Beschluss vom Amtsgericht Ludwigslust - 5 F 140/09

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die elterliche Sorge des Antragsgegners für die gemeinsamen Kinder der Parteien ..., ..., ruht.

II. Der Antrag der Antragstellerin auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die unter Ziffer I) genannten gemeinsamen Kinder der Parteien wird zurückgewiesen.

III. Die Gerichtskosten tragen die Parteien jeweils zur Hälfte; eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.

IV. Der Geschäftswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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I. Die Parteien streiten über die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für ihre gemeinsamen Kinder.

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Die Parteien lebten im Rahmen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft in Dresden von 2001 bis Februar 2008 zusammen. Aus ihrer Beziehung gingen die Kinder ..., ..., ... hervor, bezüglich derer sie jeweils Sorgeerklärungen gemäß § 1626a BGB abgaben. Im Dezember 2007 kam es vor dem Amtsgericht Dresden zu einem Verfahren, in dem Maßnahmen hinsichtlich eines Entzuges der elterlichen Sorge geprüft wurden wegen Anzeichen für eine Verwahrlosung der Kinder im Haushalt der Parteien; das Verfahren wurde eingestellt, nachdem die Parteien nach anfänglichen Widerständen des Antragsgegners die Inanspruchnahme einer Familienhilfe akzeptierten. Der Antragsgegner wurde im Februar 2008 wegen Drogendelikten inhaftiert und befindet sich noch voraussichtlich weitere vier Jahre in Haft. Die Antragstellerin verzog zwischenzeitlich mit den Kindern nach Ludwigslust, wo die Kinder in der Folge durch das Jugendamt in Obhut genommen wurden und sich nunmehr in einem Kinderheim befinden; eine Rückführung in den Haushalt der Antragstellerin ist angestrebt, wobei diese mit dem Jugendamt zusammenarbeitet.

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Die Antragstellerin begehrt die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die Kinder auf sich. Die Antragstellerin bezieht sich auf Gewalttätigkeiten des Antragsgegners während des Zusammenlebens der Parteien und noch in Briefen nach seiner Inhaftierung ausgesprochene Drohungen, die sich gegen sie und die Kinder gerichtet hätten, für den Fall ihm ungünstiger Aussagen in dem Strafverfahren. Weiterhin verweist sie auf eine dominante Persönlichkeit des Antragsgegners, gegenüber dem sie sich bezüglich dem Interesse der Kinder dienender Maßnahmen kaum habe durchsetzen können. Ein Minimalkonsens in Fragen der elterlichen Sorge bestehe zwischen den Parteien nicht mehr. Die Antragstellerin ist der Auffassung, eine Basis für eine Fortsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge durch die Parteien nach dem Ende der Inhaftierung des Antragsgegners sei nicht erkennbar. Abgesehen davon, dass ein Ruhen der elterlichen Sorge aufgrund der Verbüßung einer Strafhaft zweifelhaft sei, werde der Anspruch der Antragstellerin, ihr bereits jetzt die elterliche Sorge allein zu übertragen, durch eine entsprechende Feststellung hinsichtlich der elterlichen Sorge des Antragsgegners nicht beseitigt; denn es gehe nicht um die Zeit nach der Haft des Antragsgegners, sondern darum, dass die Antragstellerin bereits jetzt in der Lage sein müsse, die alleinige elterliche Sorge für die Kinder auszuüben. Die Antragstellerin beantragt,

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ihr das alleinige elterliche Sorgerecht für die Kinder ..., ..., ..., zu übertragen.

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Der Antragsgegner hat in seiner persönlichen Anhörung deutlich gemacht, dass er für die Zeit seiner Inhaftierung mit einer vorübergehenden Übertragung der elterlichen Sorge auf die Antragstellerin einverstanden sei, sie aber danach wieder ausüben zu wollen.

