Urteil vom Arbeitsgericht Bonn - 4 Ca 2963/10
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat April 2010 623,80 EUR (i.W. sechshundertdreiundzwanzig Euro, Cent wie nebenstehend) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Nettobetrag seit dem 21.05.2010 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 64 % und die Beklagte zu 36 %.
5. Der Streitwert wird auf 7.141,94 € festgesetzt.
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T a t b e s t a n d :
2Der Kläger war bei der Beklagten vom 08.06.2009 bis zum 30.04.2010 als Arbeiter im Wege der Arbeitnehmerüberlassung für Entleihbetriebe beschäftigt. Gemäß Ziffer 3 des Arbeitsvertrages fanden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge zwischen der Tarifgemeinschaft D. und dem Arbeitgeberverband n. in der jeweils geltenden Fassung voll inhaltlich Anwendung (Bl. 7 d. A.). In Ziffer 18 des Arbeitsvertrages war eine Ausschlussfrist von 3 Monaten ab Fälligkeit vereinbart (Bl. 10 d. A.). Der Kläger war zuletzt vom 17.11.2009 bis zum 30.04.2010 bei T. in Troisdorf eingestellt. Im Februar und März 2010 arbeitete er dort jeweils 141,67 Stunden, im April 114,67 Stunden. Die Beklagte zahlte 7,35 € brutto pro Stunde.
3Mit seinem am 19.08.2010 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben machte der Kläger die Differenz zwischen dem bei dem Entleiherunternehmen gezahlten Lohn und dem Lohn der Beklagten geltend. Bei der Firma T. wird ein Stundenlohnsatz von 12,79 € brutto gezahlt. Zusätzlich forderte der Kläger mehrfach, zuletzt schriftlich am 19.11.2010, von der Beklagten ein qualifiziertes Zeugnis an.
4Mit seiner am 6. Dezember 2010 bei Gericht eingegangenen Klage verlangt der Kläger die Zahlung des Differenzlohns für die Monate Februar bis April 2010 von der Beklagten. Zusätzlich hat er die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Entgeltdifferenz zwischen dem Grundlohn im Entleihbetrieb und tatsächlich gezahltem Entgelt zwischen dem 08.06.2009 und dem 31.01.2010 zu zahlen. Diesen Antrag hat er in der Kammersitzung vom 11.05.2011 zurückgenommen.
5Der Kläger ist der Ansicht, dass keine wirksame Einbeziehung des Tarifvertrags zwischen der D. und des B. stattgefunden hat, da das BAG festgestellt habe, dass die D. keine Tariffähigkeit habe. Vor diesem Hintergrund stehe ihm der Lohn zu, welcher in dem Entleiherunternehmen gezahlt werde.
6Er beantragt,
7- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.939,85 € brutto abzüglich gezahlter 1.650,71 € netto, nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Nettobetrag seit dem 01.03.2010 zu zahlen (Februargehalt);
- die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an ihn 1.939,85 € brutto abzüglich gezahlter 1.650,71 € netto, nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Nettobetrag seit dem 01.04.2010 zu zahlen (Märzgehalt);
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.466,63 € brutto abzüglich gezahlter 842,82 € netto, nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Nettobetrag seit dem 01.05.2010 zu zahlen (Aprilgehalt);
- die Beklagte zu verurteilen, ihm ein qualifiziertes Zeugnis mit wohlwollender Leistungsbeurteilung im Sinne von § 109 Gewerbeordnung zu erteilen, welches ihm in seinem weiteren beruflichen Fortkommen nicht hinderlich ist und sich insbesondere auf Führung und Leistung erstreckt.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
9Sie ist der Ansicht, dass mit der Entscheidung über die Tariffähigkeit der D. noch nichts über die Wirksamkeit der von ihr abgeschlossenen Tarifverträge gesagt sei. Die Entscheidung sei gegenwartsbezogen und beschränke sich von ihrer materiellen Rechtskraft her zeitlich auf die letzte mündliche Verhandlung. Die Tariffähigkeit der D. für den Zeitraum vor dem 14.12.2010 sei ungeklärt. Zudem seien die Ansprüche des Klägers verfallen.
10Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
11E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
12A. Die Klage ist zulässig und teilweise begründet, teilweise ist sie unbegründet.
13I. Dem Kläger steht für den Monat April 2010 gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 623,80 € brutto zu.
141. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 10 Abs. 4 AÜG. Zwischen den Parteien ist ein Leiharbeitsverhältnis vereinbart. Die Parteien haben in ihrem Arbeitsvertrag vom 19.05.2009 einen Stundenlohn vereinbart, der unterhalb des in dem Betrieb des Entleihers gezahlten Arbeitsentgeltes liegt. Denn der Kläger hat von der Beklagten lediglich 7,35 € pro Stunde gezahlt erhalten, während in dem Entleiherbetrieb, in welchem der Kläger im Monat April eingesetzt war, ein Stundenlohn von 12,79 € gezahlt wird.
152. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Unwirksamkeitsfolge des § 9 Nr. 2 AÜG bzgl. ihrer Lohnvereinbarung nicht eintritt, weil durch einen Tarifvertrag abweichende Regelungen getroffen wurden. Zwar wird in dem Arbeitsvertrag auf die Tarifverträge zwischen der Tarifgemeinschaft D. und dem Arbeitgeberverband n. inklusive der Vergütungszahlung verwiesen. Auf diesen im Sinne des § 9 Nr. 2 AÜG abweichenden Entgelttarifvertrag kann sich die Beklagte seit dem 07.12.2009 jedoch nicht mehr stützen. Denn aufgrund der Feststellung des Bundesarbeitsgerichts in dem Beschluss vom 14. Dezember 2010 (1 ABR 19/10; juris) über die Tarifunfähigkeit der D. steht seit dem 07.12.2009 fest, dass der in Bezug genommene Entgelttarifvertrag, der einen Stundenlohn von 7,35 € ausweist, unwirksam ist.
16a) Mit der Entscheidung des BAG wurde gegenwartsbezogen die Tarifunfähigkeit der D. festgestellt. Hinsichtlich des konkreten Wirkungszeitpunktes schließt sich die Kammer den überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Freiburg (Beschluss vom 13.04.2011, 3 Ca 497/10, juris) an. Zu der hier interessierenden Frage des Zeitpunktes führt es folgendes aus: "Die Feststellung des Bundesarbeitsgerichts über die Tarifunfähigkeit der D. hat damit Wirkung für und gegen alle lediglich ab dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Da hierbei auf die letzte mündliche Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Auflage vor § 322 Rn. 53), bezieht sich die Feststellung des Bundesarbeitsgerichts zur Tarifunfähigkeit der D. auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg als Tatsacheninstanz am 07.12.2009, 23 Ta BV 1016/09 - BB 2010, 1927 und nicht nur auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010. Bereits das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte seiner Entscheidung die am 08.10.2009 geänderte Satzung der D. zugrundegelegt. Neue Tatsachen sind zwischen dem Zeitpunkt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 07.12.2009 und derjenigen des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010 nicht eingetreten. Kommt es für die Entscheidung eines Rechtsstreits deshalb auf die Tariffähigkeit der D. ab dem 07.12.2009 an, ist die Frage rechtskräftig geklärt. Für die Zeitpunkte davor fehlt es aber an einer rechtskräftigen und damit bindenden Entscheidung."
17b) Rechtsfolge des Verlustes der Tariffähigkeit nach Abschluss eines Tarifvertrages ist die Unwirksamkeit des Tarifvertrages ex-nunc (vgl. ErfK-Franzen, § 2 TVG Rn. 5; Wiedemann/Oetker, TVG 7. Auflage § 2 Rn. 35; Buchner, DB 2004, Seite 1042 f.). Die für die Auflösung von Berufsverbänden vertretene Gegenauffassung (vgl. BAG, Urteil vom 23.01.2008, 4 AZR 312/01, juris) ist vorliegend nicht einschlägig, da die automatische Unwirksamkeit des Tarifvertrages deshalb abgelehnt wird, weil von einem Liquidationsstadium des aufgelösten Berufsverbandes ausgegangen wird, in dem zuvor abgeschlossene Tarifverträge durch Kündigung beendet werden können und müssen. Diese Handlungsalternative scheidet bei einer gegen ihren Willen für tarifunfähig erklärten Arbeitnehmervereinigung jedoch aus, da es überhaupt nicht in ihrem Interesse liegt, die von ihr abgeschlossenen Tarifverträge zu kündigen. Vor diesem Hintergrund erscheint die automatisch aus einer Feststellung der Tarifunfähigkeit folgende Unwirksamkeit eines Tarifvertrages zumindest ex-nunc die folgerichtige Lösung zu sein.
