Urteil vom Arbeitsgericht Bielefeld - 6 Ca 257/11
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.491,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB auf 1.779,55 € seit dem 01.11.2010, sowie auf jeweils weitere 355,91 € seit dem 01.12.2010 und 01.01.2011 und 743,68 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.01.2011 sowie 2.872,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.01.2011 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 20 % und die Beklagte zu 80 %.
4. Der Streitwert wird auf 6.107,18 € festgesetzt.
1
Tatbestand :
2Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers sowie einen Anspruch auf eine Jahressonderzahlung.
3Der am 02.08.1958 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 17.01.1994 als Lehrer an der griechischen Grundschule in B1 beschäftigt.
4Im zuletzt gültigen abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag vom 02.01.2008 lautet es u. a. wie folgt:
5„2. Die Regelung des Arbeitsverhältnisses erfolgt nach dem deutschen Bundestarifvertrag der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrkräfte und des deutschen öffentlichen Dienstes vom 07.05.1992 mit rückwirkender Gültigkeit zum 01.01.
6Gemäß den obigen Ausführungen, den Änderungen der Beiträge des deutschen Versicherungsträgers und der Anpassung des BAT am TV-L, gestaltet sich sein Gehalt wie folgt:
7A. Für den Zeitraum ab Januar 2008
8Vergütungsgruppe: Iva (EG 10, Stufe 5),Anzahl der Kinder: 3, Alter: >45, Stunden: 25
9Bezüge-Zuschläge Betrag in Abzüge Betrag in
10Euro Euro
11EG 10, Stufe 5 3.049,29 Pflegeversicherung 58,51
12Individuelle Zulage 391,21 Krankenversicherung 499,09
13Auf 5 aufgerundet 1,47 Zusatzkrankenversicherung
14vom Arbeitnehmer (0,90) 30,98
15Rentenversicherung 684,95
16Arbeitslosenversicherung 113,59
17Umlage im Krankheitsfall U1 41,30
18Umlage bei Mutterschaft U2 2,75
19Gesamtbetrag 3.441,97 Gesamtbetrag 1.431,17
20Abzüge Arbeitgeber 722,13 Steuern 5 % des Grundgehalts,
21Abzüge Arbeitnehmer 709,05 Orts- u. allg. Zuschlags 172,10
22GESAMTBETRAG BRUTTOBEZÜGE: 4.164,10 GESAMTBETRAG DER ABZÜGE: 1.603,27
23GESAMTBETRAG NETTOBEZÜGE: 2.560,82"
24Auf das Arbeitsverhältnis findet nach übereinstimmender Auffassung der Parteien nunmehr der TV-L Anwendung.
25Das Bruttomonatsgehalt des Klägers betrug in Folge einer Tariferhöhung ab März 2010 3.635,45 €.
26Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 21.10.2010 eine Änderungskündigung aus, wonach rückwirkend ab dem 01.01.2010 eine Kürzung der Bezüge um 7% und ab dem 01.06.2010 um weitere 3% erfolgen sollte. Gleichfalls sollte eine Jahressonderzahlung zukünftig entfallen.
27Die Beklagte zahlte in jedem Jahr eine Jahressonderzahlung in Höhe von 80% eines Bruttomonatsentgeltes.
28Nach Annahme der Änderungskündigung unter Vorbehalt erhob der Kläger gegen die Änderungskündigung Kündigungsschutzklage.
29Durch Urteil der erkennenden Kammer vom 04.05.2011 wurde die Änderungskündigung für unwirksam erklärt.
30Die Beklagte zahlte an den Kläger beginnend ab dem Monat Juni 2010 nur noch ein Bruttogehalt in Höhe von 3.279,54 €.
31Hieraus ergibt sich für den Kläger ein Nettoentgelt in Höhe von 2.452,28 €. In den Monaten Juli, September, Oktober, November und Dezember 2010 zahlte die Beklagte an den Kläger jedoch lediglich 2.366,66 € netto und in den Monaten Juni und August nur 2.294,49 € netto aus.
