Urteil vom Amtsgericht Krefeld - 3 C 423/11
Tenor
1. Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.454,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.07.2010 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 70 % und der Beklagtezu 30 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin allerdings nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
1
Tatbestand
2Der Beklagte lebte bis zum 31.08.2007 unter der Anschrift Mstraße 00. Die Klägerin lieferte Strom.
3Zum 01.09.2007 bezog der Beklagte Räumlichkeiten auf dem Grundstück J Str. 000. Eigentümer des Grundstücks war der Architekt X. Ferner nutzten das Grundstück auch die Pächter E. und T., wobei die konkreten Verhältnisse zwischen den Parteien in den Einzelheiten streitig sind.
4Mit Rechnung vom 20.09.2007 (Bl. 85 f. d. GA) verlangte die Klägerin von T. Zahlung eines Betrags in Höhe von 78,66 EUR für den Abrechnungszeitraum vom 14.06.2007 bis zum 31.08.2007. In Ansatz gebracht wurde insoweit ein Verbrauch von 187 kWh nach Maßgabe des alten Zählerstandes (Messeinrichtung Nr. 185042, Stand alt: 195.999, Stand neu: 196.186, Ablesung Kunde).
5T. zog in der Mitte des Jahres 2008 aus.
6Am 18.06.2008 erstellte die Klägerin eine an den Beklagten adressierte Rechnung für den Zeitraum vom 01.09.2007 bis zum 10.06.2008 (unter Berücksichtigung von bereits geleisteten Zahlungen in Höhe von 385,00 EUR) 214,69 EUR in Rechnung (Bl. 47 f. d. GA). Ob diese Rechnung, mit welcher ein Verbrauch in Höhe von 1.793 kWh aufgrund einer Schätzung (Messeinrichtung Nr. 185042, Stand alt: 196.186, Stand neu: 197.979, geschätzt) in Ansatz gebracht wurde, dem Beklagten zuging, ist streitig. Jedenfalls erbrachte der Beklagte in der Folgezeit Zahlungen an die Klägerin.
7Am 02.02. und 18.02.2009 übermittelte die Klägerin T. jeweils eine Mahnung (Bl. 67 und 106 d. GA).
8Auf eine weitere Rechnung der Klägerin vom 16.06.2009 (Bl. 50 f. d. GA) erbrachte der Beklagte die geforderte Zahlung in Höhe von 131,01 EUR. Die vorgenannte Rechnung verhielt sich über den Abrechnungszeitraum vom 11.06.2008 bis zum 09.06.2009. Der Verbrauch (2.193 kWh) beruhte wiederum auf einer Schätzung (Messeinrichtung Nr. 185042, Stand alt: 197.979, Stand neu: 200.172, geschätzt).
9Mit Beschluss vom 19.08.2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet.
10Am 31.01.2010 las die Klägerin den Zählerstand ab.
11Am 15.06.2010 stellte die Klägerin dem Beklagten 1.505,67 EUR für den Zeitraum vom 10.06.2009 bis zum 18.08.2009 auf der Grundlage eines Verbrauchs von 6.691 kWh in Rechnung (Bl. 15 ff. d. GA). Die vorgenannte Forderung meldete sie zur Insolvenztabelle an.
12Mit der Klage macht die Klägerin einen Anspruch nach Maßgabe der weiteren Rechnung vom 16.06.2010 (Bl. 13 f. d. GA) für den Abrechnungszeitraum vom 19.08.2009 bis zum 31.01.2010 geltend. Diese Rechnung setzt sich wie folgt zusammen:
13Verbrauch:
14Zählerstand am 19.08.2009 (geschätzt): 206.863 kWh.
15Zählerstand am 31.01.2010 (abgelesen): 227.197 kWh.
16Verbrauchsmenge 19.08.2009 bis 31.12.2009 (geschätzt): 16.058 kWh.
17Verbrauchsmenge 01.01.2010 bis 31.01.2010 (geschätzt): 4.276 kWh.
18Gesamtverbrauchsmenge: 20.334 kWh.
19Preis pro kWh:
20Ab dem 19.08.2009 bis zum 31.12.2009: 0,1863 EUR.
21Ab dem 01.01.2010 bis zum 31.01.2010: 0,19436 EUR.