18c) Die Parteien hatten mithin für den Monat April keine in einem Tarifvertrag abweichende Regelung über den Lohn getroffen. Daher steht dem Kläger gegen die Beklagte für die von ihm gearbeiteten 114,67 Stunden ein Stundenlohn in Höhe von 12,79 € zu. Der sich aus dem bisher gezahlten Lohn und der neuen Berechnung ergebende Differenzlohn ist von der Beklagten nachzuzahlen.
19d) Dieser Anspruch war nicht verfallen gem. Ziff. 18 des Arbeitsvertrags. Der Lohnanspruch für den Monat April war gem. Ziff. 5 Abs.5 des Arbeitsvertrags am 20.05.2010 fällig und wurde innerhalb von drei Monaten am 19.08.2010 gegenüber der Beklagten geltend gemacht.
20e) Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286 Abs.1, 288 Abs.1 BGB.
21II. Schließlich hat der Kläger einen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses gem. § 109 Gewerbeordnung.
22III. Die Lohnansprüche des Klägers für die Monate Februar und März 2010 sind hingegen verfallen. Denn der Kläger hat sie nicht binnen einer Ausschlussfrist von 3 Monaten mit seinem am 19.08.2010 bei der Beklagten eingegangenen Schriftsatz geltend gemacht. Die Parteien haben in ihrem Arbeitsvertrag unter Ziff. 18 mit der Überschrift "Ausschlussfrist" die Einhaltung einer dreimonatigen Ausschlussfrist ab Fälligkeit vereinbart.
231. Diese Vereinbarung ist wirksam. Selbst wenn, was der Kläger nicht konkret vorgetragen hat, im Entleiherbetrieb eine solche Ausschlussfrist nicht gilt, würde die Vereinbarung der vorliegenden Ausschlussfrist nicht gem. § 9 Nr. 2 AÜG unwirksam sein. Denn Ausschlussfristen gehören nicht zu den wesentlichen Arbeitsbedingungen, die der Verleiher den Leiharbeitnehmern gewähren muss (BAG, Urteil vom 23.03.2011, 5 AZR 7/10, juris). Gehören Ausschlussfristen nicht zu den wesentlichen Arbeitsbedingungen, können sie unabhängig von den im Entleiherbetrieb geltenden Regelungen zwischen dem Verleiher und seinem Arbeitnehmer vereinbart werden.
242. Mit der Vereinbarung einer Ausschlussfrist von 3 Monaten hält die Klausel auch einer Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1 BGB stand (vgl. BAG, Urteil vom 31.08.2005, 5 AZR 52/05, juris). Soweit darüber hinaus binnen eines weiteren Monats eine gerichtliche Geltendmachung verlangt wird, ist diese Regelung wegen der zu kurz gewählten Frist zwar unwirksam. Ihre Unwirksamkeit erfasst jedoch nicht die 3monatige Ausschlussfrist, da sie auch ohne die zweite Stufe der gerichtlichen Geltendmachung sinnvoll vereinbart werden kann (§ 306 Abs. 1 BGB).
25B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.
26Hinsichtlich der zurückgenommenen Feststellungsanträge zu Ziff. 1 bis 8 wurde ein Streitwert von 4.000,00 € hierbei angesetzt.
27C. Der Streitwert wurde im Urteil gem. den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO festgesetzt.
28RECHTSMITTELBELEHRUNG
29Gegen dieses Urteil kann von jeder Partei Berufung eingelegt werden.
30Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
31Landesarbeitsgericht Köln
32Blumenthalstraße 33
3350670 Köln
34Fax: 0221-7740 356
35eingegangen sein.
36Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
37Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
38- Rechtsanwälte,
- Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
- juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
40* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
41Dr. Wisskirchen
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