Urteil vom Arbeitsgericht Bonn - 5 Ca 322/22
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Kündigung vom 11.02.2022 den zwischen den Parteien bestehenden Honorar-Rahmenvertrag vom 04.11.2021 nicht beendet hat.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 57 % und die Beklagte zu 43 %.
4. Der Rechtsmittelstreitwert beträgt 36.027,71 €.
5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung der Beklagten, die Wirksamkeit einer Befristung ihres Vertragsverhältnisses sowie über den Status der Klägerin als Arbeitnehmerin oder freie Mitarbeiterin.
3Die Beklagte betreibt den Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland. Sie strahlt Fernseh- und Radiosender aus und unterhält ein Internetangebot. Sie beschäftigt in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer.
4Zuletzt war die Klägerin als Videoproduzentin und Redakteurin für die Internetangebote und Social-Media-Kanäle der Beklagten tätig. Für das erstmals zum 01.09.2019 als Praktikumsverhältnis begründete, vom 01.10.2019 bis zum 31.12.2019 ohne schriftlichen Vertrag fortgeführte und sodann seit dem 01.01.2020 auf Basis von drei befristeten Honorar-Rahmenverträgen und weiteren Einzelvereinbarungen zu konkreten Arbeiten abgewickelte Beschäftigungsverhältnis galt zuletzt ein schriftlicher Honorar-Rahmenvertrag vom 04.11.2021 (Anlage K 1 zur Klageschrift vom 01.03.2022, Bl. 10 – 13 der Akte). § 3 des Vertrags sieht seine Befristung bis zum Ablauf des 31.12.2023 vor. 2021 erhielt die Klägerin von der Beklagten ein Gesamthonorar in Höhe von 61.761,78 € brutto.
5Gemäß § 1 des Honorar-Rahmenvertrags sollte die Klägerin als freie Mitarbeiterin für die Beklagte tätig werden und überwiegend programmgestaltende Tätigkeiten ausüben. Außerdem sollte die Klägerin gemäß § 1 des Honorar-Rahmenvertrags im Rahmen eines arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses für die Beklagte tätig werden, sofern die Voraussetzungen nach dem Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen der Deutschen Welle in der Fassung vom 06.02.2002 (nachfolgend „TVaP“) hierfür vorlägen. § 5 des Honorar-Rahmenvertrages erklärt den TVaP für generell auf das Vertragsverhältnis anwendbar. § 18 Abs. 6 TVaP lautet:
6„Bei dem ersten Honorar-Rahmenvertrag kann das Vertragsverhältnis während der ersten sechs Monate von beiden Seiten mit einer Frist von zwei Wochen zum Monatsende gekündigt werden. Das befristete Beschäftigungsverhältnis kann von dem Mitarbeiter mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalendermonats und von beiden Seiten aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden.“
7Wegen der weiteren Einzelheiten des TVaP wird auf die Anlage B 2 zur Klageerwiderung vom 14.04.2022 (Bl. 93 – 112 der Akte) Bezug genommen.
8Mit Schreiben vom 11.02.2022 (Anlage K 2 zur Klageschrift vom 01.03.2022, Bl. 18 der Akte) sprach die Beklagte eine außerordentliche fristlose Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses aus.
9Die Klägerin hat am 01.03.2022 per Telefax zunächst eine gemäß § 46g Satz 1, § 46c ArbGG formunwirksame, sodann am 02.03.2022 eine den Anforderungen dieser Vorschriften entsprechende und damit formwirksame Kündigungsschutz- und Befristungskontrollklage erhoben. Die Klage ist am 04.03.2022 – entsprechend dem von der Klägerin angegebenen Rubrum – der Beklagten, vertreten durch ihren Vorstand, zugestellt worden. Nach Rüge der Beklagten, wonach die Beklagte keinen Vorstand habe, sondern durch ihren Intendanten vertreten werde, hat die Klägerin eine entsprechende Rubrumsberichtigung beantragt. Diesem Antrag ist nach Anhörung der Beklagten entsprochen worden.
10Die Klägerin behauptet, dass sie entgegen dem Wortlaut des Honorar-Rahmenvertrags als Arbeitnehmerin für die Beklagte tätig wurde. Mangels Einhaltung der rechtlichen Voraussetzungen des TzBfG (u. a. vier Verlängerungen des Vertragsverhältnisses innerhalb von zwei Jahren) handele es sich bei dem Vertragsverhältnis um ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Eine wirksame Rechtsgrundlage für die Befristung des Honorar-Rahmenvertrages habe mit § 18 Abs. 3 TVaP mangels dessen Wirksamkeit zudem nicht bestanden. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses ergebe sich unter anderem aus der Erstellung von Lohnabrechnungen, der Meldung bei den Sozialversicherungsträgern und der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Die Klägerin behauptet, dass sie weisungsgebunden in Teams der Beklagten gemeinsam mit deren Arbeitnehmern und freien Mitarbeitern tätig geworden sei. Im Alltag sei kein Unterschied zwischen fest angestellten und freien Mitarbeitern im Arbeitsablauf oder bei der Einteilung gemacht worden.
11Anders als von der Beklagten behauptet, sei sie auch nicht im Wesentlichen programmgestaltend tätig gewesen. Ihre Arbeitszeit habe sie wie folgt verbracht: Videobearbeitung zu 20 %, Assistenz in der Radiostation zu 25 %, Unterstützung des TikTok-Kanals zu 11 %, Zuarbeit für Onlineartikel zu 10 % und Übersetzungen zu 34 %. Die von der Beklagten insoweit vorgebrachten Abrechnungen von Honoraren unter bestimmten Kürzeln seien für ihre Tätigkeiten nicht aussagekräftig. Im Rahmen ihrer Arbeit habe sie stets weisungsgebunden gehandelt und keine eigenen freien und journalistischen Entscheidungen fällen können. Ihre individuelle journalistische Befähigung und Aussagekraft sowie ihre Fachkenntnisse und Bewertung in ihrer jeweiligen journalistischen Arbeit habe sie mangels Weisungsfreiheit nicht in ihre Tätigkeit für die Beklagte einbringen können. Sie habe über die gesamte Dauer des Beschäftigungsverhältnisses keine anderen Aufträge oder Einnahmequellen gehabt und sei deshalb wirtschaftlich und sozial von der Beklagten abhängig gewesen. Die tatsächliche Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses habe in Widerspruch zu den schriftlichen Verträgen gestanden.
12Die Klägerin behauptet, dass sie ohne Unterschied zu den Arbeitnehmern der Beklagten von der Beklagten in einen einheitlichen Dienstplan eingeteilt worden sei. Es sei erwartet worden, dass sie in Vollzeit zur Verfügung stehe. Sie habe lediglich angeben müssen, ob sie an bestimmten Tagen keine Zeit habe. Die Beklagte habe ihr 30 Tage bezahlten Erholungsurlaub pro Jahr gewährt. Den Urlaub habe sie beantragen müssen. Sie habe von der Beklagten eine E-Mail-Adresse mit der Endung dw.com, einen Team-Account, einen Zugang für die Arbeitsplattform Open Media und einen speziellen Arbeitsplatz zur Videobearbeitung erhalten.
13Themen für die Erstellung von Videos seien ihr morgens von einem Vorgesetzten vorgegeben worden. Es habe sich bei den Vorgesetzten um M., L., T., Q. und C. gehandelt. Auch das zu nutzende Filmmaterial, die Frage, ob Interviews geführt werden sollen, und die Art und Weise der Berichterstattung seien ihr vorgegeben worden. Skripte habe sie in Zusammenarbeit mit und unter voller Kontrolle eines Vorgesetzten geschrieben. Videos habe sie unter Prüfung und Kontrolle eines Vorgesetzten geschnitten. Änderungen habe sie so lange vorgenommen, bis der Vorgesetzte zufrieden gestellt gewesen sei. Aufträge im Rahmen der Assistenz in der Radiostation habe sie ausschließlich von einem Vorgesetzten erhalten. Über ihre Arbeitszeit habe sie dort nicht entscheiden können. Sie habe organisatorische Aufgaben wahrgenommen. Auch Themen und Texte für TikTok-Videos seien ihr von einem Vorgesetzten und einer Kollegin vorgegeben worden. Insoweit habe sie keine eigene Gestaltungsfreiheit entfalten können, weil sie durchgehend kontrolliert worden sei. Auch das Video- und Fotomaterial für TikTok-Videos sei ihr vorgegeben worden. Die Abklärung von Bildrechten habe sie nicht übernommen. Videobeiträge seien oftmals ohne ihr Zutun weiter verändert worden. Zu übersetzende Texte seien ihr zugewiesen worden. Ihre Arbeit sei auch insoweit im Anschluss von anderen Mitarbeitern kontrolliert worden. Texte für Onlineartikel seien von ihr unter engmaschiger Kontrolle erstellt worden. Das Thema sei vorgegeben worden. Änderungen seien nach Ablieferung der Arbeit erfolgt. Übersetzungsarbeiten seien von H. P., A. M., E. C., R. R., X. T., L. D., D. L. und K. C., Mitarbeiter der Beklagten, angewiesen worden. Weisungen seien auch darauf bezogen worden, wann Übersetzungen zu erfolgen hätten und welche Änderungen erfolgen müssten.
14Die Klägerin behauptet, dass es keinen wichtigen Grund für den Ausspruch der außerordentlichen fristlosen Kündigung gegeben habe. Die Klägerin behauptet, dass ihr die Haltung der Beklagten zu den Themen Antisemitismus und Existenzrecht Israels und die diesbezüglichen schriftlichen Verlautbarungen zu keinem Zeitpunkt bekannt geworden seien. Dies gelte auch für die IHRA-Definition von Antisemitismus. Die von der Beklagten vorgebrachten Social Media Guidelines gölten zudem nur für dienstliche Veröffentlichungen, nicht aber für den Privatbereich.