22„Leistungspreis“ und „Verrechnungspreis“: je 17,74 EUR.
23Gesamtforderung zzgl. Mehrwertsteuer: 4.591,22 EUR.
24Erbrachte Zahlungen bis zum 10.06.2010: 380,00 EUR.
25Restforderung: 4.211,22 EUR.
26Die Klägerin behauptet, dass sie ein Vertragsverhältnis mit dem Beklagten bereits im September 2007 begründet habe. Er habe sich am 18.09.2007 telefonisch gemeldet und hierauf eine Vertragsbestätigung vom 19.09.2007 (Bl. 37 f. d. GA, Zählerstand 196.186) erhalten. Lediglich in der Zeit vom 09.03.2007 bis zum 31.08.2007 habe sie T. über die Messeinrichtung Nr. 185042 versorgt. Auch E. sei vom 25.02.2004 bis zum 13.08.2009 mit Elektrizität versorgt worden, allerdings über die Messeinrichtung Nr. 185039.
27Am 10.06.2008 sei ihr der Zugang zur Messeinrichtung verweigert worden. Daher habe sie den Beklagten mit Schreiben vom 23.06.2008 aufgefordert, den Zählerstand selbst abzulesen (Bl. 52 d. GA). Der Beklagte sei dem nicht nachgekommen und habe auch keinen Termin vereinbart. Am 09.06.2009 habe sie erneut den Versuch unternommen, den Zählerstand durch Ablesung zu ermitteln. Auf die schriftliche Aufforderung, den Zählerstand selbst abzulesen, habe der Beklagte wiederum nicht reagiert. Schließlich sei der Zählerstand am 31.01.2010 zutreffend abgelesen worden.
28Die Klägerin beantragt,
29den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.211,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
30Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.07.2010 zu zahlen.
31Der Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Der Beklagte behauptet, mit T. beim Einzug die Vereinbarung getroffen zu haben, dass seine Wohnung über den Zähler von T. versorgt werde, wobei er im Gegenzug entweder an T. selbst oder auf dessen Kundenkonto eine monatliche Abschlagszahlung von 50,00 EUR habe erbringen sollen. Die Vertragsbestätigung vom 17.09.2007 habe er nicht erhalten. Zahlungen habe er auf das Kundenkonto von T. geleistet.
34Erst im Zusammenhang mit dem Auszug von T. habe er sich wohl bei der Klägerin gemeldet. Möglicherweise habe sie aber auch von T. über den Auszug informiert worden. Die erste Rechnung, die er erhalten habe, sei jedenfalls diejenige vom 16.06.2009.
35Die in Ansatz gebrachte Verbrauchsmengen könnten nicht zutreffen. Schließlich habe die Klägerin offenbar bereits im Jahre 2009 willkürlich verschiedene Personen für dieselben Forderungen haftbar gemacht.
36Das Gericht hat mit Beschlüssen vom 31.05.2012 (Bl. 75 ff. d. GA) und 29.11.2012 (Bl. 108 ff. d. GA) Hinweise erteilt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe
38Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
39I.
40Der Hauptanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 453 Abs. 1 BGB i. V. m. § 433 BGB.
411.
42Zwischen den Parteien ist ein Vertrag geschlossen worden.
43a)Gem. § 2 Abs. 2 StromGVV kann ein Versorgungsvertrag dadurch zu Stande kommen, dass Elektrizität aus dem Verteilungsnetz entnommen wird.
44Die vorgenannte Vorschrift wiederholt einen aus allgemeinen Erwägungen abgeleiteten Rechtsgrundsatz (vgl. OLG Köln, Urt. v. 16.12.2009 – 11 U 89/09, zitiert bei juris), welcher nach Auffassung des Gerichts nicht in Folge der Einführung des § 38 EnWG als überholt anzusehen ist (abweichend LG Frankfurt (Oder), Urt. v. 16.07.2010 – 6a S 108/09; s. demgegenüber aber die Revisionsentscheidung des BGH v. 06.07.2011 – VIII ZR 217/10, zitiert bei juris). Der Antrag (§ 145 BGB) besteht in der Zurverfügungstellung der Energie in Form einer Realofferte. Empfänger der im Leistungsangebot liegenden Realofferte ist der Grundstückseigentümer bzw. derjenige, der die Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt (vgl. BGH, Beschl. v. 15.01.2008 – VIII ZR 351/ß6, zitiert bei juris). Dies kann im Einzelfall auch der Mieter oder Pächter sein.
