Urteil vom Amtsgericht Solingen - 13 C 307/14
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 465,33 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2013 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Forderung zu Ziffer 1) aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Sinne des § 850 f Abs. 2 ZPO stammt.
3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 EUR zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Hiervon ausgenommen sind die durch die Verweisung entstandenen Mehrkosten, die dem Kläger auferlegt werden.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
3I.
4Das Rubrum war von Amts wegen gem. § 319 ZPO zu ändern. Aus den beigefügten Anlagen geht eindeutig hervor, dass klagende Partei Herr ist und daher eine offenbare Unrichtigkeit vorlag.
5II.
6Die Klage ist zulässig.
7Der Kläger ist prozessführungsbefugt. § 92 Satz 1 der InsO steht dem nicht entgegen. Ansprüche aus geltend gemachten Individualschäden können auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden. Hierunter fallen insbesondere deliktische Ansprüche.
8Das Feststellungsinteresse gem. § 256 ZPO folgt aus § 302 InsO, § 850 f Abs. 1 und 2 ZPO.
9Gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO ist das Amtsgericht Solingen en die Verweisungsbeschluss gebunden.
10III.
11Die Klage ist begründet.
12Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung des austenorierten Betrages gemäß § 823 Abs. II BGB in Verbindung mit §§ 263, 13 StGB zu.
13Es liegt eine Täuschung durch Unterlassung vor. Der Beklagte war seit Mai 2009 unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz verpflichtet, für die AG einen Insolvenzantrag zu stellen, um Schäden von den Kunden abzuwenden. Darüber hinaus hätte er den Kläger vor der Aufforderung zur Zahlung von Abschlägen bzw. vor dem Einzug der (angekündigten) Forderungen darüber aufzuklären müssen, dass er nach Erfüllung der Forderung die vertraglich vereinbarte Gegenleistung von der GmbH aufgrund der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlich nicht erhalten wird, was ihm bekannt war.
14Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hinreichend sicher zur Überzeugung des Gerichts fest.
151. Zahlungsunfähigkeit der GmbH
16(1)
17Die Zahlungsunfähigkeit der GmbH zum 1.5.2009 liegt auf Grundlage des unstreitigen Parteivorbringens nahe. In dem Schreiben u.a. des Beklagten vom 09.07.2009 – gerichtet an den Aufsichtsrat der AG –heißt es, dass in der Kalenderwoche 25 der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit nach gründlicher Überprüfung und Verifizierung von offenen Verbindlichkeiten,
18Forderungen und sonstigen kurzfristigen liquidierbaren Vermögenswerten festgestellt worden sei. Dabei ist Gegenstand der Untersuchung nicht eine einzelne Gesellschaft gewesen, sondern sämtliche Gesellschaften, der Beklagte spricht selbst von der „ Grupp(e)“ und der “aktuellen Entwicklung der Gesellschaften“.
19Die Tatsache der Zahlungsunfähigkeit hat der Zeuge Dr. sowohl in seinem Insolvenzbericht als auch in seiner Zeugenaussage dezidiert und gut nachvollziehbar dargelegt und damit die von dem Beklagten selbst festgestellte Zahlungsunfähigkeit bestätigt. Die Wirtschaftsprüfergesellschaft habe nach der Aussage des Zeugen Dr. von Mai 2009 bis zur Antragstellung im Jahr 2011 wöchentlich die Liquidität überprüft. In diesem Zeitraum habe es, mit Ausnahme von einer Woche, keinen Liquiditätsüberschuss gegeben. Bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft handele es sich um eine sehr erfahrene Gesellschaft in diesem Bereich, was auch nicht bestritten worden ist. Sie sei in dem Unternehmen und in der Kanzlei des Zeugen gewesen und habe die drei Gutachten erstellt. Alle drei Gutachten habe der Zeuge auf Plausibilität überprüft und praktisch jedes Wort hinterfragt. Die Unterdeckung sei so hoch gewesen, dass auch die Zahlung der russischen Investoren von ca. 104 Millionen Euro keinen Ausgleich erbracht hätte.
