Urteil vom Amtsgericht Köln - 137 C 542/14
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 400,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen zu 58 % die Klägerin und zu 42 % der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt die Zahlung von Schadens- und Aufwendungsersatz hinsichtlich des Filmwerks „T. e. H.“.
3Die Klägerin behauptet, der Beklagte hätte am 28.01.2010 um 00:52:04 Uhr das vorgenannte Filmwerk zum Download angeboten. Dies sei fehlerfrei von der Firma I. Ltd. mithilfe des Programms „P“ ermittelt worden, wobei insgesamt 27 Rechtsverletzungen dokumentiert worden seien. Ferner sei der Beklagte mit Schreiben vom 26.05.2010 abgemahnt worden.
4Sie beantragt,
5den Beklagten zu verurteilen, an sie einen angemessenen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch insgesamt nicht weniger als 400,00 EUR betragen soll, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie
6den Beklagten zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 555,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
7Der Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Er behauptet, das Filmwerk sei ihm unbekannt und er habe dies auch nicht öffentlich zugänglich gemacht, wenngleich er – dies ist unstreitig – gelegentlich Peer-to-Peer-Netzwerke nutzt. Ferner beruft er sich auf die Einrede der Verjährung.
10Die Rüge der Bevollmächtigung hat die Beklagtenseite im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht weiter aufrecht erhalten.
11Entscheidungsgründe
12Die zulässige Klage hat in der Sache teilweise Erfolg.
13I. Anspruch auf Lizenzschadensersatz
14Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz nach Maßgabe der §§ 97 Abs. 2 S. 1 i.V.m. 19a UrhG.
15Die Klägerin ist nach unstreitigem Vortrag aktivlegitimiert für die Liquidierung von lizenzanalogen Schadensersatzansprüchen.
16Ferner steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass von dem Anschluss des Beklagten illegales Filesharing in Form eines öffentlichen Zugänglichmachens (§ 19a UrhG) des hier streitgegenständlichen Films am 28.01.2010 um 00:52:04 Uhr erfolgt ist. Soweit der Beklagte vorträgt, er habe zwar gelegentlich ein Peer-to-Peer-Netzwerk genutzt, nicht aber den streitgegenständlichen Film angeboten, ist dieses Vorbringen unbeachtlich. Denn das pauschale Bestreiten genügt nicht, zumal klägerseits substantiiert vorgetragen wurde, dass in dem Zeitraum vom 18.01.2010 bis zum 05.02.2010 insgesamt 27 Mal Rechtsverletzungen ermittelt wurden, die auf den Anschluss des Beklagten zurückgeführt werden könnten. Angesichts der vielfachen Ermittlungen von mehreren verschiedenen dynamischen IP-Adressen in einem engen zeitlichen Zusammenhang steht die Begehung der Rechtsverstöße fest. Das Gericht schließt sich hierbei den Ausführungen des OLG Köln (MMR 2012, 549) an, dass in einem derartigen Falle eine Fehlermittlung so fern liegt, dass „Zweifel an der Richtigkeit der Anschlussidentifizierung schweigen“.
17In diesem Kontext verfangen auch die pauschalen Erwägungen des Beklagten, dass bei dem Betrieb von Peer-to-Peer-Netzwerken es vorkommen kann, dass Dateien mit verändertem Namen zum Download angeboten werden, deren Namen und Dateibezeichnung verfälscht sind, nicht. Hier gilt es zunächst zu berücksichtigen, dass die klägerseits ermittelte Datei den Filmnamen im Dateinamen trägt – wobei dem zumindest indizielle Bedeutung zukommt –, vom Dateityp her es sich um eine Videodatei (xvid) handelt und auch die Dateigröße mit knapp 1,5 GB einer Datei zuzuordnen ist, die einen Film beinhalten kann. Maßgeblich ist zudem, dass sich die Beklagtenseite nicht mit dem klägerseitigen Vortrag zu einem Abgleich der Dateien auseinandersetzt.
18Steht demnach fest, dass über den Internetanschluss des Beklagten Urheberrechtsverletzungen begangen wurden, streitet gegen ihn die tatsächliche Vermutung für die Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers (grundlegend dazu BGH, Urt. v. 12.05.2010, Az. I ZR 121/08, Rn. 12 – zitiert nach juris [„Sommer unseres Lebens“]). Der Anwendungsbereich der tatsächlichen Vermutung ist zwar nicht eröffnet, wenn etwa auch Dritte Zugriff auf den Internetanschluss hatten. Derartiges wurde von Beklagtenseite indes nicht vorgetragen, sodass aufgrund der tatsächlichen Vermutung von einer Täterschaft des Beklagten auszugehen ist.
