Urteil vom Arbeitsgericht Bielefeld - 5 Ca 2455/11
Tenor
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
- 3.
Der Streitwert wird auf 25.600,00 € festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten im vorliegenden Verfahren um die Wirksamkeit zweier fristloser arbeitgeberseitiger Kündigungen und vom Kläger hilfsweise geltend gemachter finanzieller Ansprüche für geleistete Vorgriffstunden.
3Der Kläger wurde 1952 geboren und ist verheiratet. Er wurde von dem beklagten Land seit dem 01.02.1986 als angestellter Lehrer für türkischen muttersprachlichen Unterricht beschäftigt zu einer Vergütung von zuletzt ca. 3.600,00 € brutto monatlich.
4Aufgrund der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendenden tariflichen Vorschriften ist der Kläger ordentlich unkündbar.
5Die sogenannte Stammschule des Klägers war die Hauptschule C1 in C. Darüber hinaus wurde der Kläger an anderen Cer Schulen als Lehrer für muttersprachlichen Unterricht beschäftigt, u.a. auch an der Gesamtschule T.
6Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit einem Schreiben vom 28.09.2009, das dem Kläger am 29.09.2009 zugestellt wurde, außerordentlich mit sofortiger Wirkung wegen eines Vorfalls an der Gesamtschule S vom 16.09.2009. Bezüglich des weiteren Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf die von dem Kläger zu den Akten gereichten Kopien (Blatt 5 – 9 d.A.) verwiesen.
7Am 16.09.2009 hatte der Kläger muttersprachlichen Unterricht an der Schule S zu erteilen. Dieser Unterricht sollte am Nachmittag stattfinden.
8Die Schülerin C2, die am 1998 geboren worden war und folglich 11 Jahre alt war, wollte mit ihrer türkischen Freundin J den Heimweg antreten. Da die Schülerin J jedoch noch am muttersprachlichen Unterricht des Klägers teilnehmen musste, erlaubte der Kläger auf Bitten der Mädchen eine Teilnahme der Schülerin C2 am türkischen muttersprachlichen Unterricht. Dieser Unterricht fand im Computerraum der Schule statt.
9Während der Unterrichtsstunde ging der Kläger sodann zu der Schülerin C2, strich ihr mit der Hand über das Haar und sagte zu ihr, dass sie ein schönes Mädchen sei. Des Weiteren fasste er ihr mit den Händen an die Brust, leckte mit seiner Zunge über ihre Lippen und gab ihr einen Kuss auf den Mund. Die Schülerin C2 verließ darauf hin weinend den Unterrichtsraum und offenbarte sich anschließend ihren Verwandten. Die Mutter der Schülerin erstattete darauf hin eine Anzeige gegen den Kläger.
10In einem Gespräch am Folgetag, den 17.09.2009, zwischen der Schülerin C2, ihrer Mutter, dem Klassenlehrer Herrn X und dem Schulleiter Herrn X1 schilderte die Mutter, dass ihre Tochter am Vortag verstört nach Hause gekommen sei und sich ihr anvertraut habe.
11Des Weiteren verfasste die Schülerin C2 am 18.09.2009 eine handschriftliche Schilderung der Geschehnisse. Bezüglich des Inhalts wird auf die von dem beklagten Land zu den Akten gereichte Kopie (Blatt 24 d.A.) verwiesen.
12Ein weiterer Schüler L schilderte des Weiteren dem Klassenlehrer Herrn X am 17.09., dass er die Vorkommnisse vom Vortag beobachtet habe. Herr X verfasste dazu einen schriftlichen Vermerk. Bezüglich des Inhalts dieses Vermerks wird auf die von der Beklagten zu den Akten gereichte Kopie (Blatt 25 d.A.) verwiesen.