45Auf die Grundsätze der Realofferte kommt es allerdings dann nicht an, wenn – ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten – zwischen dem Mieter und dem Versorgungsunternehmen eigenständig eine Vereinbarung getroffen wird, wenn und soweit nur erkennbar bleibt, dass der Mieter selbst Vertragspartner und nicht lediglich Rechnungsempfänger zum Zwecke einer aus Vereinfachungsgründen praktizierten Direktabrechnung sein soll (vgl. BGH, Urt. v. 10.12.2008 – VIII ZR 293/07, zitiert bei juris).
46b)Die StromGVV findet vorliegend nach dem Klagevorbringen Anwendung. Soweit sich in der Vertragsbestätigung vom 19.09.2007 die Angabe „Gewerbe Eintarif“ findet, ergibt sich nichts anderes. Der Begriff des Haushaltskunden im Sinne von § 3 Nr. 22 EnWG reicht über Art. 2 Nr. 10 EltRL hinaus und erfasst auch Letztverbraucher, die Energie für den einen Jahresverbrauch von 10.000 Kilowattstunden nicht übersteigenden Eigenverbrauch für berufliche oder gewerbliche Zwecke kaufen. Jedenfalls in den Jahren 2007 bis 2009 standen derartige Verbrauchsmengen nicht in Rede. Soweit im Zeitraum ab dem 10.06.2009 ein extrem erhöhter Verbrauch in Ansatz gebracht worden ist, ist darauf zu verweisen, dass der Beklagte unstreitig lediglich für private Zwecke Strom beziehen wollte.
47c)Im Übrigen geht das Gericht davon aus, dass zwischen den Parteien unabhängig von den Grundsätzen der Realofferte eine Vereinbarung über den Strombezug zu Stande gekommen ist. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien bereits vor dem 31.08.2007 Kunde der Klägerin war und ihr auch das Ende des Verbrauchsbezugs unter der Anschrift Lookdyk 82 mitteilte. Daher konnte und musste der Beklagte zunächst damit rechnen, dass es im Grundsatz dem Willen der Klägerin entsprach, mit Mietern oder Pächtern eigenständige Vertragsverhältnisse einzugehen. Im Übrigen trägt der Beklagte selbst vor (Bl. 61 f. d. GA), dass er sich entweder selbst im Jahre 2008 bei der Klägerin gemeldet habe oder jedenfalls eine Abmeldung durch T. erfolgt sei. Auf der Grundlage dieses Vortrags, den sich die Klägerin stillschweigend hilfsweise zu Eigen gemacht hat, musste der Beklagte spätestens mit Erhalt der Rechnung vom 16.06.2009 (Bl. 71 d. GA) davon ausgehen, dass die Klägerin ein eigenständiges Vertragsverhältnis eingehen, ihn also nicht lediglich als Rechnungsempfänger ansehen wollte, zumal die vorgenannte Rechnung eine gegenüber dem bisherigen Vertragsverhältnis (Mstraße 00) unveränderte Kundennummer aufwies.
48Soweit der Beklagte geltend macht, dass auf Seiten der Klägerin offenbar Verwirrung über die Vertragsparteien bestanden habe, ergibt dies nichts anderes. Allerdings ist zuzugeben, dass es an jeder näheren Erwiderung der Klägerin fehlt, was die an T. gerichteten Mahnungen vom 18.02.2009 (Bl. 67 d. GA) und 18.02.2009 betrifft (105 d. GA). Diese beziehen sich bereits auf denjenigen Zeitraum, in welchem nach dem Klagevortrag bereits an den Beklagten geleistet worden sein soll. Überdies weisen die Rechnungen ausdrücklich den Eigentümer W. als Vertragspartner aus, also denjenigen, an den sich auch die Realofferte grundsätzlich richtet. Dies ist im Ausgangspunkt ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Klägerin den Beklagten sowie T. lediglich als Rechnungsempfänger behandeln wollte. Allerdings kommt es primär auf den objektiv erklärten Willen an. Nach den Umständen war dem Beklagten die Praxis der Klägerin, mehrere Personen in Anspruch zu nehmen, im maßgeblichen Zeitpunkt noch unbekannt. Gemessen daran musste er das Verhalten der Klägerin als Angebot zum Abschluss eines Vertrags verstehen.
