Beschluss vom Amtsgericht Halle (Saale) - 103 II 455/13
Tenor
Die Erinnerung vom 12. März 2013 gegen den Beschluss des Rechtspflegers vom 6. März 2013 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Die Antragstellerin reichte unter dem 22. Januar 2013 bei dem Gericht einen Antrag auf Beratungshilfe für die Angelegenheit „Kindesunterhalt und Mehrbedarf“ ein. Darauf erteilte der Rechtspfleger am selben Tag den beantragten Beratungshilfeschein. Unter dem 31. Januar 2013 reichte die Rechtsanwältin der Antragstellerin bei Gericht einen Vergütungsfestsetzungsantrag ein, in welchem sie die Festsetzung einer Vergütung von 255,85 € verlangte. Zur Glaubhaftmachung ihrer Tätigkeit legte sie ein von ihr gefertigtes Schreiben vom 17. Januar 2013 vor. Zudem legte sie ein Schreiben der gegnerischen Rechtsanwältin vom 5. Dezember 2012 vor, in welchem diese Bezug nahm auf Schreiben der Rechtsanwältin der Antragstellerin vom 17. Oktober 2012 und vom 22. November 2012.
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Mit Beschluss vom 6. März 2013 wies der Rechtspfleger den Antrag „vom 6. März 2013“ auf Bewilligung von Beratungshilfe zurück, da die Antragstellerin nicht vor Beginn der Tätigkeit ihrer Rechtsanwältin einen Antrag auf Beratungshilfe unterschrieben hatte. Hiergegen richtet sich die „Beschwerde, hilfsweise Erinnerung“ der Antragstellerin vom 12. März 2013.
II.
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Die „Beschwerde“ ist als Erinnerung auszulegen, weil diese der einzige statthafte Rechtsbehelf ist. Die Erinnerung ist zulässig gemäß § 6 Abs. 2 BerHG in Verbindung mit §§ 11 Abs. 2, 24a RPflG. Die Erinnerung ist aber nicht begründet.
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Die Zurückweisung des Antrages auf Beratungshilfe im Beschluss des Rechtspflegers vom 6. März 2013 ist auszulegen als nachträgliche Aufhebung der unter dem 22. Januar 2013 erfolgten Bewilligung von Beratungshilfe. Klarstellend ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Beantragung der Beratungshilfe nicht auf den 6. März 2013, sondern auf den 22. Januar 2013 datiert.
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Die Aufhebung der Bewilligung von Beratungshilfe ist zu Recht erfolgt.
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Bei der Erteilung des Beratungshilfescheins am 22. Januar 2013 wusste der Rechtspfleger nicht und konnte es auch nicht wissen, dass die Rechtsanwältin bereits zuvor, nämlich schon vor dem 5. Dezember 2012, tätig gewesen war, dass es sich also in Wahrheit um einen Antrag auf nachträgliche Bewilligung von Beratungshilfe gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG handelte. Für derartige nachträgliche Anträge gilt nach der Rechtsprechung des Gerichts (Beschluss vom 4. Januar 2011, Az. 103 II 2020/10, veröffentlicht bei juris) Folgendes: Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG kann der Antrag auf Beratungshilfe auch nachträglich gestellt werden. Dies setzt aber voraus, dass der Antragsteller sich gerade wegen Beratungshilfe an den Rechtsanwalt wendet. Dann kann - insbesondere, wenn eine Frist zu wahren ist - der Rechtsanwalt durchaus schon tätig werden, bevor der Beratungshilfeantrag bei Gericht eingeht. Nicht hingegen kann Beratungshilfe gewährt werden, wenn sich der Antragsteller nur wegen der Sache selbst an den Rechtsanwalt wendet, der Rechtsanwalt daraufhin tätig wird und erst nachträglich, etwa im Rahmen der Abrechnung, die Sprache auf die Beratungshilfe kommt. Zu Nachweiszwecken wird daher in den Fällen des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG der Antragsteller vor Tätigwerden des Rechtsanwaltes einen bei Gericht einzureichenden Antrag zu unterschreiben haben. Wenn der Antrag dann erst nach Tätigwerden des Anwalts bei Gericht eingeht oder erst nach Tätigwerden vom Gericht beschieden wird, ist dies dann (aber nur dann) im Rahmen des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG unschädlich.
