Urteil vom Amtsgericht Siegen - 14 C 363/11
Tenor
Die Beklage wird verurteilt, an die Klägerin 1.174,41 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin ein Drittel , die Beklagte zwei Drittel.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d
2Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf Zahlung restlicher Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall vom 10. November 2010 in O, welcher sich zwischen dem Herrn T (im Folgenden: Zedent) und dem Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen Si-XXX ereignete und von letzterem verursacht wurde.
3Die Parteien streiten lediglich über die Höhe des von der Beklagten zu ersetzenden Schadens.
4Der Zedent, mietete ein Ersatzfahrzeug bei der Klägerin für 11 Tage in der Zeit vom 15. November bis 25. November 2010. Das beschädigte Fahrzeug ist der Schwacke-Preisgruppe 05, das angemietete Ersatzfahrzeug der Schwacke-Preisgruppe 08 zuzuordnen. Bei dem angemieteten Fahrzeug handelte es sich um einen VW T5 Multivan, welcher, wie auch das verunfallte Fahrzeug, 7 Sitze bietet. Für die Dauer der Anmietung war bei der Klägerin kein 7-sitziges Fahrzeug zu erhalten, welches in Preisgruppe 05, 06 oder 07 einzuordnen gewesen wäre.
5Am 09. Dezember 2010 leistete die Beklagte an die Klägerin einen Teilbetrag in Höhe von 580,72 EUR. Ausweislich der Rechnung vom 26. November 2010, zahlbar binnen 14 Tagen, begehrt die Klägerin über diesen Betrag hinaus einen weiteren Betrag in Höhe von 1.744,74
6Der in Rechnung gestellte Gesamtbetrag von 2.325,46 EUR errechnet sich wie folgt: Eine Wochenpauschale in Höhe von 785,40 EUR, eine 3-Tagespauschale in Höhe von 494,11 EUR sowie eine Tagespauschale in Höhe von 175,70 EUR, eine Position "Haftungsbeschränkung Gruppe 8" über 249,48 EUR, Winterreifen 110,88 EUR sowie Zusatzfahrer 138,60 EUR. Hinzugerechnet wurde 19 % Mehrwertsteuer.
7Die Klägerin ist der Ansicht, hinsichtlich der Angemessenheit der Kosten sei die Schwacke-Liste 2003 anzuwenden, in welche Inflation und höhere Mehrwertsteuer hinein zu rechnen seien. Zudem sei ein 20%iger Aufschlag im Rahmen eines Unfallersatztarifes angemessen, da sie bei der Vermietung ein höheres Ausfallrisiko sowie einen höheren Verwaltungsaufwand gehabt habe.
8Die Klägerin beantragt,
9die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.744,74 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Dezember 2010 zu zahlen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Die Beklagte bestreitet den Bedarf für ein 6-sitziges Fahrzeug, die Kosten eines zweiten Fahrers, Winterreifen sowie die Angemessenheit der Haftungsbeschränkungskosten. Ferner vertritt sie die Rechtsauffassung, die Sicherungsabtretung des Geschädigten an die Klägerin sei nichtig, da ein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz vorliege. Der ortsübliche Normaltarif sei anhand des Fraunhofer-Mietpreisspiegels zu ermitteln.
13Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
16Die Klägerin hat aus abgetretenem Recht einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der übrigen Mietwagenkosten in tenorierter Höhe.
17Zur Ermittlung des ersatzfähigen Normaltarifs legt das Gericht die Schwackeliste 2003 unter Berücksichtigung der Preissteigerung sowie der Mehrwertsteuererhöhung zugrunde. Nach Auffassung des Gerichts stellt die Schwackeliste 2003 gegenüber den Schwackelisten ab 2006 sowie der Erhebung des Fraunhofer-Institutes die am besten geeignete Vergleichsgrundlage dar. Der Bundesgerichtshof hat unter Hinweis auf die besondere Freiheit des Tatrichters die Zugrundelegung dieser Liste gebilligt (vgl. BGH, NJW, 2009, Seite 58, 60).
