Beschluss vom Amtsgericht Leverkusen - 34 F 174/01
Tenor
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinschaftliche Kind X wird im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig dem beteiligten Vater übertragen. Der gleichlautende Eilantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Durch ein psychologisches Sachverständigengutachten soll Beweis dazu erhoben werden, welche Sorgerechtsregelung dem Wohl des betroffenen Kindes am meisten entspricht, und wie dann der Umgangskontakt mit dem unberücksichtigt gebliebenen Elternteil ausgestaltet werden kann. Die Eltern können binnen 10 Tagen einen aus ihrer Sicht geeigneten Sachverständigen vorschlagen.
Sobald das Gutachten vorliegt, wird neuer Termin von Amts wegen bestimmt, und danach in der Hauptsache abschließend entschieden.
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GRÜNDE
2Die Antragstellerin ist thailändische Staatsbürgerin, der Antragsgegner ist Deutscher. Am 31.7.1992 haben die Parteien geheiratet. Aus der Ehe der Parteien ist der X hervorgegangen. Seit 14. Oktober 2001 leben die Eheleute getrennt. X wohnt seitdem im Haushalt des Vaters, wie dieser behauptet mit Zustimmung der Mutter. Die Antragstellerin möchte mit dem vorliegenden Verfahren erreichen, dass der Junge in ihren Haushalt zurückgekehrt. Zur Begründung führt sie im einzelnen aus, dass sie den gemeinsamen Sohn in der Vergangenheit weit überwiegend tatsächlich versorgt habe. Es gebe keinen Grund, das nicht weiterzuführen. Der Vater möchte, dass der Sohn im Haushalt des Vaters bleibt. Er ist der Auffassung, X werde bei ihm besser gefördert. Seine berufliche Tätigkeit habe er inzwischen auf die Notwendigkeiten durch die Versorgung des Sohnes eingestellt. Beide Eltern haben gebeten, die bestehende gemeinsame elterliche Sorge teilweise aufzuheben, und ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht jeweils alleine zu übertragen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben sie dies weiter im einzelnen erläutert. Ferner ist der Junge angehört worden. Das zuständige Jugendamt hat Lösungsmöglichkeiten des bestehenden Konfliktes dargestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17.1.2002 verwiesen. Ein im Termin erarbeiteter Vergleich ist nicht zustande gekommen.
3Der Antrag des Antragsgegners, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Sohn X alleine zu übertragen, ist jedenfalls beim derzeitigen Sachstand begründet. Der Gegenantrag der Antragstellerin bleibt demgemäß gegenwärtig ohne Erfolg. Die in § 1671 Abs. 1 BGB vorgesehenen Grundvoraussetzungen für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge sind offenkundig gegeben Das \/erfahren betrifft ein gemeinschaftliches minderjähriges Kind der beteiligten Eltern. Diesen steht die elterliche Sorge für X gemeinsam zu, § 1626 BGB. Die Eltern leben nach ihren Erklärungen im Termin auch nicht nur vorübergehend getrennt. Beide haben dokumentiert, dass sie keine Möglichkeit sehen, bezüglich des Aufenthaltes für X die gemeinsame Elternsorge weiter auszuüben. Erkennbar wird die Konfliktlösung in der Alleinentscheidungsbefugnis eines von ihnen gesucht. Der nach § 1671 BGB erforderliche Antrag, die gemeinsame elterliche Sorge hinsichtlich des Aufenthialtsbestimmungsrechtes aufzulösen, ist in der Antragserwiderung des Antragsgegners vom 19.12.2001 ordnungsgemäß gestellt. Voraussetzung dafür, dem Antrag stattzugeben, ist nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB, dass die angestrebte Sorgerechtsregelung dem Kindeswohl am besten entspricht. Dein Kindeswohl entspricht zur Zeit am besten, das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater zu übertragen.
4Ausgangspunkt dieser Entscheidung ist, dass Vater und Mutter bei der Sorgerechtsverteilung zunächst gleiche Rechte besitzen. Die im Termin anklingende Haltung der Antragstellerin, dass die biologische Mutterschaft einen Vorrang habe, hat keine rechtliche Grundlage (vgl. OLG FamRZ 1990, 550). Eine wichtige Orientierungshilfe zur Entscheidung bietet das Förderungsprinzip. Danach erhält derjenige Elternteil Alleinrechte, bei dem ein Kind für den Aufbau seiner Persönlichkeit die meiste Unterstützung erwarten kann, und der für das Kind die stabilere und verläßlichere Bezugsperson zu sein scheint (vgl. OLG FamRZ 1994, 920). Dabei kommt es weniger auf Vor- oder Ausbildung an, sondern mehr auf die innere Bereitschaft zur Förderung des Kindes verantwortlich Erziehung und Versorgung zu tragen. Das Förderungsprinzip wird ergänzt durch den Kontinuitätsgrundsatz. Danach entspricht die Sorgerechtsregelung dem Wohl des Kindes am besten, welche die Einheitlichkeit der bisherigen Erziehung am wenigsten stört. Denn Erziehung erfordert den Aufbau von Verhaltenskonstanten. Andererseits darf das Kontinuitätsinteresse nicht überbewertet werden, wenn das Kontinuitätsinteresse mit regelmäßigen intensiven Umgangskontakten gewahrt bleibt (vgl. OLG FamRZ 1982, 531). Besondere Berücksichtigung verlangen ferner die gefühlsmäßigen Bindungen des betroffenen Kindes an seine Eltern, und ein eventuell erklärter ausdrücklicher Kindeswille. Eine Bewertung aller gegenwärtig bekannten Umstände führt nach Abwägung des Für und Wider zu der hier ausgesprochenen vorläufigen Entscheidung zu Gunsten des Vaters.