13Des Weiteren fand ein Gespräch am 18.09.2009 zwischen dem Schulleiter der Schule im Beisein seines Stellvertreters und eines Mitglieds des Lehrerrats mit dem Kläger statt, in dem die Vorkommnisse vom 16.09.2009 angesprochen wurden. In dem Gespräch räumte der Kläger ein, der Schülerin über das Haar gestrichen zu haben und erklärte dazu, dass Lehrer zu ihren Schülerinnen sein sollten wie Väter zu ihren Töchtern. Weitere Berührungen der Schülerin C2 stritt der Kläger ab.
14Des Weiteren verfasste auf Anfrage des beklagten Landes der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Stellungnahme zu den Vorkommnissen mit Schreiben vom 25.09.2009. Bezüglich des Inhalts dieser Stellungnahme wird auf die von dem Kläger zu den Akten gereichten Kopien (Blatt 10 – 12 d.A.) verwiesen.
15Der Kläger wurde schließlich vom Amtsgericht Bielefeld mit Urteil vom 21.09.2010 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil wurde vom Landgericht Bielefeld mit Urteil vom 22.03.2011 verworfen. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld wurde schließlich durch einen Beschluss des Oberlandesgerichts in Hamm vom 22.03.2011 als unbegründet verworfen.
16Das beklagte Land kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien nochmals außerordentlich mit sofortiger Wirkung mit einem Schreiben vom 02.02.2012. Bezüglich des weiteren Inhalts dieses Kündigungsschreibens wird auf die von dem Kläger zu den Akten gereichte Kopie (Blatt 162 d.A.) verwiesen.
17Gegen die Kündigung vom 28.09.2009 wandte sich der Kläger mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage, die am 09.10.2009 bei dem Arbeitsgericht Bielefeld einging.
18Auf Bitten der Rechtsanwältin T als Vertreterin der Schülerin C2 bzw. ihrer Eltern, wurde mit Beschluss vom 24.03.2010 zunächst das vorliegende Kündigungsschutzverfahren ausgesetzt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gegen den Kläger.
19Das Verfahren wurde sodann auf Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 06.10.2011 wieder aufgenommen.
20Schließlich erweiterte der Kläger seine Kündigungsschutzklage hinsichtlich der am 02.02.2012 ausgesprochenen Kündigung mit einer Klageerweiterung vom 23.02.2012, die am 24.02.2012 bei dem Arbeitsgericht Bielefeld einging.
21Schließlich machte der Kläger hilfsweise für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen finanziellen Abgleich für geleistete Vorgriffstunden in einem Umfang von 12 Monaten geltend.
22Der Kläger hält beide Kündigungen für rechtsunwirksam.
23Das beklagte Land habe eine Interessenabwägung überhaupt nicht vorgenommen. Der Umstand, dass hier ein langjährig beanstandungsfrei bestehendes ordentlich unkündbares Arbeitsverhältnis vorliege, sei von dem beklagten Land ebenso wenig in die Abwägung einbezogen worden, wie die persönlichen Verhältnisse des Klägers bzw. die Folgen einer Kündigung für seine persönliche Situation. Aus Sicht des Klägers habe das beklagte Land auch die gegenüber dem Kläger bestehenden Fürsorgepflichten nicht ansatzweise erfüllt.
24Im Übrigen sei die Entscheidung, eine Kündigung auszusprechen, unverhältnismäßig. Es sei dem beklagten Land zumutbar gewesen, das Fehlverhalten des Klägers durch eine Abmahnung zu ahnden.
25Im Übrigen habe ggf. ein ungesteuerter Handlungsimpuls des Klägers vorgelegen. Dies habe das Strafgericht nicht ausreichend gewürdigt.
26Schließlich sei die Kündigung vom 28.09.2009 auch rechtsunwirksam, da der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden sei.
27Die zweite Kündigung vom 02.02.2012 sei bereits aus dem Grund rechtsunwirksam, da die im Gesetz vorgesehene Frist von zwei Wochen gemäß § 626 Abs. 2 BGB vom beklagten Land nicht eingehalten worden sei.
28Der Kläger beantragt,
29- 30
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.09.2009 beendet wurde.
