Beschluss vom Amtsgericht Hamm - 20 F 107/10
Tenor
I.
Es wird festgestellt,
1. dass die Annahme des K durch seine Adoptiveltern, die Eheleute B und C K als deren gemeinschaftliches Kind, ausgesprochen durch das Zivilgericht 1. Instanz in Bigadic/Türkei, Geschäftsnummer 2010/156, Beschlussnummer 2010/143 vom 13.05.2010 wirksam und anzuerkennen ist,
2. dass das Annahmeverhältnis hinsichtlich der elterlichen Sorge und der Unterhaltspflicht der Annehmenden einem nach den deutschen Sachvorschriften begründeten Annahmeverhältnis gleichsteht.
II.
Die Erstattung der gerichtlichen Auslagen durch die Antragsteller wird angeordnet.
III.
Der Verfahrenswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
1
Gründe
2I.
3Aufgrund der vorgelegten Urkunden und der durchgeführten Ermittlungen ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
41. K ist das achte Kind, das aus der Ehe zwischen der Kindesmutter D und E hervorgegangen ist. Das Kind hätte eigentlich nicht zur Welt kommen sollen, da die leibliche Mutter sich psychisch und aufgrund der ökonomischen Situation der Familie nicht in der Lage sah, ein weiteres Kind aufzuziehen.
52. Die Antragsteller, beide türkische Staatsangehörige, leben seit 36 Jahren in Deutschland. Sie sind seit 1989 verheiratet, ihr Kinderwunsch blieb unerfüllt. Über einen Bekannten in der Türkei bekamen sie Kontakt zu der Kindesmutter, die aufgrund ihrer Notlage ursprünglich beabsichtigte, die Schwangerschaft abzubrechen. Man vereinbarte, dass das Kind ausgetragen und von den Antragstellern adoptiert werden sollte. Das Kind wurde sogleich nach der Geburt in die Obhut der Antragstellerin gegeben, die sich seit dem in der Türkei aufhielt und das vorgeschriebene Pflegejahr absolvierte.
63. Nach Ablauf des Pflegejahres wurde die Adoption durch die im Beschlusstenor ersichtliche Adoptionsentscheidung ausgesprochen. Den Gründen der Entscheidung ist zu entnehmen, dass das Gericht nach Anhörung der Beteiligten und Vernehmung von Zeugen die Voraussetzungen des Artikel 305 des Türkischen Zivilgesetzbuches bejaht und feststellte, dass die Adoption des Kindes durch die Antragsteller "zu Gunsten des Kindes" ist.
74. Die Antragsteller beantragen, die Adoption anzuerkennen
8vor dem Hintergrund, dass dem Kind die Ausreise aus der Türkei nach Deutschland verweigert wurde, solange keine Anerkennungsentscheidung beigebracht werde.
9So lebte die Antragstellerin – von einigen Kurzaufenthalten in Deutschland unterbrochen – seit der Geburt des Kindes bis April 2011 praktisch von ihrem Ehemann getrennt mit dem Kind in der Türkei. Die Einreise nach Deutschland zusammen mit dem Kind wurde ihr erst ermöglicht, nachdem das Gericht im Anerkennungsverfahren die Beteiligten mit persönlichen Erscheinen zum Anhörungstermin geladen hat.
105. Die Bundeszentralstelle für Auslandsadoptionen kommt in der Stellungnahme vom 27.12.2010 zu dem Ergebnis, dass die Anerkennung der Auslandsadoption ausgeschlossen sei. Die anzuwendenden Regeln des HAÜ seien nicht eingehalten worden. Die Adoption sei offenbar nicht am Kindeswohl orientiert, sondern ausschließlich an den Bedürfnissen der Erwachsenen, vor allem an dem Kinderwunsch der Antragsteller.
116. Das Gericht hat weitere Ermittlungen erhoben durch die persönliche Anhörung der Antragsteller und des Kindes sowie durch Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob die Adoption aus heutiger Sicht dem Kindeswohl entspricht. Wegen des Ergebnisses wird verwiesen auf das schriftliche Gutachten des Dr. phil. Dipl.-Psych. M. T vom 23.04.2011.
12II.
