Urteil vom Amtsgericht Lemgo - 7 F 124/08
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
1
Tatbestand:
2Die Parteien haben am 01.06.1994 geheiratet. Aus ihrer Ehe sind die Kinder pp. geboren am 26.08.1996 und pp., geboren am 15.08.1995 hervorgegangen. pp. besucht das E-Gymnasium in X, während pp. zur B-Realschule geht. Die Beklagte ist berufstätig. Sie erzielt nach eigenen Angaben ein durchschnittliches Nettoeinkommen von ca. 970 (. Sie arbeitet 5 Stunden pro Tag und steht ab ca. 13.30 Uhr den Kindern zur Betreuung wieder zur Verfügung.
3Der Kläger arbeitete zum Zeitpunkt der Scheidung bei der Firma pp.. Die Beklagte war ebenfalls bereits teilschichtig erwerbstätig. Im Rahmen des Verfahrens Amtsgericht Lemgo 8 F 99/02 wurde neben dem Kindesunterhalt auch der nacheheliche Unterhalt geregelt. Das Gericht hat den nachehelichen Unterhalt auf eine Gesamthöhe von 377 ( festgelegt, davon entfallen 309 ( auf den Elementarunterhalt und 68 ( auf den Altersvorsorgeunterhalt. Wegen des weiteren Inhalts der Berechnung wird auf das Urteil im Verfahren Amtsgericht Lemgo 8 F 99/2 vom 26.6.2003 Bezug genommen.
4Der Kläger begehrt nunmehr die Abänderung des bestehenden Unterhaltstitels im Hinblick auf den nachehelichen Unterhalt und verweist hierzu auf die neue Gesetzeslage nach dem Unterhaltsänderungsgesetz, welches am 01.01.2008 in Kraft getreten ist. Danach sei zu berücksichtigen, dass bei dem Lebensalter der Kinder die Beklagte eine vollschichtige Erwerbstätigkeit ausüben müsse. Im Hinblick auf die kurze Ehedauer könne auch kein Vertrauenstatbestand für weiteren Unterhalt mehr geltend gemacht werden. Nunmehr müsse die Beklagte selbst für ihren Unterhalt aufkommen. Ehebedingte Nachteile im Sinne des § 1578 b BGB lägen auch nicht mehr vor. Durch eigene Erwerbsleistung würde sie nunmehr ihren ehebedingten Unterhaltsbedarf vollends selbst decken.
5Darüber hinaus sei die Beklagte - insoweit unstreitig - Eigentümerin ihres Elternhauses (pp.). Auch hier könne sie einen geldwerten Nutzungsvorteil von 400 ( monatlich mindestens erzielen.
6Vor diesem Hintergrund sei deshalb insgesamt die Zahlung von nachehelichem Unterhalt nicht mehr gerechtfertigt.
7Der Kläger beantragt,
8die Unterhaltsverpflichtung des Klägers aus dem Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Amtsgerichts Lemgo vom 26.06.2003 (8 F 99/02) dahingehend abzuändern, dass er mit Wirkung ab 01.03.2008 nicht mehr zur Zahlung von Scheidungsunterhalt an die Beklagte verpflichtet ist.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie ist der Auffassung, dass sie ihre bisherige Erwerbstätigkeit nicht weiter ausdehnen müsse. Sie habe aufgrund des angespannten Verhältnisses zu ihrem bisherigen Arbeitgeber die Stelle gewechselt und verdiene jetzt etwas weniger, nämlich 970 ( im Monat. Sowohl das Kindeswohl als auch elternbezogene Gründe würden hier dazu führen, dass der Unterhalt weiter gezahlt werden müsse. So sei bei pp. festzustellen, dass er häufig unter Migräneattacken leide. Deshalb bedürfe pp. der besonderen Unterstützung und Betreuung. Diese sei in der Schule nicht gewährleistet. Auch pp. müsse unterstützt werden. Deswegen komme für die Beklagte eine vollschichtige Erwerbstätigkeit im Hinblick auf das Kindeswohl nicht in Betracht.
12Da die Kinder weiterhin betreut werden müssten, komme auch eine Befristung des nachehelichen Unterhalts derzeit nicht in Betracht, sodass auch keine Abänderung aus diesem Grunde zu erfolgen habe. Im Übrigen hätten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht so geändert, dass allein Aufgrund der Einkommensverhältnisse eine Abänderung zu erfolgen habe.
13Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage ist unbegründet.
16Die Voraussetzungen für eine Abänderung nach §§ 323 ZPO, 36 Nr. 1 EGZPO liegen nicht vor.
17Der Kläger kann - trotz des neuen Unterhaltsrechts - keine Abänderung des bestehenden Unterhaltstitels verlangen, weil noch weiterhin Anspruch auf Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 BGB besteht.
18Soweit die Parteien in rechtlicher Hinsicht darüber streitigen, in welchem Umfange hier eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit zu erfolgen hat, hat das Gericht folgende Auffassung. Grundsätzlich sehen die Hammer Leitlinien § 17.1.1. ein sogenanntes modifiziertes Altersphasenmodell vor. Dieses Altersphasenmodell wird allerdings von der Rechtsprechung erheblich kritisiert (vgl. OLG Düsseldorf, ZFE 2008, 273; OLG Celle, ZFE 2008, 275). Auch der 2. Familiensenat des Oberlandesgerichts Hamm ist in seiner Entscheidung vom 06.03.2008 offensichtlich von diesem Altersphasenmodell abgewichen (NJW 2008, 2249 ff. mit Anmerkung Born). Ob dieses Altersphasenmodell denn nun noch Grundlage der Rechtsprechung der Familiensenate beim Oberlandesgericht Hamm ist, kann naturgemäß hier nicht abschließend beurteilt werden. Es sind sicherlich Zweifel anzumelden. Gleichwohl führt der Abschied von dem Altersphasenmodell nicht dazu, dass nunmehr der Unterhalt ersatzlos für die Beklagte wegfällt. Im Hinblick auf die spezifische Situation der beiden Kinder ist das Gericht der Auffassung, dass hier weiter Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB geschuldet wird.
19Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 16.07.2008 - XII ZR 109/05 NJW 2008, 3125 ff. § 1570 BGB näher präzisiert und erläutert. Er verweist auf den Gleichklang zu § 1615 l BGB. Danach kommen nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB Betreuungsunterhalt aufgrund kindbezogener Gründe in Betracht und nach § 1570 Abs. 2 BGB Betreuungsunterhalt bei elternbezogenen Gründen. Das Gericht nimmt hier sowohl kindbezogene als auch elternbezogene Gründe an.
20Es muss berücksichtigt werden, dass es in Lemgo kein ausreichendes Betreuungsangebot für ältere Kinder im Rahmen der Schule gibt. Regulär endet der Unterricht nach wie vor um 13.00 Uhr. Keine der Lemgoer Schulen verfügt derzeit über eine Mensa. Einige Schulen bieten dann ein aufgewärmtes Mittagessen an, das man über einen Cateringservice bekommen kann. Dies gilt insbesondere für das E-Gynmasium, welches pp. besucht. Allenfalls die Erstellung der Hausarbeiten wird nachmittags von Honorarkräften überwacht. Dies ist aber nicht ansatzweise vergleichbar mit der Betreuung im Elternhaus. Nun geht es nicht darum, eigene Vorstellungen des Gerichts über die Versorgung von Kindern zum Maßstab zu machen. Es ist sicherlich nicht zu übersehen, dass der Gesetzgeber die Erwerbsobliegenheiten deutlich erhöht hat. Aus Sicht des Gerichts kommt die Beklagte aber derzeit diesen Erwerbsobliegenheiten in vollem Umfange nach. Sie arbeitet bis ca. 13.00 Uhr und trifft mit ihren Kindern gegen 13.30 Uhr zu Hause ein. Dann widmet sie sich den Kindern. Es ist nunmal eine nicht wegzudiskutierende Tatsache, dass Kinder der Unterstützung des Elternhauses bedürfen, um den Anforderungen, insbesondere durch die Neuorganisation im Schulbereich, wie dem sogenannten G8-Modell für Gymnasien, gerecht zu werden. Darüber hinaus ist zu sehen, dass die Beklagte zwei Kinder zu betreuen hat. Auch dieses erfordert höhere Anforderungen. Es treten naturgemäß spezifische Belastungssituationen auf, die sich so nicht stellen würden, wenn die Beklagte nur ein Einzelkind betreuen müsste. Dann müsste der Sachverhalt möglicherweise rechtlich anders beurteilt werden.