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2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht aufgrund der Kündigung des beklagten Landes vom 02.02.2012 endete.
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3. hilfsweise für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses,
das beklagte Land zu verurteilen, die vom Kläger geleisteten Vorgriffstunden in einem Umfang von 12 Monaten finanziell abzugelten.
35Das beklagte Land beantragt,
36die Klage abzuweisen.
37Das beklagte Land ist der Auffassung, dass der Kläger seine Stellung als Lehrer missbraucht habe, indem er die Schülerin C2 unsittlich berührt habe und damit nicht nur das Vertrauen der Schülerin missbraucht, sondern auch das Vertrauensverhältnis zwischen sich und dem Land Nordrhein-Westfalen als Arbeitgeber nachhaltig und irreparabel zerstört habe. Der Vorfall vom 16.09.2009 stelle eindeutig einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung dar.
38Im Übrigen sei auch der Personalrat ordnungsgemäß beteiligt worden. So sei der Personalrat mit einem Schreiben vom 21.09.2009 gemäß § 74 Abs. 4 LPVG ordnungsgemäß angehört worden. Diesem Schreiben sei eine Anlage beigefügt gewesen, nämlich die Durchschrift eines Schreibens des beklagten Landes an die H-Rechtsschutz, die den Kläger zunächst vertreten habe. Dazu hat das beklagte Land Kopien des Anhörungsschreibens nebst der Anlage zu den Akten gereicht. Bezüglich des Inhalts wird auf Blatt 70 – 74 d.A. verwiesen. Dieses Anschreiben mit Anlage sei dem Vorsitzenden des Personalrats, dem Zeugen T1, am 22.09.2009 vorab per Fax zugeleitet worden. Der zuständige Personalrat für die Lehrer an Hauptschulen habe sodann am 23.09.2009 getagt. Die zuständige Dezernentin habe an dieser Sitzung teilgenommen und auch darauf hingewiesen, dass der Kläger aufgrund der langen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses ordentlich unkündbar sei. Dazu hat das beklagte Land einen Email-Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Personalrats vom 23.09.2009 zu den Akten gereicht. Bezüglich des Inhalts wird auf Blatt 76 d.A. verwiesen. Der Personalrat habe sodann eine Stellungnahme am 24.09.2009 abgegeben, die der zuständigen Sachbearbeiterin des beklagten Landes am 26.09.2009 zugeleitet worden sei per Email. Dazu hat das beklagte Land ein Anschreiben des Personalrats vom 26.09.2009 mit einer Anlage vom 24.09.2009 zu den Akten gereicht. Bezüglich des Inhalts wird auf Blatt 77 – 78 d.A. verwiesen.
39Zu dem Hilfsanspruch des Klägers hat das beklagte Land vorgetragen, dass ein Ausgleich der Vorgriffstunden derzeit noch nicht fällig sei. Der Kläger habe im Schuljahr 2001/2002 Vorgriffstunden geleistet. Die Rückgabe sei somit erst ab Schuljahr 2012/2013 fällig. Frühestens zum 01.08.2012 sei ein finanzieller Ausgleich von Vorgriffstunden vorzunehmen.
40Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und Protokollniederschriften der Sitzungen vom 04.12.2009 und 06.03.2012 verwiesen.
41Das Gericht hat Beweis erhoben über die Frage, ob und wann dem Personalrat ein Anhörungsschreiben nebst Anlagen zugeleitet worden ist und ob und wann der Personalrat dazu eine Stellungnahme dem beklagten Land zugeleitet hat, durch Vernehmung des Zeugen T1. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokollniederschrift der Sitzung vom 06.03.2012 verwiesen.
42E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
43Die Klage ist hinsichtlich der beiden Hauptanträge des Klägers, mit denen er sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 28.09.2009 und der Kündigung vom 02.02.2012 wendet, unbegründet.
44Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde beendet durch die fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 28.09.2009.