49Nach alledem kommt es, was den Zeitpunkt des Vertragsschlusses betrifft, nicht darauf an, ob der Beklagte bereits im Jahre 2007 eine telefonische Anmeldung vornahm und hierauf die „Vertragsbestätigung“ vom 19.09.2007 erhielt.
502.
51Ferner ist der geltend gemachte Verbrauch dem Grunde nach auch der Verbrauchsstelle (Messeinrichtung Nr. 185042) zuzurechnen, hinsichtlich derer ein Vertrag zu Stande gekommen ist. Soweit der Beklagte darauf verweist, dass er nicht nachvollziehen könne, wer von der streitbefangenen Verbrauchsstelle Elektrizität bezogen habe (Bl. 103 d. GA), ergibt dies nichts anderes. Es kommt nicht darauf an, welche Personen den Verbrauch veranlasst haben, sondern vielmehr, dass dieser über diejenige Messeinrichtung erfolgte, auf welche sich der Vertrag der Parteien bezog.
523.
53Im Übrigen tritt der Beklagte – vorbehaltlich der Verbrauchshöhe – der Rechnung inhaltlich nicht entgegen. Gemessen daran besteht auch kein Anlass, im Einzelnen zu prüfen, ob die zum 01.01.2010 vorgenommene Preisänderung berechtigt war.
544.
55Allerdings ist das Gericht der Auffassung, dass es einem Energieversorgungsunternehmen im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens obliegen kann, die Stromverbrauchsmenge zum Stichtag der Verfahrenseröffnung abzulesen. Unterlässt das Unternehmen diese Ablesung, und stellt sich im Nachhinein heraus, dass zwischenzeitliche, im Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Schätzungen unrichtig waren, so ist es nicht ausnahmslos befugt, die nachträglich ermittelte erhöhte Verbrauchsmenge – etwa unter Verweis auf § 11 StromGVV – allein für den Zeitraum nach Verfahrenseröffnung in Ansatz zu bringen. Vielmehr ist jedenfalls dann, wenn die ernsthafte Möglichkeit einer offensichtlichen „Verlagerung“ von Insolvenzforderungen in die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht, eine entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 1 StromGVV gerechtfertigt. Dies führt vorliegend dazu, die Klägerin auf den aus dem Tenor ersichtlichen Betrag zu verweisen. Im Einzelnen:
56a)Am 19.08.2009 das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet worden. Den Gegenleistungsanspruch für die bis zum 18.08.2009 laut der Rechnung vom 16.06.2010 (Bl. 15 d. GA) in Ansatz gebrachten Verbrauchsmengen hat die Klägerin als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle angemeldet. Hinsichtlich der streitgegenständlichen Rechnung für den Zeitraum vom 19.08.2009 bis zum 31.01.2010 (Bl. 13 ff. d. GA) macht die Klägerin hingegen geltend, dass diese sich gegen das insolvenzfreie Vermögen richte.
57aa)Gem. § 38 InsO – auch anwendbar im hier maßgeblichen Verfahren gem. §§ 304 ff. InsO – sind Insolvenzgläubiger diejenigen persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Entscheidend ist mithin, zwischen vor und nach Verfahrenseröffnung begründeten Ansprüchen zu unterscheiden.
58(1)Bei sog. wiederkehrenden Ansprüchen ist folgende Differenzierung angezeigt: Ergeben sich die Ansprüche aus einem einheitlichen Stammrecht (so etwa betriebliche Rentenansprüche von Arbeitnehmern), handelt es sich insgesamt um Insolvenzforderungen (Uhlenbruck/Sinz InsO § 38 Rn. 58). Anders liegt es, wenn der Grund der Forderung als Gegenleistung für künftige Leistungen des anderen Teils stets neu zur Entstehung gelangt. In diesem Fall sind nach Verfahrenseröffnung entstehende Ansprüche entweder Masseverbindlichkeiten oder Neuverbindlichkeiten, je nachdem, ob das Schuldverhältnis mit der Masse oder mit dem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners fortgesetzt wird (MüKO/Ehricke InsO § 38 Rn. 19 und 22).