15Losgelöst davon vertritt die Klägerin die Auffassung, dass sie gegen die von der Beklagten vorgebrachten Verlautbarungen zu den Themen Antisemitismus und Existenzrecht Israels inhaltlich nicht verstoßen habe. Jedenfalls habe sie die ihr als Kündigungsgrund vorgehaltenen Veröffentlichungen im Privatbereich unter Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) getätigt. Sie seien weder antisemitisch noch strafrechtlich relevant, sondern Debattenbeiträge in einer legitimen völkerrechtlichen Diskussion. Sie habe die Existenz Israels nicht infrage gestellt, keine Vergleiche mit dem Holocaust angestellt oder auf die „Endlösung“ angespielt. Auch habe sie nicht zu einem bewaffneten Kampf aufgerufen, sondern Verständnis für legitime Formen des Widerstands gegen eine Besatzung geäußert. Die (erweiterte) IHRA-Definition von Antisemitismus sei wissenschaftlich unzutreffend und nicht rechtsverbindlich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insoweit auf die Replik vom 17.05.2022, Seite 14 – 23 (Bl. 143 – 153 der Akte) verwiesen. Die Klägerin behauptet, dass sie lediglich mit einer der ihr im Prozess vorgehaltenen Äußerungen in Presseartikeln zitiert worden sei. Sie sei unberechtigterweise in den Fokus der Medien geraten und zu Unrecht und willkürlich in einen Zusammenhang mit Äußerungen anderer Personen gestellt worden, die ihr nicht zugerechnet werden könnten. Im Zuge der Anhörung des Intendanten im Bundestag sei die Klägerin nicht thematisiert worden. Die in dem Presseartikel zitierte Äußerung sei inhaltlich zudem harmlos.
16Die Klägerin behauptet, dass eine öffentliche Zugänglichkeit der streitgegenständlichen Veröffentlichungen bei Facebook nicht gegeben gewesen sei, außerdem habe sie die Veröffentlichungen zwischenzeitlich gelöscht. Einen Hinweis bei Facebook auf ihre Tätigkeit für die Beklagte habe es überhaupt nur zwei Tage oder eine Woche lang zu Anfang des Jahres 2021 gegeben. Die Klägerin behauptet, dass die ihr vorgehaltene Aussage auf der Startseite ihres Facebook-Profils nur eine Woche lang abrufbar gewesen sei. Außerdem sei diese Aussage nicht auf Palästinenser allein, sondern auf alle Menschen in Palästina und Israel bezogen gewesen, die unter dem andauernden Konflikt litten. Sie sei bei Facebook nicht unter ihrem Klarnamen, sondern unter dem Pseudonym „S.“ aufgetreten. Durch die Verwendung der arabischen Sprache seien ihre Aussagen für ein deutschsprachiges Publikum nicht verständlich gewesen. Zumindest habe die Beklagte im Ergebnis als milderes Mittel vor Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung eine Abmahnung in Betracht ziehen müssen.
17Die Äußerungen der Klägerin seien zudem im Lichte der Situation in Israel und Palästina zu betrachten. Israel halte palästinensische Gebiete besetzt, was auch die Vereinten Nationen anerkannt hätten. Es herrsche dort Apartheid. Es handele sich um ein Menschheitsverbrechen. Die Vertreibung von 800.000 Palästinensern im Zuge der Gründung des Staates Israel sei ein Völkermord im völkerrechtlichen Sinne gewesen. Die Klägerin habe all dies in Ausübung ihrer Meinungsfreiheit im privaten Bereich kritisieren dürfen. Die Beklagte selbst habe in ihrer Berichterstattung insoweit schon von illegaler Besatzung gesprochen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insoweit auf die Replik vom 17.05.2022, Seite 27 – 30 (Bl. 156 – 159 der Akte) verwiesen.
18Überdies stellt die Klägerin durchgehend die Richtigkeit der Übersetzung ihrer arabischsprachigen Äußerungen ins Deutsche in Abrede. Die Beklagte lege nicht offen, woher sie die Übersetzungen erhalten habe.
19Weiterhin ist die Klägerin der Auffassung, dass die Beklagte die Zweiwochenfrist für den Ausspruch der Kündigung (§ 626 Abs. 2 Sätze 1, 2 BGB) nicht eingehalten habe. Die Klägerin behauptet, dass der Beklagten alle kündigungsrelevanten Umstände, insbesondere alle ihr in diesem Verfahren vorgehaltenen Facebook-Veröffentlichungen, bereits bei ihrer Freistellung Anfang Dezember 2021 bekannt gewesen seien. Dies ergebe sich schon daraus, dass die thematisierten Veröffentlichungen weitgehend vor dem 30.11.2021 bei Facebook gelöscht worden und am 15.10.2021 abgespeichert worden seien. Das Speicherdatum ergebe sich zumindest teilweise aus einer zeitlichen Rückrechnung auf Basis miterfasster Kommentare in Screenshots der Veröffentlichungen. Wegen eben dieser Veröffentlichungen sei sie von der Beklagten suspendiert worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 30.06.2022, Seite 5 – 7 (Bl. 372 – 374 der Akte) Bezug genommen.
20Die Beklagte habe die ihr vorgehaltenen Veröffentlichungen dem Ehepaar J. N. und H. N. sowie Frau A., die keine Expertise im Arbeitsrecht oder einen wissenschaftlichen Hintergrund für Fragen des Antisemitismus hätten, zugeleitet. Diese Personen seien von der Beklagten beauftragt worden, über die Klägerin und andere ausschließlich arabische und palästinensische Personen „Untersuchungen zu erstellen“. Sie hätten Anfang Februar 2022 öffentlich erklärt, einen – der Klägerin unbekannten und auch im Verfahren nicht offengelegten – Untersuchungsbericht erstellt zu haben. Die Untersuchung sei aufgrund ihrer Ausrichtung diskriminierend und auch datenschutzrechtlich unzulässig gewesen.
21Die drei Personen seien stellvertretend für die Beklagte bzw. als ihre Erfüllungsgehilfen tätig geworden. Die Klägerin bestreitet mit Nichtwissen, dass der Untersuchungsbericht der Beklagten nicht bereits mehr als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung vorgelegen habe. Die Beklagte habe den Bericht vor einer Pressekonferenz Anfang Februar 2022 bereits gekannt. Auch bestreitet die Klägerin mit Nichtwissen, dass der Untersuchungsbericht sich überhaupt mit ihr und den ihr vorgehaltenen Äußerungen befasst habe. Durch den mit dem Untersuchungsbericht verbundenen Druck und die dort erhobenen unberechtigten Vorwürfe gegen die Klägerin sei es letztendlich zu der Kündigung gekommen. Die Medienberichterstattung habe sich auf allgemeine Vorwürfe gegen die Arabisch-Redaktion bezogen. Sie selbst habe keinen Reputationsschaden für die Beklagte ausgelöst. Statt das Vertragsverhältnis zu kündigen, hätte die Beklagte sich schützend vor sie stellen müssen. Die Beklagte nehme sie in Mithaft für Äußerungen anderer Personen. Zu Unrecht wolle die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist auch erst dann beginnen lassen, nachdem sie alle arabischen Redakteure überprüft hatte.
22Die Klägerin beantragt nach Rücknahme eines Hilfsantrags über die Zahlung von 116.318,07 € entgangener Honorare auf einen gerichtlichen Hinweis zuletzt,
231) festzustellen, dass die Kündigung vom 11.02.2022 das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet hat,
242) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten nicht aufgrund einer Befristung zum 31.12.2023 beendet werden wird und
253) hilfsweise für den Fall der Abweisung des Klageantrags zu 1) festzustellen, dass die Kündigung vom 11.02.2022 den zwischen den Parteien bestehenden Honorar-Rahmenvertrag vom 04.11.2021 nicht beendet hat.
26Die Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Die Beklagte rügt die Zulässigkeit der Klage mit Blick auf die Falschangabe der Klägerin hinsichtlich der Vertretung der Beklagten. Eine Rubrumsberichtigung sei insoweit unzulässig. Es habe sich um keine offensichtliche und daher einer Rubrumsberichtigung nicht zugängliche Falschbezeichnung gehandelt. Die Klage sei mangels Prozessfähigkeit der Beklagten, die keinen Vorstand habe und deshalb im Verfahren nicht vertreten sei, unzulässig. Zumindest aber sei durch das fehlerhafte Klagerubrum die Klagefrist gemäß § 4 KSchG zwischenzeitlich verstrichen.
29Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass das Vertragsverhältnis der Parteien ein freies Mitarbeiterverhältnis war. Es sei zu keinem Zeitpunkt ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen worden. Aus dem schriftlichen Honorar-Rahmenvertrag ergebe sich ausdrücklich, dass die Parteien eine freie Mitarbeit und eine Tätigkeit der Klägerin allenfalls als arbeitnehmerähnliche Person gewollt hätten.
30Gegen ein Arbeitsverhältnis spreche auch, dass § 2 des Honorar-Rahmenvertrags keine Tätigkeitspflicht der Klägerin über Einzelaufträge hinaus und keine Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin zu beschäftigen, vorgesehen habe. Die Klägerin sei mit programmgestaltenden Arbeiten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und sowohl in inhaltlicher und fachlicher Hinsicht sowie auch örtlich und zeitlich weisungsfrei beschäftigt worden.
