Urteil vom Amtsgericht Neuss - 47 F 37/77
Tenor
I.
Die am 12.03.1971 vor dem Standesbeamten in Norf unter Heiratseintrag Nr. 8/1971 geschlossene Ehe der Parteien wird geschie-den.
II.
Die elterliche Gewalt über die am 26.09.1971 geborenen Tochter N wird der Antragstellerin übertragen.
III.
Das Verfahren über den Versorgungsausgleich wird bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die dort anhängigen Normenkon-trollverfahren ausgesetzt.
IV.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufge-hoben.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien, beide deutsche Staatsangehörige, haben am 12.03.1971 geheiratet.
3Der Ehe entstammte, die am 26.09.1971 geb. Tochter N, die bei der Mutter lebt. Nach gleichlautendem Vortrag leben die Parteien seit April 1977 getrennt, nachdem die Antragstellerin die Ehewohnung verlassen hat. Die Antragstellerin begehrt die Scheidung, der der Antragsgegner zunächst widersprochen hat, der er aber nunmehr nach Ablauf des während des Scheidungsverfahrens eingetretenen Trennungsjahres zustimmt. Die Antragstellerin hat den Scheidungsantrag zunächst damit begründet, dass der Antragsgegner eine ehewidrige Beziehung zu einer deren Frau unterhalte. Im Laufe des Verfahrens hat sich die Antragstellerin zu ihrem andauernden Verhältnis zu dem Zeugen L2 bekannt und auch hierauf den Scheidungsantrag gestützt.
4Die Antragstellerin beantragt,
5die am 12.03.1971 vor dem Standesbeamten des Standesamtes Norf unter der Heiratseintrag Nr. 8/1971 geschlossene Ehe der Parteien zu scheiden.
6Der Antragsgegner stimmt dem Scheidungsantrag zu.
7Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
8Das Gericht hat über die behauptete ehebrecherische Beziehung des Antragsgegner Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Vernehmungsniederschrift vom 17.04.1978 (Blatt 78 der Akten) verwiesen.
9E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
10I.
11der Scheidungsantrag ist begründet, §§ 1564, 1565 Abs. 1 BGB. Die Lebensgemeinschaft der Eheleute besteht seit April 1977 und damit länger als 1 Jahr nicht mehr und es kann auch nicht erwartet werden, dass die Eheleute sie wieder herstellen. Dies haben beide Parteien bei ihrer Anhörung deutlich zum Ausdruck gebracht. Das die Antragstellerin zur Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft mit dem Antragsgegner nicht bereit ist, hat allerdings nicht seinen Grund darin, dass dieser - wie die Antragstellerin zunächst behauptet hat - zu der Zeugin N ein ehebrecherisches Verhältnis unterhält. Das dies nicht der Fall ist, hat die Vernehmung der Zeugin mit Deutlichkeit ergeben. Der Grund für die mangelnde eheliche Gesinnung der Antragstellerin liegt vielmehr in ihrer eigenen Person, nämlich darin, dass sie sich einem anderen Mann zugewandt hat und sich zu diesem Verhältnis, das offenbar ernsthaft und von Dauer ist, bekannt. Vor diesem Hintergrund erschienen die durch die Beweisaufnahme widerlegten Behauptungen der Antragstellerin, der Antragsgegner habe ehebrecherische Beziehungen zu anderen Frauen unterhalten und einen "starken Vertrauensbruch" begangen, lediglich als prozeßtaktisches Verhalten, um das Ende des Trennungsjahres zu erreichen. Nachdem dies der Antragstellerin aber geglückt ist, kann sie in der Tat die Zerrüttung der Ehe auch damit begründen, dass bei ihr selbst - und nur bei ihr - die Bereitschaft und Fähigkeit fehlen, die Lebensgemeinschaft fortzuführen (vgl. Schwab: Handbuch des Scheidungsrechts, 1. Auflage 1977, Randnr. 99, 106). Hiervon abgesehen ergibt sich das Scheitern der Ehe aber auch daraus, dass der Antragsgegner die Konsequenzen aus dem Verhalten seiner Frau gezogen hat und nunmehr der Scheidung zustimmt.
12II.
13Die elterliche Gewalt über N ist antragsgemäß der Antragstellerin übertragen worden, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich geworden sind, dass diese vom Jugendamt O befürwortete Regelung dem Wohle des Kindes abträglich ist, § 1671 Abs. 1, Abs. 2 BGB.
