Urteil vom Amtsgericht Paderborn - 57a C 398/16
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die gegen ihn gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger nimmt den Beklagten aufgrund eines behaupteten ärztlichen Behandlungsfehlers aus übergegangenem Recht in Anspruch.
3Die am … verstorbene Versicherungsnehmerin des Klägers (im Folgenden: Versicherungsnehmerin) unterhielt bei dem Kläger eine Zusatzversicherung für stationäre Behandlungen unter der Versicherungsschein-Nummer: ...
4Die Versicherungsnehmerin befand sich vom 14.01.2015 bis zum 23.01.2015 sowie aufgrund eines Sturzes vom 10.02.2015 bis zum 03.03.2015 in stationärer Behandlung im C, in dem u.a. der Beklagte als Operateur agierte.
5Am 13.02.2015 führte der Beklagte – nach erfolgter ordnungsgemäßer Aufklärung – bei der Versicherungsnehmerin eine bipedikuläre Ballonkyphoplastie, welche ein minimalinvasives Verfahren zur Behandlung von Wirbelbrüchen darstellt, in Höhe der Lendenwirbelkörper (LWK) 3 und 4, durch. Dieser operative Eingriff erfolgte unter Vollnarkose und Röntgensichtkontrolle. Ausweislich des Operationsberichtes vom 18.08.2015, diktiert am Operationstag, wurde die Kyphoplastie am 13.02.2015 beim LWK 3 und 4 unter einer Röntgenkontrolle durchgeführt, beim LWK 4 habe jedoch eine extrem schwierige Röntgenanatomie, vor allem in der Lateralprojektion durch Weichteil- und Knochenüberlagerungen bestanden. Daher sei eine extrem zurückhaltende Applikation einer nur geringen Menge Zement erfolgt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Operationsberichtes vom 18.08.2015 (Anlage BLD 6, Bl. 22 f. d.A.) Bezug genommen. Etwaig intraoperativ gefertigte Durchleuchtungsaufnahmen in Form von Videoprints befinden sich aufgrund nicht mehr aufklärbarer Umstände nicht in der Patientenakte.
6Postoperativ klagte die Versicherungsnehmerin über starke Lumbalgien, teilweise auch mit Ausstrahlung in das rechte Bein. Vor diesem Hintergrund wurde eine Sichtbildgebung durchgeführt, auf der sich intraspinal Knochenzement zeigte, der im Rahmen der Operation am 13.02.2015 ausgetreten ist. Zur Entfernung des Knochenzementes wurde sodann am 23.02.2015 eine Revisionsoperation in mikrochirurgischer Technik durchgeführt. Nach dem Operationsbericht vom 31.03.2015 habe der Zementaustritt zu einer Rezessus-Stenose und zu einer Wurzelkompression geführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Operationsberichtes vom 31.03.2015 (Anlage BLD 7, Bl. 24 d.A.) Bezug genommen.
7Mit Schreiben vom 08.10.2015 forderte der Kläger den Beklagten erfolglos zur Erstattung eines Betrages in Höhe von insgesamt 1.772,55 € auf. Zur Begründung führte er auf, dass sich dieser Betrag aus Kostenpositionen zusammensetze, die dadurch entstanden seien, dass die Versicherungsnehmerin nach der ersten Operation aufgrund ihrer Beschwerden nicht bereits am 18.02.2015 aus der stationären Behandlung habe entlassen werden können, sondern sich einer weiteren Operation unterziehen musste, die eine zusätzliche Behandlung bis zum 03.03.2015 erforderlich gemacht habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens vom 08.10.2015 (Anlage BLD 9, Bl. 27 f. d.A.) Bezug genommen. Mit weiterem Schreiben 11.11.2015 forderte der Kläger den Beklagten erneut erfolglos unter Fristsetzung bis zum 01.12.2015 zur Erstattung des oben genannten Betrages auf.
8Die Erbin der Versicherungsnehmerin der Klägerin trat mit Abtretungserklärung vom 08.01.2016 etwaige Ansprüche gegen den Beklagten, die im Zusammenhang mit der stationären Behandlung vom 10.02.2015 bis zum 03.03.2015 stehen, an den Kläger ab (Anlage BLD 1, Bl. 12 d.A.).
9Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren - in Höhe von nunmehr insgesamt 1.736,75 € - weiter.
