Urteil vom Amtsgericht Solingen - 12 C 258/12
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 915,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 32 %, die Beklagte zu 68 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Parteien streiten um restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 12.10.2011 in S. ereignete.
3Die Haftung ist dem Grund nach unstreitig. Die Beklagte ist Haftpflichtversicherer des den Schaden verursachenden Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen BN-. Bei dem Fahrzeug der Klägerin mit dem amtlichen Kennzeichen SG- handelte es sich um ein Pkw Audi , mit Erstzulassung im Oktober 2010.
4Die Klägerin mietete bei der Mietwagenfirma N. für den Zeitraum 12.10.2011 bis 02.11.2011 ein Ersatzfahrzeug, das der Mietwagengruppe 7 zugeordnet ist. Die Rechnung der Mietwagenfirma beläuft sich auf 2.364,64 € netto.
5Die Beklagte regulierte hinsichtlich der Mietwagenkosten nur einen Betrag von 1.017,00 €.
6Die Klägerin meint, die Rechnung sei insgesamt angemessen, da eine deutlich niedrigere Gruppe, nämlich Gruppe 7, abgerechnet worden sei, als es nach der Fahrzeugklasse des verunfallten Fahrzeuges möglich gewesen wäre. Zudem liege die Rechnung noch unter dem Betrag, der nach dem Schwacke-Mietpreisspiegel hätte abgerechnet werden können.
7Die Klägerin beantragt,
8die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.347,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2012 zu zahlen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Die Beklagte behauptet, der Klägerin wäre eine Anmietung zu einem deutlich niedrigeren Preis auf Grundlage des Mietpreispiegels des Fraunhofer Instituts möglich gewesen.
12Sie meint, der Schwacke-Mietpreisspiegel stelle in dem hier vorliegenden Fall keine taugliche Schätzungsgrundlage dar.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage ist in Höhe von 915,86 € begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.
16Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 7, 17 StVG i. V. m. § 115 VVG auf Zahlung von 915,86 €.
17Die Haftung der Beklagten aus dem Unfallereignis vom 12.10.2011 ist dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig.
18Der Höhe nach steht der Klägerin hinsichtlich der Mietwagenkosten eine weitere Zahlung in Höhe des zuerkannten Betrages zu.
19Der Klägerin steht dem Grunde nach Ersatz von Mietwagenkosten zu, da sie das Fahrzeug infolge des Unfalls nicht nutzen konnte. Insofern kann sie Ersatz der Kosten für die Anmietung einer gleichwertigen Sache verlangen (BGH, NJW 1987, 50). Bei dem gemieteten Fahrzeug handelt es sich um ein Fahrzeug, das der Fahrzeuggruppe 7 zuzuordnen ist. Da das Fahrzeug der Klägerin selbst ein Fahrzeug der Fahrzeuggruppe 9 ist, ist das Kriterium der Gleichwertigkeit der Ersatzsache erfüllt, da die Klägerin jedenfalls kein höherwertiges Ersatzfahrzeug angemietet hat.
20Die Klägerin kann als Geschädigte nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Als Ausgangspunkt für die wirtschaftliche Erforderlichkeit hat der Geschädigte den am Markt üblichen „Normaltarif“, der Selbstzahlern üblicherweise angeboten wird und der unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gebildet wird, zugrunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2010, VI ZR 06/09).
21Die Höhe dieser Kosten ist durch das Gericht gemäß § 287 ZPO zu schätzen.
22Die Art der Schätzungsgrundlage gibt § 287 ZPO nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden. Ferner dürfen wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Acht bleiben. In geeigneten Fällen können Listen und Tabellen bei der Schadensschätzung Anwendung finden. Dabei entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass das zuständige Gericht in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO den „Normaltarif“ grundsätzlich auch auf der Grundlage des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ im maßgebenden Postleitzahlengebiet ermitteln kann. Der BGH weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass auch andere Listen und Tabellen, wie insbesondere die Fraunhofer-Liste zur Schätzungsgrundlage herangezogen werden können. Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, bzw. die Entscheidung zwischen verschiedenen Listen im Einzelfall bedarf nur der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken (BGH, Urteil vom 18.05.2010, VI ZR 293/08).
23Welche konkreten Voraussetzungen vorliegen müssen, um die Schwacke-Liste als Schätzungsgrundlage zu erschüttern, ist bislang obergerichtlich noch nicht geklärt. Der BGH hat jedoch ausgeführt, dass die Anwendung der Schwacke-Liste jedenfalls dann Bedenken begegnet, wenn von den Haftpflichtversicherern vorgetragen und unter Beweis gestellt wird, dass ein vergleichbares Fahrzeug für den entsprechenden bzw. gleichen Zeitraum wesentlich günstiger hätte angemietet werden können (BGH, Urteil vom 17.05.2011, VI ZR 142/19).
