Urteil vom Amtsgericht Solingen - 12 C 340/11
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.652,86 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.03.2011 zu zahlen, im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Der Kläger macht bereicherungsrechtliche Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend, die Parteien streiten darüber, ob zum 01.06.2004 ein fondsbasierter Rentenversicherungsvertrag mit der Vertragsnummer wirksam geschlossen wurde. Der Vertragsabschluss erfolgte nach dem sogenannten Policenmodell.
2Der Kläger stellte bei der Beklagten den Antrag auf Abschluss eines Versicherugsvertrages, dieser Antrag wurde mit Schreiben vom 28.04.2004 von der Beklagten angenommen. Dem Schreiben der Beklagten an den Kläger waren der Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen sowie die Verbraucherinformationen mit Steuerhinweisen und einem Merkblatt zum Datenschutz beigefügt.
3Auf der unteren Hälfte des Anschreibens ist folgende Regelung kursiv und eingerückt festgehalten:
4„Sie können dem Zustandekommen des Can Generation innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt dieser Unterlagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. schriftlich, per Email oder in anderer lesbarer Form) widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs an uns.“
5Seite 5 des Anschreibens, welche mit „Verbraucherinformationen“ überschrieben ist, besteht aus fünf nummerierten Abschnitten. Unter der fettgedruckten Überschrift „4 Widerspruchsrecht“ ist folgende Bestimmung aufgeführt:
6„Mit den unter 3 genannten Unterlagen sind Sie im Besitz aller gesetzlich vorgeschriebenen Verbraucherinformationen. Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt dieser Verbraucherinformation dem Vertragsschluss in Textform (z.B. schriftlich, per E-Mail oder in anderer lesbarer Form) wiedersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung Ihrer Widerspruchserklärung an uns. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn Ihnen die unter 3 genannten Unterlagen vollständig vorliegen. Unabhängig von diesen Voraussetzungen erlischt ihr Recht zum Widerspruch ein Jahr nach Zahlung des ersten Betrages. Sofern Sie von Ihrem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch machen, gilt der Vertrag auf der Grundlage der unter 3 genannten Unterlagen und eventuell abweichender, gesondert mit Ihnen getroffener Vereinbarungen als geschlossen.“
7Sämtlichen Abschnitten ist eine fettgedruckte Nummerierung vorangestellt, zudem wird eine einheitliche Schriftart und Schriftgröße verwendet, wegen der Einzelheiten der übersandten Unterlagen wird auf Blatt 20-23 der Gerichtsakte (im folgednen GA) Bezug genommen.
8In dem Zeitraum vom 01.06.2004 bis 31.12.2010 leistete der Kläger Prämien in Höhe von insgesamt 11.850,00 EUR. Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.02.2011 ließ der Kläger den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F., hilfsweise die Kündigung erklären, Blatt 24 der Gerichtsakte.
9Die Beklagte akzeptierte die Kündigung zum 21.02.2011 und zahlte am 07.04.2011 einen ermittelten Rückkaufswert in Höhe von 10.843,73 EUR aus.
10Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.05.2011 erklärte der Kläger nochmals den Widerspruch des Vertragsschlusses und forderte die Beklagte zur Zahlung der Differenz zwischen dem erstatteten Rückkaufswert und der Summe aller Beitragszahlungen zuzüglich Zinsen und Kosten auf. Eine weitergehende Zahlung der Beklagten erfolgte nicht.
11Der Kläger beantragt,
12die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.652,86 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.03.2011 zu zahlen,
13die Beklagte ferner zu verurteilen, an ihn Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 1.101,46 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beklagte ist der Ansicht, ein Widerspruch des Klägers sei aufgrund Fristablaufs nicht mehr möglich.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlage Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Klage ist begründet.
20Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien in Höhe von 1.006,26 EUR aus § 812 Abs.1 S.1 Alt.1 BGB sowie ein Anspruch auf Nutzungen in Höhe von 3.646,60 EUR aus § 812 Abs,1 S.1 Alt.1 i.V.m § 818 I BGB zu. Die Zahlung der Prämien erfolgte ohne rechtlichen Grund.