10Der Kläger ist der Ansicht, die Operation am 13.02.2015 sei nicht entsprechend der fachärztlichen Regeln durchgeführt worden. Hierzu behauptet er, dass aufgrund der vorhandenen schwierigen Röntgenanatomie für den Beklagten nicht zu erkennen gewesen sei, ob es während des Eingriffes zu einem Zementaustritt komme. Der Beklagte habe damit die Operation mangels einer hinreichenden Durchleuchtungskontrolle „blind“ vollendet und deshalb den Zementaustritt bei der Versicherungsnehmerin nicht bemerkt. Vielmehr hätte bei einer unzureichenden Röntgendarstellung die Operation abgebrochen werden müssen. Zudem sei unmittelbar nach Durchführung einer Kyphoplastie eine radiologische Kontrolle erforderlich gewesen, um den Austritt von Knochenzement aufzuspüren und geeignete Maßnahmen zu ergreifen.
11Die von dem Kläger geltend gemachten Kosten seien kausal durch die behandlungsfehlerhafte erste Operation entstanden. Anderenfalls hätte die Klägerin schon vorzeitig das Krankenhaus verlassen können.
12Der Kläger beantragt,
13den Beklagten zu verurteilen, an ihn einen Betrag von 1.736,75 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2015 zu zahlen.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Der Beklagte ist der Ansicht, dass es zu keinem behandlungsfehlerhaften Vorgehen während der Operation 13.02.2015 gekommen sei. Der Zementaustritt stelle eine Komplikation dar, die ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen nicht rechtfertigen könne.
17Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie zwei weiterer Ergänzungsgutachten des Prof. Dr. med. S, die dieser am 23.10.2017, 28.03.2018 und 11.07.2018 schriftlich erstellt und in der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2019 ergänzend erläutert hat. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten (Bl. 70 ff. d.A.), die Ergänzungsgutachten (Bl. 149 ff. d.A. und Bl. 175 ff. d.A.) sowie auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2019 (Bl. ff. d.A.) Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die zulässige Klage ist unbegründet.
20I.
21Dem Kläger steht ein geltend gemachter Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 1.736,75 € aus §§ 630a, 280 Abs. 1, 249, 823 Abs.1, 398 BGB, § 86 Abs. 1 S. 1 VVG gegenüber dem Beklagten nicht zu, da das Gericht einen Behandlungsfehler des Beklagten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, basierend auf dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. S und seinen ergänzenden Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung, nicht feststellen konnte. Dies wirkt sich zulasten des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers aus.
22Die ärztlichen Pflichten sind auf eine Behandlung und Versorgung des Patienten gerichtet, in der Regel mit dem Ziel der Wiederherstellung seiner körperlichen und gesundheitlichen Integrität, die den Regeln der ärztlichen Kunst, d.h. mindestens den im Zeitpunkt der Behandlung geltenden medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebiets entspricht. Standard ist, was auf dem betreffenden Fachgebiet dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht und in der medizinischen Praxis zur Behandlung der jeweiligen gesundheitlichen Störungen anerkannt ist. Der Arzt muss dabei unter Einsatz der von ihm nach diesem Standard zu fordernden sowie seiner speziellen und darüber hinausgehenden persönlichen medizinischen Kenntnisse und Fähigkeiten im konkreten Fall, das heißt unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der Behandlung, vertretbar über die diagnostische und therapeutisch zu treffenden Maßnahmen entscheiden und diese sorgfältig durchführen, insbesondere diejenigen Maßnahmen ergreifen die von einem gewissenhaften, aufmerksamen Arzt nach dem Standard seines Fachgebiets in dieser Situation erwartet werden dürfen (vergleiche Palandt, BGB, 75. Auflage 2016, § 630a Rn. 9,10; BGH, NJW 2015, 1601; BGH, NJW-RR 2014, 1053).
23Gemessen an diesen Grundsätzen ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. S die bei der Versicherungsnehmerin durchgeführte Behandlung nach den von ihm ausgewerteten Behandlungsunterlagen medizinisch indiziert gewesen und lege artis durchgeführt worden. Auch die postoperative Versorgung ist nicht zu beanstanden.
24a)
25Zunächst hat der Sachverständige ausgeführt, dass die dem Eingriff am 13.02.2015 zu Grunde liegende Diagnose der LWK 3- und LWK-4-Sinterungsfraktur korrekt anhand von Röntgen- und CT-Bildgebung gestellt worden und der Eingriff damit medizinisch indiziert gewesen sei. Es habe sich dabei um den Goldstandard gehandelt.