24Von Beklagtenseite sind hier Internetangebote unterschiedlicher Mietwagenanbieter eingeholt worden, die zeigen, dass ein vergleichbares Fahrzeug für den entsprechenden Zeitraum wesentlich günstiger hätte angemietet werden können. Diese Angebote kann das Gericht nicht völlig außer Betracht lassen.
25Allerdings ist zu beachten, dass der Schädiger soweit er den Geschädigten auf ein gleichwertiges günstigeres Mietwagenangebot verweisen will, darlegen und ggf. beweisen, dass im konkreten streitgegenständlichen Zeitraum eine Fahrzeuganmietung zu dem von ihm behaupteten, wesentlich günstigeren Tarif möglich gewesen wäre. Hierzu legt die Beklagte zwar ein Vergleichsangebot für August bis September 2011 vor. Dieses Angebot stammt allerdings aus dem Raum K. Es ist auch nicht dargelegt, dass dieses Angebot der Klägerin in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang zu dem Unfall zugänglich gewesen wäre. Da es insoweit an der hinreichenden Substantiierung fehlte, war dem weiteren Beweisangebot der Beklagten nicht nachzugehen und ein Sachverständigengutachten nicht einzuholen.
26Andererseits bieten die vorgelegten Internetangebote ein starkes Indiz dafür, dass die uneingeschränkte Anwendung der Schwacke-Liste im vorliegenden Fall nicht sachgerecht ist.
27Das Gericht geht insgesamt davon aus, dass sowohl die Schwacke-Liste als auch die Bewertung nach Fraunhofer als Schätzungsgrundlage zwar grundsätzlich geeignet sind, beide jedoch ihre Schwächen haben.
28Die Schwäche der Schwacke-Liste liegt in der Art und Weise ihrer Erhebung, da nämlich die Mietwagenunternehmen und deren Interessenverbände nach Angeboten zur Erstellung einer Vergleichsliste befragt werden, die dem Ziel dient, einen Preisvergleich u. a. für das Unfallersatzgeschäft zu ermöglichen. Hierbei liegt es nahe, anzunehmen, dass die Vermieter aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten überhöhte Preise angeben. Die von Beklagtenseite vorgelegten Angebote sind als Indiz dafür geeignet, dass die in der Schwacke-Liste genannten Preise tatsächlich nicht ohne weiteres marktgerecht sind.
29Auf der anderen Seite begegnet jedoch auch die Untersuchung des Fraunhofer-Instituts Bedenken, da z. B. Anfragen mit einer Vorlaufzeit von 1 Woche getätigt werden. Insbesondere in Fällen, in denen eine kurzfristige Anmietung erforderlich wird, ist die Erhebung des Fraunhofer-Instituts eher kritisch zu sehen.
30Das Gericht hält aber das arithmetische Mittel der in der Schwacke-Liste genannten Preise und der Preise aus der Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für geeignet, um die Höhe des Normaltarifs schätzen zu können. Dieses Vorgehen ist vom BGH auch als im Rahmen des richterlichen Ermessens nach § 287 ZPO liegend auch anerkannt worden (BGH, Urteil vom 18.05.2010, VI ZR 293/08).
31Die Klägerin hat vorliegend ein Fahrzeug angemietet, welches nach der Schwacke-Liste in der Mietwagengruppe 7 einzuordnen ist. Unter Berücksichtigung der Wochenpauschale bezogen auf das Postleitzahlengebiet ergibt sich für die Anmietdauer von 21 Tagen ein Mietwagenpreis nach Schwacke in Höhe von 2.251,95 €.
32Laut Untersuchung des Fraunhofer-Instituts würde sich für die Mietwagengruppe 7 (Klassifizierung nach Schwacke) unter Berücksichtigung der Wochenpauschale bezogen auf das Postleitzahlengebiet für eine Anmietdauer von 21 Tagen ein Mietwagenpreis von 969,48 € ergeben.
33Das arithmetische Mittel dieser Preise macht einen Betrag von 1.610,72 €.
34Dass schließlich aufgrund der Besonderheiten der Unfallsituation in der Regel ein höherer Mietwagenpreis als der Normaltarif zur Schadensbeseitigung i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich ist, ist zwischenzeitlich obergerichtlich anerkannt (vgl. OLG Köln, NZV 2007, 199 ff.) Das Gericht setzt insoweit einen pauschalen Aufschlag von 20 % an.
35Damit schätzt das Gericht die erforderlichen Mietwagenkosten auf 1.932,86 €. Da die Beklagte einen Betrag von 1.017,00 € bereits reguliert hat, verbleibt ein restlicher von Beklagtenseite zu zahlender Betrag von 915,86 €.
36Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 286 Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte befand sich seit dem 27.03.2012 in Verzug, nachdem sie die Zahlung im Sinne des § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ernsthaft und endgültig verweigert hat.
37Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
38Streitwert: 1.347,64 €
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Referenzen
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