21Der Versicherungsvertrag wurde zunächst schwebend unwirksam geschlossen und ist durch Widerspruch endgültig gescheitert.
22Der Vertragsschluss erfolgte nach dem sogenannten Policenmodell. Hierbei erhält der Versicherungsnehmer die Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformation nach § 10 a VAG erst nach Antragstellung, zusammen mit der Annahmeerklärung des Versicherungsgebers.
23Ein solches Vorgehen ist gemäß § 5a VVG a.F. (1994) grundsätzlich zulässig. Erhält der Versicherungsnehmer die Informationen erst nach Antragstellung, steht ihm ein Widerspruchsrecht zu und der Vertrag gilt als abgeschlossen, wenn innerhalb einer 14- tägigen Frist ein Widerruf nicht erfolgt. Es kommt ein schwebend unwirksamer Vertrag zustande, der nach Ablauf der Widerspruchsfrist rückwirkend unter Einbeziehung der Versicherungsbedingungen wirksam wird.
24Die Regelung des § 5a VVG verstößt nicht gegen europäisches Recht. Dies gilt jedenfalls soweit sie die Zulässigkeit des Policenmodells bestimmt.
25§ 5a Abs.2 VVG a.F. stellt insbesondere keine fehlerhafte Umsetzung der Bestimmungen in Art. 31 Abs.1 der Richtlinie 92/96 EWG bzw. Art. 36 Abs.1 der diese ablösenden Richtlinie 2002/83 EG dar (OLG Hamm, Beschluss vom 31.08.2011). Hiernach sind dem Versicherungsnehmer näher bezeichnete Verbraucherinformationen „vor Vertragsschluss“ mitzuteilen.
26Die Formulierung „vor Vertragsschluss“ ist dabei so zu verstehen, dass dem Versicherungsnehmer die Verbraucherinformationen vor dem bindenden Zustandekommen des Vertrages erteilt sein müssen (Lorenz, VersR 1995, 625). Diese Voraussetzung ist erfüllt, denn eine endgültige Vertragsbindung tritt nach der rechtlichen Konstruktion des § 5a VVG a.F. nicht schon mit Stellung des Antrags sondern erst mit Ablauf der Widerspruchsfrist ein.
27Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Versicherungsnehmer zur Verhinderung der endgültigen Vertragsbindung ein Widerspruchsrecht ausüben muss, ihm mithin ein aktives Tun abverlangt wird. Das Richtlinienrecht hat den Mitgliedsstaaten kein bestimmtes Abschlussmodell vorgeschrieben, der deutsche Gesetzgeber war berechtigt, durch § 5a VVG a.F. ein neues Abschlussmodell zu schaffen (Lorenz, VersR 1995, 626).
28Der Vertrag ist jedoch durch Widerspruch endgültig gescheitert. Dem Versicherungsnehmer steht ein Widerspruchsrecht aus § 5a VVG a.F. zu, welches zum Zeitpunkt seiner Ausübung nicht verfristet war.
29Die 14 tägige Frist ist mangels wirksamer Belehrung nicht in Gang gesetzt worden.
30Gemäß § 5a VVG a.F. hat die Belehrung in drucktechnisch deutlicher Form zu erfolgen.
31An das Tatbestandsmerkmal der Deutlichkeit sind strenge Voraussetzungen zu stellen. Deutlichkeit verlangt, dass die Belehrung so stark hervorgehoben ist, dass sie dem Versicherungsnehmer beim Durchblättern der Seiten nicht entgehen kann, selbst wenn er nicht nach einer Widerspruchsmöglichkeit sucht. Dabei wird nicht vorausgesetzt, dass der Versicherungsnehmer die ihm zugesandten Papiere im Einzelnen liest und zu verstehen versucht (BGH, Urteil v. 28.01.04 Rn 22).
32Diesen Anforderungen genügen weder die Widerspruchsbelehrung unter Punkt 5 der „Verbraucherinformationen“ noch die Belehrung im Policenanschreiben vom 28.04.2004.