26Dabei könne eine solche Sinterungsfraktur, wie sie bei der Versicherungsnehmerin aufgrund einer verringerten Knochendichte aufgetreten sei, konservativ oder operativ behandelt werden. Bei einem konservativen Vorgehen werde - wie vorliegend auch erfolgt - zunächst versucht, die Patientin zu mobilisieren. Sie sei vorliegend bei ihrem stationären Aufenthalt vom 10.02.20115 bis zum 03.03.2015 zunächst konservativ aufgrund ihrer LWK 3-Franktur behandelt worden. Es habe sich jedoch bei der Versicherungsnehmerin gezeigt, dass sich ihre Situation aufgrund eines Sturzes nochmals verschlechtert habe und zusätzlich auch der LWK-4-Wirbel betroffen gewesen sei. Auch diesbezüglich sei erneut konservativ behandelt worden. Eine Mobilisation sei nicht möglich geworden. Der Schmerz sei mit einer Schmerzhaftigkeit von 9-10 auf der Visuellen Analogskala (VAS) maximal gewesen. In diesem Fall sei das konservative Therapieregime ausgereizt gewesen. Es habe daher die Indikation zur operativen Intervention bestanden.
27Auch die Wahl der durchgeführten Operationstechnik mittels Ballon-Kyphoplastie sei - so der Sachverständige weiter - nicht zu beanstanden. Bei der sog. Kyphoplastie, die eine minimal-invasive Technik darstelle, werde der Wirbelkörper zunächst mit einem Ballon wieder aufgerichtet und anschließend Zement zur dauerhaften Aussteifung in den Wirbelkörper eingebracht. Alternativ sei nur eine Versteifung mit Schrauben- und Stangensystemen geeignet gewesen. Dies sei jedoch ein wesentlich invasiverer Eingriff, der zudem mit großen Problemen bei schlechter Knochenqualität behaftet sei.
28Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen seien im Ergebnis keinerlei Hinweise für ein ärztliches Fehlverhalten ersichtlich.
29b)
30Darüber hinaus hat der Sachverständige Prof. Dr. med. S ausgeführt, dass dem Beklagten ein Behandlungsfehler nicht vorzuwerfen sei.
31Zwar habe sich ausweislich des Operationsberichtes vom 18.08.2015 beim LWK 4 gezeigt, dass die Darstellung des Wirbelkörpers im seitlichen Strahlengang schwierig gewesen sei. Dies hätte jedoch letztlich keine Veranlassung dazu gegeben, den operativen Eingriff abzubrechen.
32Soweit die Darstellung eines Wirbelkörpers schwierig sei, könne dies eine Ursache zum einen in der Körperfülle, zum anderen aber auch aufgrund der Beckenkämme, die den Wirbelkörper zusätzlich überlagern können, finden. Es sei in einem solchen Fall technisch nur unvollständig möglich, den Wirbelkörper genau zu erkennen. Dies könne zusätzlich erschwert werden bei osteopenen Verhältnissen, mithin bei geringer Kalkdichte der Wirbelkörper, so dass diese naturgemäß nicht mehr so gut zur Darstellung kommen würden. Dabei handele es sich jedoch um ein relativ typisches Phänomen bei solchen Operationen. Es bedeute indes jedoch nicht, dass eine Operation zu einem solchen Zeitpunkt abgebrochen werden müsse. Allerdings veranlasse eine derartige Darstellung dazu, entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Solche seien von dem Beklagten vorliegend auch beanstandungslos gezogen worden wie es sich aus dem Operationsbericht ergebe. Er habe in den Wirbelkörper nur besonders wenig Zement eingebracht und sich damit adäquat und korrekt verhalten.
33Lediglich bei einer vollkommenen Orientierungslosigkeit, d.h. wenn nichts mehr zu erkennen sei, darf kein Zement injiziert werden. Grundsätzlich sei es nicht so, dass man entweder alles sehe oder gar nicht sehe, sondern es gebe viele Abstufungen, bei denen es zwar schwierig sei, Zement zu replizieren, jedoch im Ergebnis dennoch verantwortbar sei. Es sei aus dem Operationsbericht nicht ersichtlich, dass der Beklagte wegen des Eingriffs gar nichts mehr gesehen habe. Denn er habe aufgenommen, dass es zwar schwierig sei, jedoch gerade nicht vollkommen unmöglich sei, sich röntgenanatomisch zu orientieren. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen habe er gezogen und sei sich damit der Risikoabwägung zwischen einer Applikation von Knochenzement einerseits und der Erreichung des therapeutischen Ziels andererseits bewusst gewesen. Dies lasse sich eindeutig aus dem Operationsbericht entnehmen. Aus sachverständiger Sicht – so Prof. Dr. med. S in der mündlichen Verhandlung – lasse sich aufgrund der fehlenden Videoprints zwar nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass der Beklagte gar keine Sicht gehabt habe. Eine solche Situation könne er allerdings zum einen nicht nachvollziehen, da dies nicht im Operationsbericht erwähnt sei und dies zum anderen ein zu hohes Risiko eines Zementaustrittes bedeutet hätte, da mit abnehmender Sicht auch das Risiko eines Zementaustrittes steige. Die Inkaufnahme eines derartigen Risikos durch den Beklagten sei – nicht zuletzt auf Grundlage des Operationsberichtes – aus seiner Sicht nicht vorstellbar.
