Beschluss vom Amtsgericht Hamm - XVI 123/06
Tenor
Es wird festgestellt,
1.
dass die durch Urteil des 1. Familiengerichts zu Sarakaya/Türkei vom 21.07.2005 Nr. 2005/599 ausgesprochene Annahme des Kindes A durch Herrn C als dessen Kind anzuerkennen ist,
2.
dass das Annahmeverhältnis hinsichtlich der elterlichen Sorge und der Unter-haltspflicht des Annehmenden einem nach deutschen Sachvorschriften begründeten Annahmeverhältnis gleichsteht.
1
G r ü n d e
2Durch die vorgelegten Unterlagen und die Anhörung des Antragstellers und den sonstigen Ermittlungen ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
31.
4A wurde als drittes Kind der Eheleute G und H geboren, die bereits zwei Kinder hatten und in wirtschaftlich schlechten Verhältnissen lebten, so dass sie für das Kind nicht aufkommen konnten und darüber nachgedacht hatten, das Kind an jemand anderen zu geben.
52.
6Der Antragsteller ist der Bruder der Kindesmutter und besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Er lebt seit 1992 in Deutschland und ist Makler im Versicherungs- und Kreditwesen. Er lebt mit seiner Lebenspartnerin Frau N, geboren am 25.04.1969 seit mehr als zehn Jahren zusammen. Aus der Verbindung ist das Kind J geboren 25.04.1999 hervorgegangen. Frau N ist als Architektin im öffentlichen Dienst bei dem BLB Dortmund tätig.
73.
8Der Antragsteller konnte zu A seit dessen Geburt ein gutes Verhältnis entwickeln und stellte fest, dass die Kindesmutter, seine Schwester, mit der Erziehung des Kindes überfordert war und die Familie wirtschaftlich nicht in der Lage war, für das Kind zu sorgen. Er kam von Anfang an finanziell für den Jungen auf. Auch Frau N entwickelte während der regelmäßigen Aufenthalte in der Türkei ein gutes Verhältnis zu A. Als dieser im Jahre 2004 drei Monate in Deutschland zu Besuch war, verfestigte sich bei dem Antragsteller und seiner Lebensgefährtin der Entschluss, A zu sich zu nehmen und ihn zu adoptieren. Nach Einholung von anwaltlichem Rat und Anfrage beim örtlichen Jugendamt setzte der Antragsteller das vorliegende Adoptionsverfahren in Gang.
94.
10Seinem Adoptionsantrag wurde durch Urteil des Familiengerichts Sakarya vom 21.07.2005 nach Einholung eines pädagogischen Sachverständigengutachtens, Anhörung der Beteiligten und Vernehmung von Zeugen stattgegeben. In den Entscheidungsgründen stellt das Gericht fest, dass der Antragsteller nach dem Gutachten eine positive und eigenständige Beziehung zu dem Kind aufgebaut habe, so dass man zu der Überzeugung gelange, dass der Antragsteller ein guter Vater sein werde und es von Vorteil von A sein werde, unter dem Sorgerecht des Antragstellers aufzuwachsen. Aus diesem Grunde würde es, unter Berücksichtigung der ideellen, seelischen und moralischen Entwicklung des Kindes für angemessen erachtet, dass dieses durch den Antragsteller adoptiert werde.
115.
12Der Antragsteller beantragt im vorliegenden Verfahren die Anerkennung und Wirkungsfeststellung der in der Türkei ausgesprochenen Auslandsadoption. Dem Kind wurde von den zuständigen Behörden ein Einreisevisum nicht erteilt und darauf verwiesen, dass die Anerkennungsentscheidung abzuwarten sei.
136.