59(2)Ansprüche aus Energielieferungsverträgen sind als Einzelansprüche aus einem Wiederkehrschuldverhältnis anzusehen (vgl. Uhlenbruck/Sinz InsO § 38 Rn. 59; s. aber auch BGH NJW 1982, 2196, 2197). Bei Forderungen, die auf Lieferungen bis zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung beruhen, handelt es sich daher um Insolvenzforderungen. Ansprüche aus späteren Lieferungen sind entweder Masseverbindlichkeiten (vgl. zu § 105 InsO LG Rostock, Urt. v. 26.09.2007 – 4 O 235/07, zitiert bei juris) oder Neuverbindlichkeiten, die sich allein und unmittelbar gegen den Schuldner richten (vgl. Uhlenbruck/Sinz InsO § 38 Rn. 59).
60bb)Nach den vorstehenden Ausführungen ist das Vorgehen der Klägerin im Ausgangspunkt zutreffend. Die streitgegenständliche Rechnung verhält sich ausschließlich zum Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Ferner sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Treuhänder gem. § 313 Abs. 1 S. 1 InsO i. V. m. § 103 InsO Erfüllung gewählt hat (vgl. zur Erfüllungswahl BGH a. a. O.). Die Klageforderung stellt nach dem Klagevorbringen weder eine Masse- noch eine Insolvenzverbindlichkeit dar; vielmehr macht die Klägerin eine Neuverbindlichkeit geltend.
61b)Ungeachtet dessen ist das Gericht der Auffassung, dass die Klägerin aus insolvenzrechtlichen Gründen jedenfalls in diesem Einzelfall gehindert ist, auf die Schätzungen vom 09.06.2010 bzw. 18.08.2010 zu verweisen und ihre Forderungen überwiegend für den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Ansatz zu bringen.
62aa)Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es sich bei der unter Einhaltung der Voraussetzungen des § 11 StromGVV vorgenommenen Schätzung um eine zulässige Berechnungsmethode handelt (vgl. zu § 20 Abs. 2 AVBEltV OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.01.2009 – 3 U 28/08, zitiert bei juris). Selbst dann, wenn die Voraussetzungen für eine Schätzung nicht vorgelegen haben sollten, kehrt sich dieser Vorgang nicht in einen Berechnungsfehler um, sondern berechtigt den Kunden nur dazu, die Unzulässigkeit der Schätzung geltend zu machen. Ein eventueller Verstoß hat daher keine Sanktionswirkung zur Folge (vgl. OLG Düsseldorf a. a. O.).
63bb)Der Umstand, dass es sich bei der Schätzung um eine zulässige Berechnungsmethode handelt, besagt allerdings nicht, dass der von der (zulässigen) Schätzung betroffene Abrechnungszeitraum auch insolvenzrechtlich ausnahmslos abgeschlossen ist. Diese Annahme liefe darauf hinaus, dass das Energieversorgungsunternehmen im Fall der Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter selbst dann Befriedigung aus der Masse erlangen könnte, wenn auf der Hand liegen sollte, dass die Forderungen zu einem namhaften Teil auf Lieferungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhen. Zu rechtfertigen ist eine solche Privilegierung nach Auffassung des Gerichts nicht. Dies gilt nach dem Rechtsgedanken der §§ 1 S. 2, 286 ff. InsO auch dann, wenn der Schuldner die Schätzung selbst zu vertreten hat und zudem – wie vorliegend – die Erfüllungswahl unterbleibt.
64cc)Der Klägerin ist allerdings zuzugeben, dass § 17 Abs. 1 StromGVV für die Versorgung im Anwendungsbereich der StromGVV vorsieht, dass Einwände gegen Rechnungen gegenüber dem Grundversorger zum Zahlungsaufschub nur berechtigen, soweit (Nr. 1) die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtliches Fehlers besteht oder (Nr. 2) sofern der in einer Rechnung angegebene Verbrauch ohne ersichtlichen Grund mehr als doppelt so hoch wie der vergleichbare Verbrauch im vorherigen Abrechnungszeitraum ist und der Kunde eine Nachprüfung der Messeinrichtung verlangt und solange durch die Nachprüfung nicht die ordnungsgemäße Funktion des Messgeräts festgestellt ist.
