Urteil vom Amtsgericht Köln - 120 C 154/11
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz bzgl. eines Betrages in Höhe von 250,00 € seit dem 16.02.2010 und. bzgl. eines weiteren Betrages in Höhe von 150,00 € seit dem 15.03.2011 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gem. § 313 a ZPO abgesehen.
3Entscheidungsgründe:
4Die zulässige Klage ist begründet.
5Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch in Höhe von 400,00 € gem. Art. 7 Abs. 1 b) der EG-Verordnung Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 (europäische Fluggastrechtverordnung, im Folgenden: VO).
6Die Anwendbarkeit der VO ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 a), Abs. 2 VO.
7Unstreitig hatte der Flug von Köln/Bonn (20.12.2009) nach Moskau mehr als vier Stunden Verspätung. Planmäßige Abflugzeit war 10:20 Uhr; planmäßige Ankunftszeit 15:35 Uhr (Ortszeit). Tatsächlich ist die Maschine jedoch erst gegen 15:00 Uhr abgeflogen und um 19:49 Uhr (Ortszeit) gelandet.
8Die Entfernung Köln - Moskau beträgt mehr als 2000 km, weshalb Art. 7 Abs. 1 b) VO einschlägig ist.
9Das Gericht vermag der Ansicht der Beklagten, die Verordnung sehe einen Ausgleichsanspruch nur im Falle der Annullierung eines Fluges – nicht jedoch bei einer Verspätung – vor, nicht zu folgen. Das Gericht schließt sich vielmehr der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des EuGH und des BGH an, welche Ausgleichsleistungen gem. Art. 7 VO nicht nur bei Annullierungen von Flügen, sondern auch in den Fällen bejahen, in denen der Fluggast wegen des verspäteten Fluges sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreicht (EuGH NJW 2010, 43 ff.; BGH NJW 2010, 2281). Zwar ergibt sich aus dem Wortlaut der Verordnung nicht unmittelbar, dass den Fluggästen verspäteter Flüge ein solcher Anspruch zusteht. Jedoch sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Die Situation der Fluggäste verspäteter Flüge unterscheidet sich kaum von derjenigen der Fluggäste annullierter Flüge. Implizit wird dies durch das Ziel der Verordnung bestätigt. Denn aus den ersten vier Erwägungsgründen, insbesondere dem zweiten, der Verordnung ergibt sich, dass diese darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste unabhängig davon sicherzustellen, ob sie von einer Nichtbeförderung, einer Annullierung oder einer Verspätung eines Fluges betroffen sind, da sie alle von gleichen Ärgernissen und großen Unannehmlichkeiten betroffen sind (EuGH a.a.O.). Ausgangspunkt der Gleichbehandlung von Annullierungen und Verspätungen ist die vergleichbare Lage der Fluggäste und der ähnliche Schaden in Form eines Zeitverlustes. Aufgrund dessen ist auch die vom EuGH vorgenommene Analogie nicht rechtswidrig. Demzufolge stehen den Fluggästen, deren Flug annulliert wurde, und denjenigen, die von der Verspätung eines Fluges betroffen sind, im Hinblick auf die Anwendung des Art. 7 VO vorgesehenen Ausgleichsanspruchs gleiche Rechte zu (so auch AG Köln, Urteil vom 11.01.2012 – 141 C 73/11).
10Eine Überschreitung der Kompetenzen des EuGH vermag das hiesige Gericht nicht zu erkennen. Der EuGH hat innerhalb der Vorlagefrage des BGH gem. Vorlagebeschluss vom 17.07.2007 (NJW 2007, 3437) entschieden. Die Vorlagefrage des BGH war ihrem Wortlaut nach auf die Auslegung des Begriffs der Annullierung gerichtet. Sie zielte im Ergebnis erkennbar auf die Klärung ab, ob und wann eine zeitliche Verzögerung zu einer Entschädigung führen kann. Dies wird insbesondere aus den Gründen zu Ziff. 3 III 1 des Vorlagebeschlusses deutlich (so auch AG Köln a.a.O.).
