Beschluss vom Amtsgericht Ludwigsburg - 8 XVII 58/2012; 8 XVII 58/12

Tenor

Der Antrag der Betreuerin auf betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsmedikation bei der Betroffenen G. R., geb. 00.00.1979, wird

z u r ü c k g e w i e s e n .

Gründe

 
Für die Betroffene wurde durch Beschluss des Notariats - Betreuungsgericht - Ludwigsburg vom 14.12.2011 - 5 VG 13/11 - eine Betreuung eingerichtet. Zum Aufgabenkreis der Betreuerin gehören u. a. die Bestimmung des Aufenthalts, einschließlich Maßnahmen der Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung sowie der Unterbringung und die medizinische und pflegerische Betreuung und Versorgung, einschließlich der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen und Eingriffe.
Ausweislich des gerichtsärztlichen Gutachtens des Landratsamtes L. - Fachbereich Amts- und Versorgungsärztliche Aufgaben - vom 28.06.2011 leidet die Betroffene an einer blande verlaufenden Psychose bei vielfältigen sozialen Problemen und einer Borderline-Persönlichkeitsstörung mit deutlicher Realitätsverkennung, Uneinsichtigkeit, zeitweise depressiv-gehemmter Symptomatik, aggressivem Verhalten sowie fehlender Urteils- und Kritikfähigkeit. Krankheits- und Behandlungseinsicht bestünden nicht.
Mit Beschluss des Amtsgerichts - Betreuungsgericht - Ludwigsburg vom 09.01.2012 - 8 XVII 8/2012 - wurde die vorläufige Unterbringung der Betroffenen auf der geschlossenen Station des Klinikums L. gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB genehmigt, da bei der Betroffenen eine erhebliche Gewichtsabnahme zu verzeichnen war und die Befürchtung bestand, dass sie die Ernährung eingestellt haben könnte.
Mit Schreiben vom 23.01.2012 hat die Betreuerin beantragt, auch die Zwangsmedikation der Betroffenen zu genehmigen. Die Betreute reagiere hochgradig aggressiv und sei gegenüber Mitpatienten körperlich tätlich geworden.
Aus dem im Rahmen des Unterbringungsverfahrens eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens des Klinikums L., Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, vom 12.01.2012 ergibt sich, dass sich der Verdacht einer paranoiden Schizophrenie bestätigt hat. Die Betroffene verweigere jegliche Behandlung, es bestehe keine Krankheits- und Behandlungseinsicht. Krankheitsbedingt sei die Betroffene nicht in der Lage, ihren Willen kund zu tun. Es bestehe die Gefahr, dass sie sich auf Grund ihrer krankheitsbedingt deutlich eingeschränkten Handlungsfähigkeit mit psychotischer Verkennung erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Darüber hinaus bestehe Eigengefährdung durch eine bei fehlender Behandlung drohende weitere Chronifizierung der Psychose. Eine medikamentöse Therapie der paranoiden Schizophrenie sei dringend erforderlich.
Das Betreuungsgericht sieht auf Grund der bisherigen Beweisaufnahme und nach dem - von der Betroffenen verweigerten - Versuch einer persönlichen Anhörung am 26.01.2012 die Dringlichkeit einer medikamentösen Behandlung, sieht sich jedoch an der Erteilung der dazu erforderlichen betreuungsgerichtlichen Genehmigung rechtlich gehindert. Der Antrag auf Genehmigung einer Zwangsmedikation musste daher zurückgewiesen werden.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.2011 (2 BvR 882/09) kann eine Zwangsbehandlung nur auf Grund einer klaren und bestimmten gesetzlichen Regelung angeordnet werden. Eine solche Regelung ist in den betreuungsrechtlichen Vorschriften nicht enthalten. Ferner bedarf es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts klarer Anforderungen an das Verfahren. Auch die Verfahrensvorschriften des FamFG enthalten keine Bestimmungen über das bei der Zwangsmedikation anzuwendende gerichtliche Verfahren.
Die Zwangsmedikation stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz dar. Der in einer medizinischen Zwangsbehandlung liegende Eingriff berührt nicht nur die körperliche Integrität des Betroffenen als solche, sondern in besonders intensiver Weise auch das von Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz geschützte Recht auf Selbstbestimmung. Vor diesem Hintergrund stellt die Gabe von Neuroleptika gegen den natürlichen Willen des Patienten einen besonders schweren Grundrechtseingriff dar. Auch die Einwilligung des für einen einsichts- und einwilligungsunfähigen Betroffenen bestellten Betreuers nimmt der Maßnahme nicht den Eingriffscharakter, der darin liegt, dass sie gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt. Die medizinische Zwangsbehandlung ist, wie jeder andere Grundrechtseingriff auch, nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen des Eingriffs bestimmt. Dies gilt nicht nur für die materiellen, sondern auch für die formellen Eingriffsvoraussetzungen.
Die insoweit richtungsweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.2011 bezieht sich zwar nur auf eine dem konkreten Verfahren zu Grunde liegende Zwangsmedikation nach dem Maßregelvollzugsgesetz Rheinland-Pfalz. Das Gericht hat die von ihm aufgestellten Maßstäbe bei der Frage der Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung auch auf die Zwangsmedikation nach dem Unterbringungsgesetz Baden-Württemberg ausgedehnt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.10.2011 - 2 BvR 633/11 -) und weiter darauf hingewiesen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.2011 - 2 BvR 2362/11 -), dass die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung damit geklärt seien und von den Fachgerichten bei Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung von Untergebrachten betreffen, im Auge zu behalten seien und entsprechend zu verfahren sei.
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Den vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Mängeln einer gesetzlichen Regelung sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht kann nach Auffassung des Betreuungsgerichts auch nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung abgeholfen werden. Das Gericht übersieht insoweit nicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 01.02.2006 (NJW 2006, 1277), wonach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur dahingehend sinnvoll auszulegen sei, dass der Betreute die notwendigen medizinischen Maßnahmen, in die der Betreuer zu seinem Wohl eingewilligt habe und derentwegen der Betreute untergebracht werden durfte, unabhängig von seinem möglicherweise entgegenstehenden natürlichen Willen während der Unterbringung zu dulden habe und diese Vorschrift die Zwangsbehandlung einwilligungsunfähiger Betroffener gegen deren natürlichen Willen während der stationären Unterbringung gestatte. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.2011 kann diese Rechtsprechung nach Auffassung des Betreuungsgerichts nicht mehr aufrecht erhalten bleiben, zumal der Gesetzgeber keine gesetzliche Regelung der Zwangsbehandlung schaffen wollte (Bt-Drucksache 11/4528, Seite 72, OLG Celle, Beschluss vom 10.08.2005 - 17 W 37/05 -, Moll-Vogel, FamRB 2011, 250). Soweit vertreten wird, die materiell-rechtlichen Schranken für die Zwangsbehandlung im Rahmen von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfüllten bereits die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an deren Zulässigkeit geknüpft habe (Olzen/Metzmacher, BtPrax 2011, 233, 238), darf doch nicht übersehen werden, dass diese Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht die Zwangsbehandlung regeln sollte.
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Nach alledem musste im vorliegenden Fall mangels gesetzlicher Regelung der Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsmedikation zurückgewiesen werden.

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