive Handhabung der Parteianhörung und deren Verwertung fördert im Ergebnis nur konstruierte Prozessstandschaften, über die sich die beweislose Partei die Zeugenstellung sichert (Stackmann a. a. O.). Für die Angaben von gesetzlichen Vertretern, soweit diese eigene Wahrnehmungen bekunden, gilt insoweit nichts anderes.

32

Eine Parteianhörung der Klägerin selbst kam unter Beachtung des Rechtsgedankens des § 455 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht. Zwar hätte die Klägerin, da prozessunfähig, als Zeugin vernommen werden können (Zöller-Greger, ZPO, 29. Auflage, § 373 Rn. 4, § 455 Rn. 1), insoweit fehlte es allerdings an dem erforderlichen Beweisangebot. Andererseits konnten die gesetzlichen Vertreter der Klägerin trotz eines entsprechenden Beweisangebots nicht als Zeugen vernommen werden (Zöller-Greger, ZPO, 29. Auflage, § 373 Rn. 6, § 455 Rn. 1).

33

Insgesamt ergibt sich folgende Berechnung der Ansprüche der Klägerin:

34

Schmerzensgeld:

2.000,00 €

Sachschäden:

150,00 €

Summe:

2.150,00 €

Davon 50 % wegen Mithaftung:       

1.075,00 €

35

Der Zinsanspruch ergibt sich insoweit aus §§ 26 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.

36

Vorgerichtliche Anwaltskosten kann die Klägerin als erstattungsfähige Rechtsverfolgungskosten aus einem Gegenstandswert von 1.075,00 € wie folgt verlangen:

37

1,3-Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG:

110,50 €

Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG:

20,00 €

Zwischensumme:

130,50 €

19 % Mehrwertsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG:     

24,80 €

Summe:

155,30 €

38

Insgesamt hat die Klägerin folgende Ansprüche:

39

Hauptforderung:

1.075,00 €

Vorgerichtliche Anwaltskosten:     

155,30 €

Summe:

1.230,30 €

40

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht für die Klägerin auf § 709 ZPO und für die Beklagten auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

41

Den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 14. Januar 2013 hat das Gericht zur Kenntnis genommen. Er bot, da er nur Rechtsausführungen und Ausführungen zur Beweiswürdigung enthielt, aber keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.


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