Schlussurteil vom Amtsgericht Marl - 34 C 48/09
Tenor
Das Versäumnisurteil vom 01.02.2010 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
1
Tatbestand
2Die Parteien sind die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft H-Straße … in … N.
3Am 20.08.2009 führten die Parteien eine Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft durch. In der Versammlung wurden mehrheitlich u. a. folgende Beschlüsse gefasst:
4- Tagesordnungspunkt 1: Jahresberichte 2008 mit Beschlussfassung
5- Tagesordnungspunkt 3: Entlastung der Prüfer mit Beschlussfassung
6- Tagesordnungspunkt 4: Entlastung des Verwalters mit Beschlussfassung
7- Tagesordnungspunkt 5: Wirtschaftsplan 2009 mit Beschlussfassung
8- Tagesordnungspunkt 7: Abdichten der Kelleraußenwand
9- Tagesordnungspunkt 11: Vergabe eines Auftrages zur Erstellung des Energiepasses an ein Fachbüro.
10Der Kläger ficht nunmehr die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 1, 3, 4, 5, 7 und 11 der Eigentümerversammlung vom 20.08.2009 an.
11Er ist der Ansicht, dass er prozessfähig sei, da ihm zwei Gutachter eine Prozessfähigkeit bescheinigt hätten. Im Übrigen sei er anwaltlich vertreten, sodass die Bestellung eines Betreuers nicht erforderlich sei. Die angefochtenen Beschlüsse würden einer ordnungsgemäßen Verwaltung nicht entsprechen. Die Jahresabrechnung 2008 sei fehlerhaft, weil sich aus ihr nicht der Verlauf der Konten der Wohnungseigentümergemeinschaft ergebe. Die Anfangs- und Endbestände sowie die Angaben zur Instandhaltungsrücklage seien nicht angegeben worden. Den Prüfern könne keine Entlastung erteilt werden, da diese die Bücher bereits im April 2009 geprüft hätten, als noch gar keine Jahresabrechnung vorgelegen habe. Dementsprechend könne auch die Entlastung des Verwalters nicht erfolgen. Der Wirtschaftsplan 2009 basiere auf einer falschen Abrechnung. Zudem würden für die Hausgelder zu hohe Beträge in Ansatz gebracht. Hinsichtlich der Kelleraußenwand bestehe kein baulicher Mangel, der repariert werden müsse. Vielmehr habe es jahrelang in den Keller hineingeregnet, da der damalige Eigentümer das Fenster offen stehen gelassen habe. Ein Energiepass habe bereits vorgelegen, sodass keine Pflicht zur Einholung eines weiteren Energiepasses bestehe.
12Nachdem der Kläger die Anfechtung des Beschlusses zu TOP 11 für erledigt erklärt hat, hat er zunächst beantragt,
13die Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft H-Straße …, … N aus der Eigentümerversammlung vom 20.08.2009 zu folgenden Punkten für unzulässig zu erklären:
14TOP 1 (Jahresberichte 2008 mit Beschlussfassung)
15TOP 3 (Entlastung der Prüfer mit Beschlussfassung)
16TOP 4 (Entlastung des Verwalters mit Beschlussfassung)
17TOP 5 (Wirtschaftsplan 2009 mit Beschlussfassung)
18TOP 7 (Abdichten der Kelleraußenwand).
19Mit Versäumnisurteil des Amtsgericht Marl vom 01.02.2010 wurden die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Gegen das Versäumnisurteil, zugestellt am 05.02.2010, haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 11.02.2010 Einspruch eingelegt.
20Der Kläger beantragt nunmehr,
21das Versäumnisurteil vom 01.02.2010 aufrechtzuerhalten.
22Die Beklagten beantragen,
23das Versäumnisurteil vom 01.02.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
24Die Beklagten sind der Ansicht, dass die in der Jahresabrechnung 2008 zugrunde gelegten Kontostände der Richtigkeit entsprechen. Diese seien den Eigentümern vor der Eigentümerversammlung schriftlich bekannt gegeben worden und auch in der Versammlung noch einmal erörtert worden. Bei der Rechnungsprüfung hätten die Belege über die Ein- und Ausgaben 2008 vorgelegen, sodass die Prüfung ordnungsgemäß habe erfolgen können. Gegen den Wirtschaftsplan sei inhaltlich nichts einzuwenden. Die Feuchtigkeitsschäden im Nutzkeller der Wohnung Nr. 6 seien bei einer Baubegehung aufgefallen und durch eine Abdichtung zu beseitigen.
25Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien und deren Anlagen verwiesen.
26Das Gericht hat Beweis hinsichtlich des Vorliegens eines Baumangels an der Kelleraußenwand erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens der Sachverständigen pp. sowie der mündlichen Erläuterung des Gutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 15.12.2010 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.02.2012 Bezug genommen.
27Das Gericht hat desweiteren Beweis zur Frage der Prozessfähigkeit des Klägers erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen S. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 27.07.2012 Bezug genommen.
28Mit Beschluss vom 29.12.2012 hat das Gericht den Kläger darauf hingewiesen, dass er sich eigenständig um die Bestellung eines Betreuers gemäß § 1896 BGB beim Betreuungsgericht bemühen muss und ihm Gelegenheit gegeben, binnen einer Frist von einem Monat eine ordnungsgemäße Vertretung herbeizuführen.
29Entscheidungsgründe
30Durch den zulässigen Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 01.02.2010 wurde der Rechtsstreit gemäß § 342 ZPO in die Lage vor Eintritt der Säumnis zurückversetzt.
31Die Klage ist unzulässig. Es fehlt nämlich an einer zwingenden Prozessvoraussetzung, da der Kläger nicht prozessfähig im Sinne der §§ 51 Abs. 1, 52 ZPO ist.
32Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, Prozesshandlungen selbst oder durch selbst bestellte Vertreter wirksam vorzunehmen oder entgegenzunehmen. Diese Fähigkeit ist gemäß § 56 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen und muss spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gegeben sein. Das ist vorliegend nicht der Fall.
33Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen pp. vom 27.07.2012 steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger aufgrund einer wahnhaften Entwicklung in Belangen seines Wohnungseigentums nicht prozessfähig ist.
34Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger ein Wahn im Sinne einer Geistesstörung besteht, wobei sich die sensitive Ich- Bezogenheit nur auf die Thematik der Übervorteilung, des erlebten Unrechts, Komplotts und Betrugs im Zusammenhang mit seinem Wohnungseigentum bezieht.
35Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht nach eigener Prüfung an. Der Sachverständige hat den Kläger eingehend am 11.06.2012 und 02.07.2012 untersucht und Einsicht in die Akten der Parallelverfahren beim Amtsgericht N1 genommen, um einen umfassenden Eindruck von der Persönlichkeit des Klägers zu erhalten. Dabei hat er festgestellt, dass sich der Kläger in einem altersentsprechenden Allgemein-, Ernährungs- und Kräftezustand befindet. Den interpersonalen Kontakt nahm der Kläger auf und zeigte sich zugewandt und kooperativ. Allerdings kam der Kläger im Explorationsverlauf immer wieder darauf zu sprechen, dass es finanzielle Unregelmäßigkeiten und Unrechtmäßigkeiten bei der Verwaltung der Eigentumsanlage H-Straße … gebe. Der Kläger versteifte sich sodann auf dieses Thema und wurde aufgeregt, sodass seine Übersicht verloren ging. Aus der Sicht des Sachverständigen zeigte sich der Kläger sehr sensibel und in seiner Thematik überempfindlich. Er war bei seinen Ansichten und Meinungen unbeirrbar und beharrte auf der einzig richtigen Einschätzung und Beurteilung seinerseits. Kritische oder alternative Denkansätze wurden von dem Kläger nicht akzeptiert. Insbesondere gegenteilige Gerichtsbeschlüsse wurden von ihm als Ausdruck von Fehlern, Falschbeurteilungen, Aversionen seitens der Richter oder Machenschaften bewertet. Aufgrund der Befunde geht der Sachverständige davon aus, dass der Realitätskontakt und die Urteilsfähigkeit des Klägers im Zusammenhang mit der Thematik des Wohnungseigentums eingeschränkt sind und diagnostiziert insoweit eine wahnhafte Entwicklung des Klägers. Diese wahnhafte Entwicklung führt beim Kläger zu einer Persönlichkeitsstörung, sodass eine freie, vernünftige Willensbestimmung seinerseits in Bezug auf das Wohnungseigentum nicht möglich ist.