14III.
15Das an sich entscheidungsreife Verfahren über den Versorgungsausgleich hat das Gericht ausgesetzt. Es schließt sich insoweit der Meinung an, die die analoge Anwendung des § 140 ZPO wegen schwebender Normenkontrolle befürwortet und das Gericht nicht für verpflichtet hält, und er allen Umständen die Normgültigkeitsfrage selbst zu entscheiden bzw. selbst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (vgl. Skouris: Die schwebende Rechtssatzprüfung als Aussetzungsgrund gerichtlicher Verfahren, NJW 75, 713). Gegen die Verfassungsmäßigkeit des Versorgungsausgleichs sind stets Bedenken erhoben worden (vgl. Müller: Verfassungswidrigkeit des Versorgungsausgleichs bei Altehen, NJW 77, 1745); mittlerweile ist bekannt, dass auch die Oberlandesgerichte D und I (NJW 78, 761) die Erstreckung des Versorgungsausgleichs auf vor dem 01.07.1977 geschlossene Ehen ("Altehen") für verfassungswidrig halten und die Sachen gem. Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt haben.
16Die Tatsache, dass das Verfassungsgericht oft erst nach Jahren entscheidet, dann aber mit allgemein verbindlicher Wirkung ( § 31 BVerfGG) und ohne die Möglichkeit, zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wieder aufzunehmen ( § 79 Abs. 2 BVerfGG), muss die rechtssuchenden Parteien verunsichern; selbst wenn sie mit dem Gericht die Verfassungsmäßigkeit des Versorgungsausgleiches für Altehen bejahen, müssen sie doch gewärtig sein, dass das Bundesverfassungsgericht später im entgegengesetzten T entscheidet. Berücksichtigt man nun, was häufig bei langjährigen Altehen für den ausgleichsverpflichteten Ehepartner auf dem Spiele stehe, dann muss verständlicherweise angenommen werden, dass allein schon die oben erwähnte Möglichkeit des anders lautenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Grund genug ist, den Rechtskrafteintritt durch Rechtsmitteleinlegung möglichst bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinauszuschieben.
17Schließlich ist auch dem Gericht nicht wohl bei dem Gedanken, auf dem ihm nicht heimischen Gebiet des Verfassungsrechts eine die Partei möglicherweise lebenslang belastende Entscheidung treffen zu müssen, während das zur allgemein verbindlichen Entscheidung der Verfassungsfrage berufene Gericht schon mit der Sache befasst ist und möglicherweise den gleichen Sachverhalt anders beurteilen wird. Die nicht anwaltlich vertretene Partei wird überdies mangels eigener Sachkunde häufiger die Entscheidung des Amtsgerichts hinnehmen, nicht in der Berufung gehen und die Entscheidung über den Versorgungsausgleich vor dem Spruch des Verfassungsgerichts rechtskräftig werden lassen. Es erscheint dem Gericht jedoch gerechtfertigt, alle Parteien in den Genuss der anstehenden höchstrichterlichen Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Versorgungsausgleichs kommen zu lassen, um einander widersprechende Beurteilungen des gleichen Sachverhalts zu vermeiden. Bei dieser Sachlage ist es also nach alledem aus Gründe der Prozessökonomie, zur Förderung der Entscheidungskonformität und damit der Rechtssicherheit geboten, das Verfahren betreffend den Versorgungsausgleich bis zur Entscheidung der schwebenden Normenkontrollverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht auszusetzen. Dem Scheidungsantrag ist alsdann vorab stattzugeben, sei es dass man die schwebenden Normenkontrollverfahren einem Rechtsstreit über den Bestand einer auszugleichenden Versorgung gleichsetzt (analoge Anwendung des § 628 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO), sei es , dass für die Partei auch eine unzumutbare Härte bedeutet, wenn sie mit der Auflösung der gescheiterten Ehe bis zum Spruch des Verfassungsgericht warten müssten (analoge Anwendung des §628 Abs. 1 Ziffer 3 ZPO).
18IV.
19Kosten
20§ 93 a Abs. 1 Satz 1 ZPO
21Streitwert:
22Scheidung : 4.800.-DM (§ 12 Abs. 2 Satz 2 GKG)
23elterliche Gewalt : 1.500.-DM (§12 Abs. 2 Satz 3 GKG)
24einstweilige Anordnung betreffend Ehegattenunterhalt: 2.400.-DM (§ 20Abs. 2 GKG).
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Referenzen
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