Urteil vom Amtsgericht Neuss - 37 C 198/76
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist bei der Beklagten vertraglich gegen Krankheitskosten versichert.
3Am 21. und 24.11.1975 ließ sie sich von dem Facharzt für Lungenkrankheiten
4Dr. wegen cervicaler Migräne mittels Ohrakupunktur behandeln. Seine Leistungen stellte der Arzt der Klägerin unter dem 26.11.1975 mit 250,-- DM in Rechnung.
5Die Beklagte verweigert der Klägerin die Erstattung dieser Kosten unter Hinweis auf § 11 Ziff. 1e ihrer Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) mit der Begründung, die Akupunktur sei eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode. Sie sei deshalb nach ihren AVB von der Leistungspflicht befreit.
6Die Klägerin trägt vor:
7Die Aktupunktur zählte heute zu den wissenschaftlich allgemein anerkannten Behandlungsmethoden. Sie gehöre zum Rüstzug eines jeden in China ausgebildeten Arztes und werde auch in Deutschland mit Erfolg angewandt. Im vorliegenden Fall sei sie von einem Vollmediziner angewandt worden, der sich wissenschaftlich mit der Aurikulo-Medizin befasse. Im übrigen dürfte die Unklarheit des von der Beklagten verwendeten Begriffs der allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung nicht zu Lasten der Klägerin gehen.
8Sie beantragt,
9die Beklagte zu verurteilen, an sie 250,--DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 23.02.1976 zu zahlen.
10Die Beklagte beantragt,
11Die Klage abzuweisen.
12Sie trägt vor:
13In der medizinischen Literatur sei die Akupunktur keinesfalls anerkannt. Dort heiße es, die anwendenden Ärzte hätten den Beweis der Richtigkeit dieser Methode noch nicht erbracht. Es fehle noch an der Feststellung der statistisch signifikanten Wirksamkeit. Ihre vereinzelte Anwendung stehe dem nicht entgegen. Noch 1975 habe ein Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer als Zwischenbericht seiner Untersuchen festgehalten, die Akupunktur beziehe ihre teilweise Wirksamkeit mehr aus ihrem suggestiven und hypnotischen Einfluss auf den Patienten als auf ihrer direkten Einwirkung. Die Deutsche Akademie für Akupunktur und für Aurikulo-Medizin habe noch im Januar 1976 geschrieben, sie arbeite daran, die Anerkennung der Akupunktur als Therapieform zu erreichen. Der Arbeitskreis des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer werde voraussichtlich erst im Oktober dieses Jahres über eine mehrjährige Prüfung dieser Frage in Form eines Votums informieren.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Akten Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Die Klage ist nicht begründet.
17Die Klägerin kann von der Beklagten die Erstattung der Kosten die Ohrakupunkturbehandlung vom 21.04.11.1975 nicht verlangen.
18Die Beklagte verweigert die Leistung zurecht mit der Berufung auf § 11 Nr. 1 e ihrer AVB, dessen vertragliche Geltung zwischen den Parteien unumstritten ist.
19In dieser Bestimmung zeichnet die Beklagte sich von der Leistungspflicht für Kosten frei die durch wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden entstehen. Zurecht weist zwar die Klägerin daraufhin, dass dieses Abgrenzungsmerkmal problematisch ist und fließende Grenzen aufweist. Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie forscht, in Frage stellt, anzweifelt, fortschreitet und Argumenten auch zu Beweise des Gegenteils des bisher angenommenen zugänglich ist. Dem steht vom Ansatz her eine allgemeine Anerkennung als statistisches Element entgegen. hat deshalb (in NJW 1976, S. 357) der Verwendung dieses Kriteriums in Rechtsvorschriften erheblich Bedenken entgegengesetzt und zumindest die verfassungskonforme Auslegung dahin gefordert, dass "Aufwendungen für Mittel, deren Wirksamkeit durch keine Erfahrung bestätigt wird" von der Erstattung ausgeschlossen sein sollen.