32Auf das Arbeitsverhältnis findet nach übereinstimmender Auffassung der Parteien der TV-L Anwendung.
33Mit Schreiben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, deren Mitglied der Kläger ist, vom 12.07.2010 machte der Kläger seine Differenzvergütungsansprüche geltend. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 5 – 7 d. A. Bezug genommen.
34Mit einem am 28.01.2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz, welcher der Beklagten am 03.02.2011 zugestellt wurde, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Hinsichtlich eines zunächst eingeklagten Betrages in Höhe von 1.266,06 € für den Zeitraum Januar – einschließlich Mai 2010 hat er die Klage zurückgenommen. Für den Zeitraum Juni – Dezember 2010 hat er die Klage teilweise im Umfang von 53,41 € zurückgenommen.
35Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei verpflichtet, ihm ein ungekürztes Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.635,45 € zu zahlen.
36Darüber hinaus sei die Beklagte verpflichtet, die Nettoeinbehalte aus den Monaten Juni – Dezember 2010 in Höhe von insgesamt 743,68 € zu zahlen. Ein Grund für den Einbehalt sei nicht ersichtlich.
37Schließlich sei die Beklagte verpflichtet, ihm eine Jahressonderzahlung in Höhe von 80% aus 3.590,17 € mithin in Höhe von 2.872,13 € brutto zu zahlen.
38Der Kläger beantragt,
391. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.491,37 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.11.2010 zu zahlen;
402. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.872,13 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.01.2011 zu zahlen;
413. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 743,68 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.01.2011 zu zahlen.
42Die Beklagte beantragt,
43die Klage abzuweisen.
44Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
45Entscheidungsgründe :
46Die Klage ist zulässig und bis auf einen kleinen Teil der Zinsen begründet.
47Insbesondere steht dem Verfahren nicht der Grundsatz der Staatenimmunität gemäß § 20 II GVG entgegen.
48Nach dieser Vorschrift erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit nicht auf Personen, die gemäß den allgemeinen Regeln des Völkerrechts aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind. Nach dem allgemeinen Völkergewohnheitsrecht sind Staaten der Gerichtsbarkeit anderer Staaten nicht unterworfen, soweit ihre hoheitliche Tätigkeit von einem Rechtsstreit betroffen ist (vgl. BAG, Urt. v. 16.05.2002, 2 AZR 688/00). Dagegen untersagt keine Regel des Völkerrechts der inländischen Gerichtsbarkeit, die Angelegenheiten zu entscheiden, die die nicht hoheitliche Tätigkeit des ausländischen Staates betrifft (BVerfG, Urt. v. 30.04.1963).
49Die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nicht hoheitlicher Staatstätigkeit richtet sich nach dem Motiv oder Zweck. Maßgebend ist die Natur der umstrittenen staatlichen Handlung oder des streitigen Rechtsverhältnisses. Mangels völkerrechtlicher Abgrenzungsmerkmale ist dies grundsätzlich nach dem Recht des entscheidenden Staates zu beurteilen.
50Dies zugrunde gelegt betrifft der vorliegende Rechtsstreit keine hoheitliche Tätigkeit der Beklagten. Die Beklagte hat mit dem Kläger einen privatrechtlichen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Der Beklagten stand es als souveräner Staat zu zu wählen, ob sie als Privatrechtssubjekt am Rechtsverkehr teilnimmt oder hoheitlich, z.B. durch Begründung eines Beamtenverhältnisses tätig wird.
51Soweit das LAG Baden Württemberg (vgl. Urt. v. 27.02.2009, 7 Sa 87/08) in einem Rechtsstreit eines Lehrers gegen einen ausländischen Staat die Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichte verneint hat, folgt dem die Kammer nicht.
52Der Sachverhalt des vom LAG Baden Württemberg entschiedenen Falles ist nicht mit dem vorliegenden Rechtsstreit vergleichbar, weil es dort um einen nach Deutschland entsandten Lehrer für muttersprachlichen Unterricht ging.