20(2)
21Alle mit der Überprüfung des Status der Unternehmen beauftragten Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Rechtsanwälte kamen zu dem Ergebnis, dass die Gesellschaften entweder zahlungsunfähig waren oder dringend binnen kurzer Zeit eine (Brücken-) Finanzierung erforderlich war. Am 16.09.2009 beauftragte die AG die Rechtsanwälte mit der Erstellung eines Unternehmensstatus unter insolvenzrechtlichem Aspekt. Einen Tag später empfahl die Kanzlei dem damaligen Finanzvorstand der AG, alle Zahlungen zu stoppen, da die Insolvenzreife des Konzerns mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben sei. Am 22.09.2009 wies Rechtsanwalt Dr. die AG darauf hin, dass schon länger eine Insolvenzverschleppung vorliege, sofern das Hauptzollamt die rückständigen Stromsteuern ernsthaft einfordere. Am 06.10.2009 legte die Anwaltskanzlei das Mandat nieder und bot ihre Hilfestellung für die Erstellung des Insolvenzantrags an.
22Am 13.10.2009 kam die beauftragte Kanzlei aus die mit der Prüfung insolvenzrechtlicher Tatbestände für die AG und deren Tochtergesellschaften beauftragt worden ist, zu dem Ergebnis, dass der „gesamte Konzern“ insolvenzreif sei. Am 28.10.2009 bewertete die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO die wirtschaftliche Lage des Konzerns und kam zu dem Ergebnis, dass die vorgelegten Unterlagen den Schluss nahelegen würden, dass die Gesellschaft zum 31.12.2008 finanziell überschuldet war und „vermutlich auch weiterhin ist“.
23Mit Schreiben vom 10.06.2010, gerichtet an den Vorstand der AG, kamen die Rechtsanwälte die Kanzlei aus zu dem Ergebnis, dass zwingend eine Brückenfinanzierung vorgenommen werden müsse, um eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Eine Brückenfinanzierung habe es nach der Aussage des Zeugen Dr. Bähr jedoch niemals gegeben.
24Am 21.06.2010 wiesen die Rechtsanwälte den Vorstand der AG noch einmal darauf hin, dass ohne Brückenfinanzierung ein Insolvenzantrag zu stellen sei. Auch die Rechtsanwälte haben eine solche Brückenfinanzierung offensichtlich nicht feststellen können, denn am 29.10., 29.11. und 02.12.2010 wiesen sie den Vorstand der AG schriftlich auf die bestehende Zahlungsunfähigkeit und die Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags hin. Sie sollten ein Sanierungsgutachten und ein sog. „Negativtestat“ erstellen, was wiederum Voraussetzung dafür gewesen sei, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO die Jahresabschlüsse testiere und dass Hauptzollamt den Stundungsantrag vom 11.06.2009 positiv bescheiden könne. Hierzu sei es jedoch – vom Beklagten auch nicht widersprochen - nicht gekommen, weshalb das Hauptzollamt auch nicht über den Stundungsantrag habe entscheiden können.
25(3)
26Der Beklagte kann nicht mit Erfolg einwenden, dass es faktisch eine Stundung der Verbindlichkeiten durch das Hauptzollamt gegeben habe. Insoweit unstreitig ist der Umstand, dass das Hauptzollamt über den Stundungsantrag vom 11.06.2009 mangels Vorlage geeigneter Unterlagen und fehlender Umsetzung der vom „ Konzern“ mehrfach angekündigter „Restrukturierungsmaßnahmen“ nicht entscheiden konnte. Der Beklagte verteidigt sich mit der rechtlich nicht vertretbaren Ansicht, das Hauptzollamt habe die Steuerschuld nicht ernsthaft eingefordert. Nach der Rechtsprechung des BGH und sämtlicher Oberlandesgerichte sind an das Merkmal des ernsthaften Einforderns geringe Anforderungen zu stellen. Das Merkmal bezweckt lediglich, gestundete Forderungen aus der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit auszunehmen. Jede außergerichtliche Mahnung und sogar eine einzige bloße Übersendung der Rechnung mit der Bitte um Begleichung genügen bereits. Ein weitergehendes Bedrängen oder gar zusätzliche Maßnahmen von Gläubigern, etwa Klagen oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, sind nicht erforderlich (BGH, Urt. v 08.10.1998 – IX ZR 337/97, juris; OLG Dresden, Urt. v. 27.08.1998 – 4 U 293/98, juris; OLG Celle, Urt. v. 22.05.2008 – 13 U 117/07, juris). Unstreitig ist, dass die Stromsteuernachforderung 2008 durch Bescheid vom 04.06.2009 i.H.v. 18.823.459,70 € festgesetzt worden ist. Durch Änderungsbescheid vom 04.06.2009 erhöhte das Hauptzollamt die monatlichen Stromsteuervorauszahlungen am 25.06.2009 von 1 Millionen Euro auf monatlich 3.285.432,00 €. Weitere monatliche Erhöhungen folgten durch Bescheid vom 16.12.2009 auf 3.965.430,00 und durch Bescheid vom 17.02.2010 auf 4.689.191,00 €, zuletzt wurde durch Bescheid vom 30.03.2010 eine Sicherheitsleistung i.H.v. 7,9 Millionen Euro festgesetzt. Mehrfach wies das Hauptzollamt darauf hin, mangels geeigneter Unterlagen nicht über den Stundungsantrag entscheiden zu können. Damit hat das Hauptzollamt unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Stromschulden ernsthaft eingefordert werden. Es bedurfte gerade keiner weiteren Vollstreckungsmaßnahmen. Ob es tatsächlich eine Ratenzahlungsvereinbarung hinsichtlich der Mitte 2009 aufgelaufenen Steuerverbindlichkeiten mit dem Hauptzollamt gegeben hat, kann dahin stehen. Denn nach dem eigenen Vortrag des Beklagten wurde eine von angeblich zwei vereinbarten Raten nicht pünktlich beglichen und vom Hauptzollamt angemahnt, mithin ernsthaft eingefordert. Auch ist zu dem Inhalt der behaupteten Stundung nicht substantiiert vorgetragen.
27(4)
28Die bestehende Liquiditätslücke konnte nicht durch die eingeführten Strompakete im Sommer 2010 gedeckt werden. Die Strompakete sind nach der überzeugenden Aussage des Zeugen Dr. nicht kostendeckend gewesen und haben deshalb die finanzielle Situation der Energy verschlechtert. Ein dem Zeugen vorliegendes Gutachten vom 27.08.2010 der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft GmbH aus , welches im Auftrag der GmbH erstellt worden sei, sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die durch das neue Tarifmodell über die gesamte Laufzeit ergebenen Verluste allein bei den Bestandskunden auf ca. 14.736.000,00 € belaufen würden. Verluste bei den Neukunden würden sich auf ca. 5.642.000,00 € belaufen.
29Dies haben ausweislich des Gutachtens des Zeugen Dr. auch die Wirtschaftsprüfer und Steuerberater aus festgestellt (Seite 34 des Gutachtens). Danach hätten die kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten zum 17.12.2010 58.827.493,84 € betragen. Sie wiesen ausdrücklich daraufhin, dass es sich nicht nur um eine Zahlungsstockung handeln würde. Der Richtigkeit dieser Feststellung durch die Wirtschaftsprüfer und Steuerberater ist der Beklagte nicht entgegengetreten. Aufgrund welcher anderweitigen Fakten zu welchen Daten der vom Beklagten benannte Steuerberater Köhl zu einer abweichenden Erkenntnis gelangen soll, hat er nicht vorgetragen, dem Ausforschungsbeweisantritt war daher nicht nachzugehen. Zudem wies das Hauptzollamt in diesem Zusammenhang wörtlich auf folgendes hin:
30„Nach dem mir vorliegenden Wertgutachten der Wirtschaftsprüfergesellschaft (Ermittlung des Wertes des Geschäftsbetriebs zum 31.08.2010) verkaufen Sie weiterhin, um ausreichend Liquidität zu generieren, Strom auch zu Verkaufspreisen, die unter den Einkaufspreisen der benötigten Strommengen liegen. (…) Auch sind, bei Preisbindung gegenüber den Kunden, die Einkaufspreise nicht gegenüber Preissteigerungen abgesichert. (…).“ Bei dem Verkauf dieser Strompakete handelt es sich daher zweifelsfrei um ein sog. „Schneeballsystem“. Es ist daher gut nachvollziehbar, dass der Zeuge Dr. hierzu bekundet hat, dass lediglich ein bilanzieller Passivaustausch stattgefunden habe. Vorher sei der Gläubiger das Hauptzollamt gewesen. Mit den Einnahmen aus dem Verkauf der Strompakete sei – wie ausgeführt - unter anderem das Hauptzollamt Köln bedient worden, so dass nach der Zahlung die Stromkunden die Gläubiger gewesen seien.