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Der Beratungshilfeantrag datiert erst auf den 22. Januar 2013, obwohl die Rechtsanwältin schon mindestens ab dem 17. Oktober 2012 für die Antragstellerin tätig war. Zudem ist in der Erinnerung ausdrücklich vorgetragen worden, dass bei Mandatsübernahme nicht „die finanziellen Vertragsgrundlagen erörtert“ worden sind. Damit steht fest, dass sich die Antragstellerin nicht wegen Beratungshilfe im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG, sondern nur wegen der Sache selbst, an die Rechtsanwältin gewendet hat. Beratungshilfe wäre also nicht zu gewähren gewesen.
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Daher ist nach den Rechtsgedanken von § 124 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 5 BerHG und § 76 Abs. 1 FamFG sowie von § 48 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 Nr. 2 VwVfG die Gewährung von Beratungshilfe nachträglich aufzuheben. Den genannten Vorschriften liegt der Gedanke zu Grunde, dass ein Bürger kein schützenswertes Interesse an der Bestandskraft einer einmal erfolgten Bewilligung von staatlichen Geldleistungen hat, wenn er bei Beantragung der Geldleistung unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat. Genau dieser Fall ist vorliegend gegeben: Die Antragstellerin hat bei der Beantragung verschwiegen, dass die Rechtsanwältin schon zuvor für sie tätig gewesen ist.
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Für die Zulassung einer derartigen nachträglichen Aufhebung der Gewährung von Beratungshilfe spricht vor allem ein praktisches Bedürfnis: Bei der Erteilung von Beratungshilfescheinen kann der Rechtspfleger gar nicht wissen, ob schon zuvor ein Rechtsanwalt tätig gewesen ist. Angesichts der Tatsache, dass Beratungshilfe - insbesondere in der Rechtsantragsstelle - ein Massengeschäft ist, kann dem Rechtspfleger auch nicht zugemutet werden, jedes Mal vor Erteilung eines Beratungshilfescheines nachzufragen, ob schon zuvor ein Rechtsanwalt tätig war. Dass ein Rechtsanwalt schon vor Erteilung des Beratungshilfescheins tätig war, zeigt sich im Regelfall erst im Vergütungsfestsetzungsverfahren. Würde man unter diesen Umständen nicht eine Aufhebung der Gewährung von Beratungshilfe zulassen, liefe die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG weitgehend leer und jeder Antragsteller könnte, entgegen dem Gesetz, nachträgliche Beratungshilfe auch dann beanspruchen, wenn er den Rechtsanwalt nicht wegen Beratungshilfe, sondern nur wegen der Sache selbst aufgesucht hat. Der entgegenstehenden Ansicht des LG Oldenburg im Beschluss vom 19. Oktober 2000 (Az. 8 T 944/00, zitiert nach juris) vermag das Gericht nicht zu folgen. Insbesondere bezieht sich das LG Oldenburg auf eine nunmehr überholte Literaturmeinung. Schoreit/Groß (Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe, 10. Auflage 2010, § 6 BerHG Rn. 11ff.) führen aus, dass auf Grund eines schützenswerten Interesses der Staatskasse § 124 Nr. 1 - 3 ZPO analog anzuwenden ist. Dem schließt sich das Gericht an.
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Zutreffend führen Schoreit/Groß a. a. O. auch aus, dass die Vergütungsansprüche des Rechtsanwalts dann nachträglich entfallen, wenn der Rechtsanwalt wusste oder auf Grund grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe nicht vorlagen. So liegt der Fall hier. Nachdem in der Erinnerung vom 12. März 2013 ausdrücklich vorgetragen ist, dass die „finanziellen Vertragsgrundlagen nicht erörtert“ worden sind, wusste die Rechtsanwältin positiv, dass die rechtsuchende Bürgerin sich nicht wegen Beratungshilfe, sondern nur wegen der Sache selbst an sie gewandt hat. Ein schützenswertes Interesse der Rechtsanwältin an der Zubilligung einer Vergütung für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe war daher zu keinem Zeitpunkt vorhanden. Vielmehr hatte die Rechtsanwältin anscheinend die Ansicht, gegenüber der rechtssuchenden Bürgerin direkt abzurechnen. Der Rechtsanwalt hat aber kein Wahlrecht nach dem Motto: Erst versuche ich es bei dem Mandanten, wenn dort nichts zu holen ist, gehe ich eben über Beratungshilfe. Genau dies will § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG verhindern: Die Formulierung „wegen Beratungshilfe“ in § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG will sicherstellen, dass dem Rechtsanwalt von Anfang an klar sein muss, dass er das Mandat als Beratungshilfemandat führt, wenn er über Beratungshilfe abrechnen will.