34Im Übrigen sei ein Zementaustritt aus dem Wirbelkörper in 30 % der Fälle nach einer Kyphoplastie nachgewiesen, so dass es sich bei einem derartigen Geschehen nicht um eine Komplikation handele, die nur ab und zu eintrete, vielmehr sei dieses verfahrensimmanent. Aus sachverständiger Sicht sei ein ärztliches Fehlverhalten jedenfalls nicht zu erkennen.
35c)
36Weiter sei nach den Ausführungen des Sachverständigen auch die postoperative Nachversorgung der Versicherungsnehmerin nicht zu monieren. Sie sei regelmäßig visitiert und der neurologischen Status sei erhoben worden. So hätten sich in den ersten zwei Tagen nach der Operation keine Auffälligkeiten gezeigt. Es haben keine Paresen und keine Ischialgien vorgelegen. Erst am dritten postoperativen Tag habe sich eine Schmerzsymptomatik im Flankenbereich gezeigt. Diese sei zeitnah einen Tag später durch eine Computertomographie diagnostisch aufgearbeitet worden, wobei die korrekte Diagnose des intraspinalen Zementes gestellt worden sei. Vor diesem Hintergrund sei letztlich die Revisionsoperation durchgeführt worden. Dabei sei jedoch zunächst zurückhaltend hinsichtlich der Frage agiert worden, ob das Zementstückchen überhaupt zu entfernen sei, da dies eine offene Rückenoperation bedeutet habe. Nach gleichbleibender Schmerzsymptomatik sei jedoch - insoweit ebenfalls nicht zu beanstanden - die Entscheidung getroffen worden, das Zementstückchen am 23.02.2015 zu entfernen.
37Diese Ausführungen hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung dahingehend ergänzt, dass es für eine Revisionsoperation – aufgrund des relativ aufwändigen Verfahrens – einer weitergehenden Klinik bedürfte. Insoweit werde eine solche nicht allein aufgrund des Umstandes durchgeführt, dass Paravasat zu erkennen sei. Denn insoweit trete solches – wie oben aufgeführt – in 30 % der Eingriffe auf. Vielmehr sei eine weitere Klinik erforderlich, die sich bei der Versicherungsnehmerin dadurch gezeigt habe, dass sie über Schmerzen geklagt habe, die sich nicht gebessert hätten.
38Ferner sei es - so der Sachverständige weiter - auch nicht erforderlich gewesen, routinemäßig eine Begebung nach einer Zementapplikation bei dem behandelten Patienten durchzuführen. Dies gelte auch dann, wenn zuvor die Sicht eingeschränkt gewesen sei. Insbesondere sei es in der Regel gar nicht möglich, auf einfache Röntgenbildgebung sicher die Lage des Zementes zu beurteilen. Vielmehr sei - wie im vorliegenden Fall nach entsprechenden Symptomen auch geschehen - eine Computertomographie erforderlich. Bereits aus den Vorgaben des Strahlenschutzes seien solche routinemäßigen Untersuchungen nicht indiziert bzw. verstießen gegen die Strahlenschutzverordnung. Damit sei nur bei Vorliegen von etwaigen Symptomatiken eine entsprechende Schnittbilddiagnostik durchzuführen.
39Diesen plausiblen und für das Gericht nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. S in seinem schriftlichen Gutachten sowie in der mündlichen Verhandlung schließt sich das Gericht an. An der Fachkunde des Sachverständigen bestehen keine Zweifel. Er hat unter Auswertung der Verfahrensakte sowie der beigezogenen Behandlungsunterlagen den Sachverhalt umfassend dargestellt und gewürdigt.