13Gemäß § 2 des AdWirkG sind die aus der Beschlussformel ersichtlichen Feststellungen zu treffen.
141. Dass die Adoptionsentscheidung trotz der von der Bundeszentralstelle gerügten Mängel nach türkischem Recht wirksam ist, ist nicht zweifelhaft und wird auch von der Bundeszentralstelle nicht in Zweifel gezogen.
152. Da sowohl Deutschland als auch die Türkei zum Zeitpunkt der Adoption Mitgliedsstaaten des Haager Adoptionsübereinkommens über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Internationalen Adoption (HAÜ) waren, und das Kind im Zuge der Adoption von der Türkei nach Deutschland gebracht werden sollte, handelt es sich um eine Auslandsadoption gemäß Artikel 2 HAÜ, so dass die Regeln des HAÜ hätten eingehalten werden müssen, was nicht geschehen ist.
16Daraus folgt jedoch nur, dass eine Anerkennung auf der Grundlage des Artikels 24 HAÜ ausgeschlossen ist. Nicht aber versperrt das HAÜ den Rückgriff auf das innerstaatliche deutsche Recht auf der Grundlage des im Völkerrecht vorherrschenden Günstigkeitsprinzips (Ansgar Staudinger, FamRBind, Beratungspraxis, 2/2007, Seite 45). Der die Adoption vornehmende Vertragsstaat verstößt zwar gegen das Übereinkommen, dessen Vorschriften zwingend sind und setzt sich der Beschwerde gem. Art. 33 HAÜ aus. Aber die Frage der Anerkennung läge außerhalb des Übereinkommens (Para-Aranguren, Rapport zum HAÜ, Rn 411.)
173. Sonach beurteilt sich die Anerkennung nach § 109 FamFG. Nach dieser Vorschrift ist die Anerkennung von ausländischen Entscheidungen ausgeschlossen, wenn einer der im Einzelnen aufgeführten Ausschlussgründe vorliegt.
18Das hier einschlägige Anerkennungshindernis § 109 Ziff. 4 FamFG ist nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist die Anerkennung ausgeschlossen, wenn die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Dieser Regelung ist zu entnehmen, dass es sich um eine die grundsätzliche Anerkennung ausländischer Entscheidungen durchbrechende Ausnahmevorschrift handelt, die eng auszulegen ist. Die Anerkennung ist nur dann nach § 109 Nr. 4 FamFG ausgeschlossen, wenn sie zu einem Ergebnis führte, das zu den Grundgedanken der entsprechenden deutschen Regelung und den darin enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stünde, dass das Ergebnis nach inländischen Vorstellungen untragbar erschiene (Allgemeine Meinung, siehe KG Berlin, FamRZ 2006, 1405 ff.). Bei Adoptionsentscheidungen kommen in Betracht schwerwiegende Verstöße gegen Kindes- und Elternrechte.
194. Die Regeln des HAÜ gehören bereits nicht zu den tragenden Grundsätzen des deutschen Adoptionsrechts, so dass ein Verstoß dagegen nicht zur Nichtanerkennungsfähigkeit führen kann (OLG Köln, FamRZ 2009, 1607-Seite 1608 a.e.).
205. Ein schwerwiegender Verstoß gegen Kindesrechte kann gegeben sein, wenn die Adoption ohne Rücksicht auf jegliches Adoptionsbedürfnis durchgeführt wird. Hier teilt das Gericht nach dem Ergebnis der Ermittlungen jedoch nicht die Auffassung der Bundeszentralstelle, die Adoption sei nur an den Interessen der Erwachsenen orientiert. Nach der nicht zu widerlegenden Darstellung der Antragsteller stellte die Adoption die Alternative zur Abtreibung dar. Ein dringenderes Adoptionsbedürfnis ist kaum vorstellbar.