45Zunächst ist festzustellen, dass sich der Kläger rechtzeitig innerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG gegen die Kündigung wehrte, da seine Kündigungsschutzklage am 09.10.2009, also innerhalb einer Frist von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung vom 28.09.2009, bei dem Arbeitsgericht Bielefeld einging.
46Die fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 28.09.2009 war rechtswirksam. Es lag ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor.
47Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die erforderliche Prüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, vollzieht sich zweistufig. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Ist dies der Fall, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (ständige Rechtssprechung des BAG, siehe auch BAG in Urteil vom 28.01.2010, Az.: 2 AZR 1008/08).
48Ist, wie im vorliegenden Fall, ein Arbeitnehmer altersbedingt nach tariflichen Vorschriften unkündbar, ist bei der Prüfung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, zwar an sich ein besonders strenger Maßstab anzulegen (BAG in EzA § 626 BGB Nr. 1). Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Der tarifliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung und die daraus folgende Dauer der Vertragsbindung stellen vielmehr Umstände dar, die bei einer außerordentlichen Kündigung im Rahmen der im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung gesondert zu berücksichtigen sind.
49Gemessen an diesen Voraussetzungen war die fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 28.09.2009 gerechtfertigt.
50Dazu geht das Gericht davon aus, dass die Kündigung vom 28.09.2009 erfolgte, zumindest auch, weil das beklagte Land davon ausging, dass der Kläger die ihm zur Last gelegte Tat tatsächlich begangen hatte, und nicht lediglich ausschließlich wegen eines entsprechenden Verdachts. Zwar wird in dem Kündigungsschreiben vom 28.09.2009 das Wort „Verdacht“ erwähnt und das beklagte Land hat das Kündigungsschreiben vom 28.09.2009 im Kündigungsschreiben vom 02.02.2012 als Verdachtskündigung bezeichnet.
51Jedoch ist im Übrigen im Verfahren die Kündigung vom beklagten Land immer damit begründet worden, dass der Kläger sexuelle Handlungen gegenüber der Schülerin C2 tatsächlich begangen habe. U.a. hat das beklagte Land ausgeführt, dass der Kläger seine Stellung als Lehrer missbraucht habe, indem er die Schülerin unsittlich berührt habe und der Vorfall vom 16.09.2009 eindeutig einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstelle. Es hat nicht ausgeführt, dass das beklagte Land den Verdacht habe, dass der Kläger das Vertrauen missbraucht habe bzw. der Vorfall einen wichtigen Grund darstellen könne.
52Die Voraussetzungen für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung wegen der begangenen Handlungen sind gegeben.
53Der sexuelle Missbrauch der Schülerin C2 am 16.09.2009 war an sich geeignet, einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung abzugeben. Der Kläger beging eine mit Strafe bedrohte sexuelle Handlung gegenüber einer ihm anvertrauten Schülerin.
54Auch die erforderliche Interessenabwägung führte zu dem Ergebnis, dass die Kündigung des beklagten Landes gegenüber dem Kläger rechtswirksam war, da eine Weiterbeschäftigung dem beklagten Land unzumutbar war.
55Im Rahmen der Interessenabwägung war zu berücksichtigen, dass der Kläger verheiratet ist, bei Zugang der Kündigung bereits 57 Jahre alt war und unter den gegenwärtigen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt als Lehrer für muttersprachlichen türkischen Unterricht keine Anstellung in einem Arbeitsverhältnis mehr finden wird. Des Weiteren war zu berücksichtigen, dass er bereits seit vielen Jahren, nämlich seit 1986 von dem beklagten Land beschäftigt wurde. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten verdient der Bestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers keinen geringen sozialen Schutz.
56Dennoch war das beklagte Land zum Ausspruch der fristlosen Kündigung berechtigt. Dabei ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Kläger sich eines Sexualdelikts schuldig machte zum Nachteil einer Schülerin an der Schule, an der er als Lehrer eingesetzt worden war. Für die Zeit, für die er erlaubt hatte, dass die Schülerin C2 am türkischen muttersprachlichen Unterricht teilnahm, war sie seiner Obhut anvertraut. Dieses Vertrauen hat der Kläger schwerwiegend verletzt, indem er sexuelle Handlungen an der Schülerin beging.