40d)
41Selbst wenn zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass ihm aufgrund der nicht mehr vorhandenen Videoprints in der Patientenakte eine Beweiserleichterung dahingehend zukommt, dass es nunmehr dem Beklagten obliegt, zu beweisen, dass ihm kein Behandlungsfehler vorzuwerfen sei, so vermag dies der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen.
42Grundsätzlich geht es beweismäßig zu Lasten des Krankenhausträgers, wenn Krankenunterlagen, die Auskunft über das Behandlungsgeschehen geben, - wie vorliegend die Videoprints – aus ungeklärten Gründen verschwunden sind. Es gehört zu den Organisationsaufgaben des Krankenhausträgers, Unterlagen, die Auskunft über das Behandlungsgeschehen geben, zu sichern. Erweist es sich als geboten, die Behandlungsunterlagen an eine andere Stelle herauszugeben, dann ist es Aufgabe des Krankenhausträgers zu dokumentieren, wann er an welche Stelle für welchen Zweck die Unterlagen weitergeleitet hat. Erhält der Krankenhausträger die Unterlagen zurück, dann hat er auch dies zu vermerken; erhält er sie in angemessener Zeit nicht zurück, dann ist er gehalten, für ihre Rücksendung zu sorgen; auch diese Bemühungen und ihr Erfolg sind zu dokumentieren. In jedem Fall hat der Krankenhausträger dafür zu sorgen, daß über den Verbleib der Behandlungsunterlagen jederzeit Klarheit besteht. Dieser Pflicht hat der Beklagte nicht genügt (vgl. zum Vorstehenden: BGH, Urteil vom 21. November 1995 – VI ZR 341/94 –, Rn. 10, juris).
43Allerdings vermochte sich der Beklagte durch Vorlage der weiteren Behandlungsunterlagen und insbesondere des Operationsberichtes dahingehend exkulpieren, dass seinerseits kein Behandlungsfehler vorgelegen hat.
44Denn einer formell und materiell ordnungsgemäßen ärztlichen Dokumentation – hier der Operationsbericht vom 18.08.2015 – kann bis zum Beweis des Gegenteils Glauben geschenkt werden. Um die Vollständigkeit der Dokumentation zu erschüttern, müssen konkret erkennbare Anhaltpunkte vorliegen. Dies kann z.B. dann angenommen werden, wenn an dem Operationsbericht nachträglich Änderungen vorgenommen worden sind oder der Bericht erst mit langem zeitlichem Abstand zur Operation verfasst wurde (vgl. zum Vorstehenden: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15. November 2011 – 1 U 31/11 –, Rn. 19, juris m.w.N.). Gemessen an diesen Grundsätzen ist nicht ersichtlich, dass dem Operationsbericht kein voller Beweiswert mehr zukommt. Denn dieser ist zwar erst am 18.08.2015 niedergeschrieben worden, jedoch datiert das entsprechende Diktat ausweislich des Berichts auf den 13.02.2015, dem Tag der Revisionsoperation. Auch nachträgliche Änderungen sind nicht ersichtlich.
45Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Einhaltung der gebotenen ärztlichen Sorgfalt durch den Operationsbericht nicht unwiderlegbar bewiesen wird und der Operationsbericht lediglich ein vom Tatrichter bei seiner Überzeugungsbildung zu würdigendes Beweismittel ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2013 – VI ZR 44/12 –, Rn. 10, juris).
46Vor dem Hintergrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. S geht das Gericht mit Erläuterungen im Operationsbericht mithin davon aus, dass der bei der Versicherungsnehmerin durchgeführte Eingriff behandlungsfehlerfrei erfolgt ist. Insoweit war sich – wie oben bereits ausgeführt – der Beklagte der schwierigen Situation bei der Versicherungsnehmerin bewusst. Darauf hat er angemessen durch das extrem zurückhaltende Applizieren des Zementes reagiert und im Rahmen seiner durchzuführenden Risikoabwägung agiert. Insoweit hat auch der Sachverständige im Verhandlungstermin nochmals betont, dass eine präzisere Beschreibung des Operationsverlaufes seitens des Beklagten in dem Operationsbericht aus sachverständiger Sicht nicht möglich gewesen sei.
47II.
48Mangels Bestehens eines Behandlungsfehlers war auch der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verzugszinsen abzuweisen.
49III.
50Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 ZPO und §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
51Der Streitwert wird auf 1.736,75 EUR festgesetzt.
52Rechtsbehelfsbelehrung:
53Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
541. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
552. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
56Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Paderborn, Am Bogen 2-4, 33098 Paderborn, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
57Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Paderborn zu begründen.
58Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Paderborn durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
59Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
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Referenzen
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