31(5)
32Die Rangrücktrittsvereinbarungen räumen die Zahlungsunfähigkeit nicht aus. Diese erfolgten nach dem Vortrag des Beklagten in den Jahren 2006/2007. Diese wurden von dem Zeugen Dr. – und offenbar auch von den beauftragten Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Rechtsanwälten – in den Bilanzen berücksichtigt. Niemand der mit den Bilanzen befassten Personen hat ausweislich des Akteninhaltes eine hierdurch verursachte Überkompensation festgestellt. Im Übrigen bezieht sich die Behauptung des Beklagten auf den hier nicht streitgegenständlichen Zeitpunkt Ende des Jahres 2007.
33Vielmehr sei die Unterdeckung nach der Aussage des Zeugen Dr. so hoch gewesen, dass auch die Zahlung u.a. der russischen Investoren von ca. 104 Millionen Euro keinen Ausgleich erbracht hätte. Dies wird auch daran deutlich, dass eine Vielzahl von Gläubigern bis zur Insolvenzantragsstellung nicht mehr bedient worden sind. Zudem seien die neu aufgelaufenen Steuerschulden so spät gezahlt worden, dass der Zeuge Dr. diese im Wege der Insolvenzanfechtung habe geltend machen können.
34Die behauptete Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ab Mitte 2009 aufgrund der niedrigen Strompreise und der Finanzkrise steht diametral zu dem Inhalt des vom Beklagten mitunterzeichneten Schreibens vom 09.07.2009, wonach eine Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzantragspflicht bestand.
35Das Gericht hat bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen Dr. berücksichtigt, dass dieser gegenüber dem Beklagten zahlreiche Insolvenzanfechtungsverfahren führt und damit ein nicht auszuschließendes Eigeninteresse am Ausgang der Verfahren hat. Dennoch ist der Zeuge frei von Belastungstendenzen. Er hat sein Gutachten teilweise sogar korrigiert, beispielsweise im Zusammenhang mit dem (rechtlichen) Cashpool oder der Überschuldung und Erinnerungslücken eingeräumt. Die Aussage ist glaubhaft, der Zeuge hat sein Gutachten nachvollziehbar erläutern können, die Aussage ist durchweg schlüssig, widerspruchsfrei und anhand von – in weiten Bereichen vom Beklagten nicht bestrittenen – Fakten belegt.
362. Rechtspflicht zum Handeln
37Für den Beklagten bestand unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz eine Rechtspflicht zum Handeln. Er hätte auf Grundlage der vorgenannten Ausführungen für die AG ab Mai 2009 als Vorstandsmitglied einen Insolvenzantrag stellen müssen. Die rechtzeitige Einleitung eines Insolvenzverfahrens dient dem Schutz von Alt- und Neugläubigern. Hätte er rechtzeitig für die AG einen Insolvenzantrag gestellt, dann wäre das neue Tarifmodell im Sommer nicht aufgelegt worden (so auch LG Berlin, Urt. v. 22.07.2014 – 49 S 40/13; LG Bielefeld, Urt. v. 11.02.2015 – 21 S 85/14). Weil der Beklagte den Insolvenzantrag für die AG nicht rechtzeitig gestellt hat und es aufgrund des „Schneeballsystems“ zwangsläufig zu Vermögensschäden kommen musste, war der Beklagten darüber hinaus gehalten, in geeigneter Weise einen Schadenseintritt bei den Alt- und Neukunden abzuwenden. Unter anderem war der Beklagte daher verpflichtet, die Kunden vor der Zahlungsaufforderung bzw. vor dem Forderungseinzug auf die nichtwerthaltigen Forderungen hinzuweisen oder auf die Geltendmachung gänzlich zu verzichten. Rechtlich unerheblich ist daher der Umstand, dass der Beklagte nicht der Geschäftsführer der GmbH war. Es handelt sich um einen einheitlichen Konzern mit einem faktischen