57Erschwerend kommt nach Auffassung der Kammer hinzu, dass das Opfer des Klägers bei Begehung der Tat relativ jung war, nämlich erst 11 Jahre alt. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass sich C2 nur schwer gegen die sexuellen Übergriffe des Klägers wehren konnte und sich seinen Handlungen nur schwer entziehen konnte. Im Übrigen geht das Gericht davon aus, dass die sexuellen Handlungen gegenüber der Schülerin sie schwer belasteten, da sie weinend aus dem Unterricht rauslief und sich sofort ihren Verwandten anvertraute.
58Entgegen der Meinung des Klägers, konnte das beklagte Land auf sein Fehlverhalten nicht durch eine Abmahnung reagieren.
59Bei einer verhaltensbedingten Kündigung gilt das sogenannte Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken (BAG Urteil vom 19.04.2007, Az.: 2 AZR 180/06). Ein negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (BAG a.a.O.).
60Die Abmahnung ist zugleich aber auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt, der durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren hat, ist auch bei Störungen des Vertrauensbereichs zu beachten. Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann (BAG a.a.O.) oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, für deren Rechtswidrigkeit es dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei der die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG in Urteil vom 15.11.2001, Az.: 2 AZR 605/00). Selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Strafe bedrohte Handlungen kann es danach Fälle geben, in denen einen Abmahnung nicht ohne Weiteres entbehrlich erscheint. Dies gilt etwa, wenn dem Arbeitnehmer zwar die Verbotswidrigkeit seines Verhaltens hinreichend klar ist, er aber Grund zu der Annahme haben durfte, der Arbeitgeber würde dieses nicht als ein so erhebliches Fehlverhalten werten, dass dadurch der Bestand des Arbeitsverhältnisses auf dem Spiel stünde (Schlachter in NzA 2005, 433, 436).
61Gemessen daran ist die Kammer der Auffassung, dass es dem beklagten Land unzumutbar war, auf das Fehlverhalten des Klägers lediglich durch eine Abmahnung zu reagieren. Bei dem Fehlverhalten des Klägers handelt es sich um solches aus dem Vertrauensbereich. Durch seine Verhaltensweise zerstörte der Kläger nicht nur das Vertrauen der Schülerin C2, sondern auch das Vertrauen des beklagten Landes in sein rechtmäßiges Verhalten. Des Weiteren beging der Kläger eine schwere Pflichtverletzung, die auch zu einer strafrechtlichen Verfolgung des Klägers führte. Dem Kläger musste danach vollkommen klar sein, dass er zum Einen verbotswidrig handelte und zum Anderen das beklagte Land sein Fehlverhalten, wenn es ihm bekannt würde, nicht lediglich durch eine Abmahnung sanktionieren würde, sondern durch den Ausspruch einer fristlosen Kündigung.
62Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass das beklagte Land als Schulbehörde die Verpflichtung hat, die Schülerinnen vor sexuellem Missbrauch durch Lehrkräfte zu schützen. Dieser Pflicht konnte das beklagte Land nur dadurch nachkommen, dass sie einen Lehrer, der einen solchen sexuellen Missbrauch begangen hatte, aus dem Schuldienst entfernte und das Arbeitsverhältnis beendete.
63Hätte das beklagte Land lediglich, wie der Kläger meint, eine Abmahnung ausgesprochen, hätte die Gefahr bestanden, dass sich das Fehlverhalten des Klägers ggf. an einer anderen Schülerin wiederholen würde. Eine solche Wiederholungsgefahr konnte das beklagte Land im Interesse der betroffenen Schülerinnen nicht in Kauf nehmen.