33Erstere geht in dem Vertragswerk nahezu unter. Zwar ist sie mit einer fettgedruckten Überschrift versehen, jedoch sind auch den übrigen Abschnitten jeweils fett gedruckte Nummerierungen vorangestellt. Zudem wurde bei sämtlichen Bestimmungen dieselbe Schriftart verwendet. Mangels Fettdrucks des gesamten Textes hebt sich die Belehrung nicht ausreichend von den sonstigen Bestimmungen ab.
34Die Belehrung im Policenanschreiben ist demgegenüber kursiv geschrieben und leicht eingerückt. Den Anforderungen, welche an die Deutlichkeit gestellt werden, entspricht sie dennoch nicht. Hierzu hätte zusätzlich ein Fettdruck oder zumindest eine Rahmung des Textes erfolgen müssen.
35Eine andere Beurteilung ergibt sich für die Belehrung im Policenanschreiben nicht daraus, dass sie bereits auf der ersten Seite des Anschreibens aufgeführt ist. Denn es ist nicht anzunehmen, dass ein Verbraucher die erste Seite eines mehrere Seiten umfassenden Vertragswerks detaillierter liest, als eine der darauf folgenden Seiten.
36Dem Anschreiben ging der Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrages seitens des Versicherungsnehmers voraus. Für ihn ist in diesem Moment allein von Interesse, ob der Antrag angenommen wurde und ggf. noch, welche Unterlagen dem Schreiben angefügt sind. Entsprechend aufmerksam wird er die Ausführungen hierzu lesen.
37Nachdem er diese Angaben auf der oberen Hälfte des Anschreibens gelesen hat, sind aus seiner Sicht die wesentlichen Punkte erfasst. Auf den darauffolgenden Text ist er folglich wieder gesondert hinzuweisen. Insofern gelten ab diesem Zeitpunkt für das Anschreiben keine anderen Kriterien als für eine der hinteren Seiten.
38Das Widerspruchsrecht ist auch nicht gem. § 5a Abs.2 S.4 VVG a.F ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erloschen. Die Vorschrift des § 5a VVG a.F. ist dahin richtlinienkonform auszulegen, dass § 5a Abs. 2 S.4 VVG a.F. keine Anwendung findet.
39Einer richtlinienkonformen Auslegung steht der eindeutige Wortlaut des S.4 nicht entgegen.
40Bei der Verwendung des Begriffs der Auslegung ist nicht von der im deutschen Rechtskreis üblichen Unterscheidung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung auszugehen. Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung fordert im Einzelfall auch, das nationale Recht richtlinienkonform fortzubilden (BGH VIII ZR 200/05 Urteil v. 29.11.2008).
41Eine Rechtsfortbildung kann dabei im Wege der teleologischen Reduktion erfolgen. Hierbei kann im Rahmen einer gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsfortbildung auch die vollständige Nichtanwendung einer Norm gerechtfertigt sein (Frenz, Handbuch Europarecht Band 5, S. 314; Herresthal, Rechtfortbildung im europäischen Bezugsrahmen, S. 312 ff.; ausdrücklich offengelassen: BGH VIII ZR 200/05 Urteil v. 29.11.2008).
42Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Eine solche planwidrige Unvollständigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richtlinienkonform, aber fehlerhaft ist.
43So liegt es hier. Die Vorschrift des § 5a Abs. 2 S.4 VVG a.F. ist mit Europarecht nicht vereinbar.
44Versteht man die Formulierung „abweichend von Satz 1“ dahingehend, dass die Verfristung eintritt, wenn weder über das Widerspruchsrecht belehrt, noch eine Verbraucherinformation erfolgt ist, so verstößt dies gegen den Inhalt der Richtlinie.