36Dementsprechend geht das Gericht davon aus, dass der Kläger aufgrund seiner wahnhaften Geistesstörung im vorliegenden Rechtsstreit nicht fähig ist, Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen, sodass es ihm im vorliegenden Rechtsstreit an der Prozessfähigkeit fehlt.
37Sofern der Kläger vorbringt, dass ihm zwei Gutachter die Prozessfähigkeit bescheinigt hätten, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn der Kläger hat selbst kein Gutachten eines Sachverständigen vorgelegt, das die Feststellungen des Sachverständigen S widerlegen würde. Die Ausführungen des Sachverständigen pp. in dem Gutachten vom 27.07.2012 sind in sich schlüssig und nachvollziehbar, sodass aus Sicht des Gerichts kein Anlass bestand, ein weiteres Gutachten zur Frage der Prozessfähigkeit des Klägers einzuholen. Ein solches hätte von dem Kläger selbst eingeholt werden müssen, um seine Prozessfähigkeit zu beweisen. Da er dies nicht getan hat, ist aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen pp. von der Prozessunfähigkeit des Klägers auszugehen. Denn nach Ausschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisse verbleiben hinreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit, sodass jedenfalls etwa noch vorhandene Zweifel zu Lasten der betroffenen Partei gehen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.11.2011, Az: V ZR 199/11).
38Die Prozessunfähigkeit des Klägers wird entgegen seiner Auffassung auch nicht dadurch überwunden, dass er durch seinen Prozessbevollmächtigten anwaltlich vertreten wird. Zwar steht gemäß § 51 Abs. 3 ZPO eine Person einem gesetzlichen Vertreter gleich, sofern eine nicht prozessfähige Partei, die eine volljährige natürliche Person ist, wirksam eine andere natürliche Person schriftlich mit ihrer gerichtlichen Vertretung bevollmächtigt hat. Dies gilt allerdings nur, wenn die Bevollmächtigung geeignet ist, gemäß § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB die Erforderlichkeit einer Betreuung entfallen zu lassen. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Auch wenn der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten wirksam mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen im vorliegenden Rechtsstreit beauftragt haben dürfte, so erfolgte die Bevollmächtigung jedenfalls nicht mit dem Ziel, um eine Betreuung gemäß § 1896 BGB zu vermeiden. Die Mandatierung des Prozessbevollmächtigten des Klägers bezog sich auf die Anfechtung der streitgegenständlichen Beschlüsse aus der Eigentümerversammlung vom 20.08.2009. Dass sich die Bevollmächtigung auch darauf erstrecken sollte, die Erforderlichkeit einer Betreuung entfallen zu lassen, hat der Kläger nicht dargetan. Daher ist nicht davon auszugehen, dass die Mandatierung auch diesem Zweck dienen sollte, zumal der Kläger selbst davon ausgeht, dass er prozessfähig sei. Mithin liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 ZPO nicht vor, sodass der Prozessbevollmächtigte nicht einem gesetzlichen Vertreter des Klägers gleichzustellen ist.
39Nach alledem fehlt es an der Prozessfähigkeit des Klägers und damit einer zwingenden Prozessvoraussetzung.
40Trotz Hinweises des Gerichts in dem Beschluss vom 29.12.2012, dass der Kläger selbst für eine ordnungsgemäße Vertretung zu sorgen habe, hat er innerhalb der ihm gesetzten Frist die Bestellung eines Betreuers gemäß § 1896 BGB beim Betreuungsgericht nicht angestrebt.
41Insofern bestand zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine Prozessfähigkeit des Klägers, sodass die vorliegende Klage bereits als unzulässig abgewiesen werden konnte.
42Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Kosten der Säumnis waren nicht gemäß § 344 ZPO den Beklagten aufzuerlegen, da der Kläger prozessunfähig ist und daher das Versäumnisurteil vom 01.02.2010 nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist.
43Der Streitwert wird auf 6.000,00 € festgesetzt.
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Referenzen
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