19Im Übrigen ist dem Beklagten jedenfalls Fahrlässigkeit in Bezug auf ein öffentliches Zugänglichmachen vorzuwerfen, zumal es ihm oblegen hätte, bei – unstreitiger – Nutzung von Peer-to-Peer-Netzwerken sicherzustellen, dass eine Verbreitung von urheberrechtlich geschütztem Material nicht vorgenommen wird.
20Im Hinblick auf die Höhe des Anspruchs auf Lizenzschadensersatz gilt Folgendes:
21Die Schadenshöhe unterliegt unter Einbezug von § 287 ZPO der richterlichen Schätzung, wobei die Klägerin nach Maßgabe des § 97 Abs. 2 S. 3 UrhG den Ersatzanspruch nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie berechnen kann, sprich: der Klägerin steht die Lizenzgebühr zu, die vernünftige Parteien bei Abschluss eines fiktiven Lizenzvertrages in Kenntnis der wahren Rechtslage und der konkreten Umstände des Einzelfalls als angemessene Gebühr vereinbart hätten. Wenngleich dafür grundsätzlich auf die Lizenzierungspraxis des Rechteinhabers abzustellen ist, so ist hier indes zu berücksichtigen, dass die konkrete streitgegenständliche Nutzungsart in Form eines Bereitstellens der Film-Datei in einer Tauschbörse klägerseits nicht lizenziert wird.
22Insoweit obliegt es der richterlichen Schätzung, einen angemessenen lizenzanalogen Schadensersatz zu beziffern. Im Wege der Schätzung ist hierbei zu berücksichtigen, dass die Zahl möglicher Tauschbörsenteilnehmer wie auch die Anzahl der Downloads nicht kontrollierbar sind und zudem, dass in einem Zeitraum vom 18.01.2010 bis zum 05.02.2010 insgesamt 27 Mal Rechtsverletzungen klägerseits festgestellt werden konnten. Hinsichtlich letzterem ist festzustellen, dass die Zeitdauer der Verletzungshandlung bei der Bemessung des lizenzanalogen Schadensersatzes eine nicht untergeordnete Rolle spielt. Umgekehrt ist zu beachten, dass es sich bei dem Beklagten um eine natürliche Person handelt und dieser durch das urheberrechtswidrige öffentliche Zugänglichmachen keine Einkünfte erzielt hat.
23Insoweit hält das Gericht die klägerseits als Mindestbetrag veranschlagten 400,00 EUR für angemessen, aber auch ausreichend.
24Im Übrigen steht dem Anspruch auf lizenzanalogen Schadensersatz auch nicht die Einrede der Verjährung entgegen. Denn nach Maßgabe der §§ 102 S. 2 UrhG i.V.m. 852 BGB ist der Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer Verletzung des Urheberechts entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt binnen zehn Jahren. Der Beklagte hat hier etwas auf Kosten der Klägerin erlangt i.S.d. § 102 S. 2 UrhG, denn der Beklagte hat durch das Anbieten des Filmes zum Download in den Zuweisungsgehalt des klägerischen Verwertungsrechts eingegriffen und damit auf Kosten der Klägerin den Gebrauch dieses Rechtes ohne rechtlichen Grund erlangt (BGH, Urt. v. 27.10.2011, Az. I ZR 175/10 – „Bochumer Weihnachtsmarkt“). Ob der Beklagte dies beabsichtigte oder es sich bei dem öffentlichen Zugänglichmachen der Film-Datei i.S.d. § 19a UrhG um einen bloßen Reflex handelt, ist in diesem Kontext unerheblich. Denn in Anlehnung an das „etwas erlangte“ i.S.d. § 812 BGB ist dies nicht entscheidend, zumal diese Tatbestandsvoraussetzung allein an etwas Tatsächliches anknüpft und nicht ein entsprechendes Bewusstsein verlangt.
25Der Anspruch auf Zinsen folgt aus §§ 288, 291 BGB.
26II. Anspruch auf die Rechtsanwaltskosten
27Indes hat die Klägerin gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Aufwendungsersatz gemäß § 97a Abs. 1 S. 2 UrhG a.F. bzw. §§ 683, 670 BGB. Insoweit besteht auch kein Anspruch auf die bezüglich dieser Forderung geltend gemachten Zinsen.
