Urteil vom Arbeitsgericht Bonn - 5 Ca 2319/12 EU
Tenor
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Durchführung einer betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 84 Abs. 2 SGB IX die Anwesenheit von Herrn Rechtsanwalt Y. zu gestatten.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- 3.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 4.000,00 € festgesetzt.
1
T A T B E S T A N D
2Der am 27.05.1970 geborene Kläger ist seit dem 01.08.1986 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Glasermeister und Betriebsleiter bei einer monatlichen Bruttovergütung von 4.200 €.
3Am 28.01.2010 erlitt der Kläger auf einer Baustelle in D. einen Arbeitsunfall, bei dem er sich an der linken Schulter verletzte. Nach dem Unfall arbeitete der Kläger noch einige Tage und ist seither durchgehend – oder jedenfalls nahezu durchgehend – arbeitsunfähig erkrankt.
4Unter dem 16.04.2012 forderte der Kläger durch seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten die Beklagte auf, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Nachdem der Kläger der Beklagten mitgeteilt hatte, dass er die Teilnahme seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten an dem Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements wünsche, lehnte die Beklagte dies mit Schreiben ihrer nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 23.05.2012 ab. Sie bot die Teilnahme der unter § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Stellen an und kündigte ihre Bereitschaft an, „sinnvolle Vorschläge in Bezug auf die Beteiligung von Stellen, welche unter § 84 Abs. 2 SGB IX nicht genannt sind“ offen zu diskutieren.
5Letztlich kam es zu keiner Einigung der Parteien, da der Kläger auf der Teilnahme seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten bestand und die Beklagte dies ablehnte.
6Der Kläger beantragt – nach Präzisierung seines Antrags in der mündlichen Verhandlung – nunmehr,
7festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX die Anwesenheit von Herrn Rechtsanwalt Y. zu gestatten.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und auf das Sitzungsprotokoll vom 24.10.2012 Bezug genommen.
11E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
12Die Klage ist zulässig und begründet.
13A. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das gem. § 256 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG erforderliche Feststellungsinteresse gegeben.
14Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Klärung der Frage, ob er berechtigt ist, auf der Teilnahme seines Rechtsanwalts an dem Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 84 Abs. 2 SGB IX zu bestehen. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist zwischen den Parteien ernstlich beabsichtigt und steht nach Klärung der Teilnahmeberechtigung des Rechtsanwalts des Klägers unmittelbar bevor, wie der Schriftwechsel der Parteien seit April 2012 zeigt.
15Der Kläger ist auch nicht auf die vorrangige Erhebung einer Leistungsklage zu verweisen. Denn die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist zwischen den Parteien noch nicht endgültig vereinbart, insbesondere ist nicht geklärt, wann das im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu führende Gespräch stattfindet. Zu einer solchen Vereinbarung ist es gerade deshalb nicht gekommen, weil der Kläger die Teilnahme seines Rechtsanwalts offenbar zur Voraussetzung seiner eignen Teilnahme an dem Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 84 Abs. 2 SGB IX machen möchte.
16B. Die Klage ist auch begründet.
17Die Beklagte ist gem. §§ 611 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, bei der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements im Rahmen der hierbei zu führenden Gespräche die Teilnahme des Rechtsanwalts des Kläger zu gestatten.
18Der Teilnahme des Rechtsanwalts des Klägers steht zunächst nicht entgegen, dass gem. § 613 BGB der Arbeitnehmer die von ihm zu leistende Arbeit persönlich zu erbringen hat. Die Teilnahme eines Arbeitnehmers an einem Gespräch im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 84 Abs. 2 SGB IX stellt sich nämlich, anders als die Teilnahme an einem Personalgespräch, nicht als Erfüllung der dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag obliegenden Leistungspflicht dar. Denn § 84 Abs. 2 SGB IX verpflichtet zwar den Arbeitgeber gegenüber allen Arbeitnehmern zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements, wenn die in der Norm genannten Voraussetzungen vorliegen (BAG v. 30.09.2010 – 2 AZR 88/09, juris, dort Rdnr. 27), begründet aber keine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur aktiven Teilnahme an dem vom Arbeitgeber eingeleiteten betrieblichen Eingliederungsmanagement.