Cashpool handelte. Insbesondere aus der Handlungsanweisung des damaligen kaufmännischen Leiters der AG vom 9.11.2009 folgt eindeutig, dass die Holding faktisch in die übrigen Gesellschaften „hinein regieren“ konnte und auch „hinein regiert“ hat. Der damalige kaufmännische Leiter der Holding hat am 9.11.2009 die Weisung erteilt, dass die Auszahlungen an die Kunden aus Schlussrechnungen bzw. Jahresverbrauchsabrechnungen soweit es gehe verschoben werden sollten. Es ist daher auch nicht entscheidungserheblich, ob tatsächlich ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag der Muttergesellschaft zu den Tochtergesellschaften bestand oder ob es einen rechtlichen Cashpool gegeben hat. Das benötigte Geld wurde nach der Aussage des Zeugen Dr. dort geholt, wo es sich gerade befand. Der Beklagte bezeichnet die GmbH selbst als „Kerngesellschaft“ unter den Gesellschaften. Der Zeuge Dr. hat die GmbH in diesem Zusammenhang als Herzstück des Konzerns bezeichnet. Alle anderen Gesellschaften waren finanziell von ihr abhängig gewesen. In seinem Schreiben vom 09.07.2009 an den Aufsichtsrat der AG hat der Beklagte selbst darauf hingewiesen, dass sowohl für den Vorstand als auch die einzelnen Geschäftsführer die Option der Insolvenzantragsstellung oder der Mandatsniederlegung bestehe. Wenn der Beklagte gleichzeitig behauptet, es handele sich um eine Gruppe und nicht um einen Konzern, dann ist nicht ersichtlich, weshalb die finanzielle Situation aller Gesellschaften von der Holding AG geprüft worden ist, zumal diese angeblich für Aufgaben wie die Bürobereitstellung zuständig gewesen sei.
38Der Beklagte trägt weiter vor, dass man sich im Anschluss an die außerordentliche Vorstandssitzung einen Überblick über die Liquiditätslage verschafft habe und zu dem Ergebnis gekommen sei, dass ohne belegbaren Kapitalfluss bis zur geplanten Aufsichtsratssitzung am Freitag, dem 17.07.2009 dem Vorstand und der Geschäftsführung die Option übrig bleiben würde, einen Antrag auf Insolvenz zu stellen und die Ämter als Geschäftsführer niederzulegen. Der Kapitalfluss konnte faktisch nur durch die Energy als „Kerngesellschaft“ generiert werden, die übrigen Gesellschaften waren offensichtlich finanziell von der Energy abhängig. Daraus folgt, dass die AG und die übrigen Tochtergesellschaften finanziell miteinander verflochten waren.
393. Irrtum
40Durch die Täuschungen ist bei dem Kläger ein Irrtum eingetreten. Hätte der Beklagte pflichtgemäß auf die Zahlungsunfähigkeit der GmbH hingewiesen, dann hätte der Kläger nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Vorauszahlung nicht erbracht oder die Einziehungsermächtigung gekündigt.
414. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
42Der Kläger hat eine Vermögensverfügung vorgenommen, durch den ein Vermögensschaden in Höhe des austenorierten Betrages entstand. Der Kläger hat die Zahlungen im Einzelnen dargelegt und die Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet. Damit hat er entgegen der Auffassung des Beklagten seiner Substantiierungspflicht genügt. Der Beklagte ist dem nicht erheblich entgegengetreten. Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Kläger im laufenden Insolvenzverfahren möglicherweise eine Quote auf seine Insolvenzforderung erhält. Ob der Kläger tatsächlich eine Quote erhält, ist nicht absehbar.
43Zu einer etwaigen gesamtschuldnerischen Haftung der GmbH und Herrn fehlt der erforderliche Sachvortrag.
