Urteil vom Amtsgericht Ibbenbüren - 3 C 514/04
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckba-ren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin, die ein Inkassobüro betreibt, macht aus abgetretenem Recht Ansprüche der Firma J. (Zedentin) aus H geltend.
3Ein Mitarbeiter der Zedentin - der Zeuge T - suchte den Beklagten am 05.11.2003 in seiner Wohnung auf. Dieser Besuch war kurz zuvor durch eine Telefonistin der Zedentin vorbereitet worden, die dabei in gewisser Weise - die Einzelheiten sind streitig, auf den Schulbesuch der Kinder des Beklagten Bezug genommen hatte. Nach einem Beratungsgespräch unterzeichnete der Beklagte einen Vertrag über den Kauf eines aus 18 Bänden bestehenden Brockhaus-Lexikons zum Gesamtpreis von 1.898,00 .
4Die Ware wurde dem Beklagten am 24.11.2003 geliefert. Er sandte sie zurück und bezahlte den Kaufpreis nicht, den die Klägerin nunmehr mit der Klage geltend macht.
5Die Klägerin beantragt,
6den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.898,00 nebst Zinsen in Höhe von
75 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07. Juni 2004,
810,00 Mahnkosten, 8,69 Kontoführungsgebühren, 33,25 Rechtsanwalts-
9gebühren und 219,50 Inkassokosten zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe
10des Werkes "Der Brockhaus, bestehend aus 18 Bänden Brockhaus multimedial
11und einer DVD Brockhaus multimedial premium,
12sowie festzustellen,
13daß der Beklagte sich mit der Annahme der im Antrag zu 1.) näher
14bezeichneten Bücher und DVD in Verzug befindet.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Er behauptet, seine Ehefrau sei kurz vor dem Besuch des Zeugen T von einer Frau angerufen worden, die gesagt habe, sie komme von der Schule der Kinder des Beklagten und wolle die Familie des Beklagten am nächsten Tag aufsuchen. Dem habe die Ehefrau des Beklagten zugestimmt.
18Statt einer Frau sei am nächsten Tag der Zeuge T gekommen. Dieser habe ihm gegenüber den Eindruck erweckt, von der Schule seiner Kinder geschickt worden zu sein. Er habe ihm Schulbücher für seine Kinder angeboten. Darum habe der Beklagte in den Kauf eingewilligt.
19Bei einem zwei Tage später stattfindenden Elternsprechtag habe er sich dann erkundigt, ob der Zeuge T offizieller Vertreter der Schule sei, was verneint worden sei. Darum habe er den Zeugen T angerufen, der zu einem zweiten Gespräch gekommen sei. Der Beklagte habe dem Zeugen erklärt, er wolle die Bücher nicht, weil es sich nicht um Schulbücher handele. Der Zeuge habe ihm gesagt, wenn die Bücher bei ihm eingingen, könne er sie zurückschicken.
20Dies habe der Zeuge bei späteren Telefonaten wiederholt.
21Der Beklagte erklärt die Anfechtung des Vertrages. Außerdem erklärt er den Widerruf des Vertrages und vertritt die Ansicht, die in dem schriftlichen Vertragsformular enthaltene Widerrufsbelehrung sei nicht wirksam, so daß sie nicht geeignet gewesen sei, die Widerrufsfrist von zwei Wochen in Gang zu setzen.
22Die Klägerin erwidert, der Zeuge T habe den Beklagten nicht getäuscht; er habe nicht den Eindruck vermittelt, Mitarbeiter der Schule der Kinder des Beklagten zu sein.
23Im übrigen sei schon anhand des Verkaufsprospektes, den er benutzt habe, zweifelsfrei festzustellen gewesen, daß es sich um ein Lexikon und nicht um Schulbücher gehandelt habe.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat durch Vernehmung des Zeugen T Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 25.02.2005 verwiesen.
25Entscheidungsgründe:
26Die Klage ist unbegründet.
27Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Bezahlung des Kaufpreises für ein Brockhaus-Lexikon.
28Ein vertraglicher Anspruch, den die Klägerin aus abgetretenem Recht der Zedentin "J." geltend macht, besteht nicht. Zwar wurde zwischen dem Beklagten und der Zedentin am 05.11.2003 ein Kaufvertrag geschlossen; dieser ist aber vom Beklagten wirksam angefochten worden und deshalb als von Anfang an nichtig anzusehen.
29Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist, kann die Erklärung nach § 123 I BGB anfechten. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn es ist davon auszugehen, daß in dem Beklagten durch den Zeugen T gezielt der Eindruck erweckt wurde, das angebotene Lexikonwerk sei für den Schulbesuch der Kinder des Beklagten unerläßlich, was der Beklagte auch glaubte und zur Grundlage seiner Kaufentscheidung machte.
30Der Zeuge T hat die Behauptung des Beklagten, er habe sich als Vertreter der Schule der Kinder des Beklagten ausgegeben und das Lexikon als Schulbücher angeboten, weit von sich gewiesen. Nach seiner Aussage geht das Gericht auch nicht davon aus, der Zeuge habe seine Angebote im Wortsinne so formuliert, wie der Beklagte es behauptet hat. Wegen der besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist aber nicht darauf abzustellen, wie der Zeuge seine Verkaufsargumente gegenüber dem Beklagten im einzelnen wörtlich formulierte, sondern darauf, wie sein Angebot insgesamt auf den Beklagten wirkte und welchen Eindruck der Zeuge dabei letztlich erzielen wollte. Dies führt zu dem Ergebnis, daß eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 BGB vorlag.
31Nach einer Grundregel des bürgerlichen Rechts sind Willenserklärungen so auszulegen, wie der Erklärungsempfänger sie verstehen muß. Der Beklagte ist türkischer Abstammung und beherrscht, wie sich in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, die deutsche Sprache nur unzureichend. Er kann sich verständlich machen; auf einfacher Ebene ist auch ohne weiteres eine sinnvolle Unterhaltung mit ihm möglich. Sein Verständnis der deutschen Sprache ermöglicht es ihm aber nicht, sprachliche Strukturen zu erfassen, die über die Wiedergabe ganz einfach gelagerter Sachverhalte hinausgehen. Dies zu erkennen war für das Gericht in der mündlichen Verhandlung schon nach dem Austausch einiger Sätze möglich; es mußte sich auf den Zeugen T, der sich nach eigenem Bekunden etwa 1 ½ Stunden lang mit dem Beklagten unterhielt, ohne weiteres erschließen.
32Die von der Zedentin und dem Zeugen T ausgehende Täuschung, der der Beklagte letztlich unterlag, wurde bereits durch den ersten Anruf, mit dem ein Hausbesuch angekündigt wurde, eingeleitet. Wenn bei einem Telefonanruf, der den Adressaten ja unvorbereitet erreicht, erklärt wird, die Kinder hätten an einer Schulaktion teilgenommen und einen Schülerduden erhalten, und im Rahmen dieser Aktion sollten die Eltern besucht werden, so wird auch in einem Menschen, der die deutsche Sprache einwandfrei beherrscht, der Eindruck entstehen können, der Anruf gehe von einer schulischen Institution aus. Bei einem Ausländer mit unzureichender deutscher Sprachkenntnis liegt es aber sogar nahe, daß er einen solchen Aufruf in dieser Weise auffaßt.
33Wenn dann der Zeuge T nach einer derartigen Ankündigung beim Beklagten eintraf, so war bereits der Boden dafür bereitet, daß er als Vertreter der Schule der Kinder der Beklagten angesehen werden könnte. Seine Aussage, er besuche die Familie im Rahmen "der Schulaktion", war ohne weiteres geeignet, den Beklagten davon ausgehen zu lassen, er habe einen Vertreter der Schule vor sich. Wenn der Zeuge, wie er ausgesagt hat, tatsächlich zusätzlich erklärt haben sollte, er sei "im Bereich der Medienberatung" tätig, so ändert das diese Beurteilung nicht; denn für den Beklagten war es mangels entsprechenden Verständnisses nicht möglich, diesen Begriff zum Anlaß zu nehmen, seine Vorstellung aufzugeben, er habe jemanden vor sich, der mit der Schule seiner Kinder zusammenarbeite.