19Daher sind die in der Rechtsprechung (vgl. LAG Hamm v. 23.05.2001 – 14 Sa 497/01, juris, dort Rdnr. 28) entwickelten Grundsätze zur Frage der Teilnahmeberechtigung eines Rechtsanwalts an Personalgesprächen auf die Frage der Teilnahmeberechtigung des Rechtsanwalts bei Gesprächen im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht übertragbar.
20Die sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers gebietet es vielmehr, dem Arbeitnehmer die Teilnahme eines Rechtsanwalts an Gesprächen zu gestatten, die für den Bestand des Arbeitsverhältnisses von erheblicher Relevanz sind. Da in derartigen Gesprächen regelmäßig bestehende Arbeitsprobleme gelöst werden sollen und dabei Lösungsmöglichkeiten verschiedener Art und Weise erörtert werden können, wozu auch die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehören kann, gebietet es die Rücksichtnahmepflicht, dem Arbeitnehmer der dies wünscht, eine rechtliche Beratung zu ermöglichen. Dem Arbeitgeber obliegt es dabei natürlich nicht, seinerseits die rechtliche Beratung des Arbeitnehmers sicherzustellen. Dem Arbeitnehmer muss aber die Möglichkeit eingeräumt werden, eine von ihm selbst gewünschte und organisierte rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Vor diesem Hintergrund ist der Arbeitnehmer berechtigt, bei den Bestand des Arbeitsverhältnisses betreffenden Gesprächen einen Rechtsanwalt seiner Wahl hinzuzuziehen.
21Diese Auffassung steht in Einklang mit der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte Köln und Berlin-Brandenburg (vgl. LAG Köln v. 10.05.2010 – 5 Sa 1528/09, juris, dort Rdnr. 44, LAG Berlin Brandenburg v. 06.11.2009 – 6 Sa 1121/09, juris, dort Rdnr. 17). Während die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg die Beteiligung eines Anwalts im Rahmen der Anhörung zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung betrifft, sieht das LAG Köln die Teilnahmeberechtigung des Rechtsanwalts bereits bei solchen Personalgesprächen als gegeben an, die über bloße Arbeitsanweisungen hinausgehen.
22Das Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements hat, weil der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung erhebliche Bedeutung zukommt (vgl. BAG v. 30.09.2010 – 2 AZR 88/09, juris, dort Rdnr. 35) – wenngleich sie keine Wirksamkeitsvoraussetzung ist –, möglicherweise auch Bedeutung für den Bestand des Arbeitsverhältnisses.
23Da Sinn und Zweck des betrieblichen Eingliederungsmanagements die Vermeidung krankheitsbedingter Kündigungen (BAG v. 30.09.2010 – 2 AZR 88/09, juris, dort Rdnr. 32) ist, ist es so durchzuführen, dass es möglichst alle wesentlichen Gesichtspunkte des jeweiligen Einzelfalls behandelt. Dies spricht dafür, dem Rechtsanwalt des Arbeitnehmers die Teilnahme zu gestatten, wenn dies aus der Sicht des Arbeitnehmers dazu geeignet ist, den Zweck des betrieblichen Eingliederungsmanagements (besser) zu erreichen, etwa weil der Arbeitnehmer es sich selbst nicht zutraut, die aus seiner Sicht wesentlichen Gesichtspunkte nachdrücklich zur Geltung zu bringen.
24Wesentliche Gesichtspunkte die gegen die Teilnahmeberechtigung des Rechtsanwalts eines anwaltlich vertretenen Arbeitnehmers an den Gesprächen im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements sprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Gleiches gilt auch in Bezug auf die Person des vom Kläger gewählten Rechtsanwalts Y.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Die Streitwertfestsetzung im Urteil beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO.
26RECHTSMITTELBELEHRUNG
27Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei Berufung eingelegt werden. Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
28Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich bei dem
29Landesarbeitsgericht Köln
30Blumenthalstraße 33
3150670 Köln
32Fax: 0221-7740 356
33eingegangen sein.
34Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
35Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1. Rechtsanwälte,
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2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
41* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Referenzen
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