Urteil vom Amtsgericht Mülheim an der Ruhr - 27 C 2052/11
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
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In dem Rechtsstreit
2hat das Amtsgericht Mülheim an der Ruhrim schriftlichen Verfahren am 10.10.2012 durch den Richter Dr. Brüggemann
3für Recht erkannt:
4Die Klage wird abgewiesen.
5Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
6Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagten durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
7Am 18.06.2011 fuhr die Klägerin gegen 10.05 Uhr mit ihrem Kraftfahrzeug der Marke Opel mit dem amtlichen Kennzeichen N-N 1 auf dem Grundstück Gstraße 111-113 in Mülheim an der Ruhr von dem hinter dem Haus gelegenen Garagenhof über die Ausfahrt in Richtung Gstraße. Von der Gstraße aus gesehen, befindet sich die Ausfahrt rechts neben dem Gebäude.
8Die 2,55 m breite Fahrspur der Ausfahrt verläuft unmittelbar an der Stirnseite des Gebäudes. An der Frontseite des Gebäudes befindet sich zwischen der Eingangstür und der zuvor beschriebenen Ausfahrt ein 1,55 m breiter Weg. Der Weg verläuft unmittelbar entlang der Vorderseite des Hauses.
9Dieser Weg besteht aus Waschbetonplatten (bezüglich einer graphischen Darstellung der Örtlichkeit wird auf Blatt 92 d. A. Bezug genommen).
10Zum streitgegenständlichen Zeitpunkt befuhr der Beklagte zu 2) mit einem Fahrrad der Beklagten zu 1) den vorbezeichneten Weg, nachdem er entsprechend seines Berufs als Postbote das Haus mit Post beliefert hatte. An jener Stelle, an welcher sich die Ausfahrt und der soeben beschriebene Weg treffen, kam es zur Kollision zwischen dem Fahrzeug der Klägerin und dem vom Beklagten zu 2) gesteuerten Fahrrad. Dabei wurde das klägerische Fahrzeug im vorderen Bereich der Beifahrerseite beschädigt.
11Die Klägerin holte über die entstandenen Schäden ein Sachverständigengutachten ein, für welches sie 467,19 € verauslagte. Nach dem Gutachten betragen die Reparaturkosten 2.106,48 €. Zudem ist am klägerischen Fahrzeug eine Wertminderung von 400,00 € eingetreten. Neben diesen Positionen machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten für 4 Tage eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von insgesamt 140,00 € geltend. Ferner machte sie eine allgemeine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 € geltend. Mithin beanspruchte die Klägerin von den Beklagten eine Zahlung von insgesamt 3.138,67 €. Die Beklagte zu 1) leistete jedoch lediglich einen Betrag von 986,27 €.
12Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 2) sei mit dem Fahrrad in hoher Geschwindigkeit gefahren. Wäre er jedoch mit einer angemessenen Geschwindigkeit gefahren, hätte er das Fahrzeug der Klägerin rechtzeitig erkennen und sein Fahrrad zum Stillstand bringen können. Demgegenüber sei sie selbst langsam gefahren und habe sich mit ihrem Fahrzeug lediglich in angemessener Geschwindigkeit in Richtung Gstraße vorgetastet.
13Sie ist der Ansicht, der Beklagte zu 2) habe den Unfall alleine verschuldet. Das Befahren des entlang der Hausfront verlaufenden Weges mit einem Fahrrad sei vorschriftswidrig gewesen. Für sie selbst sei das Unfallereignis jedoch unabwendbar gewesen.
14Die Klägerin beantragt,
15die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 2.152,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.09.2011 zu zahlen und die Klägerin gegenüber ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten in Höhe von 359,50 € freizustellen.
16Die Beklagten beantragen,
17die Klage abzuweisen.
18Sie behaupten, die Klägerin habe die Ausfahrt mit hoher Geschwindigkeit befahren. Der Beklagte zu 2) sei hingegen mit dem Fahrrad langsam gefahren. Dies ergebe sich bereits daraus, dass er zuvor erst an der Eingangstür des Hauses die Fahrt aufgenommen habe.