18Gegen die Zugrundelegung der Schwackelisten 2006 und 2007 ergeben sich hingegen erhebliche Bedenken. Diese Bedenken folgen daraus, dass die ermittelten Daten nicht anonymisiert erfragt wurden, sondern die befragten Vermieter seinerzeit über den Zweck der Befragung informiert waren, was die ermittelten Werte dem Vorwurf der Beeinflussung aussetzte. Zweifel an der Richtigkeit der ermittelten Daten ergeben sich überdies auch aus dem Grunde, dass die Schwackelisten 2006 und 2007 gegenüber der Liste aus dem Jahr 2003 erhebliche Preissprünge aufweisen, die sich dadurch erklären lassen, dass die Mietwagenunternehmen in Kenntnis der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Unfallersatztarif ihre Angaben hierauf angepasst haben (vgl. beispielsweise OLG München, RuS 2008, 439, 440).
19Durchgreifenden Einwendungen begegnet auch die Erhebung des Fraunhofer-Institutes. Zwar bietet diese Liste den Vorteil, dass sie aufgrund anonymer Abfragen von Mietpreisen die konkrete Anmietsituation besser abbildet und etwaige Manipulationen durch bewusste Nennung von höheren Preisen seitens der befragten Mietwagenunternehmen vermeidet. Allerdings hat die Liste bereits den Nachteil, dass sie ein zu großes Raster etwa bei den telefonisch erfragten Werten und den ermittelten Internetwerten aufweist und so den örtlichen Preisunterschieden nicht genügend Rechnung trägt. In das Gewicht fällt außerdem, dass man bei der telefonischen Erhebung die Legende verwendet hat, ein Fahrzeug erst nach einer Woche zu benötigen. Diese Vorgehensweise wird dem Markt für schnell zur Verfügung stehende Ersatzwagen nicht gerecht. Im übrigen handelt es sich bei der Fraunhofer-Studie um eine von der Versicherungswirtschaft in Auftrag gegebene Studie, deren Unabhängigkeit und Neutralität in Frage gestellt werden kann (vgl. OLG Stuttgart, NZV 2009, 563, 565).
20Die Nachteile, die dem jeweiligen Zahlenwert anhaften, lassen sich auch nicht dadurch aufheben, dass man aus beiden einen Mittelwert bildet.
21Dagegen bietet die Schwackeliste 2003 den Vorteil, dass die Liste zu einem Zeitpunkt erhoben wurde, zu dem die Mietwagenunternehmen eben noch keine Kenntnis von der Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Ersatzfähigkeit des Unfallersatztarifes haben konnten.
22Unter Berücksichtigung der ihr obliegenden Schadensminderungspflicht hat die Klägerin zur Ermittlung des Normaltarifs in dem vorliegenden Fall zutreffend einmal den Wochentarif, einmal den 3-Tages-Tarif sowie einmal den Tagestarif zugrunde gelegt.
23Der Zedent durfte vorliegend auch ausnahmsweise ein Fahrzeug nach Schwacke-Klasse 8 anmieten, um sein Fahrzeug der Klasse 5 zu ersetzen. Dem Vortrag, die Klägerin habe als 6- bzw. 7-sitziges Fahrzeug allein ein Fahrzeug der Klasse 8 im Bestand gehabt, ist die Beklagte nicht entgegen getreten. Soweit die Beklagte vorträgt, der Zedent hätte das Fahrzeug ohnehin nicht mit seiner gesamten Familie nutzen müssen, stellt es nach Auffassung des Gerichts für den Zedenten keinen Luxus dar, ein Fahrzeug nutzen zu können, welches, wie das in Reparatur befindliche eigentliche Fahrzeug auch, der gesamten Familie ermöglicht, gleichzeitig mobil zu sein, zumal durchaus Situationen denkbar sind, in welchen die Eltern mit allen vier Kindern an einen bestimmten Ort gelangen müssen, ohne, dass diese bei Anmietung des Fahrzeuges bereits hätten vorhergesehen werden können. Der Zedent muss sich vor diesem Hintergrund nicht auf ein Fahrzeug mit weniger als 6 Sitzen verweisen lassen.