34Die Aussage des Zeugen T zum Inhalt des Beratungsgespräches hat dem Gericht die Überzeugung vermittelt, daß dabei die angebliche Bedeutung des angebotenen Lexikons für die schulische Tätigkeit der Kinder des Beklagten derart in den Vordergrund gerückt wurde, daß der Beklagte davon ausgehen mußte, es handele sich um Bücher, die für die schulische Ausbildung seiner Kinder notwendig seien. Der Zeuge hat es in seiner Aussage vermieden, den Begriff "Lexikon" zu benutzen, sondern hat davon gesprochen, er habe "unser Produkt" präsentiert. Wenn dieses "Produkt" von ihm stets in den Zusammenhang der Schulausbildung der Kinder des Beklagten gestellt wurde und auch erläutert wurde, in welcher Weise sie sich "das Produkt" als unterstützende Leistung für bestimmte Schulfächer der Kinder dienen konnte, so mußte in dem Beklagten die Vorstellung hervorgerufen und gefestigt werden, bei dem "Produkt" handele es sich entweder um Schulbücher oder zumindest um Bücher, deren Benutzung die Schule den Kindern nahelege und die für die Schulausbildung wichtig seien. Daß dies auf ein 18-bändiges Lexikonwerk nicht zutrifft und in dem Beklagten als Vater von Haupt- oder Realschülern damit eine falsche Vorstellung geweckt wurde, bedarf keiner weiteren Erörterung. Somit wurde dem Beklagten durch den Zeugen T im Ergebnis vorgespiegelt, dieser arbeite mit der Schule der Kinder des Beklagen zusammen und biete von der Schule empfohlenes Lehrmaterial an, selbst wenn der Zeuge - was unterstellt werden kann - dies durch seine ausdrückliche Wortwahl zu keinem Zeitpunkt formuliert haben sollte. Entscheidend ist vielmehr, daß der Beklagte Beratung des Zeugen in der vorbeschriebenen Weise auffassen mußte. Es handelte sich darum um eine Täuschung im Sinne des § 123 BGB, die in dem Beklagten einen entsprechenden Irrtum hervorrief.
35Eine weitere Voraussetzung für die Anfechtbarkeit nach § 123 BGB ist das Vorliegen von "Arglist" bei dem Täuschenden. Dies fordert einen Täuschungswillen des Handelnden, der die Unrichtigkeit seiner Angaben kennen muß, wobei bedingter Vorsatz genügt. Diese Voraussetzung liegt hier vor.
36Wenn jemand einem Türken, der nur sehr gebrochen Deutsch spricht und dessen Kinder die Haupt- oder Realschule besuchen, ein 18-bändiges Lexikon verkauft, so spricht bereits die Lebenserfahrung dafür, daß dies nicht ohne manipulativen Eingriff in die Willensbildung des Käufers gelungen sein kann. Dies ist zweifellos auch dem Zeugen T bewußt. Seine gesamte Strategie, die nach seiner Aussage von der Zedentin entwickelt und von ihm übernommen worden ist, zielte darauf ab, durch Wortwahl und Argumentation ständig die schulischen Belange der Kinder des Beklagten in den Vordergrund zu rücken und durch Bezugnahme auf eine durchgeführte "Schulaktion" zu suggerieren, das von ihm angebotene "Produkt" gehöre zum notwendigen Bedarf der Schüler. Für das Gericht besteht kein Zweifel daran, daß hier bewußt und gewollt die Bereitschaft eines gutwilligen, aber völlig sachunkundigen Vaters, die schulische Ausbildung seiner Kinder - und nur diese - sachgerecht zu unterstützen, ausgenutzt wurde, um ihn zum Kauf eines zu diesem Zweck untauglichen umfangreichen Nachschlagewerks zu überreden. Die Tatsache, daß die Kinder des Beklagten als Haupt- oder Realschüler zur Erreichung ihres Schulzwecks keinerlei nennenswerten Nutzen aus einem 18-bändigen Nachschlagewerk ziehen können und daß dem Zeugen T dies bewußt war, steht für das Gericht ebenfalls außer Zweifel. Sein Verhalten war darum arglistig im Sinne des § 123 BGB.
37Ohne die Täuschung hätte der Beklagte das Nachschlagewerk mit absoluter Sicherheit nicht gekauft, so daß sie für den Vertragsabschluß durch den Beklagten ursächlich war. Somit sind sämtliche Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 123 BGB erfüllt. Nachdem der Beklagte die Anfechtung erklärt hat, ist der Vertrag nach § 142 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen. Für die Klägerin gibt es darum keine vertragliche Grundlage, die den von ihr erhobenen Anspruch stützen könnte, so daß die Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen war.
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