14Das Gericht hat den Antragsteller persönlich angehört und die Stellungnahme der Bundeszentralstelle für Auslandsadoptionen eingeholt. Die Bundeszentralstelle erhebt Bedenken gegen die Anerkennungsfähigkeit der vorliegenden Adoption. Im vorliegenden Fall hätten die Verfahrensregeln des Haager Adoptionsübereinkommens eingehalten werden müssen, da das Kind im Zusammenhang mit seiner Adoption seinen ständigen Aufenthalt von einem Vertragsstaat in einen anderen verlegen soll (Art. 2 HAÜ). Eine Nichtanerkennung könne in Frage kommen, wenn es sich bei der Nichtbeteiligung der Zentralen Behörden nicht nur um einen formalen Verstoß handele, sondern die Voraussetzungen der Artikel 4 und 5 HAÜ auch inhaltlich nicht vorliegen würden. Auf türkischer Seite hätte nach Artikel 4 des Übereinkommens in Verbindung mit Artikel 7 der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ein grundsätzliches Adoptionsbedürfnis des Kindes festgestellt werden müssen und darüber hinaus, dass die Entscheidung für eine Auslandsadoption nach gebührender Überprüfung der Unterbringungsmöglichkeiten im Heimatstaat getroffen wurde. Nach Artikel 21 Buchstabe B der Kinderrechtekonvention könne die internationale Adoption als andere Form der Betreuung angesehen werden, wenn das Kind nicht in seinem Heimatstaat in einer Pflege- oder Adoptionsfamilie untergebracht oder wenn es dort nicht in geeigneter Weise betreut werden kann. Da der Adoptivvater mit dem Kind in Deutschland leben wollte, dort also der Lebensmittelpunkt der Familie sein sollte, hätte die Prüfung der Geeignetheit der Bewerber durch das türkische Gericht auch die Überprüfung ihrer Verhältnisse in Deutschland in Bezug auf die beabsichtigte Adoption beinhalten müssen. Ein Adoptionsbedürfnis sei aus Sicht des Kindes nicht erkennbar.
15II.
16Gemäß § 2 des Adoptionwirkungsgesetzes (AdWirkG) sind die aus der Beschlussformel ersichtlichen Feststellungen zu treffen.
171.
18Es ist von einer zwar mit Mängeln behafteten, jedoch nach dem türkischen Recht gleichwohl wirksamen Adoption auszugehen.
19- Das türkische Adoptionsrecht ist in den Artikeln 305 ff. des Zivilgesetzbuches (ZGB) geregelt. Danach erfolgt die Adoption durch eine gerichtliche Entscheidung. Zuständig ist das Gericht am Wohnort der Adoptierenden. Haben die Adoptionsbewerber keinen Wohnsitz in der Türkei, lässt die türkische Praxis die Adoption durch ein anderes sachnahes türkisches Gericht zu. Voraussetzungen für die Adoption eines minderjährigen Kindes sind unter anderem, dass die Adoption dem Wohle des Kindes dient und dass das Kind zuvor ein Jahr lang die Pflege und Erziehung der Adoptierenden genossen hat. Zur Zeit der hier in Rede stehenden Adoption galt in der Türkei ferner bereits das Haager Adoptionsübereinkommen vom 25.05.1993 (HAÜ).
- Ausweislich der hier zu beurteilenden Adoptionsentscheidung hat das türkische Gericht die Adoption gemäß der Artikel 305 ff. ZGB ausgesprochen. Die Voraussetzungen des gemäß Art. 305 ZGB zwingend einzuhaltenden Pflege- und Erziehungsjahres hat das Gericht bejaht, obwohl ihm bewusst war, dass der Antragsteller in Deutschland lebte und er sich im Wesentlichen nur von dort aus um das Kind kümmern konnte. Die bei der hier vorliegenden Auslandsadoption nach Artikel 5, 17 HAÜ vorgesehenen Stellungnahmen der deutschen Jugendbehörden sind nicht eingeholt worden.
- Indessen führen auch schwerwiegende Mängel einer Gerichtsentscheidung regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit oder – soweit vorgesehen – zur Aufhebbarkeit, nicht zur Nichtigkeit. Dieser allgemeine Grundsatz ist für das türkische Recht auch in den Artikeln 317, 318 ZGB zu entnehmen. Die Adoption ist also nach türkischem Recht wirksam.
2.
21Die Adoption ist anzuerkennen.
22a) Es kann dahin stehen, ob die großzügigere Anerkennungsvorschrift des Artikel 24 HAÜ vorliegend anzuwenden ist, weil die Adoption in einem Vertragsstaat ausgesprochen wurde. Denn auch bei Beurteilung aufgrund der Anerkennungsvorschriften des Artikel 16 a FGG ist ein Grund, die Anerkennung zu versagen, nicht gegeben. Gemäß des hier in Betracht zuziehenden § 16 Nr. 4 FGG ist die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung ausgeschlossen, wenn die Anerkennung der Entscheidung zu einem Ergebnis führt, dass mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Maßgeblich ist hier, ob das in Anwendung des ausländischen Rechts gefundene Ergebnis im konkreten Fall zu dem Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutschen Vorstellungen untragbar erscheint.