5Ein Vorrang des Vaters kann bereits mit den gegenwärtig engeren Bindungen des Kindes an ihn begründet werden. Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung entstand das schon im Termin dokumentierte Bild. X ist ein Junge, der beide Eltern gerne hat, zu beiden Eltern deutlich positive Gefühle besitzt, und der durch die massiven Streitigkeiten zwischen den Eltern verunsichert wird. Der Junge sucht Ruhe und Stabilität, um die Trennung ertragen und akzeptieren zu können. Er vermittelt den Eindruck, dass er die angestrebte Stabilität jetzt beim Vater erlebt und sich gegenwärtig deshalb stärker an diesen anlehnt. Das bedeutet nicht, dass die gefühlsmäßigen Bindungen. an die Mutter geringeren Wert besitzen. Es scheint jedoch, dass X die erwünschte Ruhe im Lebensumfeld der Mutter nicht gewahrt sieht. Verstärkt und untermauert wird dieser Eindruck durch den erklärten Willen von X, beim Vater bleiben zu wollen. Dieser Erklärung muss Gewicht beigemessen werden. X hat sich altersgerecht artikuliert, er war zur Überzeugung des Gerichts vom Vater nicht unter Druck gesetzt, der Inhalt der Erklärung und das darin verborgene Motiv kann mit der vorgeschilderten Einschätzung gedeutet werden. Die offenkundige Anspannung des Kindes lässt sich durch den Loyalitätskonflikt erklären, den X sieht, und in den er durch die fehlende Verständigungsfähigkeit der Eltern gebracht wird. Abgesehen von allen diesen Überlegungen spricht auch das Förderungsprinzip für eine Entscheidung zu Gunsten des Antragsgegners. Der Vater hat für die weitere Entwicklung des Sohnes klare Vorstellungen. Gegen die dabei gesetzten Prioritäten ist nichts einzuwenden. Die von ihm hervorgehobene Wichtigkeit einer guten schulischen Bildung; einer ausreichenden Nachtruhe, und einer intensiven Betreuung bedürfen keiner weiteren Kommentierung. Dass diese Vorgaben im Interesse des Jungen liegen, ist offenkundig. Sicherlich ist die Mutter zu einer Förderung des Sohnes ebenfalls in der Lage. Wie ausgeführt kommt es auf die bestehenden sprachlichen Defizite im Gegensatz zu den Vorstellungen des Antragsgegners nicht an. Die Hinweise der Mutter waren jedoch zu sehr darauf gerichtet, es sei für den Sohn gut, wenn alles wieder so werde, wie es war. Sie sei die Mutter, und habe den Jungen umfassend versorgt. Dies gewährleistet eine optimale Förderung des Sohnes derzeit nicht. Die Vorstellungen des Vaters vermitteln wie ausgeführt ein größeres Maß an Sicherheit. Der oben dargelegte Kontinuitätsgrundsatz rechtfertigt keine andere Sichtweise. Es kann nicht entscheidend sein, dass der Junge bisher überwiegend von seiner Mutter betreut worden ist. Dieser Umstand hat durch das Gewicht der bisher erörterten Aspekte, die einen Vorrang der väterlichen Vorstellungen begründen, keine größere Bedeutung mehr. Hinzu kommt, dass die Kontinuität der mütterlichen Betreuung im Rahmen der anzustrebenden umfangreichen Kontakte zur Mutter ausreichend aufrechterhalten werden kann. Im übrigen hat sich gegenwärtig eine neue Kontinuität beim Vater aufgebaut, die zwar ertrotzt, und damit nicht so sehr schützenswert scheint (vgl. OLG FamRZ 1991, 1343). Allerdings darf insoweit dem betroffenen Kind wiederum ein Wechsel nicht ohne weiteres zugemutet werden.
6Nach alledem sprechen derzeit die gefühlsmäßigen Bindungen, der Kindeswille, die Förderungsvorstellungen und auch die seit der Trennung beim Vater verbrachte Zeit dafür, das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater zu übertragen. Ob es dabei auf Dauer bleibt, wird sich nach dem Sachverständigengutachten zeigen. Eine abschließende Entscheidung wird erst danach ergehen können. Bis die Begutachtung vorliegt kann nicht abgewartet werden. Nachdem der im Termin erarbeitete Zwischenvergleich nicht abgeschlossen werden konnte, steht fest, dass die Verständigungsfähigkeit der Eltern derzeit fehlt, zumal auf der Partnerebene schwerwiegende Kränkungen im Raum stehen. Unter diesen Umständen ist zu befürchten, dass sachgerechte gemeinsame Entscheidungen für X bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens nicht zustande kommen. Dass dies mit einer nicht akzeptablen Gefährdung des Kindeswohls für X verbunden wäre liegt auf der Hand. Dieser Gefahrenlage muss durch eine vorläufige Regelung Rechnung getragen werden. Dass sich die fehlende Verständnisfähigkeit nur auf den Aufenthalt konzentriert werden beide Eltern in der Folgezeit unter Beweis stellen können. Sie müssen sich im Hauptverfahren daran messen lassen, ob es gelang, umfangreiche und spannungsfreie Besuchskontakte des gemeinsamen Sohnes zur Mutter zu installieren. Sollte dies nicht gelingen, wird zu prüfen sein, ob dies die Erziehungseignung der Eltern in Frage stellt, und ob darauf durch sorgerechtsbeschränkende Maßnahmen reagiert werden muss, §§ 1671 Abs. 3, 1666 BGB.
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