31Hinsichtlich des Inhalts der Arbeiten der Klägerin behauptet die Beklagte, dass die Klägerin programmgestaltende Tätigkeiten im Sinne von Anlage 1 zu § 16 TVaP ausgeübt habe. Sie habe ihre individuellen journalistischen Fähigkeiten und Kenntnisse und ihre individuelle Bewertung in eine journalistische Arbeit für die Beklagte eingebracht. Sie sei inhaltlich primär als Redakteurin eingesetzt worden, was sich auch aus den von ihr abgerechneten Honoraren unter bestimmten Zahlenkürzeln (8000, 8001, 8004 und 8005 für Redakteur bzw. Producer) ergebe (vgl. Anlage B 6 zur Duplik vom 16.06.2022, Bl. 349 – 350 der Akte). Die Klägerin habe Honorare für insgesamt 442 Leistungstage abgerechnet, von denen nur 26 unter anderen Kürzeln (z. B. für Fortbildungen oder Reisetagespauschalen) abgerechnet worden seien. Ein festes Gehalt sei nicht vereinbart worden.
32Als Übersetzerin sei die Klägerin nicht tätig geworden und, wenn überhaupt, ebenfalls in freier Mitarbeit. Die Klägerin habe als Autorin, Videoproducerin und Content Creator für soziale Medien, insbesondere im Rahmen der Produktion von Inhalten für den TikTok-Kanal der Beklagten, gearbeitet. Ihre Hauptaufgaben seien Recherchen, Vorschläge für Reports, Interviews, Verfassen von Berichten für die Website, Produktion von Videos für soziale Medien und Produktion von Kurzvideos für den TikTok-Kanal gewesen. Zwar habe sie Ideen und Themen mit einem leitenden Redakteur oder Koordinator bei der Beklagten und bestimmte redaktionelle Fragen, Aspekte einer Geschichte und Strukturen mit dem Chef vom Dienst oder einer Videomanagerin besprochen und gemeinsam festgelegt. Die konkreten Beiträge seien aber eigenverantwortlich von der Klägerin erstellt und gestaltet worden. Eine Prüfung vor Freigabe seitens der Beklagten habe sich darauf beschränkt, die Übereinstimmung mit den zuvor gemeinsam festgelegten Inhalten sicherzustellen.
33TikTok-Videos habe die Klägerin eigenständig gedreht und selbst Texte für die Videos geschrieben. Eine Kollegin habe derartige Videos nur noch gesichtet und dann freigegeben. Somit habe die Klägerin bei der Gestaltung der Inhalte über viel Freiheit verfügt. Außerdem habe sie bei der Auswahl der Themen viel Kreativität gehabt. Videos für die Social-Media-Kanäle habe sie in voller Verantwortung als Redakteurin erstellt. Sie habe selbst recherchiert, Bilder ausgesucht, Geschichten verfasst und Grafiken angepasst. Fertige Videos habe sie abnahmebereit abgegeben. In aller Regel seien die Arbeitsergebnisse der Klägerin unverändert ausgestrahlt worden. Den sehr eingehenden diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten sei die Klägerin nicht substantiiert entgegengetreten.
34Hinsichtlich des Themas Weisungsgebundenheit rügt die Beklagte insgesamt eine fehlende Substantiierung des Vortrags der Klägerin. Sie habe nicht dazu vorgetragen, wer ihr wann welche Weisungen erteilt oder welche Themen vorgegeben habe. Gebunden gewesen sei die Klägerin allenfalls an allgemeine Redaktionsvorgaben. Einzelweisungen bezüglich Arbeitsort, Arbeitsinhalten oder Arbeitszeit seien ihr nicht erteilt worden. Sie habe die Klägerin auch nicht in Dienstpläne eingeteilt, im Gegenteil: Die Klägerin habe Sperrdaten mitgeteilt, zu denen sie nicht eingesetzt werden wolle. Diese hätten beliebig lang sein können. Die Beklagte habe sich an die Sperrzeiten gehalten und die Klägerin lediglich in einem Einsatzplan geführt, der auf die redaktionellen Abläufe und ziellandspezifischen Sendezeiten abgestimmt gewesen sei. Der Einsatzplan sei an die festen und freien Mitarbeiter lediglich in zusammengefasster Form versandt worden, um ein geordnetes Zusammenarbeiten und zeitgenaues Ausstrahlen ermöglichen zu können. Zeitliche Weisungen seien damit nicht verbunden gewesen und es halte sich bei organisatorischen Abstimmungen zur Einhaltung bestimmter zeitlicher Abläufe etwa bei der Produktion von Radiosendungen nicht um Indizien für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin habe so viel Urlaub nehmen können, wie sie wollte; lediglich die Bezahlung des Urlaubs sei beschränkt gewesen. Sie habe außerdem Dienste mit anderen freien Mitarbeitern tauschen können. In örtlicher Hinsicht seien der Klägerin keine Vorgaben gemacht worden. Sie sei nach eigener Wahl sowohl in Räumlichkeiten der Beklagten als auch im Home Office tätig geworden.
35Gegen ein Arbeitsverhältnis spreche schließlich auch die fehlende Eingliederung der Klägerin in die betriebliche Organisation der Beklagten. Die Klägerin habe keinen Arbeitsplatz gehabt, an dem sie z. B. persönliche Einstellungen habe vornehmen oder eigene Gegenstände habe aufbewahren dürfen. Weder sei sie einem fest zusammen arbeitenden Team der Beklagten zugeordnet worden, noch habe sie von der Beklagten eine eigene Telefonnummer erhalten. Ihr entsprechender Vortrag sei vage, unsubstantiiert und damit nicht einlassungsfähig.
36Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Kündigung vom 11.02.2022 das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis beendet hat. Sie habe einen wichtigen Grund für den Ausspruch der außerordentlichen fristlosen Kündigung gehabt und die Kündigungserklärungsfrist eingehalten.
37Die Beklagte behauptet, dass die Klägerin antisemitische und israelfeindliche Äußerungen im Rahmen privater Veröffentlichungen bei Facebook und entgegen geltender und ihr auch bekannter betrieblicher Regelungen getätigt habe. Die Beklagte behauptet, dass für ihre Mitarbeiter Social Media Guidelines gölten. Diese entfalteten Wirkung auch für private Äußerungen. Sie seien im Intranet der Beklagten – auch für die Klägerin – problemlos abrufbar gewesen. Ihr Sachvortrag zur fehlenden Kenntnis dieser Regelungen sei eine Schutzbehauptung. Sie habe schließlich selbst geschrieben, dass sie ihre Veröffentlichungen im Internet chiffrieren müsse.
38Durch die Social Media Guidelines sei der Klägerin aufgegeben worden, sich im Internet verantwortungsvoll und unter Wahrung der Grundsätze der Deutschen Welle zu äußern. 2020 habe die Beklagte ein Positionspapier unter dem Titel „Israel und die Palästinensischen Gebiete“ veröffentlicht. Die Klägerin sei wie auch andere Mitarbeiter mehrfach auf dieses Positionspapier hingewiesen worden. Es sei Teil der Social Media Guidelines. Mit dem Positionspapier habe die Beklagte ihre Mitarbeiter dazu verpflichtet, das Existenzrecht Israels nicht infrage zu stellen und dies auch niemandem in der Berichterstattung zu erlauben. Die Beklagte setze sich gegen Antisemitismus und jegliche Versuche ein, diesen zu verbreiten. In dem Positionspapier werde klargestellt, dass die Beklagte Antisemitismus so verstehe wie die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Danach sei Antisemitismus
39„eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.”
40Die „erweiterte Definition“ der IHRA ergänze diese Definition zusätzlich um den Satz:
41„Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
42Ebenfalls 2020 habe die Beklagte ein weiteres Positionspapier mit dem Titel „Kritik vs. Antisemitismus“ veröffentlicht. Darin heiße es:
43„Kritik an Israel wird jedoch zu Antisemitismus, wenn sie das Ziel hat, Jüdinnen und Juden als Volk zu verunglimpfen, den jüdischen Glauben und jüdische Kultur zu diskreditieren oder dem israelischen Staat seine Legitimität abzusprechen. Sie wird darüber hinaus antisemitisch, wenn im Zusammenhang mit Israel antisemitische Bilder, Stereotype oder Adjektive wie ,blutrünstig‘ oder ,gierig‘ verwendet werden.“
44Antisemitisch sei gemäß diesem Positionspapier unter anderem, Vergleiche zwischen der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten anzustellen.