19Sie sind der Ansicht, dass der Unfall allein durch die Klägerin verursacht worden sei. Für den Beklagten zu 2) sei der Unfall hingegen unvermeidbar gewesen. Auch treffe die Klägerin eine erhöhte Betriebsgefahr. Diese ergebe sich daraus, dass sie mit dem Kraftfahrzeug eine unübersichtliche Stelle befahren habe. Dementsprechend seien Ansprüche der Klägerin zumindest aufgrund der bereits erfolgten Regulierung vollständig erloschen.
20Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Diplom-Ingenieur L (wegen des Inhalts des Gutachtens wird auf Blatt 78 – 102 d. A. Bezug genommen).
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2012 und das Gutachten des Sachverständigen Diplom-Ingenieur L Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22Die zulässige Klage ist unbegründet.
23Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) keinen Anspruch auf Zahlung von 2.152,40 € aus § 7 Abs. 1 StVG.
24Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG sind nicht gegeben. Insbesondere ist das Fahrzeug der Klägerin nicht beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers beschädigt worden. Die Beschädigung an dem klägerischen Fahrzeug ist bei einem Unfall mit einem Fahrrad entstanden.
25Bei einem Fahrrad handelt es sich jedoch nicht um ein Kraftfahrzeug. Fahrräder lassen sich unter § 7 Abs. 1 StVG lediglich dann subsumieren, wenn es sich um Fahrräder mit einem Hilfsmotor handelt. Dies ist hier nicht der Fall. Jedenfalls liegt ein solcher Vortrag der Parteien nicht vor. Dementsprechend ist von einem gewöhnlichen Fahrrad auszugehen. In Konsequenz dessen haftet die Beklagte zu 1) nicht als Halterin gemäß § 7 Abs. 1 StVG.
26Die Klägerin hat gegen den Beklagten zu 2) keinen Anspruch auf Zahlung von 2.152,40 € aus § 18 Abs. 1 StVG.
27Auch ein diesbezüglicher Anspruch steht der Klägerin nicht zu. Der Führer eines Fahrzeugs haftet nach § 18 Abs. 1 StVG lediglich in den Fällen des § 7 Abs. 1 StVG. Erforderlich wäre daher, dass es sich bei dem Beklagten zu 2) um den Führer eines Kraftfahrzeuges gehandelt hätte. Dies ist indessen nicht der Fall. Vielmehr war er der Führer eines Fahrrades. Dass es sich bei diesem nicht um ein Kraftfahrzeug handelt, wurde bereits vorstehend ausgeführt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen wird Bezug genommen.
28Die Klägerin hat darüber hinaus gegen den Beklagten zu 2) keine Anspruch auf Zahlung von 2.152,40 € aus § 823 Abs. 1 BGB.
29Der Klägerin steht gegen den Beklagten zu 2) ein deliktischer Anspruch nicht zu. Auch nach Durchführung der Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte zu 2) schuldhaft eine Rechtsgutsverletzung zum Nachteil der Klägerin begangen hat.
30Der Sachverständige Diplom-Ingenieur L hat in seinem Gutachten nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass eine vollständige Aufklärung des streitgegenständlichen Unfalls nicht mehr möglich ist. Nach seinen Ausführungen sind sowohl der Vortrag der Klägerin als auch der Vortrag der Beklagten plausibel. Nach den dezidierten Ausführungen und Berechnungen des Sachverständigen ist von einer Annäherungsgeschwindigkeit der Klägerin an die Kollisionsstelle von 12 – 15 km/h auszugehen. Die Kollisionsgeschwindigkeit des vom Beklagten zu 2) gefahrenen Fahrrades lag zwischen 8 und 10 km/h.
31Weiterhin konnte der Sachverständige lediglich feststellen, dass der Unfall für die Beteiligten lediglich nur dann zu vermeiden gewesen wäre, wenn sie sich beide langsam und vorsichtig der späteren Kollisionsstelle angenähert hätten. Dementsprechend konnte sich keine Überzeugung des Gerichts dahingehend bilden, dass dem Beklagten zu 2) an dem Verkehrsunfallereignis ein Verschulden trifft. Auch wenn der Beklagte zu 2) lediglich mit 8 km/h gefahren sein sollte, kommt in Betracht, dass der Unfall für ihn nicht vermeidbar war.