24Entgegen der Auffassung der Klägerin beschränkt sich die Ersatzpflicht hinsichtlich der reinen Mietwagenkosten allerdings auf den nach der Schwackeliste anzusetzenden Wochentarif in Höhe von 666,00 EUR, den 3-Tages-Tarif in Höhe von 419,00 EUR sowie den Tagestarif in Höhe von 160,00 EUR, woraus sich unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuererhöhung und unter Zugrundelegung einer im Sinne des § 287 ZPO geschätzten jährlichen Inflation von 2 % eine Zwischensumme von 1.443,13 EUR ergibt.
25Auf den Ersatz eines Aufschlages in Höhe von weiteren 20 % im Rahmen des Unfallersatztarifes hat die Klägerin indes keinen Anspruch. Die Klägerin hat trotz Hinweises der Beklagten im Schriftsatz von 18.03.2011, welcher einen richterlichen Hinweis entbehrlich machte, nicht hinreichend vorgetragen, weshalb vorliegend eine 20-prozentiger Aufschlag angemessen sein sollte. Der bloße pauschale Verweis auf einen höheren Verwaltungsaufwand ist eben sowenig geeignet, einen solchen Aufschlag zu begründen, wie das vorgetragene erhöhte Ausfallrisiko. Es stand der Klägerin frei, ihr Fahrzeug in Kenntnis der wirtschaftlichen Situation des Zedenten an diese zu vermieten oder von einer Vermietung Abstand zu nehmen.
26Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der örtlichen Amts- und Landgerichte, etwa Landgericht Siegen vom 17.11.2009, Aktenzeichen 1 S 49/09. Sofern dort ein 50%iger Aufschlag also ersatzfähig angesehen wird, stellt dies darauf ab, dass dem Anmietenden, welcher spontan die Anmietung eines Fahrzeuges zu veranlassen hat, erst ab überschreiten einer bestimmten Grenze ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dergestalt zur Last gelegt werden kann, dass er sich nach günstigeren Angeboten hätte umsehen müssen. Grundprämisse dieser Rechtsprechung ist nämlich, dass der Geschädigte keine Zeit hatte, sich vorab über entsprechende Tarife zu informieren. Vorliegend sind jedoch zwischen Unfall und Anmietung fünf Tage vergangen. Ob der Zedent in dieser Zeit schon mit der Notwendigkeit der sofortigen Anmietung rechnen musste oder nicht, ist unerheblich, da er sich aufgrund der nicht unerheblichen Beschädigung seines Fahrzeuges und der damit verbundenen Reparaturzeit jedenfalls der Möglichkeit der Notwendigkeit der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges bewusst gewesen sein muss, und zwar unabhängig von einer Verkehrstauglichkeit des Fahrzeuges.
27Zu ersetzen sind ferner die in Rechnung gestellten Kosten für Winterreifen. Zwar vertritt ein Teil der Rechtsprechung die Auffassung, dass eine gesonderte Vergütung für eine der winterlichen Witterung angepasste Bereifung nicht gerechtfertigt sei, da eine solche zur selbstverständlichen Standardausrüstung eines Mietwagens gehöre (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23. Februar 2010, Aktenzeichen 9 U 141/09). Dem vermag das Gericht nicht zu folgen. Die Pflicht, ein Fahrzeug in einen verkehrstauglichen Zustand zu versetzen, sagt nichts darüber aus, ob von einem Mietwagenunternehmen nicht dennoch für Winterreifen zusätzliche Kosten erhoben werden. Unabhängig von der Neufassung des § 2 Abs. 3 a StVO ist es nach Auffassung des Gerichts üblich, den Mietpreis für Winterreifen gesondert abzurechnen. Vorliegend durfte der Geschädigte Winterreifen auch für erforderlich halten, da sich der Unfall im November ereignet hat und zu dieser Jahreszeit im Siegerland mit winterlichen Verkehrsverhältnissen zu rechnen ist. Die Höhe der Kosten konnte im Wege der Schadensschätzung als angemessen zu Grunde gelegt werden.