45Die Beklagte behauptet, dass die Klägerin in arabischer Sprache auf ihrer privaten Facebook-Seite während des bestehenden freien Mitarbeiterverhältnisses folgende Beiträge veröffentlicht habe:
46- 47
„Wir zahlen den Preis für die Verbrechen Europas.“ (auf der Startseite)
- 48
„Ich musste die Hälfte meiner Posts chiffrieren oder löschen, weil sie uns Probleme verursachen können […] Du weißt doch, das (sic!) Kritik an Israel zu Vorwürfen, Entlassungen und Abschiebung führt. Diese Sache droht und (sic!) allen als Journalisten.“
- 49
„Leute, danke an alle, die mich kontaktiert haben. Ich weiß, dass mein letzter Post bei manchen Sorge über mich ausgelöst hat. Und um Zeit zu sparen, und statt drumherum zu reden... es ist ganz einfach: Ja, ich bin eine von denjenigen, die von der Arbeit suspendiert wurden, bis zum Ende der Ermittlungen in der Deutschen Welle bezüglich des Vorwurfs des „Antisemitismus und der Israel-Feindlichkeit“. Ihr könnt natürlich den Post, weswegen (sic!) ich suspendiert wurde, in den Kommentaren sehen. Und es wird euch klar sein, dass „der Post keinen Antisemitismus beinhaltet“, und dass der Post lediglich die Meinungsfreiheit in Europa kritisiert. Ich weiß nicht, wie ein Journalist sich entschieden hat, dass dieser Post genügt, um mir einen sehr schädlichen Vorwurf wie „Antisemitismus“ zu machen. Wie dem auch sein... (sic!) es ist nicht das erste Mal, dass ein Journalist mir (sic!) aufgrund meiner humanistischen Haltung zu schädigen versucht, sei es die Verteidigung der Frauenrechte, der Minderheiten, usw... In diesem Fall ist es „die Kritik der (sic!) Redefreiheit in Europa“. In meinem Land wurde ich mal verhafte (sic!) und vor der Entlassung von meiner Arbeitsstelle gewarnt aufgrund meiner Prinzipien. Das alles geschah in meinem Land. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass man mich in Europa von der Arbeit suspendiert, weil ich gesagt habe, die „Redefreiheit ist eine Illusion“. Das Schmerzhafte dabei ist, dass meine Leistung in der Arbeit hervorragend war, und am Ende dieses Jahres erhielt ich einen Performance-Preis. Es ist sehr anstrengend, wenn du arbeitest und all deine Mühe gibst, und ein klarer Mensch in deinen Prinzipien bist, und es trotzdem immer wieder unermüdliche Versuche gibt, dich zu zerstören. Dieser Post ist keine Deklaration und auch keine Form des Protests, „und bitte auch nicht zur Veröffentlichung“. Dieser Post ist lediglich ein Versuch, die Last, die auf meinen Schultern lastet, loszuwerden. Weil ich müde geworden bin und ich will (sic!) diese Müdigkeit mit euch teilen. Normalerweise teile ich meine privaten Konflikte nicht mit der Öffentlichkeit, weil die Depression eine gefährliche Stufe erreicht hat. Meine unermüdlichen Versuche der letzten 15 Jahre, mich selbst zu verwirklichen und gegen den Strom zu schwimmen, und wörtlich „der Kampf“ gegen alles, was mich nach unten ziehen will, und (sic!) ich habe gedacht das ist das Jahr, in dem all diese Anstrengungen zu Ende kommen werden, und trotzdem ist es klar, dass deine Identität als Frau und Araberin und Palästinenserin immer ein Grund sein wird, dich zu attackieren, und zu versuchen, dich in den Abgrund zu ziehen. Ich schäme mich dafür, dass ich in dieser Situation aufgegeben habe, weil das nicht Y. ist, aber ganz ehrlich, ich habe keine Energie mehr fürs Bohren in Felsen. Ich bin müde. Ich schäme mich eigentlich auch für das Schreiben dieses Posts, in dem ich mich über meine Schwäche äußere. Ich weiß nicht, wie ich euch mein Gefühl erklären soll und ob ich es richtig erklärt habe. Aber dieser Post ist nur deshalb, weil ich eine sehr gefährliche Stufe der Depression erreicht und Angst vor mir selbst habe.“ „Update: Leute, nur um sicher zu gehen: Die Suspendierung ist nur, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind. Und wenn die Vorwürfe gegen mich widerlegt werden, dann werde ich zur Arbeit zurückkehre, (sic!) und dieser Post ist, wie gesagt, um mein Gefühl und meine Ermüdung auszudrücken.“
- 50
„Rede- und Meinungsfreiheit sind in Europa eine Illusion. Es gibt viele rote Linien, wenn wir uns entschließen, über die „Angelegenheit“ zu reden. Die Chiffrierung, die wir normalerweise vornehmen, soll die Facebook-Posts nicht verbergen, sondern die automatische Übersetzung daran hindern, dass die Bedeutung unserer Worte den Beobachtern und den „Beauftragten“ klar wird, also denjenigen, die jederzeit bereit sind, unsere Entlassung oder Abschiebung zu fordern.“
- 51
„Wenn die israelische Flagge über österreichische Regierungsgebäude gehisst wird, ist es normal. Aber wenn einer sich mit den Palästinensern solidarisiert, wird er fertig gemacht, als ob wir kein Existenzrecht hätten. Europa hat ein hässliches Verbrechen an den Juden begangen, und wir Palästinenser zahlen jetzt den Preis dieses Verbrechens. Wir zahlen den Preis für die Verbrechen Europas.“
- 52
„Zum dritten Mal in der Geschichte... ist Deutschland auf der falschen Seite der Geschichte.“
Die Klägerin habe außerdem folgenden Post des Facebook-Nutzers X. Z. mit einem „Daumen hoch / Like“ versehen:
54- 55
„Das ist so, weil die Deutschen den inneren Glauben haben, dass zwei Fehler etwas Gutes ergeben. 1. Weltkrieg – sie töteten unseren Erzherzog; lasst uns einen Krieg beginnen. 2. Weltkrieg – wir leiden unter den Auswirkungen des ersten Weltkrieges, lasst und (sic!) die Juden töten. heute (sic!) – wir töteten die Juden, lass uns sie nun blind unterstützen, während sie andere Völker töten.“
Die Klägerin habe am 23.05.2021 Israelis als diejenigen bezeichnet, „die aus Europa kamen und ich (sic!) unser Land angeeignet haben.“ Weiter habe sie geschrieben:
57- 58
„Manche arabische Intellektuellen (sic!) fühlen sich von dem Wunsch der Palästinenser nach Freiheit und Widerstand gestört, wenn Du eine Diktatur aus Deiner Heimat, die Dich kontrolliert, ablehnst. Ihr macht Revolutionen und lasst Menschen von nah und fern sich in diese Angelegenheit einmischen und gleichzeitig empfindet ihr unseren Widerstand gegen die Besatzung als Last? Denkt mal darüber nach, ihr lehnt jemanden (Diktatur) ab, der Eure Sprache spricht, aus Eurer Heimat stammt, und wir sollen jemanden akzeptieren, der aus Europa kam und sich unser Land angeeignet hat und kontrolliert? In der letzten Zeit sind viele arabische Intellektuelle, Denker und Journalisten umgefallen (Anm. d. Übers.: und sich (sic!) deshalb nicht ernst zu nehmen).“
Am 28.05.2021 habe die Klägerin gepostet:
60- 61
„Deutschland vor dem ersten Weltkrieg: Es beginnt in Afrika das erste Genozid des 20. Jahrhunderts. Deutschland im ersten Weltkrieg: Startete zum ersten Mal einen Weltkrieg. Deutschland im zweiten Weltkrieg: Startete den Holocaust. Und startete buchstäblich „den Antisemitismus“. Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg: Fang mit den Palästinensern an. Leute, jemand muss es ihnen sagen. Man muss ihnen erklären, dass sie eindeutige Probleme haben, die gelöst werden müssen.“
Außerdem habe die Klägerin einen dazu abgegebenen Kommentar eines anderen Nutzers mit dem Inhalt
63- 64
„Eine dreckige Nation, die ihre Schande mit dem Blut anderer Nationen wäscht. Und dann kommen sie und quatschen uns voll mit dem Gerede über Freiheiten.“
mit einem „Daumen hoch“ versehen.
66Am 01.06.2021 habe die Klägerin geschrieben:
67- 68
„Ich habe ein paar Worte, die ich an die arabischen Geschwister richten will, weil ich in der letzten Zeit, (sic!) viele Kommentare und Versuche sah, an die Palästinenser zu appellieren, ´lass die Islamisten nicht das und das tun´, ´lass die Linke das und das nicht tun´, was mir Bauchschmerzen macht... Wenn der palästinensische Widerstandskämpfer die Waffe trägt, verschwinden alle politischen Ideologien, und man sieht den Religiösen den Atheisten unterstützen, und man sieht den Atheisten die grüne Fahne tragen. Warum? Weil dieser Widerstand gegen eine Besatzung ist. Ich verstehe, warum es Euch bei der arabischen Revolutionen (sic!) stört, wenn manche ideologisierten Personen oder Gruppen zu Waffen greifen. ihr (sic!) seid in der Phase der Staatsgründung und ihr solltet Euch darauf konzentrieren, welche Ideologie der zukünftige Staat haben wird. Aber in unserem Fall (Anm. d. Übers.: Palästina) haben wir nicht den Luxus der Ideologiewahl. Die Widerstandsoptionen gegen die Besatzung verbietet (sic!) uns den Gedanken daran, welche Gruppen (links und rechts und so weiter) wie zu kämpfen haben. In unserem Fall herzlich willkommen für jede Widerstandsoption und weg. Ich wollte es nur klarstellen, weil ich es satthabe, Personen zu blocken, die meinen sie verstünden mehr von unserer Angelegenheit als wir.“
Die Beklagte behauptet, dass diese Äußerungen für jedermann im Internet sichtbar und über Suchmaschinen auffindbar gewesen seien. Dies sei daran zu erkennen, dass neben dem Datum der Veröffentlichungen eine kleine stilisierte Weltkugel abgebildet gewesen sei. Die Klägerin habe sich auf ihrer Facebook-Seite zudem als Mitarbeiterin der Beklagten dargestellt.
70Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Äußerungen israelfeindlich und antisemitisch gewesen seien und dass die Klägerin dadurch, dass die Beklagte unter anderem in ihrer Folge einem verheerenden nationalen und internationalen Medienecho ausgesetzt gewesen sei und der Intendant sich deshalb vor dem Ausschuss für Kultur und Medien im Bundestag habe verantworten müssen, Anlass zur fristlosen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben habe. Aufgrund der Schwere und Vielzahl der Pflichtverletzungen und ihrer Hartnäckigkeit habe es einer vorherigen Abmahnung als milderes Mittel nicht bedurft.
