Beschluss vom Amtsgericht Zerbst - 8 OWi 467/10
Tenor
In der Bußgeldsache …
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
wird das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Es wird davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (§ 467 Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).
Gründe
- 1
Der Betroffenen wird ein Geschwindigkeitsverstoß auf der BAB 9, km 69,2 in Fahrtrichtung M zur Last gelegt. An der Messstelle verlaufen drei Richtungsfahrbahnen und eine Standspur in Fahrrichtung des Tatfahrzeuges.
- 2
Das Beweisfoto der gegenständlichen Messung befindet sich als Ausdruck auf der Seite 1 der Bußgeldakte. Aus dem Messfoto ist ersichtlich, dass ein Teil der rechten Fahrspur (Lastspur) und die gesamte Standspur nicht in Höhe der Fotolinie von der Fotoeinrichtung erfasst wurden. Gemäß Messprotokoll wurde ein Abstandsbereich zum Sensorkopf, in welchem Fahrzeuge gemessen werden sollten, von 8 m bis 18 m eingestellt (sog. Spurselektion).
- 3
Das Messprotokoll und das Datenfeld des Messfotos weisen zur gegenständlichen Messung die Verwendung der Einseitensensormessanlage der Firma ESO, Typ 3.0 aus. Das Gerät war zum Tatzeitpunkt mit der Softwareversion 1.001 ausgestattet.
- 4
Bei der verwendeten Softwareversion 1.001 sind in der Vergangenheit im Messbetrieb fehlerhafte Distanzwerte des gemessenen Objektes zum Sensor registriert worden. Durch Gutachten wurde nachgewiesen, dass es bei Parallelfahrt von zwei Fahrzeugen, die mit ähnlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind, häufig zu Fehlmessungen des Seitenabstandes gekommen ist. Der im Beweisfoto eingeblendete Seitenabstand hat in vielen Fällen nicht zu dem die Geschwindigkeitsmessung auslösenden Fahrzeug gepasst.
- 5
Aufgrund dieser Tatsachen wurde mit Datum vom 25.11.2009 der 3. Nachtrag zur innerstaatlichen Bauartzulassung vom 05.12.2006 zum ES 3.0 von der PTB herausgegeben, in der die Softwareversion 1.002 genehmigt wurde.
- 6
In Ziffer 1 des Nachtrages ist die technische Verbesserung der neuen Software wie folgt beschrieben:
- 7
"Die Abstandsmessfunktion ist verbessert. Nur mit dieser Softwareversion ermöglich der ermittelte Abstand eine zweifelsfreie Zuordnung des Messwertes zu einem Fahrzeug auch dann, wenn die Fotolinie nicht über die volle Breite im Foto abgelichtet ist oder wenn sich zwei Fahrzeuge an der Fotolinie befinden."
- 8
In Ziffer 4 des Nachtrages heißt des zu den Geräten, die noch mit der alten Softwareversion ausgestattet sind wie folgt:
- 9
"Die Auswertung der Dokumentationsfotos und der weiteren Messwerte, die von Geschwindigkeitsüberwachungsgeräten stammen, die noch mit der bisher zulässigen Software ausgestattet sind, muss entsprechend dem Merkblatt "eso ES3.0 Vers. 1001" vom 25.11.2009 erfolgen."
- 10
Das vorgenannte Merkblatt der Firma ESO enthält bezüglich der Softwareversion 1.001 folgende Auswerterichtlinien:
- 11
"Um in allen Fällen immer eine sichere Zuordnung des Messwertes zum gemessenen Fahrzeug gewährleisten zu können gilt für die Geschwindigkeitsmessgeräte vom Typ ES 3.0 mit der Software-Version bis einschließlich 1.001 folgende Auswerterichtlinie:
- 12
Wenn alle Fahrbahnteile, auf denen Messungen entstehen können, auf den Messfotos abgebildet sind und nur ein Fahrzeug auf dem Messfoto eindeutig mit der Vorderfront an der Fotolinie steht, darf dieses ausgewertet werden.
- 13
Wenn nicht alle Fahrbahnteile auf dem Messfoto abgebildet sind und auf andere Weise (z. B. aufmerksamer Messbetrieb) sichergestellt ist, dass nur ein Fahrzeug in Frage kommt, darf dieses ausgewertet werden.
- 14
Wenn zwei Fahrzeuge auf dem Foto in gleicher Höhe und in gleicher Richtung an der Fotolinie abgebildet sind, darf die Messung nicht ausgewertet werden."
- 15
Demnach ist festzuhalten, dass ein Beweisbild einer Messung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ES 3.0 mit der Softwareversion 1.001 so ausgestattet sein muss, dass alle Fahrbahnteile im Beweisbild abgebildet sein müssen, auf denen sich den Messwert beeinflussende Fahrabläufe ereignen können.
- 16
Da im gegenständlichen Fall ein Teil der rechten Fahrspur und die Standspur von der Fotoeinrichtung nicht erfasst wurden, kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass sich auf dem nicht erfassten Bereich ein Fahrzeug befunden hat, welches den Messwert beeinflusst haben könnte. An diesem Ergebnis ändert auch die vorliegend vorgenommene Spurselektion nichts. Die Spurselektion wird über die schräggestellten Sensoren 4 und 2 realisiert. Diese Sensoren werden auch für die Seitenabstandsmessung verwendet. Da die Seitenabstandsmessung aber nicht zuverlässig funktioniert, liegt auch keine zuverlässige Funktion der Spurselektion vor.
- 17
Die o. a. Zweifel an der Verwertbarkeit der vorliegenden Messung unterliegen der richterlichen Würdigung.
- 18
Vor einer Entscheidung ist zunächst zu klären, welche Randbedingungen vorherrschen müssten, um das Fahrzeug des Betroffenen trotz Messauslösung durch ein auf dem Beweisfoto nicht erkennbares Fahrzeug zufällig in der vorliegenden Fotoposition abzubilden.
- 19
Das Fahrzeug der Betroffenen müsste sich zum Bildauslösezeitpunkt zufällig mit der Front an der Fotolinie befunden haben und das rechts überholende Fahrzeug müsste nicht im Frontbereich, sondern auf Höhe der A-Säule erfasst worden sein. Der vom Messgerät er mittelte Seitenabstand müsste fehlerhaft sein und der fehlerhaft angezeigte Seitenabstand müsste zufällig mit der Positionierung des von der Betroffenen gesteuerten Pkw deckungsgleich sein.
- 20
Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen und unter Berücksichtigung der übrigen Sach- und Rechtslage erachtet das Gericht vorliegend eine Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG für verhältnismäßig und angemessen.
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