Beschluss vom Amtsgericht Mannheim - Gut 2 XVII 8740/09

Tenor

Die Zustimmung des Vormundschaftsgericht zur Verweigerung der Implantation eines ICD bei der Betroffenen wird versagt. Die fehlende Einwilligung der Betreuerin wird durch diesen Beschluss ersetzt.

Gründe

 
I.
Die Betroffene wurde am 14.01.2009 nach akutem Herztod reanimiert. Sie befindet sich seither in einer Intensivstation des Klinikum M.. Ihre Tochter, Frau Dr. K G. wurde mit Beschluss vom 20.01.2009 (AS. 5) zur Betreuerin für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge bestellt. Die Betreuerin verweigert die Zustimmung zu der vom Arzt Dr. K für erforderlich gehaltene Implantation eines ICD.
Kardiologisch wurde bei der Betroffenen folgende Diagnose erstellt:
1. Zustand nach kardiopulmonaler Reanimation CPR infolge Kommerflimmerns
2. Hochgradig reduzierte systolische linksventrikuläre Funktion mit globaler Hypokinesie
3. Hochgradige Mitralklappeninsuffizienz mit exzentrischem Regurgitationsjet
4. Ausschluss einer signifikanten Stenosierung der epikardialen Koronargefäße
5. Verdacht auf hypoxische Hirnschädigung.
Neurologisch wurde eine hypoxische Hirnschädigung festgestellt. Es bestehen kognitive Einschränkungen im Sinne einer leichten sensorischen Aphasie, kindlicher Retardierung und verminderter Aufmerksamkeitsspanne sowie eine hochgradige rechtsbetonte Tetraspastik mit Beugekontraktoren der rechten oberen und unteren Extremität.
Prognostisch wurde von den behandelnden Kardiologen mitgeteilt, dass ein Kammerflimmern, wie es zum akuten Herztod am 14.01.2009 führte, jederzeit wieder auftreten kann (aber nicht muss). Der ICD ist ein herzschrittmacherähnliches Gerät, das den Herzrhythmus ständig überwacht und im Falle behandlungsbedürftiger Rhythmusstörungen verschiedene Möglichkeiten zur Behandlung der Arrhythmie bietet. Dadurch wird die Gefahr einer weiteren Verschlimmerung der Herzerkrankungen der Betroffenen verringert.
Die neurologischen Defizite blieben hingegen unverändert. Durch die eingetretene hypoxische Hirnschädigung wird eine schwerste Pflegebedürftigkeit bleiben. In der Anhörung vom 19.02.2009 hat der Sachverständige Prof. M ausgeführt, dass kognitiv durchaus noch Fortschritte erzielt werden könnten in welchem Umfang das der Fall sein könnte, sei nicht genau prognostizierbar. Die Spastik bleibe voraussichtlich weitgehend erhalten, so dass allenfalls ein Leben im Rollstuhl erreicht werden könne. Auch die Inkontinenz bleibe bestehen.
Die Betroffene wurde am 19.02.2009 richterlich angehört (AS 71). Dabei wusste die Betroffene zwar, dass sie in der Klinik ist, sie war jedoch nicht genau orientiert. Zu den durchgeführten oder geplanten medizinischen Maßnahmen konnte sie nichts berichten.
Zu dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen der Betroffenen bezüglich der ärztlicherseits für notwendig erachteten Maßnahmen wurde die Betreuerin (AS 72), sowie der Vater der Betroffenen, Herr AvD (AS 74) gehört. Ebenso erfolgte eine telefonische Anhörung der Tochter der Betroffenen, IvD (AS 88). Der Sohn der Betroffenen, M G (AS 87) und der Schwiegersohn der Betroffenen und Ehemann der Betreuerin, V H (AS 86), haben sich schriftlich geäußert.
Über mögliche Erklärungen der Betroffenen, welche Maßnahmen sie gegebenenfalls in der jetzt eingetretenen Situation wünsche, wurden die die Betroffenen früher behandelnde Ärzte Dr. L (AS 94), Dr. M (AS 95) und Dr. S (AS 95 R) befragt.
10 
Der Verfahrenspfleger hat mit der Betroffene am 02.03.2009 ein Gespräch geführt und mit Schriftsatz vom 03.03.2009 für die Betroffene Stellung genommen.