64Die Kammer konnte schließlich auch nicht davon ausgehen, dass der sexuelle Missbrauch der Schülerin C2 auf einem ungesteuerten Handlungsimpuls des Klägers beruhte und nicht von einem vorwerfbaren schuldhaften Verhalten des Klägers auszugehen war. Dazu hat der Kläger nicht im Einzelnen substantiiert unter Beweisantritt vorgetragen, inwiefern tatsächlich von einem solchen ungesteuerten Handlungsimpuls auszugehen ist. Im Übrigen spricht eindeutig gegen das Vorbringen des Klägers, dass er nicht lediglich einmal, ggf. ungesteuert die Schülerin C2 berührte, sondern mehrere Handlungen vornahm, indem er ihr über das Haar strich, ihre Brüste berührte, ihre Lippen ableckte und ihr einen Kuss gab. Hinsichtlich dieser fortgesetzten sexuellen Handlungen kann nach Auffassung der Kammer nicht von einem ungesteuerten Handlungsimpuls auszugehen sein.
65Die Kündigung des beklagten Landes vom 28.09.2009 war schließlich auch nicht rechtsunwirksam wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Personalrats gemäß § 74 Abs. 3 LPVG – NW. Gemäß § 74 Abs. 2 LPVG-NW ist der Personalrat jeweils u.a. vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung anzuhören. Hierbei sind ihm auch die Gründe, auf die sich die beabsichtigte Kündigung stützen soll, vollständig anzugeben.
66Dazu geht das Gericht zunächst nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass das beklagte Land dem Personalrat mit einem Fax-Schreiben vom 22.09.2009 von einer beabsichtigten Kündigung des Klägers unterrichtete und in der Anlage die Sachverhaltsdarstellung beifügte, indem sie eine Kopie eines Schreibens an die H-Rechtsschutz, die den Kläger damals vertrat, beifügte. Des Weiteren geht das Gericht davon aus, dass am 23.09.2009 eine Personalratssitzung stattfand, der Personalrat am 24.09.2009 eine Stellungnahme abgab und sie der zuständigen Sachbearbeiterin mit einem Anschreiben vom 26.09.2009 per Email als Anlage zuleitete. Das beklagte Land hat seinen diesbezüglichen Sachvortrag zur Überzeugung der Kammer nachweisen können. Wie der Zeuge T1 bekundete, war der Personalrat in der oben geschilderten Weise beteiligt worden.
67Das Gericht sah keinerlei Anhaltspunkte, an dem Wahrheitsgehalt der Aussagen des Zeugen T1 zu zweifeln. Der Zeuge machte seine Angaben in ruhiger und verständiger Form und war erkennbar darum bemüht, den Sachverhalt aus seiner Sicht heraus vollständig und wahrheitsgemäß vorzutragen. Danach war der Personalrat vor Ausspruch der Kündigung vollständig über die Kündigungsgründe informiert und gab eine Stellungnahme ab, bevor die Kündigung am 28.09.2009 ausgesprochen und dem Kläger am 29.09.2009 zugestellt wurde.
68Die schriftliche Anhörung des Personalrats genügt auch den Anforderungen, die die Rechtssprechung an die Beteiligung eines Personalrats/Betriebsrats vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gerichtet hat.
69Nach der ständigen Rechtssprechung des BAG (BAG in Urteil vom 16.09.2004, Az.: 2 AZR 511/03) ist eine Kündigung nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt hat, ohne den Betriebsrat/Personalrat überhaupt anzuhören, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, er insbesondere seiner Unterrichtungspflicht nicht ausführlich genug nachgekommen ist. Dabei dient die Beteiligung der Arbeitnehmervertretung in erster Linie dem Zweck, dem Personalrat/Betriebsrat Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht dem Arbeitgeber vorzubringen.
70Demgemäß muss der Arbeitgeber der Arbeitnehmervertretung die Gründe für die Kündigung mitteilen, d.h., er muss über alle Gesichtspunkte informieren, die ihn zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlassen. Dabei ist die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der Anhörung des Personalrats/Betriebsrats zur Kündigung subjektiv determiniert. Der Personalrat/Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht subjektiv tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat (BAG a.a.O.). Dazu gehören auch die dem Arbeitgeber bekannten, dem Kündigungsgrund widerstreitenden Umstände.
