Urteil vom Arbeitsgericht Bonn - 3 Ca 1988/14
Tenor
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die Kündigungen der Beklagten vom 19. August 2014 und vom 25. August 2014 beendet worden.
2. Die Beklagte beschäftigt den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess zu den derzeit geltenden Arbeitsbedingungen als KFZ-Mechaniker in der Filiale bzw. Niederlassung L. weiter.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Streitwert: 19.000,00 €.
5. Eine gesonderte Zulassung der Berufung gem. § 64 Abs. 3 ArbGG erfolgt nicht.
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Tatbestand:
2Der Kläger ist seit dem 01.08.1990 sich bei der Beklagten beschäftigt. Diese beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.
3Mit Schreiben vom 19.08.2014, dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, kündigte Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und ohne Einhaltung einer Frist. Eine weitere Kündigung sprach die Beklagte mit Schreiben vom 25.08.2014, dem Kläger zugegangen am 27.8.2014, zum 31.05.2014 aus.
4Mit der bei Gericht am 21.08.2014 eingegangenen Klage sowie einer am 28.8.2014 eingegangenen Klageerweiterung wendet sich der Kläger gegen beide Kündigungen.
5Zum Zeitpunkt der Kündigung war der Kläger 52 Jahre alt und erzielte zuletzt ein monatliches Bruttoeinkommen von 3.800,00 €.
6Die Beklagte begründet die Kündigung mit einem von ihr behaupteten Diebstahl des Klägers bzw. einem darauf gerichteten Verdacht.
7Nachdem die Beklagte in ihrer Niederlassung M. Inventurfehlbestände in ihrem Ersatzteillager festgestellt hatte, untersagte sie mit Aushang vom 27.2.2014 allen Mitarbeiter bis auf die im Ersatzteillager beschäftigten Mitarbeitern das Betreten des Ersatzteillagers und die eigenständige Entnahme von Ersatzteilen. Am 21.03.2014 installierte die Beklagte eine verdeckte Videoüberwachungsanlage und holte hierzu die Zustimmung der beiden Lagermitarbeiter ein. Der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat wurde von der Installation nicht unterrichtet
8Die Auswertung der Videoaufzeichnung vom 15.7.2014 ergab, dass der Kläger am 15.7.2014 das Ersatzteillager dreimal betrat, sich umsah und schließlich ein Paket Bremsklötze im Wert von 71,00 Euro entnahm.
9Am 14.08.2014 wurde der Kläger zu dem Kündigungsvorwurf angehört. Ihm wurde das Video vorgespielt. Der Kläger erklärte zu dem Vorwurf, dass er sich die Aufnahme nicht erklären könne, er das auf dem Video gesehene aber im gleichen Maße interpretieren würde wie die Beklagte.
10Der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat wurde am 15.08.2014 zu der beabsichtigt Kündigung unter Angabe der Sozialdaten des Klägers, der Kündigungsvorwürfe und unter Vorlage der Videoaufzeichnung unterrichtet. Er gab zu der beabsichtigten Kündigung keine Stellungnahme ab.
11Der Kläger bestreitet den Vorwurf eines Diebstahls von Bremsklötzen am 15.7.2014. Der Kläger behauptet, dass er eine Absprache mit dem Lagerleiter der Beklagten getroffen habe, dass der Kläger trotz des Aushangs Ersatzteile entnehmen konnte und diese Entnahme gleichzeitig der Lagerleitung melden sollte.
12Sollte der Kläger tatsächlich am 15.07.2014, wie von der Beklagten behauptet, ein Paket Bremsklötze aus dem Ersatzteillager entfernt haben, so sei es möglich, dass der Kauf oder der Einbau des Ersatzteils bei der Beklagten nicht dokumentiert worden sei. Außerdem sei es mehrfach vorgekommen, dass nicht benötigte Ersatzteile wieder auf die Theke des Ersatzteillagers zurückgelegt worden sein, ohne dass die Mitarbeiter des Ersatzteillagers dies sofort dokumentiert hätten.
13Der Kläger beantragt:
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1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis sei durch die außerordentliche Kündigung vom 19.8.2014, zugegangen am 19.8.2014 nicht aufgelöst worden ist.
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2. Es wird festgestellt dass das Arbeitsverhältnis Klägers durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 25.8.2014, zugestellt am 20.8.2014 wird, zum 31.03.2015 nicht aufgelöst worden ist.
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3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 1) zu den derzeit geltenden Arbeitsbedingungen als Kfz-Mechaniker in der Filiale bzw. Niederlassung M. weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen
22Sie behauptet, dass die Aufzeichnung vom 15.07.2014 von der Beklagten erst am 6.8.2014 gesichtet worden sei. Eine Bestandsaufnahme des Lagers am 16.7.2014 habe ergeben, dass die von dem Kläger entnommenen Bremsklötze weder verkauft noch in einem Kundenfahrzeug verbaut worden seien.