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Die insoweit abweichende Meinung von Schoreit/Groß (a. a. O. § 4 BerHG Rn. 21) vermag nicht zu überzeugen. Dass das Gesetz für die hier vertretene Ansicht nichts hergebe, ist angesichts der Formulierung „wegen Beratungshilfe“ in § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG nicht richtig. Dass das Gesetz die nachträgliche Antragstellung zulässt, ist richtig, besagt aber nichts. Natürlich ist die nachträgliche Antragstellung zulässig, aber eben nur, wenn sich der Rechtssuchende wegen Beratungshilfe und nicht nur wegen der Sache selbst an den Rechtsanwalt gewendet hat. Schließlich werden auch nicht „an die Obliegenheits-Pflichten eines in Rechtssachen unerfahrenen Ratssuchenden unrealistisch strenge und formalisierte Anforderungen gestellt“. Zum einen ist nicht einzusehen, warum jemand, der Beratungshilfe möchte, dies dem Rechtsanwalt nicht sagen kann. Zum anderen ist der Rechtsanwalt ja ohnehin verpflichtet, den Rechtssuchenden auf die Möglichkeit, Beratungshilfe zu beantragen, hinzuweisen, wenn erkennbar ist, dass die Bewilligung von Beratungshilfe in Betracht kommt. Im Zweifel wird der Rechtsanwalt schon im Interesse seines eigenen Vergütungsanspruchs nachfragen.
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Das Bundesverfassungsgericht hat überzeugend darauf hingewiesen (BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 2008, Az. 1 BvR 2392/07, zitiert nach juris), dass durch das BerHG nicht den beratend tätigen Rechtsanwälten das mit der Übernahme eines Mandats eingegangene Risiko der Zahlungsunfähigkeit ihres Mandanten abgenommen werden sollte. Letzteres wäre aber der Fall, wenn man die nachträgliche Umwandlung von „Normalmandaten“ in „Beratungshilfemandate“ gestattete. Denn Beratungshilfebedarf besteht nach Gewährung der Beratungshilfe durch den aufgesuchten Rechtsanwalt nicht mehr.
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Um es noch einmal klarzustellen: Am Anfang jeder Beratung muss nicht die Antragsunterzeichnung stehen. Am Anfang jeder Beratung muss aber die Übereinkunft von Rechtsanwalt und Mandant stehen, dass es sich um ein Beratungshilfemandat handelt. Wenn vor der Beratung der Antrag auf Beratungshilfe unterzeichnet wird, lässt sich damit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG zweifelfrei nachweisen.
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Auf den Beschluss des Gerichts vom 21. Januar 2011 (Az. 103 II 4298/10, veröffentlicht bei juris) wird hingewiesen.
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Allerdings hätte der Rechtspfleger vor der Aufhebung der Beratungshilfebewilligung der Antragstellerin rechtliches Gehör gewähren müssen (Art. 103 Abs. 1 GG). Dieses rechtliche Gehör ist aber im Erinnerungsverfahren nachgeholt worden, sodass weder eine Aufhebung des Beschlusses vom 6. März 2013 veranlasst noch eine erneute Anhörung durch den Richter vor der Entscheidung erforderlich ist. Die Antragstellerin hat den Sinn des Beschlusses des Rechtspflegers vom 6. März 2013 durchaus zutreffend erfasst und daher im Rahmen des Erinnerungsverfahrens ihr rechtliches Gehör wahrgenommen.
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Die Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 39 FamFG ist nicht veranlasst, weil die richterliche Entscheidung über die Aufhebung der Beratungshilfebewilligung gemäß § 6 Abs. 2 BerHG nicht anfechtbar ist: Der Rechtsweg gegen die Aufhebungsentscheidung kann nicht weiter als gegen die Versagung der Bewilligung sein (Schoreit / Groß a. a. O. § 6 BerHG Rn. 18).
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