216. Die Gründe der Adoptionsentscheidung mögen von einer Kindeswohlprüfung zeugen, die deutschem Standard nicht gerecht würde. Sie belegen aber auch, dass sich das Gericht sehr wohl mit Belangen des Kindeswohls auseinander gesetzt hat und durch Anhörung der Beteiligten und Vernehmung von Zeugen vor dem Hintergrund des absolvierten Pflegejahrs eine Überzeugung davon gewinnen konnte, dass ein Adoptionsbedürfnis besteht und die Adoptionsgeeignetheit der Adoptiveltern zu bejahen war. Das türkische Gericht hat die Voraussetzungen des Art. 305 Zivilgesetzbuch bejaht und ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Adoption dem Kindeswohl dient. Es ist dem deutschen Gericht, das über die Anerkennung zu entscheiden hat, verwehrt, eine eigene Beurteilung des Falles im Rahmen einer Revision aux fonds vorzunehmen.
22Dies bringt auch die neu eingefügte Regelung des § 109 Abs. 5 FamFG zum Ausdruck.
237. Für die Beurteilung, ob die Anerkennung der Entscheidung ausgeschlossen ist, kommt es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (entgegen OLG Karlsruhe, 11. Zivilsenat, Beschluss vom 08.07.2010, 11 WX 113/09) auf den Zeitpunkt an, in dem über die Anerkennung entschieden wird (BGH FamRZ 83, 1012). Aus diesem Grunde sind auch Entwicklungen zu berücksichtigen, die seit der Ursprungsentscheidung bis zur Anerkennungsentscheidung eingetreten sind. Bei Adoptionsentscheidungen bedeutet dies, dass durchaus und selbstverständlich die durch Zeitablauf gewachsene Bindung des Kindes zu den Adoptiveltern zu berücksichtigen ist (OLG Köln, FamRZ 2009, Seite 1609). Denn wenn die ohne Verletzung von Elternrechten zustande gekommene Adoption aus jetziger Sicht dem Kindeswohl entspricht, kann schlechterdings nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Anerkennung zu einem untragbaren Ergebnis führt.
248. Das Gericht hat deshalb im Rahmen seiner Aufklärungspflicht gem. § 26 FamFG ein Sachverständigengutachten eingeholt zu der Frage, ob die Adoption aus heutiger Sicht dem Wohl des Kindes entspricht, insbesondere zur Adoptionsgeeignetheit der Adoptiveltern insbesondere unter dem Aspekt der Förderung des Kindes und der Integration in Deutschland und zum Entstehen einer Eltern-Kind-Bindung. Entgegen einer verbreiteten, nicht aber im Gesetz verankerten, Auffassung, eine Kindeswohlprüfung könne im Anerkennungsverfahren nicht nachgeholt werden, sah sich das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht dazu veranlasst, um feststellen zu können, ob Gründe für die Nichtanerkennung der Adoption vorliegen.
25Letzteres ist jedoch nicht der Fall. Der Sachverständige kommt nach der Exploration der Beteiligten mit einer überzeugenden Begründung zu dem Ergebnis, dass die Antragsteller adoptionsgeeignet sind und dass das Kind insbesondere zu der Antragstellerin, aber auch zu dem Antragsteller eine enge Bindung im Sinne einer Eltern-Kind-Beziehung hat.
26Nach diesem Ergebnis würde nicht die Anerkennung der Adoption zu einem untragbaren Ergebnis, sondern umgekehrt die Nichtanerkennung zur Verletzung von Kindesrechten führen, so dass die Adoption anzuerkennen ist. Zugleich wird dadurch auch eine sogenannte hinkende Adoption vermieden, (Wirksamkeit in der Türkei, Unwirksamkeit in Deutschland) was prinzipiell dem Kindeswohl zuwider laufen würde.
27III.
28Nach türkischem Recht sind die rechtlichen Beziehungen des Kindes zur Herkunftsfamilie durch die Adoption nicht gänzlich beendet worden (Artikel 314 ZGB), die Rückgängigmachung ist verhältnismäßig leicht möglich. Es handelt sich also um eine Annahme mit geringeren Wirkungen als sie eine Adoption nach deutschem Recht hat. Hinsichtlich des Sorgerechts und der Unterhaltspflicht der Annehmenden ergeben sich jedoch keine Unterschiede zum deutschen Recht. Dies ist gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 AdWirkG in der Beschlussformel ausdrücklich festzustellen.
29IV.
30Die Anordnung der Erstattung der gerichtlichen Auslagen beruht auf § 81 FamFG.
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