23Dies gilt auch für das Verfahrensrecht: Nur wenn das erststaatliche Verfahren mit grundlegenden Verfahrensmaximen des deutschen Rechts unvereinbar ist, kann der ausländischen Entscheidung die Anerkennung verweigert werden.
24b) Unter dieser Prämisse kann unter dem Gesichtspunkt des angewandten Verfahrens die Nichtanwendung der Artikel 5, 17 HAÜ nicht Grund für eine Versagung der Auslandsentscheidung sein. In Betracht kämen hier krasse Verstöße gegen grundlegende Eltern-Kindesrechte, die hier nicht vorliegen. Den Gründen der Entscheidung ist zu entnehmen, dass das Gericht sich mit dem Kindeswohl sehr wohl auseinander gesetzt hat und auch mit der Eignung des Adoptionsbewerbers, mögen die Prüfungen auch nicht dem deutschen Standard oder dem Standard, den das HAÜ vorsieht, entsprechen. Dass hier möglicherweise das Pflegejahr nicht eingehalten ist, begründet keine Unvereinbarkeit mit Grundsätzen des deutschen Adoptionsrechts. § 1744 BGB sieht die Pflegezeit im Rahmen einer Sollvorschrift vor und ist damit nicht zu den tragenden Grundsätzen des deutschen Adoptionsrechts zu zählen.
25- Es kann des weiteren nicht festgestellt werden, dass das Ergebnis des vorliegenden Verfahrens, nämlich die Adoption des Kindes A durch den Antragsteller mit ihren Auswirkungen zu einem Ergebnis führt, dass den Grundgedanken der tragenden Regelungen des deutschen Rechts in einer Weise widerspricht, dass dieses Ergebnis nach hiesigen Vorstellungen untragbar erscheint. Das Ergebnis erscheint vorliegend als mit dem Kindeswohl vereinbar. Insbesondere ist davon auszugehen, dass zwischen dem Antragsteller und dem Kind eine hinreichend tragfähige Bindung besteht. Die Mutterrolle wird durch die langjährige Lebenspartnerin des Antragstellers übernommen werden, die mit dem Antragsteller ein gemeinsames Kind hat, so dass von einer tragfähigen Verbindung auszugehen ist. Das Gericht vermag auch keinen Verstoß gegen die in der Kinderrechtskonvention verankerten Kindesrechte zu erkennen. Insbesondere ist ein Adoptionsbedürfnis durchaus erkennbar. Das Kind war von den Eltern offenbar nicht gewollt, so dass sie es weggeben wollten. Soweit wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen, muss gesehen werden, dass grundlegende Kindeswohlbelange wie Sicherung der Existenz und Verschaffung einer angemessenen Ausbildung, die in Deutschland wie selbstverständlich gesichert erscheinen, in der Türkei nicht in diesem Maße gewährleistet sind. Eine Vermittlung des Kindes an nahe Verwandte dürfte einen gewichtigen Grund im Sinne des Artikel 21 der Kinderrechtekonvention darstellen.
- Die Anerkennung erscheint auch gerechtfertigt vor dem Hintergrund einer nicht wünschenswerten Nichtbeachtung der Regelungen des HAÜ durch Vertragsstaaten bzw. deren Umgehung. Eine Vielzahl von Anhörungen betroffener türkischer Adoptionseltern zeigt nicht nur auf, dass in der Türkei erhebliche Missstände bei der Umsetzung des HAÜ vorliegen. Die Erfahrungen belegen leider auch, dass in vielen örtlichen Adoptionsvermittlungsstellen und auch Ausländerbehörden sowie in der Anwaltschaft Beratungsdefizite vorhanden sind, die für die Adoptionsbewerber zu erheblichen Unzuträglichkeiten führen. Es erscheint nicht vertretbar, zur Durchsetzung des HAÜ die gesetzlich festgelegten Anerkennungsregeln einschränkend auszulegen.
3.
28Nach türkischem Recht sind die rechtlichen Beziehungen des Kindes zur Herkunftsfamilie nicht ganz beendet worden (Art. 314 ZGB), die Rückgängigmachung der Adoption ist verhältnismäßig leicht möglich. Es handelt sich also um eine Annahme mit geringeren Wirkungen als die einer Adoption nach deutschem Recht. Hinsichtlich des Sorgerechts und der Unterhaltspflicht ergeben sich jedoch keine Unterschiede zum deutschen Recht. Dies ist gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 AdWirkG in der Beschlussformel ausdrücklich festzustellen.
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