71Die Klägerin habe als „Gesicht der Beklagten im Rahmen des TikTok-Kanals“ und „Tendenzträgerin“ wissen müssen, dass sie antisemitische und das Existenzrecht Israels infrage stellende Äußerungen unterlassen musste, auch im privaten Bereich. Die Eigenschaft der Beklagten als Tendenzunternehmen im Sinne von § 118 BetrVG sei auch kündigungsrechtlich und im Lichte der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Pressefreiheit zu berücksichtigen. Mit der mehrfachen Bezeichnung von Israel als „Besatzer“ habe die Klägerin die Existenz Israels infrage gestellt. Am 30.11.2021 habe erstmals die Süddeutsche Zeitung über antisemitische Äußerungen von Mitgliedern der Arabisch-Redaktion berichtet. Weitere verheerende Berichterstattung sei kurz danach erfolgt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung vom 14.04.2022, Seite 28 – 35 (Bl. 62 – 69 der Akte), verwiesen. Die Klägerin habe jedes Vertrauen in ihre Person zerstört. Eine Weiterbeschäftigung sei nach einer Interessenabwägung mit Blick auf die kurze Beschäftigungsdauer nicht tragbar, nicht zuletzt, weil die Klägerin die Beklagte in die Nähe des Antisemitismus gerückt und negative Berichterstattung über die Beklagte (mit)ausgelöst habe.
72Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen eingehalten worden ist. Sie habe in der gebotenen Eile alle notwendigen Ermittlungsschritte durchlaufen und nach Abschluss der Ermittlungen ohne weiteres Zögern die Kündigung ausgesprochen. Am 03.12.2021 habe sie die Klägerin erstmals zu den durch die Zeitungsartikel bekannt gewordenen Vorwürfen angehört. Am 14.12.2021 habe die Beklagte eine externe Ermittlung durch Herrn N., einen deutsch-israelischen Psychologen, Soziologen und Extremismusforscher, Geschäftsführer der Firma PK. und Autor mit besonderer Expertise im Bereich Prävention von Antisemitismus und Radikalisierung, und Frau A., Bundesjustizministerin a. D. und Antisemitismusbeauftragte des Landes WQ., beauftragt. Am 06.02.2022 hätten Herr N. und Frau A. einen Prüfungsbericht fertiggestellt und veröffentlicht. In der Zeit vom 14.12.2021 bis zum 06.02.2022 sei eine intensive Internetrecherche nach den die Untersuchung auslösenden Veröffentlichungen und Informationen zu den Distributoren und Partnern der Beklagten durchgeführt worden. Im Rahmen der Ermittlungen sei trotz Löschungen von Social-Media-Einträgen noch einiges Material gefunden worden. Teilweise sei der Untersuchungskommission Material anonym zur Verfügung gestellt worden. Das Material sei sodann übersetzt, analysiert und bewertet worden. Dabei seien ausschließlich öffentlich zugängliche Profile analysiert worden. Mit Schreiben vom 07.02.2022 habe man den Personalrat höchst vorsorglich angehört und dann am 11.02.2022 die Kündigung ausgesprochen. Die streitgegenständlichen Facebook-Veröffentlichungen hätten ihr nicht bereits vor dem 30.11.2021 vorgelegen. Sie seien von der Beklagten auch nicht Herrn N. oder Frau A. zugeleitet worden, sondern von diesen selbst ermittelt worden. Dies sei im Untersuchungsbericht festgehalten worden. Während der Ermittlungen sei die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB gehemmt gewesen. Es habe der Aufklärung weiterer Pflichtverletzungen durch andere Personen und der Aufbereitung und Bewertung des Sachverhalts bedurft. Pflichtverletzungen der Klägerin hätten mit Pflichtverletzungen anderer Personen ins Verhältnis gesetzt werden müssen, bevor über den Ausspruch einer Kündigung habe entschieden werden können. Letztlich habe die Kündigungserklärungsfrist daher erst mit der Übergabe des schriftlichen Untersuchungsberichts am 06.02.2022 zu laufen begonnen.
73Den Befristungskontrollantrag hält die Beklagte für unbegründet, weil zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestehe, der Anwendungsbereich von § 14 TzBfG deshalb nicht eröffnet sei und zudem die Befristung des Vertragsverhältnisses gemäß § 18 Abs. 1, 2, 3 TVaP mit oder ohne Sachgrund und sogar bei Nichtausübung einer programmgestaltenden Tätigkeit zulässig gewesen sei.
74Zunächst hat die Beklagte den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen mit Blick auf das behauptete fehlende Arbeitsverhältnis gerügt, während die Klägerin den Rechtsweg hinsichtlich aller Klageanträge für gegeben erachtet hat. Diese Rüge hat die Beklagte zuletzt aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Verhandlung vor der Kammer unstreitig jedenfalls arbeitnehmerähnliche Person (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ArbGG) war, nicht weiter aufrechterhalten.
75Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und auf die Protokolle des Gütetermins und des Kammertermins Bezug genommen.
76E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
77Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
78I. Die Klage ist zulässig.
791. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 b), § 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ArbGG, weil die Klägerin als Arbeitnehmerin oder als arbeitnehmerähnliche Person für die Beklagte tätig wurde (zur Zulässigkeit einer diesbezüglichen Wahlfeststellung etwa BAG 21.12.2010 − 10 AZB 14/10, Rn. 7; BAG 30.08.2000 – 5 AZB 12/00, zu II. 2. b) der Gründe). Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass sie während des gesamten Bestandes des Vertragsverhältnisses keine Einnahmen Dritter hatte, so dass die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Abhängigkeit gemäß § 2 TVaP vorliegen. Ebenso hatte sie unstreitig Einnahmen unterhalb der Verdienstgrenze in § 3 TVaP und war in entsprechendem zeitlichem Mindestumfang für die Beklagte tätig. Die Eigenschaft der Klägerin als arbeitnehmerähnliche Person hat auch die Beklagte zuletzt nicht mehr in Abrede gestellt.
802. Auch ist die Beklagte, eine rechtsfähige Anstalt öffentlichen Rechts, nach erfolgter Rubrumsberichtigung gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 51 Abs. 1, § 52 ZPO, § 1 Abs. 1, 2, § 42 Abs. 2 Deutsche-Welle-Gesetz im Verfahren ordnungsgemäß durch ihren Intendanten vertreten. Es kann vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben, ob die Beklagte als solche prozessfähig ist oder ob die Prozessfähigkeit aus der ordnungsgemäßen Vertretung durch eine prozessfähige natürliche Person entsprechend der gesetzlichen Regelung folgt, denn jedenfalls bestehen keine Zweifel an der Prozessfähigkeit der beklagten Partei.
813. Die Rubrumsberichtigung analog § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 495, § 319 ZPO war auch zulässig, weil die Klägerin nach Überzeugung der Kammer in der Klageschrift mit dem Vorstand versehentlich ein falsches und überdies gar nicht existierendes Gremium als Vertreter der Beklagten benannt hatte.
82a) Die Parteien eines Prozesses werden von der klagenden Partei in der Klageschrift bezeichnet. Ist die Bezeichnung nicht eindeutig, so ist die Partei durch Auslegung zu ermitteln. Nicht allein die formale Bezeichnung einer Partei ist für die Parteistellung maßgeblich. Vielmehr kommt es darauf an, welcher Sinn der von der klagenden Partei in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist. Entscheidend ist die Wahrung der rechtlichen Identität zwischen der ursprünglich bezeichneten und der tatsächlich gemeinten Partei. Bleibt die Partei nicht dieselbe, so liegt keine Parteiberichtigung vor, sondern es wird im Wege der Parteiänderung eine andere Partei in den Prozess eingeführt. Dagegen ist die ungenaue oder unrichtige Parteibezeichnung unschädlich und kann jederzeit von Amts wegen berichtigt werden (BAG 15.03.2001 – 2 AZR 141/00, zu B. III. 1. a) der Gründe m.w.N.).
83Ergibt sich in einem Kündigungsschutzprozess aus den gesamten erkennbaren Umständen, etwa aus dem der Klageschrift beigefügten Kündigungsschreiben, wer als beklagte Partei gemeint ist, ist die Berichtigung des Rubrums regelmäßig möglich. Dies gilt etwa dann, wenn sich aus der Klageschrift oder den beigefügten Unterlagen entnehmen lässt, dass die Trägerin einer bestimmten Einrichtung als Arbeitgeberin gekündigt hat und der Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsschutzklage gegen eine Kündigung seiner Arbeitgeberin vorgehen will. Für die Auslegung, dass der Arbeitnehmer nicht gegen seinen Arbeitgeber, sondern gegen eine andere – insbesondere eine gar nicht parteifähige – Einrichtung, die keine Arbeitgeberstellung hat und deshalb auch nicht gekündigt hat, mit einer Kündigungsschutzklage vorgehen will, bedarf es besonderer Anhaltspunkte. Das rechtfertigt sich umso mehr, als es die durch das Grundgesetz gewährleisteten Verfassungsgarantien verbieten, den Zugang zu den Gerichten in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren. Dementsprechend darf eine Klageerhebung nicht an unvollständigen oder fehlerhaften Bezeichnungen der Parteien scheitern. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Mängel in Anbetracht der jeweiligen Umstände letztlich keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten aufkommen lassen (BAG 28.08.2008 – 2 AZR 279/07, Rn. 15).