21Das Gericht will abschließend noch einmal betonen, dass es nicht darum geht, ein Altersphasenmodell - in welcher modifizierten Form auch immer - aufrecht zu erhalten und allein aufgrund des Alters Rückschlüsse auf den Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB zu ziehen. Die konkrete Situation der beiden Kinder vor Ort in Lemgo ist aber zu bewerten. Es hilft auch nicht weiter, dass möglicherweise das Betreuungsangebot für Kinder in Großstädten von NRW wie Dortmund besser ist und dort eine andere Möglichkeit der Betreuung stattfinden kann. Das neue Unterhaltsrecht will ja nun gerade eine schematische und undifferenzierte Sicht auf die konkrete Situation verhindern.
22Die Beklage ist auch nicht darauf zu verweisen, dass möglicherweise ihre Eltern für die Betreuung zur Verfügung stehen. Die Beklagte verweist in diesem Rahmen zu Recht darauf, dass sich auch der Kläger insoweit einbringen könnte.
23Dem Gericht sind jedenfalls Alternativbetreuungsmöglichkeiten außerhalb der Schule für ältere Kinder in Lemgo nicht weiter bekannt. Deshalb muss festgehalten werden, dass Kinder und Jugendliche in dem Alter, wie es pp. und pp. sind, weiterhin der Unterstützung und Betreuung eines Elternteils in den Nachmittagsstunden konkret bedürfen. Allein abstrakte Überlegungen, welchen mutmaßlichen Willen der Gesetzgeber im Rahmen der Unterhaltsrechtsreform hatte, helfen zur Lösung der praktischen Frage nicht weiter.
24Das Gericht nimmt keine Befristung des Unterhaltsanspruchs auf der Grundlage von § 1578 b BGB vor. Nach den Angaben des Prozessbevollmächtigen des Klägers im Termin soll hier ja schon eine gefestigte Rechtsprechung des OLG Hamm existieren.
25Ob überhaupt im Rahmen des Betreuungsunterhalts nach § 1570 BGB eine Befristung in Betracht kommt, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls kann das Gericht nicht feststellen, dass sich in absehbarer Zeit die Betreuungssituation für die beiden Kinder entscheidend verändert. Aus diesem Grunde kommt für das Gericht auch unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung zu § 1578 b BGB eine Befristung nicht in Betracht. In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass diese Rechtsprechung – soweit sie durch das Gericht durch veröffentliche Entscheidungen verfolgt werden kann- insbesondere zum Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB ergangen ist. Sie lässt sich nicht ohne Weiteres auf den hier zu entscheidenden Fall übertragen. Insoweit kann das Gericht aus der Entscheidung des OLG Hamm FamRZ 2008, 1000 – der wohl bisher einzigen veröffentlichten Entscheidung zu § 1578 b BGB - auch keine Rückschlüsse auf den hier zu entscheidenden Fall ziehen. Die Entscheidung des OLG Hamm vom 05.02.2008, 1 WF 22/08, FamRZ 2008, 1000 bezieht sich allein auf den Aufstockungsunterhalt und die Problematik des Vertrauensschutzes nach § 36 EGZPO. Soweit das Gericht diese Gerichtsentscheidung, die im Rahmen eines PKH-Beschwerdeverfahrens ergangen ist, bewertet, hat das OLG Hamm hier unter Berücksichtigung des § 36 Nr. 1 EGZPO einen starken Vertrauensschutz entwickelt. Danach kam sogar erst ein Wegfall des Unterhalts in 2010 in Betracht. Wenn dies schon für den Aufstockungsunterhalt gilt, kommt bei dem Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB dem Vertrauensschutz eine besondere Bedeutung zu.
26Soweit die tatsächlichen Einkommensverhältnisse der Parteien hier anzusprechen sind, kann das Gericht derzeit nicht feststellen, dass allein aufgrund der derzeitigen Einkommen der Parteien eine Reduzierung des Unterhalts in Betracht kommt. Insoweit nimmt das Gericht auf die Ausführungen der Beklagten hierzu Bezug. Auch die Übertragung des elterlichen Hauses auf die Beklagte, die lange vor Ehescheidung erfolgte, führt hier zu keiner anderen Bewertung, denn es liegt schon keine neue Tatsche im Sinn von § 323 Abs. 2 ZPO vor. Es verbleibt also bei dem bisher titulierten Unterhalt. Eine Befristung wird nicht vorgenommen. Der Kläger ist als Unterhaltsverpflichteter insoweit auf die Möglichkeit einer Abänderungsklage nach § 323 ZPO zu verweisen.
27Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Referenzen
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