71Dabei ist zu berücksichtigen, dass die subjektive Determination des Anhörungsverfahrens nicht dazu führen kann, auf die Mitteilung persönlicher Umstände ganz zu verzichten, auch wenn der Arbeitgeber sie nicht berücksichtigt hat. Es entspricht dem Zweck der Beteiligung der Arbeitnehmervertretung, dass sie sich ein Bild von den Kündigungsumständen machen kann, damit diese sachgemäß Stellung nehmen kann. Das bedeutet u.a., dass im Allgemeinen das Lebensalter und die Betriebszugehörigkeit sowie ein evtl. Sonderkündigungsschutz für die Beurteilung durch die Arbeitnehmervertretung unverzichtbare, mitzuteilende Daten sind (BAG in Urteil vom 21.06.2001, Az.: 2 AZR 30/00).
72Zwar handelt es sich bei den Sozialdaten sowie einem möglichen Sonderkündigungsschutz um Umstände, die nicht das beanstandete Verhalten des Arbeitnehmers bei einer verhaltensbedingten Kündigung selbst betreffen. Nach dem Sinn und Zweck der Anhörung dürfen dem Personalrat vom Arbeitgeber aber keine persönlichen Umstände des Arbeitnehmers vorenthalten werden, die sich im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend zu seinen Gunsten auswirken können (BAG a.a.O.).
73Ausnahmsweise steht jedoch die Wirksamkeit einer auf verhaltensbedingte Gründe gestützten Kündigung die fehlende Mitteilung der genauen Sozialdaten des kündigenden Arbeitnehmers an den Personalrat nur dann entgegen, wenn es dem Arbeitgeber wegen der Schwere der Kündigungsvorwürfe auf die genauen Daten ersichtlich nicht ankommt und der Personalrat die ungefähren Daten kennt und von daher die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers ausreichend beurteilen kann (vgl. zu Anhörung des Betriebsrats in einem vergleichbaren Fall BAG a.a.O. und BAG in Urteil vom 06.10.2005, Az.: 2 AZR 280/04; BAG in Urteil vom 15.11.1995, Az.: 2 AZR 974/94).
74Diesen Anforderungen wird die Personalratsanhörung des beklagten Landes gerecht. Zwar sind dem Personalrat in dem Anhörungsbogen keinerlei Sozialdaten des Klägers mitgeteilt worden. Insbesondere ist nicht mitgeteilt worden, wie alt der Kläger ist, welchen Familienstand er hat, seit wann er beschäftigt wird und dass er nach den tariflichen Vorschriften unkündbar ist.
75Dem beklagten Land kam es jedoch auf diese persönlichen Daten des Klägers erkennbar nicht an wegen der Schwere der ihm zum Last gelegten Tat. Für den Personalrat musste erkennbar sein, dass das beklagte Land unabhängig von der Frage, ob ein besonderer Kündigungsschutz bestand, wie alt der Kläger war, welchen Familienstand er hatte und wie lange er beschäftigt wurde, beabsichtigte, das Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden, da er sich eines sexuellen Missbrauchs gegenüber der Schülerin C2 schuldig gemacht hatte.
76Des Weiteren geht die Kammer auch davon aus, dass der Personalrat die ungefähren Daten des Klägers kannte. Das folgt insbesondere aus seiner Stellungnahme vom 24.09.2009. Dort hat der Personalrat zu der Kündigungsabsicht des beklagten Landes Stellung genommen, ohne darauf hinzuweisen, dass er ggf. den Kläger gar nicht kennt und keinerlei Vorstellung von seinen Sozialdaten hat. Das Gericht geht davon aus, dass der Personalrat die genauen Sozialdaten des Klägers vom beklagten Land abgefragt hätte, wenn er keine Vorstellung von der Person des zu kündigenden Arbeitnehmers gehabt hätte.