84b) Es ging der Klägerin, die das Kündigungsschreiben der Klageschrift beigefügt hatte, offensichtlich darum, diese Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses durch die Beklagte zum Verfahrensgegenstand zu machen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die Klägerin besondere Gedanken bezüglich der Vertretungsregelung bei der Beklagten gemacht hatte oder dass es ihr darum ging, das Verfahren bewusst gegen „den Vorstand der Beklagten“ zu führen. Das von der Klägerin Gewollte – eine korrekte Vertretung des kündigenden Vertragspartners im Verfahren – ist für jedermann erkennbar. Sofort nach Erhebung der Rüge durch die Beklagte hat die Klägerin die Rubrumsberichtigung beantragt und nicht etwa die Falschbezeichnung im Rubrum verteidigt.
85Die Beklagte selbst hat die Angabe eines korrekten Rubrums zudem erschwert, weil auf dem Kündigungsschreiben weder eine Vertretungsregelung noch überhaupt ihre Rechtsform angegeben waren. Auch dies spricht für einen Irrtum der Klägerin.
86Außerdem bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr der Befassung eines nicht zuständigen Gremiums bei der Beklagten mit dem hiesigen Verfahren, eben weil es das Organ bzw. Gremium „Vorstand“ bei der Beklagten überhaupt nicht gibt (§ 24 Abs. 1, 2 Deutsche-Welle-Gesetz). Auch dies spricht für die Zulässigkeit einer Rubrumsberichtigung. Insofern liegt der hier zu entscheidende Fall anders als beispielsweise derjenige von der Beklagten genannte, eine Aktiengesellschaft betreffende Sachverhalt, der dem Urteil BGH 16.02.2009 – II ZR 282/07 zu Grunde lag (vgl. zu der Thematik der Vertretung von Aktiengesellschaften im Prozess auch weiterführend BAG 04.07.2001 – 2 AZR 142/00). Zweifel daran, ob eine Rubrumsberichtigung in Fällen der Falschbezeichnung von gesetzlichen Vertretern zulässig ist, können insbesondere aus Spezialzuständigkeiten wie § 112 AktG folgen, die auf das Prozessrecht ausstrahlen. Eine solche Spezialzuständigkeit und damit eine solche Problematik gibt es hier nicht.
87Die Falschangabe der Klägerin hat die Beklagte zudem nicht daran gehindert, sich vor und nach der Rubrumsberichtigung inhaltlich mit der Klageschrift, den weiteren Schriftsätzen der Klägerin und ihrem mündlichen Vorbringen im Kammertermin auseinanderzusetzen und im Verfahren aufzutreten. Eine Abweisung der Klage als unzulässig wäre unter diesen Umständen mit der Rechtsschutzgarantie unvereinbar.
88II. Die Klage ist teilweise begründet.
891. Die Hauptanträge zu 1) und zu 2) sind unbegründet, weil die Klägerin nicht dargelegt hat, dass sie Arbeitnehmerin der Beklagten war.
90a) Mit der Art und Weise ihrer Antragstellung – konkret mit der Stellung des Hilfsantrags zu 3) bezüglich der zugleich mit dem Klageantrag zu 1) angegriffenen Kündigung – und ihrer diesbezüglichen klarstellenden Erklärung in der Verhandlung vor der Kammer auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin deutlich gemacht, dass sie mit den Klageanträgen zu 1) und zu 2) zugleich festgestellt wissen möchte, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht. Der Begriff „Arbeitsverhältnis“ in den Klageanträgen zu 1) und zu 2) ist damit im engeren Sinne gemeint. Er ist nicht dahingehend auslegungsfähig, dass die Kündigung und die Befristung mit diesen Klageanträgen gleichwohl unter sämtlichen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft werden sollen, sondern nur unter der Voraussetzung, dass das Vertragsverhältnis der Parteien tatsächlich ein Arbeitsverhältnis ist (vgl. zur Auslegung des Klageantrags in derartigen Fällen BAG 21.01.2019 – 9 AZB 23/18, Rn. 21; LAG Köln 13.12.2019 – 9 Ta 186/19, Rn. 25; LAG Düsseldorf 12.11.2019 – 3 Ta 377/19, Rn. 25; LAG Schleswig-Holstein 04.07.2019 – 6 Ta 51/19, Rn. 23).
91Unabhängig davon weist die Kammer darauf hin, dass die Befristungskontrollklage auch bei einer anderen Antragstellung bzw. Erklärung in der mündlichen Verhandlung nach ihrer Auffassung keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, weil keine Zweifel an der Wirksamkeit der Befristung des Honorar-Rahmenvertrags gemäß § 18 TVaP bestehen.
92b) Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie Arbeitnehmerin der Beklagten war.
93aa) Ein Arbeitsvertrag gemäß § 611a Abs. 1 BGB kommt durch Angebot und Annahme zustande, §§ 145 ff. BGB. Möglich ist auch ein Abschluss durch konkludentes Handeln, etwa durch eine tatsächliche Aufnahme weisungsgebundener Arbeit, die von beiden Parteien des Arbeitsvertrags akzeptiert wird (BAG 17.04.2013 – 10 AZR 272/12, Rn. 13; BAG 09.04.2014 – 10 AZR 590/13, Rn. 16; Joussen in BeckOK-ArbR, Stand 01.12.2021, § 611a BGB, Rn. 87). Voraussetzung für den Abschluss eines Arbeitsvertrags ist, dass die Beteiligten durch privatrechtlichen Vertrag – also den Austausch übereinstimmender Willenserklärungen gemäß §§ 145 ff. BGB – die Leistung von Diensten in der Form von weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit vereinbaren.
94bb) Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Dienstleistende, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (§ 611a Abs. 1 Sätze 1 – 3 BGB). Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls in Betracht zu ziehen und in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Zwingende gesetzliche Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an (§ 611a Abs. 1 Sätze 4 – 6 BGB; BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 30; BAG 01.12.2020 – 9 AZR 102/20, Rn. 30 f.; BAG 09.04.2014 – 10 AZR 590/13, Rn. 16). Die Weisungsbindung ist das engere, den Vertragstyp im Kern kennzeichnende Kriterium, das durch § 611a Abs. 1 Sätze 2 – 4 BGB näher ausgestaltet ist. Es kann, muss aber nicht gleichermaßen Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Nur wenn jedwede Weisungsgebundenheit fehlt, liegt in der Regel kein Arbeitsverhältnis vor. Das Kriterium der Fremdbestimmung erfasst insbesondere vom Normaltyp des Arbeitsvertrags abweichende Vertragsgestaltungen. Sie zeigt sich auch in der Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 31; BAG 01.12.2020 – 9 AZR 102/20, Rn. 31; LAG Köln 25.08.2020 – 9 Ta 98/20, Rn. 24 ff.).
95cc) Weisungsgebundenheit kann in verschiedenen Erscheinungsformen bestehen. In der Regel wird eine vertraglich nur rahmenmäßig bestimmte Arbeitspflicht – das heißt die dem Umfang nach bereits bestimmte Leistung des Beschäftigten – durch die Ausübung des Weisungsrechts konkretisiert. Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. § 106 Satz 2 GewO erkennt zusätzlich die Ordnung und das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb als Gegenstand des Weisungsrechts an. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers korrespondiert mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Durch die Ausübung des Weisungsrechts nach § 106 Satz 2 GewO wird regelmäßig erst die Voraussetzung dafür geschaffen, dass der Beschäftigte seine Arbeit leisten und das Rechtsverhältnis praktisch durchgeführt werden kann (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 32; BAG 01.12.2020 – 9 AZR 102/20, Rn. 33 m.w.N.).
96In zeitlicher Hinsicht besteht eine Abhängigkeit von Weisungen, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende Vereinbarung herangezogen wird, ihm also die Arbeitszeiten letztlich „zugewiesen“ werden. Die ständige Dienstbereitschaft kann sich sowohl aus den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen der Parteien als auch aus der praktischen Durchführung der Vertragsbeziehungen ergeben. Die Einteilung eines Mitarbeiters in Organisations-, Dienst- und Produktionspläne ohne vorherige Absprache stellt ein starkes Indiz für die Arbeitnehmereigenschaft dar (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 32; BAG 01.12.2020 – 9 AZR 102/20, Rn. 34 m.w.N).
97Allerdings können Weisungsrechte auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses bestehen. Weisungsgebundenheit im Sinne von § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB setzt voraus, dass der Beschäftigte in der Gestaltung seiner Tätigkeit nicht „im Wesentlichen frei“ ist. Zeitliche Vorgaben oder die Verpflichtung, bestimmte Termine für die Erledigung der übertragenen Aufgaben einzuhalten, sind für sich allein kein wesentliches Merkmal für ein Arbeitsverhältnis. Auch gegenüber einem freien Mitarbeiter können Termine für die Erledigung der Arbeit bestimmt werden, ohne dass daraus eine arbeitnehmertypische zeitliche Weisungsgebundenheit folgt (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 34).
98Zudem steht einem Auftraggeber gegenüber einem freien Mitarbeiter grundsätzlich das Recht zu, Anweisungen hinsichtlich des Arbeitsergebnisses zu erteilen. Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis ist daher gegenüber dem Weisungsrecht für Vertragsverhältnisse mit Selbstständigen und Werkunternehmern abzugrenzen. Die Anweisung gegenüber einem Selbstständigen ist typischerweise sachbezogen und ergebnisorientiert und damit auf die zu erbringende Dienst- oder Werkleistung ausgerichtet. Im Unterschied dazu ist das arbeitsvertragliche Weisungsrecht personenbezogen, ablauf- und verfahrensorientiert geprägt. Es beinhaltet Anleitungen zur Vorgehensweise und zur Motivation des Mitarbeiters, die nicht Inhalt des werkvertraglichen Anweisungsrechts sind (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 34).