11 
Wegen der Einzelheiten wird auf die entsprechenden Stellungnahmen Bezug genommen.
II.
12 
Die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts zur Verweigerung der Implantation des ICD war zu versagen. Die fehlende Einwilligung der Betroffenen war durch diesen Beschluss zu ersetzen (vgl. BGH VII ZB 2/03, Beschluss vom 17.03.2003, zitiert nach Juris RdNr. 56).
13 
Die Voraussetzungen, bei denen nach den in richterlicher Rechtsfortbildung entwickelnden Grundsätzen (BGH a.a.O.) ein Betreuer berechtigt und verpflichtet ist, die Einwilligung in medizinisch indizierte Maßnahmen zu verweigern, liegen hier nicht vor. (In dem dort vom BGH zu entscheidenden Verfahren war über den Abbruch lebensverlängernde Maßnahmen zu befinden. Dem wurde aber die Entscheidung darüber, ob medizinische Maßnahmen überhaupt zu ergreifen sind, gleichgestellt; vgl. BGH a.a.O. RdNr. 31).
14 
Nach diesen Grundsätzen ist Voraussetzung für die berechtigte Weigerung, dass die/der Betroffene einwilligungsunfähig ist, die ärztlicherseits vorgeschlagene, medizinisch indizierte Maßnahme lebensverlängernd ist und die Weigerung, die medizinisch indizierte Maßnahme durchzuführen, dem (mutmaßlichen) Willen der/des Betroffenen entspricht.
1.
15 
Die Betroffene ist nicht einwilligungsfähig.
16 
Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. M und dem Eindruck der Unterzeichnerin bei der richterlichen Anhörung am 19.02.2009 ist die Betroffene nicht in der Lage, das Ausmaß ihrer Erkrankung, die vorgeschlagene medizinische Maßnahme und die Auswirkung der Einwilligung in diese Maßnahme oder die möglichen Folgen der Verweigerung der Einwilligung zu erkennen.
2.
17 
Die vorgeschlagene Maßnahme - Implantation des ICD - kann lebensverlängernde Folgen haben.
18 
Anders als bei dem der Entscheidung des BGH a.a.O. zugrundeliegenden Sachverhalt ist der Gesundheitszustand der Betroffenen hier nicht per se lebensbedrohlich. Zwar liegt bei der Betroffenen eine irreversible hypoxische Hirnschädigung vor, die sie zeitlebenspflegebedürftig sein lässt. Doch ist dieser Zustand als solcher nicht lebensbedrohlich. Allerdings wird durch die Implantation des ICD dieser Zustand festgeschrieben. Ohne die Implantation wäre aus kardiologischer Sicht der weitere Krankheitsverlauf unsicher. Es wäre gut möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass ein erneutes Kammerflimmern auftritt, das zu einer noch schwereren Behinderung oder zum Tod führen könnte. Mit dem ICD ist ein kardiologisch stabiler Zustand auf dem derzeitigen Niveau erreichbar, der sich so - sollten massive Herzrhythmusstörungen wieder auftreten - möglicherweise als Lebensverlängerung auswirkt.
3.
19 
Die Betreuerin darf die Zustimmung zur medizinisch indizierten Implantation des ICD nicht verweigern. Denn der Willen der Betroffenen bezüglich der Implantation des ICD steht vorliegend nicht fest.
20 
Die Betreuerin hat als gesetzliche Vertreterin die exklusive Aufgabe, dem Willen der Betroffenen gegenüber Ärzten und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Ausdruck und Geltung zu verschaffen (BGH a.a.O. RdNr. 32). Sie hat so zu entscheiden, wie die Betroffene entscheiden würde, wenn sie es in der jetzigen Situation noch könnte (vgl. BGH 3 StR 467/90, Urteil vom 08.05.1991, zitiert nach Juris RdNr. 20). Läge eine frühere Willensbekundung der Betroffenen vor, mit welcher sie ihre Einwilligung in Maßnahmen der in Frage stehenden Art für eine Situation, wie sie jetzt eingetreten ist, verweigert hätte, würde diese Erklärung fortwirken, soweit die Betroffene