20Darum konnte es vorliegend indes nicht gehen, weil nicht die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsform zu prüfen war, sondern die Bedeutung und die Wirksamkeit eine vertraglichen Vereinbarung und das Vorliegen ihrer tatsächlichen Voraussetzungen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Parteien die Geltung dieser Vertragsklausel übereinstimmend gewollt haben. Das schließt nicht aus, bei Unklarheiten gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem wirklichen Willen und dem objektiven Erklärungsgehalt zu forschen. Dabei ist feststellen, dass die Beklagte zum Zwecke des ökonomischen Umgangs mit den Beiträgen ihrer Mitglieder verpflichtet ist und ein Interesse daran hat, die Erstattungsfähigkeit der Kosten von Heilbehandlungen dahin einzugrenzen, dass nichts unwirksames verordnet werde und sie nicht das Risiko eins ärztlichen medizinischen Experimentes oder medizinischer Forschung zu tragen habe. Dem hat sie damit Rechnung getragen, dass sie einerseits auf der wissenschaftlichen Herkunft der Behandlungsmethode besteht, andererseits den Bereich der wissenschaftlichen Forschung und des Experimentes, dessen Arbeitshypothese sich erst in der Zukunft bestätigt oder als falsch erweist, durch den Begriff der "allgemeinen Anerkennung" ausklammert. Dieses Vorgehen ist nach Treue und Glauben nicht zu beanstanden.
21Es verbleibt die Frage, wann von einer allgemeinen Anerkennung gesprochen werden kann. Auch diese Frage ist unter dem Gesichtspunkt der wissenschaftlichen Diskussion anders zu beurteilen als in der Erwägung der von Zwecken bestimmten Parteiinteressen, wenn auch das eine im Bereich des anderen eine wesentliche Rolle spielt. Für den Streit der Parteien kommt es dabei mehr darauf an, ob sich eine Behandlungsmethode in der Schulmedizin und in der überwiegenden Praxis so durchgesetzt und bewährt hat, dass nach der statistischen Wahrscheinlichkeit im Einzugsbereich der Mitglieder der Beklagten und deren behandelnden Ärzte eine beliebig reproduzierbarer therapeutischer Erfolg in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle erreicht werden kann.
22Das hat die Klägerin mit dem durch seilangetretenen Beweis durch Sachverständigen-Gutachten nicht bewiesen. Der Gutachter Prof. Dr. Dr. hat dazu ausgeführt, an der von ihm vertretenen Universität würden seit 1970 Untersuchungen über die Wirksamkeit der Aurikulo-Therapie durchgeführt. Zur Schmerzstillung sei man in fast 1000 Fällen erfolgreich gewesen. Weitere Grundlagenforschungen würden in betrieben. Die Studien würden auf Kongressen einem großen ärztlichen Interesse unterbreitet. Die Universitäten und seien dabei, sich einzuarbeiten an 5 anderen Instituten und Krankenhäusern der Bundesrepublik Deutschland werde das Verfahren ebenfalls durchgeführt.
23Das Gutachten zeigt, dass diese Methode zur Analgesie und Therapie noch im Bereich des Aufbaues, des Experimentes und der Forschung steht. Die wenigen führenden Institutionen, die der Gutachter nennt, belegen auch die geringe quantitative Ausbreitung und die daraus resultierende geringe Erfahrung der breiten Ärzteschaft. Auch die Zahl von 1200 bis 1300 Akupunktur-Analgesien bis zum Beginn des Jahres 1976 zeigt die relativ geringe Höhe für eine statistische Signifikanz. Dieses Beweisergebnis wird gestützt durch den unwidersprochenen und belegten Vortrag der Beklagten, erst im Oktober 1977 sei ein informierendes Votum des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer zu erwarten. Es wird weiterhin bekräftigt durch das dem Gutachten vom Sachverständigen beigefügten Informationsmaterial, in dem er selbst ausführt: " Ob sich diese Methode eingebürgert, das ist schlecht vorauszusagen... Es bedarf dazu einer langjährigen Erfahrung... Sie (die medizinische Akupunktur) kann sich nur dadurch abgrenzen, dass sie zunächst einmal die Akupunktur weiter erforscht und den Medizinern... nahebringt." (Sonderdruck aus "Ärztliche Praxis" 28. Jahrgang, Nr. 82 vom 12. Oktober 1976, N2, Interview mit Prof. Dr. Dr. H Herget).
24Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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