99Für die Bestimmung des Vertragstypus kommt es indiziell darauf an, inwieweit der Arbeitsvorgang durch verbindliche Anweisungen vorstrukturiert ist. Weisungen, die sich ausschließlich auf das vereinbarte Arbeitsergebnis beziehen, können auch gegenüber Selbstständigen erteilt werden (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 34). Wird die Tätigkeit aber durch den „Auftraggeber“ geplant und organisiert und der Beschäftigte in einen arbeitsteiligen Prozess in einer Weise eingegliedert, die eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des vereinbarten „Arbeitsergebnisses“ faktisch ausschließt, liegt ein Arbeitsverhältnis nahe. Richten sich die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen nach dem jeweiligen Bedarf des Auftraggebers, so kann auch darin ein Indiz gegen eine werk- und für eine arbeitsvertragliche Beziehung liegen, wenn mit der Bestimmung von Leistungen auch über Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit entschieden wird (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 34; BAG 01.12.2020 – 9 AZR 102/20, Rn. 35 m.w.N).
100dd) In die Beurteilung, ob der – für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses erforderliche – Grad der persönlichen Abhängigkeit erreicht ist, ist nach § 611a Abs. 1 Satz 4 BGB die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit einzubeziehen. Die Art der Dienstleistung und die Zugehörigkeit der Tätigkeit zu einem bestimmten Berufsbild können den zugrundeliegenden Vertragstyp ebenso beeinflussen wie die Organisation der zu verrichtenden Arbeiten (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 35). Bestimmte Tätigkeiten lassen sich sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch in einem Werk- oder freien Dienstvertrag verrichten, während andere regelmäßig im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden. Bei untergeordneten, einfachen Arbeiten besteht eher eine persönliche Abhängigkeit als bei gehobenen Tätigkeiten (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 35; BAG 01.12.2020 – 9 AZR 102/20, Rn. 37 m.w.N).
101ee) Soweit § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände anordnet, haben die Gerichte für Arbeitssachen bei ihrer Entscheidungsfindung verfassungsrechtlichen Wertungen Rechnung zu tragen. Ist der Dienstberechtigte Träger des Grundrechts der Presse- oder Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), kann dies als Umstand gemäß § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB zu würdigen sein (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 36). Die Gerichte für Arbeitssachen sind von Verfassungs wegen gehalten, Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 37). Für den Bereich der Presse bzw. des Rundfunks verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG deshalb in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung des Grundrechts auf der einen und dem Rang der von den Normen des Arbeitsrechts geschützten Rechtsgüter auf der anderen Seite (BAG 25.08.2020 – 9 AZR 373/19, Rn. 21 ff.).
102Die Rundfunkfreiheit erstreckt sich auf das Recht der Rundfunkanstalten, dem Gebot der Vielfalt der zu vermittelnden Programminhalte auch bei der Auswahl, Einstellung und Beschäftigung derjenigen Mitarbeiter Rechnung zu tragen, die bei der Gestaltung der Programme mitwirken sollen. Der Schutz der Rundfunkfreiheit verlangt neben der Auswahl der an der inhaltlichen Gestaltung der Sendungen mitwirkenden Mitarbeiter die Entscheidung darüber, ob solche Mitarbeiter fest angestellt werden oder ob ihre Beschäftigung aus Gründen der Programmplanung auf eine gewisse Dauer oder ein gewisses Projekt zu beschränken ist und wann, wie oft oder wie lange ein Mitarbeiter benötigt wird (BAG 25.08.2020 – 9 AZR 373/19, Rn. 22). Dies schließt die Befugnis ein, bei der Begründung von Mitarbeiterverhältnissen den insoweit jeweils geeigneten Vertragstyp zu wählen (BAG 25.08.2020 – 9 AZR 373/19, Rn. 22 unter Hinweis auf BVerfG 18.02.2000 – 1 BvR 491/93, Rn. 12).
103Die Rundfunkfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Dienstverträge und die besonderen Bestimmungen des Arbeitsrechts. Im Hinblick auf die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Rundfunkfreiheit wird danach in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Rundfunkfreiheit auf der einen und dem Rang der von den Normen des Arbeitsrechts geschützten Rechtsgüter auf der anderen Seite verlangt (BAG 25.08.2020 – 9 AZR 373/19, Rn. 22; BVerfG 18.02.2000 – 1 BvR 491/93, Rn. 14). Für den Bereich der Pressefreiheit geltenden dieselben rechtlichen Maßstäbe (BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 36 ff.).
104ff) Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben trägt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung, der die Kammer folgt, durch die grundsätzliche Unterscheidung zwischen programmgestaltenden und nicht programmgestaltenden Mitarbeitern Rechnung. Das durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Recht der Rundfunkanstalten, weitgehend frei von fremder Einflussnahme über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung über die Vertragsgestaltung entscheiden zu können, ist dabei auf programmgestaltende Mitarbeiter beschränkt. Die Sicherung der Aktualität und Flexibilität der Berichterstattung erfordert diese Freiheit nicht auch bezogen auf nicht programmgestaltende Mitarbeiter (BAG 25.08.2020 – 9 AZR 373/19, Rn. 23; BAG 17.04.2013 – 10 AZR 272/12, Rn. 16 ff. m.w.N.).
105Als „programmgestaltend“ ist der Kreis derjenigen Rundfunkmitarbeiter anzusehen, die an Hörfunk- und Fernsehsendungen sowie gleichwertigen Internetangeboten inhaltlich gestaltend mitwirken. Das gilt namentlich, wenn sie typischerweise ihre eigene Auffassung zu politischen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder anderen Sachfragen, ihre Fachkenntnisse und Informationen, ihre individuelle künstlerische Befähigung und Aussagekraft in die Sendung einbringen, wie dies insbesondere bei Redakteuren, Regisseuren, Moderatoren, Reportern, Berichterstattern, Kommentatoren, Wissenschaftlern und Künstlern der Fall ist (BAG 25.08.2020 – 9 AZR 373/19, Rn. 24 m.w.N. zu diesen Berufsgruppen; BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 39 für den Pressbereich). Auch solche Mitarbeiter können indes aufgrund eines Arbeitsvertrags tätig werden, wenn sie weitgehenden inhaltlichen Weisungen unterliegen, ihnen also nur ein geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbstständigkeit verbleibt, und der Sender innerhalb eines zeitlichen Rahmens über ihre Arbeitsleistung verfügen kann. Letzteres ist dann der Fall, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende Vereinbarung durch Dienstpläne herangezogen wird, ihm also die Arbeiten letztlich zugewiesen werden (BAG 25.08.2020 – 9 AZR 373/19, Rn. 24; BAG 17.04.2013 – 10 AZR 272/12, Rn. 17 f. für den Rundfunkbereich; BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 39 für den Pressebereich).
106Nicht zu den programmgestaltenden Mitarbeitern gehören das betriebstechnische und das Verwaltungspersonal sowie diejenigen, die zwar bei der Verwirklichung des Programms mitwirken, aber keinen inhaltlichen Einfluss darauf haben. In diese Kategorie hat die Rechtsprechung z. B. Sprecher und Übersetzer von Nachrichten- und Kommentartexten, Musikarchivare und Cutter eingeordnet und deshalb die Arbeitnehmereigenschaft anhand der allgemeinen Kriterien geprüft. Nicht programmgestaltende Mitarbeiter werden im Regelfall häufiger die Kriterien eines Arbeitnehmers erfüllen, als es bei programmgestaltenden Mitarbeitern zu erwarten ist (BAG 25.08.2020 – 9 AZR 373/19, Rn. 25; BAG 17.04.2013 – 10 AZR 272/12, Rn. 17, 19 für den Rundfunkbereich; BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 40 für den Pressebereich).
107gg) Zu berücksichtigen ist schließlich, welche Vertragsgestaltung die Parteien selbst gewählt haben. Haben sie sich bewusst für einen Honorar-Rahmenvertrag und den Abschluss von Einzelvereinbarungen über eine freie Mitarbeit bei konkreten Arbeitsaufträgen entschieden, ist dies bei der Abgrenzung zwischen freiem Mitarbeiterverhältnis und Arbeitsverhältnis angemessen zu berücksichtigen (Umkehrschluss aus § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB; vgl. LAG Köln 08.12.2016 – 7 Sa 500/16, Rn. 21 ff.).
108hh) Darlegungs- und beweisbelastet für den Abschluss eines Arbeitsvertrags ist schon nach allgemein anerkannten Grundsätzen des Zivilprozessrechts derjenige, der Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag ableiten möchte, hier also die Klägerin (vgl. zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess BAG 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, Rn. 47; BGH 10.03.2010 – IV ZR 264/08, Rn. 12; BGH 13.11.1998 – V ZR 386/97, zu II. 3. b) aa) der Gründe; speziell für den Abschluss eines Vertrags BGH 24.02.2016 – XII ZR 5/15, Rn. 24 und für den Abschluss eines Arbeitsvertrags Benecke in Grunsky/Waas/Benecke/Greiner, ArbGG, 8. Aufl. 2014, § 58 Rn. 11; Prütting in Germelmann, ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 58 Rn. 91).