28Denn die zugrunde liegende Forderung ist mit Ablauf des Jahres 2013 verjährt. Entgegen der Auffassung der Klägerseite war der Mahnbescheid nicht geeignet, eine Hemmung der Verjährung zu bewirken. Denn der von der Klägerin erwirkte Mahnbescheid war mangels hinreichender Individualisierung zur Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht geeignet. Für eine Individualisierung ist es erforderlich, dass der geltend gemachte Anspruch dergestalt gekennzeichnet ist, dass dieser Grundlage eines rechtskraftfähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Antragsgegner die Beurteilung möglich ist, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will (dazu Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 690 Rn. 14 m.w.N. aus der Rspr.). Ob diesen Anforderungen Genüge getan wurde, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls – insbesondere dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des konkreten Anspruchs, wobei maßgeblich der Horizont des Antragsgegners ist (Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 690 Rn. 14). Aufgrund letzterem ist auch ein etwaiges „Sonderwissen“ des Antragsgegners – im Vergleich zu einem beliebigen Dritten – mitzuberücksichtigen (a.a.O.).
29Diesen Anforderungen genügt der Mahnbescheid nicht, wenn berücksichtigt wird, dass der Beklagte den Zugang der Abmahnung bestritten hat und weiter berücksichtigt wird, dass die – für den Zugang beweispflichtige – Klägerin keinen Beweis für den Zugang angetreten hat und damit beweisfällig geblieben ist.
30Zunächst ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht der Beklagte für einen „Nicht-Zugang“ der Abmahnung beweispflichtig. Soweit die Klägerin hierbei zur Untermauerung ihrer Auffassung auf eine Entscheidung des BGH (BGH GRUR 2007, 629 f.) Bezug nimmt, wird diese fehlerhaft gedeutet. Nach richtiger Lesart ist der Kontext zu berücksichtigen, in dem diese Entscheidung ergangen ist; nämlich im Rahmen der Frage, ob Raum für eine Entscheidung nach § 93 ZPO besteht. Denn für die Voraussetzungen, die die Anwendung des § 93 ZPO eröffnen, ist in der Tat der jeweils Beklagte beweispflichtig (siehe nur Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 93 Rn. 6 – Stichwort: Beweislast). Derartiges steht hier indes nicht in Frage, sodass es bei den allgemeinen Beweisregeln verbleibt und es der Klägerin oblag, den Zugang zu beweisen.
31Klägerseits wurde indes lediglich für die Versendung der Abmahnung Beweis angetreten. Ungeachtet der Frage, ob insoweit der pauschale Vortrag ausreicht und weiter ungeachtet dessen, ob ein tauglicher Beweis angetreten wurde, zumal es äußerst fern liegen dürfte, dass ein Rechtsanwalt das tatsächliche Versenden eines Briefes nachvollzogen hat, vermag das Gericht auch bei Wahrunterstellung des Versendens nicht daraus zu folgern, dass die Abmahnung tatsächlich zugegangen ist, zumal keine tatsächliche Vermutung angenommen werden kann, dass abgeschickte Briefe auch tatsächlich zugehen (dazu nur BVerfG, 15.05.1991, 1 BvR 1441/90).
32Insoweit verbleibt es dabei, dass prozessual zugrunde zu legen ist, dass dem Beklagten die Abmahnung nicht zugegangen ist und damit außerhalb des Mahnbescheids liegende Umstände nicht zu einer Individualisierung dessen herangezogen werden können. Dann aber fehlt es an einer Individualisierung, zumal für den Beklagten aus dem Mahnbescheid nicht ersichtlich wird, was Gegenstand der Forderung ist. Der bloße Verweis auf Rechtsanwaltskosten und Schadensersatz aus Lizenzanalogie „gem. Abmahnung […] vom 26.05.2010“ eröffnet jedenfalls dem Beklagten nicht die Beurteilungsmöglichkeit, sich gemäß der höchstrichterlichen Rechtsprechung darüber im Klaren werden zu können, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will, zumal der dem zugrunde liegende Lebenssachverhalt für den Beklagten im Dunkeln bleibt.
33Die verjährungshemmende Wirkung des Mahnbescheids ist im Übrigen auch nicht rückwirkend durch eine im Rechtsstreit nachgeholte Individualisierung eingetreten, zumal es für die Hemmung der Verjährung entscheidend auf die Zustellung des Mahnbescheids ankommt.
34Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
35Die Berufung war zuzulassen, da dem Abteilungsrichter keine Entscheidung des Landgerichts zu der Frage der Individualisierung bei bestrittenem Zugang der Abmahnung bekannt ist und dies in mehreren, derzeit rechtshängigen Fällen von Bedeutung ist.
36Streitwert: 955,60 EUR
37Rechtsbehelfsbelehrung:
38Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
39a) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
40b) wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
41Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Köln, Luxemburger Str. 101, 50939 Köln, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
42Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Köln zu begründen.
43Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Köln durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
44Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
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Referenzen
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