45Diese gibt dem nationalen Gesetzgeber zwar die Freiheit, zwischen verschiedenen Vertragsschlussmodellen wählen zu können, die Erteilung der Verbraucherinformation ist jedoch als Wirksamkeitsvoraussetzung eines Vertrages bestimmt. Ein Vertrag könnte indes bei Eingreifen der Regelung des Satzes 4 gerade auch dann wirksam zustande kommen, wenn es an der Erteilung der Verbraucherinformation fehlt.
46Selbst wenn man Satz 4 so auslegt, dass dieser nur bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung greift, eine Verbraucherinformation im Übrigen aber erteilt sein muss (so wohl Dörner/Hoffmann, NJW 1996 S. 158), widerspricht die Regelung dem Inhalt der Richtlinie.
47Ziel der Richtlinie ist es, dem Versicherungsnehmer Informationen zur Verfügung zu stellen, auf deren Grundlage er sodann eine Entscheidung über das Wirksamwerden des Versicherungsvertrages treffen kann. Diese Entscheidungsfreiheit wird durch die mit § 5a VVG a.F. geschaffene Möglichkeit des Widerspruchs grundsätzlich sichergestellt (Lorenz, VersR 1995, 626).
48Der Gesetzgeber muss jedoch zugleich gewährleisten, dass das Widerspruchsrecht auch rein faktisch zur Verfügung steht, mithin nicht praktisch leer läuft. Hierfür muss er sicherstellen, dass der Versicherungsnehmer von seinem Recht auch tatsächlich Kenntnis erlangt.
49Denn ein Verbraucher kann ein Widerspruchsrecht nicht ausüben, wenn es ihm nicht bekannt ist (EuGH, Urteil v. 13.12.2001 Rn 45).
50Dies ist durch die Regelung des § 5a Abs.2 S.4 VVG a.F. gerade nicht gewährleistet.
51Eine fehlerhafte Belehrung zieht regelmäßig ein Wirksamwerden des Vertrages durch Versäumung der Jahresfrist nach sich. Wer infolge gänzlich ausgebliebener oder undeutlicher Belehrung nicht von seinem Widerrufsrecht erfahren hat, macht es nicht bloß verspätet, sondern überhaupt nicht geltend.
52Die Entscheidung darüber, ob eine Belehrung erfolgt, unterstellt die getroffene Regelung vollständig dem Belieben des Versicherungsgebers. Eine Beeinflussung durch Schaffung eines Anreizes, zugunsten des Versicherungsnehmers zu handeln, erfolgt durch das Gesetz nicht. Kommt der Versicherungsgeber seiner Belehrungspflicht nicht nach, so zieht dies keine Sanktion nach sich. Hierdurch wird gerade der gegenläufige Anreiz gesetzt, zulasten des Versicherungsnehmers von einer eindeutigen Belehrung abzusehen um auf diesem Wege den Vertrag endgültig wirksam werden zu lassen.
53Ein Anreiz, den Versicherungsnehmer deutlich zu informieren und ihn damit in eine Lage zu versetzen, dass Widerrufsrecht auch faktisch ausüben zu können wird hingegen durch Nichtanwendung des Satzes 4 erreicht. Der Versicherungsnehmer kann den Versicherungsvertrag nicht mehr durch Ablauf der Jahresfrist wirksam werden lassen. Er ist insofern gehalten, eine Belehrung zu erteilen, welche den gesetzlichen Anforderungen entspricht, da andernfalls der Vertrag schwebend unwirksam bleibt.
54Die Anwendung des § 5a Abs.2 S.4 VVG a.F. kann auch nicht damit begründet werden, dass eine Befristung aus Gründen der Rechtssicherheit unerlässlich sei. Rechtssicherheit ist für den Versicherungsnehmer ohne Schwierigkeiten zu erreichen, indem er durch ordnungsgemäße Belehrung des Versicherungsnehmers eine Frist in Gang setzt (EuGH, Urteil v. 13.12.2001 Rn 47).
55Soweit hierbei ergänzend angeführt wird, dass ein Andauern der schwebenden Unwirksamkeit auch den Versicherungsnehmer benachteilige, falls während dieser Zeit ein Versicherungsfall eintrete, so ist dem entgegenzuhalten, dass dieser durch die Geltendmachung der Versicherungsleistung den Vertrag billigen kann und eine solche Billigung auch schon vor Ablauf einer Widerspruchsfrist zulässig ist (Prölss/Martin, VVG, § 5a Rn 8).
56Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Einwand, die Lebensversicherungsrichtlinie strebe nur eine europaweite Harmonisierung des Aufsichtsrechts an und mache keine Vorgaben für die Regelung des Versicherungsvertragsrechts (so OLG Köln, VersR 2011, 245).
57Die Richtlinie bestimmt, dass eine Verbraucherinformation vor Vertragsschluss erfolgen muss. Der Zweck dieser Bestimmung besteht darin, den Versicherungsnehmer in die Lage zu versetzen, einen Überblick über die wesentlichen Merkmale der jeweiligen Versicherung zu erhalten, um auf dieser Grundlage eine Entscheidung zwischen verschiedenen Angeboten treffen zu können.
58Dabei ist diese Verpflichtung vorrangig auf eine aufsichtsrechtliche Umsetzung ausgerichtet. Der Richtliniengeber hält es zur Erreichung des Zwecks für ausreichend, wenn eine entsprechende Regelung im Aufsichtsrecht geregelt und durchgesetzt wird. Eine vertragsrechtliche Umsetzung wird insofern nicht als zwingend angesehen.
59Entscheidet sich der nationale Gesetzgeber dagegen trotz Fehlens eines dahingehenden Zwangs, den Zweck durch eine vertragsrechtliche Regelung am effektivsten erreichen zu können, so ist diese tatsächliche Umsetzung auch am Maßstab der Richtlinie zu beurteilen.
60Dies entspricht auch der Vorgehensweise der Kommission in ihrer Prüfung der Richtlinienkonformität des § 5a VVG a.F. Eine Unterscheidung zwischen Aufsichtsrecht und Vertragsrecht wird nicht getroffen. Vielmehr stellt sie den Zweck der Regelung voran und beurteilt anhand dessen die Umsetzung dort, wo sie durch den deutschen Gesetzgeber tatsächlich erfolgt ist.
61Auch der Bundesgerichtshof hält einen Verstoß der vertragsrechtlichen Umsetzung gegen die Richtlinie für möglich. Er hat in diesem Zusammenhang in dem Verfahren IV ZR 120/09 mit Blick auf die Regelung in § 5a Abs. 2 S.4 VVG a.F. erwogen, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof zur Frage der Richtlinienkonformität vorzulegen (zitiert bei: OLG Hamm, Beschluss v. 31.08.2011 sowie OLG Dresden, Beschluss v. 31.01.2012).
62Der Ausübung des Widerspruchsrechts steht eine vorangegangene Kündigung nicht entgegen.
63Die Kündigungserklärung schließt einen späteren Widerspruch nicht aus, sie geht vielmehr ihrerseits ins Leere (a.A. LG Koblenz, Urteil v. 20.01.2011).
64Eine Kündigung setzt begrifflich das Bestehen eines wirksamen Vertrages voraus.
65Der Versicherungsvertrag war jedoch im Zeitpunkt der Kündigungserklärung mangels Verfristung des Widerspruchsrechts weiterhin schwebend unwirksam.
66Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Widerruf gemäß § 355 BGB das Bestehen eines wirksamen Vertrages gerade nicht voraussetzt (BGH VIII ZR 318/08 Urteil v. 25.11.2009).
67Diese Rechtsprechung ist auf die hier vorliegende Kündigung nicht zu übertragen. Zwar handelt es sich bei Widerruf gemäß § 355 BGB und Kündigung jeweils um ein Gestaltungsrecht, jedoch greift der maßgebliche Schutzgedanke nicht.
68Der Widerruf eines wegen Sittenwidrigkeit nichtigen Vertrages soll dem Verbraucher den Vorteil verschaffen, ein vollzogenes Geschäft rückabwickeln zu können, was ihm nach Bereicherungsrecht aufgrund der Kondiktionssperre des § 817 BGB nicht möglich wäre. Aus diesem Grund wird auf das Bestehen eines wirksamen Vertrages als Widerrufsvoraussetzung verzichtet.