28Erstattungsfähig sind ferner die Kosten für einen zweiten Fahrer. Im Hinblick darauf, dass der Zedent mit seiner Frau (mindestens) vier minderjährige Kinder hat, geht das Gericht davon aus, dass es fernliegend ist, nur der Zedent selbst und nicht auch seine Frau nutze das Fahrzeug, zumal nicht davon auszugehen und auch nicht vorgetragen ist, dass sich ein zweites Fahrzeug gleicher Größe im Besitz des Zedenten befindet. Eine solche Annahme wäre auch lebensfremd.
29Soweit die Beklagte einwendet, es stelle ein "überbehütetes" Verhalten dar, die Kinder regelmäßig zur Schule und zu diversen Sportveranstaltungen zu fahren, liegt die Berechtigung zur Bewertung dessen einzig und allein bei dem Zeugen T selbst.
30Bezüglich der Angemessenheit wurde wiederum eine Schadensschätzung zu Grunde gelegt.
31Nicht erstattungsfähig sind hingegen die Kosten für die Haftungsbeschränkung, die die Klägerin trotz Hinweises der Beklagten im Schriftsatz vom18.03.2011 nicht hinreichend dargelegt hat. Unabhängig von der Frage, ob das bei dem Verkehrsunfall beschädigte Fahrzeug selbst voll- oder teilkaskoversichert war, besteht zwar jeweils ein schutzwürdiges Interesse des Geschädigten, für die Kosten einer eventuellen Beschädigung des Mietfahrzeuges nicht selbst aufkommen zu müssen, zumal Mietwagen in der Regel neu und damit höherwertiger sind als die beschädigten Fahrzeuge (LG Siegen, Urteil vom 27.10.2009, Aktenzeichen 1 S 49/09). Andererseits lässt sich dem klägerischen Vortrag nicht entnehmen, auf welcher Grundlage die geltend gemachten Kosten ermittelt wurden, zumal der Ansatz von Versicherungskosten in Höhe von 297,00 EUR für einen Zeitraum von 11 Tagen, einen monatlichen Beitrag von 810,00 EUR ergeben würden. Hinsichtlich einer derart überhöhten Prämienhöhe hätte es ergänzenden Vortrages der Klägerin hinsichtlich der Angemessenheit bedurft. Mangels solchen Vortrages und somit hinreichender Anhaltspunkte war auch eine Beweiserhebung hinsichtlich der tatsächlich Angemessenen Höhe nicht angezeigt.
32In der Abtretung der Ansprüche an die Klägerin ist auch kein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz zu sehen. Die Geltendmachung der Schadenersatzforderung in eigenem Namen aufgrund der Sicherungsabtretung stellt zwar eine grundsätzlich nach § 2 Abs. 1 RDG erlaubnispflichtige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten dar. Diese ist aber gemäß § 5 Abs. 1 RDG als Nebenleistung erlaubnisfrei (vgl. auch AG Waiblingen, Urteil vom 05.11.2010, 8 C 1039/10).
33Soweit die Klägerin Schriftsatznachlass beantragt hat, war dieser nicht zu gewähren, da der Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 16.05.2011 kein Vorbringen enthielt, welches bestimmtes Vorbringen der Klägerin erstmals entgegengetreten wäre.
34Der Zinsanspruch beruht auf § 286 Abs. 1 BGB.
35Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO, diejenige über die Kostenentscheidung aus § 91 ZPO.
36Der Streitwert beträgt 1.744,74 EUR.
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