65Der Bundesgerichtshof hat zur Vorgängervorschrift des § 30 AVBEltV ausgeführt, dass es diese Regelung den Versorgungsunternehmen ermögliche, ihre aus den Lieferverhältnissen resultierenden Entgeltforderungen ungeachtet eines Streits über Fehler bei der Verbrauchserfassung oder -berechnung mit einer vorläufig bindenden Wirkung festzusetzen und im Prozess ohne eine abschließende Beweisaufnahme über deren materielle Berechtigung durchzusetzen, sofern der Kunde nicht den Nachweis einer offensichtlichen Unrichtigkeit der geltend gemachten Forderung erbringe (vgl. Urt. v. 21.11.2012 – VIII ZR 17/12, zitiert bei juris). Gelinge dies dem Kunden nicht, sei er im Zahlungsprozess des Versorgungsunternehmens mit dem Einwand eines fehlerhaft abgerechneten Verbrauchs ausgeschlossen und darauf verwiesen, die von ihm vorläufig zu erbringenden Zahlungen in einem anschließend zu führenden Rückforderungsprozess in Höhe des nicht geschuldeten Betrages erstattet zu verlangen (vgl. BGH a. a. O).
66Ferner entspricht es zumindest Teilen der Rechtsprechung, dass etwaige Fehler bei der Verbrauchsermittlung nur unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StromGVV (und lediglich unter Verweis auf einen tatsächlich durch Ablesung ermittelten, also nicht geschätzten Verbrauch) zur Zahlungsverweigerung berechtigen. Aus dem Bestreiten der Richtigkeit des Stromverbrauchs könne nicht die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers abgeleitet werden (vgl. LG Duisburg, Urt. v. 29.06.2012 – 7 S 135/11, zitiert bei juris).
67dd)Ob sich aus der vorgenannten Rechtsprechung ergibt, dass auch ein Insolvenzverwalter, macht der Energieversorger unter Bezugnahme auf einen geschätzen Verbrauch Masseverbindlichkeiten geltend, im Regelfall darauf zu verweisen ist, die von ihm vorläufig zu erbringenden Zahlungen in einem (riskanten) Rückforderungsprozess unter Verweis auf § 105 InsO mit der Begründung erstattet zu verlangen, dass es sich um Insolvenzforderungen gehandelt habe, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Dem Rechtsgedanken des § 17 StromGVV ist unter Berücksichtigung der aufgezeigten insolvenzrechtlichen Besonderheiten jedenfalls zu entnehmen, dass ein Leistungsverweigerungsrecht insoweit besteht, als die ernsthafte Möglichkeit einer offensichtlichen „Verlagerung“ von Forderungen in den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens dargelegt und ggf. bewiesen wird. Hiervon geht das Gericht im Streitfall aus.
68(1)
69Trotz ausdrücklichen gerichtlichen Hinweises (Bl. 113 d. GA) hat die Klägerin auch mit ihrem Schriftsatz vom 14.12.2012 (Bl. 119 f. d. GA) nicht näher vorgetragen, wann das letzte Mal eine konkrete Ablesung (und nicht bloß der Versuch einer solchen) vorgenommen worden ist. Das Gericht hat lediglich der Rechnung vom 20.09.2007 entnehmen können, dass offenbar zum 31.08.2007 eine Selbstablesung durch T. durchgeführt wurde (Bl. 85 d. GA). Diese – mit Schriftsatz vom 21.11.2012 seitens des Beklagten bestrittene (Bl. 103 d. GA) – Ablesung führte zu einer Forderung der Klägerin wegen eines Verbrauchs in Höhe von 187 kWh im Abrechnungszeitraum vom 14.06.2007 bis zum 31.08.2007. Dies indiziert einen Jahresverbrauch von unter 1.000 kWh. Im vorausgegangenen – nicht weiter dargelegten – Abrechnungszeitraum belief sich der zu Lasten des T. in Ansatz gebrachte Verbrauch sogar nur auf 25 kWh (Bl. 85 d. GA). Ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Rechnung vom 18.06.2008 – deren Zugang der Beklagte bestreitet (Bl. 102 d. GA) – hat sie den Verbrauch sodann für den Zeitraum vom 01.09.2007 bis zum 10.06.2008 auf 1.793 kWh geschätzt (Bl. 47 ff. d. GA). Grundlage war insoweit der in der vorgelegten „Vertragsbestätigung“ vom 19.09.2007 genannte Ausgangszählerstand (Bl. 37 d. GA). Mit der weiteren Rechnung vom 16.06.2009 hat die Klägerin einen wiederum geschätzten Verbrauch von 2.193 kWh für die Zeit vom 11.06.2008 bis zum 09.06.2009 in Ansatz gebracht (Bl. 50 ff. d. GA). Demgegenüber soll ab dem 10.06.2009 ein extrem erhöhter Verbrauch abgerechnet werden. Allein bis zum Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (19.08.2009) werden 6.691 kWh in Ansatz gebracht. Hinsichtlich des dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Zeitraums (19.08.2009 bis zum 31.01.2010) geht die Klägerin von einem Verbrauch von 20.334 kWh aus.