II

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1. Gemäß § 1674 BGB war von Amts wegen das Ruhen der elterlichen Sorge des Antragsgegners wegen dessen noch bis zum Jahr 2013 andauernder Inhaftierung festzustellen.

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a. Ein Ruhensfall besteht bei einer Inhaftierung zumindest dann, wenn diese länger andauert (vgl. nur OLG Brandenburg ZKJ 2009, 293; OLG Dresden FamRZ 2003, 1038; in diesem Sinne wohl auch BGH FamRZ 2005, 29, jeweils m. w. N.), was bei einer noch vier Jahre andauernden Strafhaft der Fall ist. Allein die Möglichkeit, dass der Antragsgegner brieflich und im Notfall auch telefonisch in der Justizvollzugsanstalt zu erreichen ist, steht dem nicht entgegen (so aber OLG Frankfurt FamRZ 2007, 753). Denn die Möglichkeit einer sachgerechten Ausübung des Sorgerechts ist aufgrund der Sachzwänge des Vollzugsalltags nicht gegeben. So ist das Besuchsrecht nach § 24 StrafvollzugsG im Regelfall auf eine Stunde pro Monat beschränkt, gleiches gilt gemäß § 32 StrafvollzugsG für Telefonate; überdies setzt die Ausübung des Besuchsrechts voraus, dass das Kind von hierzu bereiten Dritten in die Justizvollzugsanstalt begleitet wird. Termine, die für den sorgeberechtigten Elternteil außerhalb der Anstalt anfallen, z. B. anlässlich der Ein- oder Umschulung eines Kindes oder bei Arztbesuchen, können nur unter Beachtung der Einschränkungen des § 35 StrafvollzugsG, insbesondere nur dann wahrgenommen werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass diese Lockerungen zu weiteren Straftaten missbraucht werden (so OLG Dresden a. a. O.).

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b. Gemäß § 6 RPflG konnte die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge des Antragsgegners durch den Richter auch insoweit erfolgen, als es sich hierbei grundsätzlich gemäß §§ 3 Nr. 2 a, 14 Abs. 1 Nr. 15 RPflG um eine Zuständigkeit des Rechtspflegers handelt; nach der erstgenannten Vorschrift soll der Richter die gesamte Angelegenheit bearbeiten, wenn ein dem Rechtspfleger übertragenes Geschäft mit einem von dem Richter wahrzunehmenden Geschäft in einem so engen Zusammenhang steht, dass eine getrennte Bearbeitung nicht sachdienlich wäre.

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III. Aufgrund der Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge des Antragsgegners war der Antrag der Antragstellerin auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die gemeinsamen Kinder der Parteien zurückzuweisen; denn es fehlt diesem Begehren in der Folge an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis bzw. unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten an der Erforderlichkeit einer entsprechenden Entscheidung.

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1. Die Gerichte haben sich bei der Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils davon nach dem der notwendigen gesetzlichen Ausgestaltung des Elternrechts dienenden § 1671 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 BGB nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als milderes Mittel mit Teilentscheidungen zu begnügen, wo immer dies dem Kindeswohl Genüge tut (vgl. BVerfG FamRZ 2004, 1015); umso mehr muss dieses Prinzip gelten, wenn es um die Entscheidung geht, ob nach den genannten Vorschriften überhaupt im Sinne von deren Übertragung auf einen Elternteil allein in die elterliche Sorge eingegriffen werden muss.