53Darüber hinaus ist die Kammer aber auch der Auffassung, dass der Abschluss und auch die Kündigung eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages nicht als hoheitliche Tätigkeit angesehen werden können. Eine Entscheidung über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer solchen privatrechtlichen Maßnahme berührt nicht die hoheitliche Souveränität des betroffenen Staates, die dieser sich durch die getroffene Rechtswahl, nämlich privatrechtlich tätig zu werden, insoweit seiner hoheitlichen Rechte begeben hat.
54Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Beklagte in ihrem hoheitlichen oder konsularischen Handeln durch eine Entscheidung der deutschen Arbeitsgerichte behindert wird.
55Der vorliegende Rechtsstreit ist nach deutschem Recht zu beurteilen.
56Dies folgt vorliegend aus Artikel 8 der Verordnung des Europäischen Parlaments Nr. 593 aus 2008 vom 17. Juni 2008, welcher gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar in den Mitgliedsstaaten und damit auch der Bundesrepublik Deutschland Anwendung findet.
57Hiernach unterliegen Individualarbeitsverträge gemäß Artikel 8 Satz 1 dem nach Artikel 3 von den Parteien gewählten Recht.
58Vorliegend haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen.
59Für diesen Fall bestimmt Artikel 8 Absatz 2 Satz 1, dass das Recht des Staates Anwendung findet, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.
60Nur ausnahmsweise gilt gemäß Artikel 8 Absatz 4 ein anderes Rechtsstatut, wenn nach der Gesamtheit aller Umstände der Vertrag eine engere Verbindung zu einem anderen als dem in Absatz 2 gezeichneten Staat aufweist.
61Dies zugrunde gelegt findet das deutsche Recht Anwendung, da die Klägerin bestimmungsgemäß in Deutschland ihre Arbeitsverpflichtung erbringt. Es sind auch keinerlei Umstände ersichtlich, die eine engere Verbindung des Rechtsverhältnisses mit Griechenland erkennen lassen. Vielmehr ist aus der Bezugnahme der deutschen Tarifverträge im öffentlichen Dienst der Rückschluss zu ziehen, dass auch die Parteien davon ausgingen, dass deutsches Arbeitsrecht auf ihr Vertragsverhältnis Anwendung finden soll.
62Dem Kläger stehen für die Monate Juni – Dezember 2010 2.491,37 € gemäß § 611 BGB i. V. m. dem geschlossenen Arbeitsvertrag und dem TV-L zu.
63Unstreitig findet auf das Arbeitsverhältnis der TV-L Anwendung. Der Kläger ist in die Entgeltgruppe 10 Stufe 5 eingruppiert. Insoweit steht ihm eine monatliche Bruttovergütung ab März 2010 in Höhe von 3.635,45 € zu.
64Die Beklagte hat hierauf ab Juni 2010 jedoch lediglich 3.279,54 € monatlich und mithin monatlich 355,91 € zu wenig gezahlt.
65Da die erkennende Kammer mit Urteil vom gleichen Tag die ausgesprochene Änderungskündigung für unwirksam erklärt hat, war die Beklagte nicht berechtigt, das vereinbarte Bruttoentgelt des Klägers abzusenken. Sie ist daher verpflichtet, dem Kläger für sieben Monate 2.491,37 € nachzuzahlen.
66Der Anspruch des Klägers ist auch nicht gemäß § 37 S. 1 TV-L verfallen.
67Aufgrund der Zustellung der Klage am 03.02.2011 sind die Ansprüche von August – Dezember 2010 auf jeden Fall fristgerecht schriftlich geltend gemacht.
68Die Kammer war darüber hinaus der Auffassung, dass auch das Geltendmachungsschreiben der Gewerkschaft GEW vom 12.07.2010 eine ausreichende Geltendmachung darstellt.