70(2)
71Diesen Verbrauchsschwankungen entnimmt das Gericht, dass die ernsthafte Möglichkeit einer offenkundigen „Verlagerung“ von Insolvenzforderungen in die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht. Bei objektiver Betrachtung ist kein vernünftiger Zweifel möglich. Die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 14.12.2010 (Bl. 120 f. d. GA) ergeben nichts anderes, da sie sich allein auf den aufgrund einer Schätzung zum 09.06.2009 in Ansatz gebrachten Verbrauch bis zum 31.01.2010 beziehen.
72ee)Allerdings kann die Klage aus den vorstehenden Gründen nicht vollständig abgewiesen werden. Vielmehr ist der Klägerin nach Maßgabe der Ausführungen zum Vergleichsvorschlag im Hinweisbeschluss vom 29.11.2012 (Bl. 114 d. GA) ein anteiliger Betrag zuzusprechen. Es liegt auf der Hand, dass auch nach dem 19.08.2009 noch Strom verbraucht worden ist. Gemessen daran und mit Blick auf den Wortlaut des § 17 StromGVV („soweit“) hält es das Gericht für angezeigt, in entsprechender Anwendung des § 287 Abs. 2 ZPO einen Betrag zu schätzen, hinsichtlich dessen es im Zweifel an der ernsthaften Möglichkeit einer „Verlagerung“ von Insolvenzverbindlichkeiten in die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fehlt.
73Dabei ist von dem Zählerstand gemäß der Rechnung vom 20.09.2007 auszugehen (Bl. 85 d. GA). Das Gericht ist zwar nicht der Auffassung, dass mit der widerspruchslosen Hinnahme eines in einer Rechnung oder Vertragsbestätigung mitgeteilten Ausgangszählerstands dieser vertraglich verbindlich festgelegt wird. Allerdings trifft den Beklagten nach Auffassung des Gerichts mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a. a. O.) die Beweislast für eine anfängliche Unrichtigkeit des Zählerstands, soweit er eine unzulässige „Verlagerung“ von Insolvenzforderungen geltend macht. Er hat jedoch lediglich den Zugang der Vertragsbestätigung und die Richtigkeit des Ausgangszählerstands vom 01.07.2007 bestritten (Bl. 102 f. d. GA). Soweit er ferner unter Beweisantritt behauptet hat, dass ihm T. mitgeteilt habe, dass eine Ablesung seit Jahren nicht mehr stattgefunden habe (Bl. 33 d. GA), bezog sich dieses Vorbringen bei verständiger Würdigung allein auf die zwischen den Parteien unstreitige Tatsache, dass Mitarbeiter der Klägerin jedenfalls ab dem Jahre 2007 keine Ablesungen vorgenommen haben.
74Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend, soweit der Beklagte die Richtigkeit des Ergebnisses der Ablesung vom 31.01.2010 bestreitet (Bl. 102 d. GA).
75Im Übrigen wird auf die Berechnung im Hinweisbeschluss vom 29.11.2012 Bezug genommen (Bl. 114 f. d. GA). Nach alledem ist der Beklagte nur insoweit zur Verweigerung der Leistung berechtigt, als die Klägerin einen 1.454,13 EUR übersteigenden Betrag geltend macht.
76II.
77Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB.
78III.
79Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
80Streitwert: 4.211,22 EUR.
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