77Schließlich ist der Personalrat auch durch die dem Anhörungsschreiben beigefügte Anlage, d.h., die Kopie des Schreibens an die H-Rechtsschutz, ausreichend über den Sachverhalt informiert worden, so dass er eine abschließende Stellungnahme abgeben konnte. Wie sich aus dem Schreiben an die H-Rechtsschutz ergibt, wollte das beklagte Land dem Kläger vorwerfen, der Schülerin C2 über die Haare gestrichen zu haben, ihr gesagt zu haben, dass sie ein schönes Mädchen sei und ihre Brüste berührt und ihre Lippen abgeleckt und sie geküsst zu haben. Damit brachte das beklagte Land gegenüber dem Personalrat zum Ausdruck, dass es das Arbeitsverhältnis beenden wollte wegen einer dem Kläger zur Last zu legenden Straftat.
78Schließlich wurde der Personalrat nach Auffassung der Kammer auch ausreichend über die dem Kündigungsgrund widerstreitenden Umstände unterrichtet, indem ihm durch Übersendung der Kopie des Anschreibens an die Rechtschutz gewährende Gewerkschaft darauf hingewiesen wurde, dass der Kläger bei einer Anhörung am 18.09.2009 lediglich zugegeben hatte, der Schülerin C2 über das Haar gestrichen zu haben.
79In dem Schreiben an die Gewerkschaft wird eine Frist zur weiteren Stellungnahme gesetzt bis zum 25.09.2009. Bevor diese Frist ablief, wurde die Anhörung des Personalrats eingeleitet. Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass davon auszugehen ist, dass der Personalrat nicht ausreichend unterrichtet wurde. Denn eine anderslautende spätere Stellungnahme des Klägers zu den Geschehnissen vom 16.09.2009 wurde nicht abgegeben. In dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 25.09.2009 weist der Kläger lediglich darauf hin, dass er dem Kind gutmütig über den Kopf gestreichelt habe und sie dann nach Hause geschickt habe. Im Übrigen bestreite der Kläger den ihm gegenüber erhobenen Vorwurf. In diesem Schreiben befinden sich danach keine neueren, den Kläger entlastenden Gesichtspunkte, die dem Personalrat noch im Rahmen des Anhörungsverfahrens von dem beklagten Land mitzuteilen waren. Die Vorlage des Schreibens des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 25.09.2009 war danach entbehrlich.
80Nach alledem war die Kündigung vom 28.09.2009 rechtswirksam und führte zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien.
81Soweit sich der Kläger gegen eine Kündigung vom 02.02.2012 wendet, war die Klage ebenfalls als unbegründet abzuweisen. Denn Voraussetzung für die Begründetheit einer Kündigungsschutzklage ist u.a., dass das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch besteht. Diese Voraussetzung war nicht gegeben, da das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bei Zugang der Kündigung vom 02.02.12 bereits seit über zwei Jahren wirksam beendet worden war.
82Soweit der Kläger mit seinem Hilfsantrag verlangt, von ihm geleistete Vorgriffstunden in einem Umfang von 12 Monaten finanziell abzugelten, war die Klage als unzulässig abzuweisen.
83Denn der Kläger hat keinen der Vollstreckung zugänglichen Klageantrag gestellt. Aus dem Antrag folgt nicht, in welchem konkreten finanziellen Umfang Vorgriffstunden von dem beklagten Land abzugelten sind. Insbesondere ist kein konkreter Klageantrag gestellt worden, sondern lediglich allgemein Vorgriffstunden im Umfang von 12 Monaten finanziell abzugelten.
84Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen.
85Als Streitwert hat das Gericht hinsichtlich der beiden Hauptanträge jeweils drei Monatsvergütungen in Ansatz gebracht und hinsichtlich des Hilfsantrages weitere 4.000,00 €. Insgesamt ergibt sich ein Wert in Höhe von 25.600,00 €.
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