32Ein Verschulden des Beklagten zu 2) folgt auch nicht etwa daraus, dass er mit dem Fahrrad den Weg entlang der Hausfront genutzt hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dieses Verhalten nicht vorschriftswidrig. Es ist bereits nicht erkennbar, gegen welche Vorschrift dieses Verhalten verstoßen sollte. Bei diesem Weg handelt es sich nicht um einen öffentlichen Gehweg. Vielmehr befindet sich der Weg auf einem privaten Grundstück. Eine spezielle Widmung als Fußgängerweg ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist ein allgemeiner Weg auf einem privaten Grundstück grundsätzlich für jegliche Art der Fortbewegung gedacht und bestimmt, für welche sie objektiv geeignet ist. Dies ist bei einem 1,55 m breiten Weg eine Fortbewegung zu Fuß und mit dem Fahrrad. Auch zum Befahren mit einem Rollstuhl ist dieser Weg geeignet. Daher ist in Ermangelung einer expliziten Widmung davon auszugehen, dass diese Nutzungsmöglichkeiten zulässig sind.
33Nach alledem sind die Verursachungs- und Verschuldensbeiträge hinsichtlich des streitgegenständlichen Unfalls offen geblieben. Die Klägerin ist jedoch für die für sie anspruchsbegründenden Tatsachen, mithin auch für ein Verschulden auf der Seite des Beklagten zu 2), beweispflichtig. Den erforderlichen Beweis hat sie jedoch nicht führen können. Sie ist dementsprechend beweisfällig geblieben.
34Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass im Straßenverkehrsrecht für den Fall, dass eine Aufklärung des Unfalls nicht mehr möglich ist, eine Quotelung im Verhältnis von 50 % zu 50 % in der Regel vorgenommen wird. Hierbei handelt es sich lediglich um einen Grundsatz, welcher im Straßenverkehrsrecht Anwendung findet. Auf das Deliktsrecht ist er indessen nicht übertragbar. Im Deliktsrecht gelten die allgemeinen Beweislastregeln. Dementsprechend war die Klägerin hier voll beweisbelastet. In Folge dessen unterlag die Klage auch insoweit der Abweisung.
35Die Klägerin hat weiterhin gegen die Beklagte zu 1) keinen Anspruch auf Zahlung von 2.152,40 € aus § 831 Abs. 1 BGB.
36Auch ein solcher Anspruch steht der Klägerin nicht zu. Zwar handelt es sich bei dem Beklagten zu 2) um einen Erfüllungsgehilfen der Beklagten zu 1), doch steht entsprechend der vorstehenden Ausführungen nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Beklagten zu 2) eine unerlaubte Handlung zum Nachteil der Klägerin anzulasten wäre. Auf die diesbezüglichen Ausführungen wird Bezug genommen. Dementsprechend scheitert auch ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) als Geschäftsherrin des Beklagten zu 2) als Verrichtungsgehilfen.
37Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 2.152,40 € seit dem 20.09.2011 aus §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.
38In Ermangelung eines Anspruchs in der Hauptsache steht der Klägerin gegen die Beklagten auch der geltend gemachte Zinsanspruch nicht zu.
39Letztlich hat die Klägerin gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf Freistellung in Höhe von 359,50 € gegenüber ihrem jetzigen Prozessbevollmächtigten aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB.
40Die Beklagten schulden der Klägerin die vorstehend genannte Freistellung nicht unter dem Aspekt des verzugsbedingten Schadensersatzes. Da ein Anspruch in der Hauptsache nicht bestand, befanden sich die Beklagten mit der Zahlung auch nicht in Verzug. Folglich können die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung keinen Verzugsschaden darstellen. Eine Erstattung der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten durch die Beklagten kommt daher nicht in Betracht.
41Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
42Der Streitwert wird auf 2.152,40 € festgesetzt.
43Dr. Brüggemann
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