23Soweit man einen Diebstahl des Klägers am 15. 7. 2014 nicht annehmen wolle, bestehe nach der Bestandsaufnahme des Lagers zumindest der dringende Verdacht des Diebstahls, auf den sich die Beklagte ebenfalls beruft.
24Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schrift setzen, die Sitzungsprotokolle und die Anlagen verwiesen.
25Entscheidungsgründe:
26Die zulässige Klage ist begründet.
271. Die Kündigungen vom 19.08.2014 und 25.08.2014 sind unwirksam und vermögen daher das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zu beenden.
28Die Kündigung vom 19.08.2014 ist wegen des Fehlens eines wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Kündigung vom 25.08.2014 ist wegen der fehlenden sozialen Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 1 und 2 KSchG ebenfalls unwirksam.
29Die Beklagte kann sich zur Begründung der Kündigung weder auf den Nachweis eines Diebstahls durch den Kläger am 15.07.2014 noch auf einen dahingehenden Verdacht stützen.
30Dabei kann dahingestellt werden, ob die mitbestimmungswidrig erlangte Videoaufzeichnung einem Verwertungsverbot unterliegt (wofür viel spricht), da das aufgezeichnete Verhalten des Klägers am 15.7.2014 weder einen vollendeten Diebstahl darstellt noch einen entsprechenden Verdacht begründet.
31a) Soweit der Kläger am 15.07.2014 ein Paket Bremsklötze eingesteckt haben soll, so stellt dies zwar die Wegnahme als ein Tatbestandsmerkmal eines vollendeten Diebstahls dar, eine Zueignung ist jedoch nicht nachgewiesen. Zwar hat die Beklagte behauptet, dass diese Bremsklötze weder in ein Kundenfahrzeug eingebaut noch verkauft worden seien. Dies sei aufgrund einer Bestandsaufnahme des Lagers festgestellt worden. Auch diese Darstellung schließt nicht aus, dass der Kläger die Bremsklötze möglicherweise zurückgegeben hat, ohne dass dieses im System dokumentiert wurde. Auch andere Möglichkeiten, die einer Zueignung durch den Kläger entgegen stehen, sind im betrieblichen Ablauf der Beklagten denkbar und nicht auszuschließen.
32b) Auch besteht kein hinreichender Verdacht, der die Zulässigkeit der Kündigung im Rahmen einer Verdachtskündigung begründen könnte.
33Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach § 626 S. 1 BGB bilden oder die ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 1 und 2 KSchG sozial rechtfertigen. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen der Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
34Der Verdacht muss auf konkrete, vom kündigenden darzulegender und gegebenenfalls zu beweisenden Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die in begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, dass eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Der wegen eines dringenden Tatverdachts kündigende Arbeitgeber hat im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen bestimmte Tatsachen vorzulegen, die unmittelbar als solche den Schluss zulassen, der Arbeitnehmer seines bestimmten, die Kündigung rechtfertigenden Verdacht dringend verdächtig (vgl. BAG, 20. Oktober 2012, 2 AZR 700/11 = NZA 2013,371).
35Nach diesen Grundsätzen fehlt es an einem dringenden Verdacht, dass der Kläger sich Bremsklötze der Beklagten zugeeignet hat.
36Die Zueignung der Bremsklötze durch den Kläger ist nicht wahrscheinlicher als ein pflichtgemäßes Alternativverhalten, was ebenfalls möglich ist. Im gleichen Maße möglich wie eine Zueignung durch den Kläger ist es, dass die Bremsklötze in einem Kundenfahrzeug eingebaut worden sind, an einen Kunden verkauft worden sind oder anderweitig im Betrieb der Beklagten verblieben sind, ohne dass dies ordnungsgemäß erfasst wurde und damit für die Beklagte nachvollziehbar war. Dabei ist eine Vielzahl von Geschehensabläufen denkbar, die jedenfalls nicht unwahrscheinlicher sind als ein vertragswidriges Verhalten des Klägers durch die Zueignung der Bremsklötze.
37Da weder ein nachgewiesener Diebstahl noch ein Verdacht eines Diebstahles durch den Kläger am 15.7.2014 die Kündigungen rechtfertigen können, beenden beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis nicht.
38Insoweit war der Klage stattzugeben.
392. Auch soweit der Kläger die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen begehrt, ist die Klage begründet.
40Aufgrund des Obsiegens mit den Kündigungsschutzanträgen ist der Kläger aufgrund seines allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruches von der Beklagten zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.
41Auch insoweit war der Klage stattzugeben.
423. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Absatz 1 Satz 1 ZPO.
43Der Streitwert wurde festgesetzt gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 42 Abs. 2 S. 1 GKG.
44Wegen der Besonderheiten des Einzelfalls kommt eine gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG nicht in Betracht.
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