69Vorliegend würde die Wirksamkeit der Kündigung dem Versicherungsnehmer dagegen keinen Vorteil verschaffen. Die Wirksamkeit würde vielmehr einen Nachteil bedeuten, da ihm diese lediglich den Rückkaufswert, nicht jedoch sämtliche geleisteten Prämien verschaffen würde.
70Das Widerspruchsrecht ist auch nicht verwirkt.
71Der bloße Zeitablauf reicht als Verwirkungsgrund grundsätzlich nicht aus (Palandt/Grüneberg, BGB, § 242 Rn. 107).
72Vielmehr muss zusätzlich ein Vertrauenstatbestand erfüllt sein. Die andere Partei muss sich aufgrund des Verhaltens des Berechtigten darauf eingerichtet haben, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Wegen des geschaffenen Vertrauens muss die verspätete Geltendmachung eine mit Treu und Glauben unvereinbare Härte darstellen (Palandt/Grüneberg, BGB, § 242 Rn 95).
73Ein solcher Vertrauenstatbestand ist auf Seiten der Beklagten nicht gegeben.
74Als diejenige, die ihrer Belehrungspflicht nicht nachgekommen ist, muss die Beklagte davon ausgehen, dass der Kläger von dem ihm zustehenden Widerrufsrecht nichts weiß (Palandt/Grüneberg, BGB, § 242 Rn 107).
75Dem Kläger steht daneben ein Anspruch auf Nutzungen in Höhe von 3.646,60 EUR gemäß §§ 812 Abs.1 S.1 Alt.1 i.V.m. 818 Abs.1 Alt.1 BGB zu.
76Die Beklagte hat Nutzungen in Form von Zinsen tatsächlich gezogen, das Gericht setzt eine jährliche Verzinsung von 7 % an. Der Vortrag des Klägers gilt insofern mangels substantiierten Bestreitens der Beklagten als zugestanden.
77Die Beklagte hat vorliegend die Pflicht, sich an der Aufklärung des Sachverhalts zu beteiligen und darf sich nicht auf ein bloßes Bestreiten zurückziehen.
78Eine solche Pflicht besteht, wenn wie im vorliegenden Fall die darlegungs- und beweisbelastete Partei außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht, ohne den rechtserheblichen Sachverhalt von sich aus ermitteln zu können, während die Gegenpartei sich die erforderlichen Informationen leicht verschaffen kann (Thomas/Putzo, ZPO, § 284 Rn 37).
79Dieser Aufklärungspflicht ist die Beklagte nicht nachgekommen. Der Kläger wird nicht in die Lage versetzt, den Beweis für die Richtigkeit seines Vortrags antreten zu können.
80Denn die Beklagte beschränkt sich vorliegend auf die Aussage, sie habe mit den Prämien Fondsanteile erworben und hieraus keine Nutzungen gezogen, ohne hierbei den konkreten Fonds zu benennen und Erträge im Einzelnen aufzuführen.
81Der Kläger begehrt weiter die Zahlung außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.101,46 EUR. Hierzu führt der Kläger lediglich aus, dass der Ansatz einer 1,6 Gebühr angemessen sei.
82Dass dem Kläger durch eine außergerichtliche Inanspruchnahme der Prozessbevollmächtigten Kosten in Höhe von 1.101,46 EUR entstanden sind hat der Kläger nicht ausreichen substantiiert dargelegt. Weder ist vorgetragen, für welche konkrete Tätigkeit ein Honoraranspruch geltend gemacht wird, auch wird eine Honorarrechnung nicht vorgelegt, zudem ist nicht dargelegt, dass der Kläger eine Zahlung erbracht hat.
83Der Zinsanspruch ab Rechtshängigkeit folgt aus § 288 BGB.
84Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92 sowie 709 S.2 ZPO.
85Streitwert: 4.652,86 EUR
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