sie nicht widerrufen hätte (BGH, Beschluss vom 12.03.03, a.a.O. Rn 31). Die Betreuerin hätte den ursprünglichen Willen der Betroffenen oder im Falle einer möglichen Umentscheidung der Betroffenen diesen Willen durchzusetzen (vgl. OLG Karlsruhe, 19 Wx 21/01, Beschluss vom 29.10.2001, zitiert nach Juris RdNr. 15 f). Sie hätte den Willen der Betroffene auch dann durchzusetzen, und dieser wäre von Ärzten und Pflegepersonal zu respektieren, wenn er medizinisch nicht sinnvoll wäre. Denn Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gewährleistet jedem das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die auch darin besteht, die Durchführung medizinischer Eingriffe selbst dann zu verweigern, wenn sie medizinisch sinnvoll, notwendig oder sogar lebensrettend wären (vgl. BGH 4 StR 525/57, Urteil vom 28.11.1957, zitiert nach Juris RdNr. 9; BGH 3 StR 96/84, Urteil vom 04.07.1984, zitiert nach Juris RdNr. 28).
21 
Der Willen der Betroffenen, in der jetzt gegebenen Situation die Implantation des ICD zu verweigern, steht jedoch nicht fest.
22 
Zwar haben alle Angehörigen berichtet, dass die Betroffene bis zur vorliegenden Erkrankung eine sehr selbstständige Frau gewesen sei, die Hilfe nicht annehmen wollte. Auch hat nach dieser Schilderung die Betroffene immer wieder geäußert, sie wolle ein selbstbestimmtes Leben führen und nicht von anderen abhängig sein. Dabei stand ihr ein nach ihrer Meinung unwürdiges "Leben an Schläuchen" vor Augen. Über die Situation, wie sie jetzt eingetreten ist, die zu einem Leben der Betroffenen als Pflegebedürftige im Bett oder im Rollstuhl führt, wurde so nicht diskutiert. Es war daher zu ermitteln, wie die Betroffene jetzt entscheiden würde, wenn sie entscheiden könnte. Dabei darf nicht der Maßstab der Gesunden angelegt werden. Für eine/n Gesunde/n stellt das Leben als Pflegebedürftige/r eine Verringerung an Lebensqualität dar. Schwerkranke und Pflegebedürftige hingegen schätzen ihre Lebensqualität oft gänzlich anders ein. Es ist anhand der von den Angehörigen mitgeteilten Äußerungen nicht zweifelsfrei davon auszugehen, dass die Betroffene in Kenntnis ihrer jetzigen Lage die medizinisch indizierte Implantation des ICD -einen relativ einfachen Eingriff- verweigert hätte. So war sie in der Vergangenheit bereit, ihre Herzerkrankung medikamentös zu behandeln, um so Verschlimmerungen in gewissem Umfang vorzubeugen, auch wenn sie sich zu einer die Ursachen beseitigenden Herzoperation nicht bereit finden konnte. Die nunmehr geplante Maßnahme schreibt kardiologisch den status quo auf dem nach der Reanimierung vorliegenden Stand fest und ermöglicht der Betroffenen, - wenn auch aus Sicht der Gesunden in eingeschränktem Umfang- am Leben teilzunehmen, ohne die Gefahr von Herzrhythmusstörungen mit möglicherweise massiven Folgen. Dass sie dies wünscht, zeigen ihre Äußerungen gegenüber dem Verfahrenspfleger deutlich. Nach diesen ist zu vermuten, dass sie bei vollem Erfassen ihrer Situation der Implantation des ICD zustimmen würde. Zumindest kann ihren früheren Erklärungen in der Zusammenschau mit ihrem jetzigen Verhalten nicht entnommen werden, dass sie die Implantation sicher ablehnen würde. Bei dieser Lage muss der Operation zum Wohle der Betroffenen zugestimmt werden. Ob der Willen der Betroffenen dahin ginge, der weit über die geplante Implantation des ICD hinausgehenden, wesentlich schwierigeren und gefährlicheren Operation an der Herzklappe - wie wohl im Jahr 2005 geschehen- zu widersprechen , ist derzeit nicht zu entscheiden.

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