11Eine Unwirksamkeit der Fluggastverordnung aufgrund der nunmehrigen Auslegung kann nicht angenommen werden. Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 19.11.2009 für Klarheit gesorgt. Der EuGH verkennt nicht, dass sich aus dem Wortlaut der VO kein unmittelbarer Anspruch von Fluggästen verspäteter Flüge auf Ausgleichsleistungen nach Art. 7 Abs. 1 VO entnehmen lässt. Der EuGH hat sich jedoch ausführlich damit auseinandergesetzt, inwieweit der Verordnung der Wille des Gemeinschaftsgesetzgebers zu Ausgleichsleistungen im Falle von Verspätungen zu entnehmen ist. U.a. hat er auf die Erwägungsgründe, den angestrebten Schutz der Fluggäste, den Grundsatz der Gleichbehandlung, den Zweck der Verordnung und ihre Funktion als Ausgleich der Interessen der Fluggäste und derjenigen der Luftfahrtunternehmen Bezug genommen (vgl. auch LG Landshut, Urt. vom 18.12.2009 – 12 S 1250/09, zitiert nach Juris).
12Für eine erneute Vorlage der Sache an den EuGH – wie von der Beklagten beantragt – sieht das Gericht keine Veranlassung. Der BGH hat dem EuGH die Streitsache zur Vorabentscheidung vorgelegt, weil er es nicht für zweifelsfrei gehalten hat, dass den Fluggästen eines verspäteten Fluges, wie er im Streitfall vorliegt, nach der Verordnung kein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zusteht. Durch das Urteil des EuGH vom 19.11.2009 sind diese Unklarheit hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts beseitigt worden (so auch AG Köln a.a.O.). Der vorliegende Rechtsstreit wirft keine relevanten neuen Auslegungsfragen auf, die das Gericht nicht ohne erneute Vorlage beantworten könnte.
13Auch die Aussetzung des Verfahrens gem. § 148 ZPO ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht angezeigt. Grds. handelt es sich bei der Frage, ob ein Verfahren ausgesetzt wird, um eine Ermessensentscheidung. Eine Ermessensreduzierung auf Null mit der Folge, dass eine Aussetzung zu erfolgen hätte, käme nur dann in Betracht, wenn man vorliegend eine Vorabentscheidung des EuGH gem. Art. 234 Abs. 2 EGV für erforderlich halten würde. Aus den vorgenannten Gründen erachtet das Gericht jedoch eine Vorabentscheidung nicht für notwendig. Hat aber das nationale Gericht keine Zweifel an der Auslegung des EG-Rechts entfällt nicht nur die Vorlagepflicht sondern auch die Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über ein bereits anhängiges Vorabentscheidungsersuchen (vgl. BGH NJW-RR 2004, 497).
14Des Weiteren bestehen keine Bedenken dahingehend, dass die Auslegung des EuGH nicht mit dem Montrealer Übereinkommen (im Folgenden: MÜ) vereinbar ist. Der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO ist nämlich generell - und damit auch in dem Anwendungsfall einer Verspätung nach Art. 6 VO - nicht als Schadensersatzanspruch im Sinne der Art. 19, 29 MÜ anzusehen. Ungeachtet der umstrittenen Rechtsnatur des verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 VO ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung hinreichend deutlich, dass die Verordnung die Schutzvorschriften des Montrealer Übereinkommens zwar ergänzt, jedoch beide Regelungswerke kein einheitliches Luftverkehrsrecht bilden, sondern mit unterschiedlich geregelten Ansprüchen nebeneinander stehen. (EuGH C-344/04, BGH Xa ZR 61/09).
15Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht gem. Art. 5 Abs. 3 VO exkulpieren. Gem. Art. 5 Abs. 3 VO ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gem. Art. 7 VO zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Vorliegend hat die Beklagte solche außergewöhnlichen Umstände nicht vorgetragen. Lediglich aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich, dass als Grund für die Verspätung angegeben wurde, dass aufgrund der kalten Außentemperaturen das Wasser im Wassertank der Maschine eingefroren sei und der Start erst erfolgen könne, nachdem das Wasser wieder aufgetaut sei. Ein außergewöhnlicher Umstand, der sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen können, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, kann hierin nicht gesehen werden. Das Auftreten niedriger Außentemperaturen, das gilt auch für Köln, ist bekannt. Dass für das Einfrieren des Wassertanks keine Präventivmaßnahmen geschaffen werden können, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat hierzu auch nichts weiter ausgeführt.
16Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB.
17Die Berufung war nicht zuzulassen. Die Rechtslage ist klar und eindeutig. Die von der Beklagten zitierten vereinzelten abweichenden Entscheidungen anderer Instanzgerichte und ausländischer Gerichte ändern hieran nichts.
18Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
19Streitwert: 400,00 €
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Referenzen
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