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2a. Aus der Gegenüberstellung zwischen den Ruhensvoraussetzungen einerseits und den Gründen für eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge andererseits wird erkennbar, dass die Ruhensanordnung der weitaus geringere Eingriff in das Elternrecht darstellt, denn diese Feststellung beruht auf tatsächlichen Verhältnissen, die einer Ausübung entgegenstehen; aus diesem Grund ist auch alleine der Rechtspfleger für die Feststellung zuständig und bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Beschluss aufzuheben und das Elternrecht, dessen Ausübung nur ausgesetzt war, steht wieder uneingeschränkt dem Elternteil zur Verfügung. Im Gegensatz hierzu ist die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge an gänzlich andere Voraussetzungen geknüpft, die insbesondere sich am Wohl des Kindes orientieren und auch in der Wirkung solange das Elternrecht gänzlich ausschließen, bis auf Grund einer materiellen Prüfung eine Rückübertragung erfolgt; auf Grund der Schwere und Dauerhaftigkeit der Sorgerechtsübertragung ist der Richter und nicht der Rechtspfleger zuständig und die Voraussetzungen sind im Gegensatz zu den Ruhensvorschriften überwiegend nicht rein formaler Natur und auch das Jugendamt ist zu beteiligen (vgl. OLG Naumburg FamRZ 2002, 258). Gleichzeitig sind durch die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge des Antragsgegners sowohl die Interessen der Antragstellerin als auch diejenigen der Kinder ausreichend gewahrt, weil die Antragstellerin gemäß § 1678 Abs. 1, 1. Halbsatz BGB die elterliche Sorge nun kraft Gesetzes allein ausüben kann, während das Elternrecht des Antragsgegners als solches unangetastet fortbesteht; davon abgesehen gewährt § 1671 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 BGB der Antragstellerin gerade keinen "Anspruch" auf die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge, soweit sich die Entscheidung allein am Kindeswohl zu orientieren hat (vgl. Palandt-Diederichsen, Kommentar zum BGB, 65. Aufl., 2006, § 1671 Rn. 16).

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b. Das Begehren der Antragstellerin mag dann zwar von der verständlichen Sorge im Hinblick auf sich nach der Haftentlassung des Antragsgegners ergebende Schwierigkeiten bezüglich einer gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge geprägt sein; richtig ist auch, dass die Haftentlassung des Antragsgegners Grund zur Aufhebung des Ruhensbeschlusses ist. Wenn dieser Fall eintritt kann jedoch, sofern die Voraussetzungen dann gegeben sind, ein (erneutes) Sorgerechtsverfahren eingeleitet und gegebenenfalls im Wege der einstweiligen Anordnung ein tatsächlicher und auch Rechtszustand geschaffen werden, der im Interesse der Kinder unter Berücksichtigung aller Beteiligtenrechte notwendig oder zweckmäßig ist. Jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt kommt dagegen eine diesbezügliche Entscheidung mehr oder weniger im Sinne eines Vorratsbeschluss angesichts des Erfordernisse der Wahrung der Elternrechte des Antragsgegners aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in Betracht, wenn sich derselbe Zustand auch mit einem milderen Mittel erreichen lässt.

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Dabei kann vor allem nicht außer Acht gelassen werden, dass bei allen möglicherweise begründeten Zweifeln der Antragstellerin in dieser Hinsicht innerhalb der kommenden vier Jahre auch für sie jetzt noch nicht vorhersehbare Entwicklungen eintreten können, die die bereits jetzt von ihr erstrebte Sorgerechtsübertragung entbehrlich machen könnten. Wenn eine alleinige Sorgerechtsausübung durch die Antragstellerin derzeit schon gemäß §§ 1674, 1678 Abs. 1, 1. Halbsatz BGB erfolgen kann, verbietet sich eine gerichtliche Entscheidung zur Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge vor diesem Hintergrund letztlich auch deshalb, weil das Gericht dieser in der Zukunft liegenden Umständen zugrundelegen müsste, die noch gar nicht bekannt sein und damit nicht beurteilt werden können.

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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 94 Abs. 3 Satz 2 KostO, 13a Abs. 1 Satz 1 FGG.

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V. Der Geschäftswert war gemäß §§ 30 Abs. 2, 94 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 KostO auf 3.000,00 € festzusetzen; Anhaltspunkte dafür, von dem Regelwert nach oben oder unten abzuweichen, waren nicht ersichtlich.

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