69Zwar enthält dieses Schreiben keine konkrete Bezifferung der geltend gemachten Forderung. Es ergibt sich aus ihm jedoch hinreichend deutlich, dass der Kläger die Differenz des abgerechneten und gezahlten Entgelts zu seiner zuvor gemäß des TV-L bezogenen Vergütung geltend machen will. Diese Ansprüche waren für die Beklagte unschwer berechenbar. Vor diesem Hintergrund ist der Sinn und Zweck der schriftlichen Geltendmachung, dass die in Anspruch genommene Partei sich darauf einstellen kann, welche Ansprüche gegen sie noch erhoben werden, einstellen kann, voll umfänglich gewahrt.
70Damit sind auch die Teilbeträge für die Monate Juni und Juli 2010 nicht verfallen.
71Dem Kläger steht darüber hinaus eine Jahressonderzahlung in Höhe von mindestens 2.872,13 € zu.
72Die Kammer lässt offen, ob dies bereits aus § 20 Abs. 2 S. 1 TV-L folgt. Auch die übrigen Voraussetzungen des § 20 TV-L sind vorliegend gegeben.
73Dem Kläger stünde der Anspruch jedoch auch unter dem Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung zu.
74Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht für jährlich gezahlte Zuwendungen die Regel, dass eine dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarkt (vgl. BAG, Urt. v. 05.08.2009, 10 AZR 483/08, NZA 2009, 1105 ff m. w. N.). Diese Erstarkung zur Verbindlichkeit führt ebenfalls nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Wege der sogenannten Vertragstheorie zu einem vertraglichen Anspruch des Arbeitnehmers auf die üblich gewordene Leistung (BAG a. a. O.).
75Da der Kläger unbestritten bis auf das Jahr 2010 jeweils 80% eines Bruttomonatsgehalts als Jahressonderzahlung erhalten hat, und die Beklagte nicht substantiiert eingewendet hat, dass dies jeweils mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt unter Hinweis darauf, dass auch durch mehrmalige Zahlung keine zukünftigen Ansprüche entstehen, verbunden war, wäre hiermit aufgrund betrieblicher Übung der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Jahressonderzahlung in Höhe von 80% eines Bruttomonatsgehalts entstanden.
76Dieser beträgt der Höhe nach auch mindestens 2.872,13 €, weil der Kläger von dem zu Beginn des Jahres 2010 niedrigeren Bruttoentgelts in Höhe von 3.590,17 € ausgegangen ist.
77Auch dieser Anspruch ist nicht verfallen, da er durch Zustellung der Klageschrift am 03.02.2011 rechtzeitig im Sinne des § 37 S. 1 TV-L geltend gemacht worden ist.
78Der Kläger hat darüber hinaus einen Anspruch in Höhe von 743,68 € netto.
79Insoweit ist unstreitig, dass die Beklagte die von ihr selbst aufgrund des reduzierten Bruttogehalts ermittelten Nettobeträge nicht vollständig ausgekehrt hat. Aus welchen Gründen sie die Einbehaltungen vorgenommen hat, hat sie im vorliegenden Verfahren nicht erläutert.
80Verfallfristen brauchte der Kläger nicht zu beachten, da es sich insoweit um abgerechnete Ansprüche handelt.
81Daher war sie auch insoweit zur Zahlung zu verurteilen.
82Die Zinsansprüche beruhen auf dem Gesichtspunkt des Verzuges. Die Klage war abzuweisen, als dass der Kläger die monatliche Differenz in Höhe von 355,91 € brutto für den Monate November und Dezember 2010 bereits ab 01.11.2010 verzinst wissen wollte. Da Fälligkeit jedoch frühestens mit Ablauf des jeweiligen Monats eingetreten ist, ist die Beklagte verpflichtet, insoweit Zinsen erst ab dem 01.12 2010 und 01.01.2011 zu zahlen.
83Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Die Quotelung entspricht unter Berücksichtigung der teilweisen Klagerücknahme dem anteiligen Obsiegen und Unterliegen der Parteien in diesem Rechtsstreit.
84Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Er wurde gemäß § 3 mit dem Nominalwert der Klageforderung bewertet.
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