445. Subjektiver Tatbestand
45Der Beklagte handelte vorsätzlich. Der Beklagte kannte die Umstände, welche die Zahlungsunfähigkeit begründet haben. Dies folgt bereits aus seinem eigenen Vortrag. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.06.2015 vorgetragen, dass die Geschäftsführer bzw. Vorstände „natürlich (…) miteinander kommuniziert“ haben. Der Beklagte ging ausweislich des Schreibens vom 09.07.2009 selbst davon aus, dass die Zahlungsunfähigkeit und damit die Insolvenzantragspflicht bestanden. In zahlreichen Schreiben u.a. der Deutschen Post AG im Zusammenhang mit der Kündigung des Lastschriftinkassos vom 31.10.2011, der Schreiben der Rechtsanwälte vom 10.01.2010, beide gerichtet an den Beklagten, wurde die finanzielle Situation besprochen. Im letztgenannten Schreiben nehmen die Rechtsanwälte zusätzlich Bezug auf eine Mitteilung an den Beklagten vom 2.12.2010, die ebenfalls im Zusammenhang mit der finanziellen Situation gestanden hat. Am 29.10., 29.11. und 02.12.2010 wiesen die Rechtsanwälte den Vorstand der AG schriftlich auf die bestehende Zahlungsunfähigkeit und die Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags hin. Der Beklagte war zum Teil auch Ansprechpartner für die Rechtsanwälte und damit genauestens informiert. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Beklagte „laufend“ an den Führungs- und Aufsichtsratssitzungen teilgenommen hat. Die Behauptung, lediglich über die finanzielle Situation der GmbH und AG informiert gewesen zu sein, ist ersichtlich unwahr, lebensfremd und dient offenbar dem Selbstschutz, zumal die finanziellen Gegebenheiten der vorgenannten Gesellschaften aufgrund der Verflechtungen nicht isoliert betrachtet werden können (faktischer Cashpool) und der Beklagte selbst in dem Schreiben vom 09.07.2009 bereits im Jahre 2009 von der Zahlungsunfähigkeit ausging. Die fortwährende Überwachung der Finanzlage als Pflichtaufgaben –insbesondere in Krisenzeiten – können vom Geschäftsführer und Vorstandsmitglied ohnehin nicht delegiert werden. Auch die von der AG vorgeschlagene Ratenzahlung und Stundung sind nach der Rechtsprechung ein sicheres Beweisanzeichen für die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit (statt vieler OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.02.2013 – 13 U 50/12, juris). Dabei ist unerheblich, ob der Beklagte selbst bei den Gesprächen mit dem Hauptzollamt zugegen war. Dass er Kenntnis hiervon hatte, bestreitet er nicht und geht auch aus dem Schreiben des Beklagten vom 09.07.2009 hervor. Dem steht auch nicht entgegen, dass zum Teil Kundenverträge noch bis in das Jahr 2011 hinein bedient worden sind. Die nicht kostendeckenden Strompakete haben – wie ausgeführt – lediglich zu einem bilanziellen Passivaustausch geführt und die Situation der GmbH noch verschlimmert, weil diese die Energie nicht kostendeckend weiterveräußert, mithin ein Schneeballsystem betrieben hat. Insbesondere aufgrund dieses eingeführten Schneeballsystems steht die Bereicherungsabsicht des Beklagten sicher zur Überzeugung des Gerichts fest.
46Der Zinsanspruch sowie der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltsgebühren folgt aus §§ 823 Abs. II BGB in Verbindung mit § 263 Abs. I, 13 StGB, §§ 286, 291 und 288 Abs. I BGB.
47III.
48Der Feststellungsantrag ist aufgrund der vorstehenden Ausführungen begründet.
49IV.
50Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. II Nr. 1, 281 Abs. III S. 2 ZPO. Soweit die Klage abgewiesen worden ist, handelt es sich um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung, durch die kein Kostensprung verursacht worden ist.
51Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
52Der Schriftsatz des Beklagten vom 10.06.2015 gab keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
53Streitwert: 581,66 € (Feststellungsantrag gem. § 287 ZPO geschätzt: 116,33 € = 25 % der Klageforderung, vgl. BGH, Beschl. v. 22.01.2009 – IX ZR 235/08, juris)
54Rechtsbehelfsbelehrung:
55Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
561. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
572. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
58Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Wuppertal, Eiland 1, 42103 Wuppertal, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
59Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Wuppertal zu begründen.
60Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Wuppertal durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
61Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
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Referenzen
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