109ii) Wendet man diese Rechtsprechung, die die Kammer ihrer Entscheidung zu Grunde legt, auf das Beschäftigungsverhältnis der Parteien an, so ergibt sich Folgendes:
110(1) Gegen den Abschluss eines Arbeitsvertrages spricht zunächst, dass die Parteien zunächst einen schriftlichen Praktikumsvertrag schlossen und später auf Basis eines schriftlichen Honorar-Rahmenvertrags und ergänzender Einzelverträge weiter zusammenarbeiteten. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde hingegen unstreitig zu keinem Zeitpunkt geschlossen. Differenzierungen hinsichtlich verschiedener Zeiträume der Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte enthält der Sachvortrag beider Parteien nicht. Dies spricht dafür, dass auch der Zeitraum vom 01.10.2019 bis zum 31.12.2019 anhand derselben Kriterien zu prüfen ist wie der darauf folgende Zeitraum. Es kommt somit nicht auf die Frage an, ob die Parteien ein etwaiges zwischen ihnen durch konkludentes Handeln begründetes Arbeitsverhältnis durch Abschluss eines schriftlichen Honorar-Rahmenvertrags ebenso konkludent wieder aufhoben.
111Angesichts des Umstandes, dass alle Tätigkeiten, die die Klägerin für die Beklagte verrichtete, sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch in einem freien Mitarbeiterverhältnis erbracht werden können, war es an der Klägerin, die schriftliche Vertragslage (freie programmgestaltende Mitarbeiterin) durch konkreten Sachvortrag zu einer tatsächlich abweichenden Durchführung des Vertragsverhältnisses zu erschüttern (§ 611a Abs. 1 Satz 6 BGB). Dies ist ihr nicht gelungen.
112(2) Die von der Klägerin insoweit angeführte Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen einschließlich ihrer Meldung zur Sozialversicherung ist kein taugliches Abgrenzungskriterium, weil die in Rede stehenden steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Dienstberechtigten sowohl für Arbeitnehmer als auch für dauerhaft beschäftigte freie Mitarbeiter gelten. Es ist nach der dargelegten Rechtsprechung auch kein Abgrenzungskriterium zwischen den Vertragstypen.
113(3) Die Kammer geht davon aus, dass die Klägerin für die Beklagte programmgestaltend im Sinne der ständigen Rechtsprechung tätig wurde, was in die Gesamtbetrachtung nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB einzubeziehen ist und die von Verfassungs wegen gebotenen erhöhten Anforderungen an den Sachvortrag zu einer den schriftlichen Vereinbarungen widersprechenden tatsächlichen Abwicklung des Beschäftigungsverhältnisses auslöste.
114Unstreitig hat die Klägerin unter anderem Beiträge für das Internetangebot der Beklagten erstellt und gestaltet. Damit ist die Klägerin als Mitarbeiterin für die Verbreitung eines Presseangebots (bei schriftlichem Schwerpunkt des Angebots) bzw. von Rundfunk (bei audiovisuellem Schwerpunkt des Angebots) im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG tätig geworden (vgl. zur Erfassung von Internetangeboten, zur Dynamik des Presse- bzw. Rundfunkbegriffs und zur Abgrenzung von Presse- und Rundfunkfreiheit im Internet eingehend Grabenwarter in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand 96. Lieferung 2021, Art. 5 Rn. 650 ff. m.w.N.). Dies stellt zudem der schriftliche Rahmenvertrag klar.
115Der Vortrag der Klägerin steht im Widerspruch zu der unstreitigen Abrechnung fast ihrer gesamten Tätigkeit unter den Kürzeln für Redakteure bzw. Producer. Die Klägerin hat nicht dargetan, warum sie ihre Tätigkeit bei der Beklagten als Redakteurin bzw. Producerin abrechnete, wenn sie überhaupt nicht mit solchen – nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und im Übrigen auch nach Anlage 1 zu § 16 TVaP klassisch programmgestaltenden – Aufgaben befasst war. Die den Honorarabrechnungen entgegenstehenden und im Wesentlichen nur in pauschalen Prozentzahlen ausgedrückten Angaben der Klägerin sind bei weitem zu unkonkret, um den dezidierten Sachvortrag der Beklagten infrage zu stellen.
116Ebenso unsubstantiiert ist die Behauptung der Klägerin, keine eigene journalistische Perspektive und Erfahrung in die von ihr produzierten Videos und Texte eingebracht zu haben. Es fehlt bereits an jeglichen näheren Angaben dazu, welchen Inhalt die von der Klägerin erstellten Beiträge hatten und welche konkrete Rolle der Klägerin bei ihrer Erstellung zukam. An einer programmgestaltenden Tätigkeit würde es allenfalls dann fehlen, wenn die Arbeit der Klägerin im Wesentlichen handwerklicher Art gewesen wäre und sie keine oder nur geringe Spielräume etwa bei der Auswahl, Anordnung, Präsentation und Schwerpunktsetzung der in Rede stehenden Beiträge gehabt hätte, diese also sozusagen im Wesentlichen unter Ausblendung der beruflichen Erfahrung und Perspektiven der Klägerin erstellt worden wären, und die Beklagte zudem in zeitlicher Hinsicht über die Klägerin hätte verfügen können. Die Klägerin hat aber nicht dargelegt, wie die Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern der Beklagten im Alltag erfolgte mit Ausnahme der pauschalen und für die Beklagte nicht näher einlassungsfähigen Behauptung, dass ihr ständig von zahlreichen wechselnden Vorgesetzten engmaschige Vorgaben gemacht worden seien. Eine Abstimmung über das Interesse an bestimmten Themen, die bloße Freigabe von Beiträgen durch einen Vorgesetzten oder die Diskussion von Schwerpunkten von Beiträgen im Einzelnen steht der Wahrnehmung einer programmgestaltenden Tätigkeit aber nicht entgegen, so dass es weit konkreterer Angaben der Klägerin über die tatsächlichen Abläufe bei der Erstellung der Beiträge bedurft hätte, um den Sachvortrag der Beklagten und die schriftliche Vertragssituation infrage zu stellen. Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Klägerin beispielsweise Videobeiträge für TikTok nach eigener Recherche, Bildauswahl, Text- und Grafikgestaltung abnahmebereit abgegeben habe und sie dann in aller Regel unverändert ausgestrahlt worden seien. Diesem Sachvortrag ist die Klägerin mit nicht einem konkreten Gegenbeispiel (z. B. über eine Konfliktsituation hinsichtlich eines Beitrags oder aber der konkreten Schilderung diesem Sachvortrag entgegenstehender alltäglicher Abläufe) entgegengetreten.
117Überdies konnte die Beklagte über die Klägerin unstreitig nicht verbindlich zeitlich verfügen, so dass auch das zweite Kriterium zur Widerlegung der Weisungsfreiheit im Sinne der Mitwirkung bei der Programmgestaltung nicht erfüllt ist. Die Klägerin hat den Sachvortrag der Beklagten, wonach sie in unbegrenztem Umfang und zeitlich vollkommen flexibel Urlaub nehmen konnte und in ebenso unbegrenztem Umfang Sperrzeiten mitteilen konnte, nicht im Einzelnen durch Angabe konkreter Tatsachen widerlegt. Sie hat sich lediglich pauschal dahingehend eingelassen, dass von ihr eine Tätigkeit in Vollzeit erwartet worden und sie in Dienstpläne eingeteilt worden sei. Der Vortrag der Beklagten, dass die Klägerin (anders als ein Arbeitnehmer) Dienste mit anderen Personen tauschen konnte, ist jedoch von der Klägerin gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 138 Abs. 2, 3 ZPO zugestanden worden. Ebenso ist die Klägerin der Behauptung der durchgehenden Akzeptanz ihrer mitgeteilten Sperrzeiten nicht entgegengetreten, so dass auch diese Behauptung der Beklagten als zugestanden galt. Die Beklagte hat somit nicht im Sinne der Rechtsprechung zur Weisungsgebundenheit programmgestaltender Mitarbeiter verbindlich über die Arbeitszeit der Klägerin verfügt, sondern ihre durch Einzelvereinbarungen abgestimmten Dienste lediglich betrieblichen Abläufen zugeordnet.
118Eine gelegentliche Tätigkeit als Übersetzerin würde die Eigenschaft als programmgestaltende Mitarbeiterin nicht infrage stellen, erstens, weil die Durchführung von Übersetzungen je nach Weiterverarbeitung der übersetzten Texte auch im Rahmen redaktioneller Tätigkeiten denkbar ist und differenzierende Angaben der Klägerin auf die Behauptungen der Beklagten dazu fehlen, zweitens, weil angesichts der schriftlichen Vertragssituation und des programmgestaltenden Schwerpunkts der Tätigkeit besondere Anhaltspunkte dafür bestehen müssen, dass die Parteien konkludent einen den Honorar-Rahmenvertrag ergänzenden Arbeitsvertrag zu Übersetzungsarbeiten schließen wollten. Solche besondere Anhaltspunkte hat die Klägerin nicht vorgetragen. Gleiches gilt für die behaupteten Tätigkeiten in der Radiostation.
119(4) Gegen den konkludenten Abschluss eines Arbeitsvertrages spricht zudem, dass die Klägerin keinen konkreten Sachvortrag zu der Ausübung des Weisungsrechts durch die Beklagte in zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Hinsicht gehalten hat. Zunächst wird insoweit auf die Ausführungen unter (3) verwiesen.
120Konkrete Weisungen der Beklagten zu dem Ort ihrer Arbeitsleistung hat die Klägerin nicht vorgetragen.
121Zeitliche Weisungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur dann ein Kriterium für den Abschluss eines Arbeitsvertrages, wenn sie nicht vorherigen Vereinbarungen der Parteien folgen. Wie die Beklagte zu Recht vorträgt und von der Rechtsprechung anerkannt wird, müssen auch mit freien Mitarbeitern Absprachen hinsichtlich Terminen für die Erledigung von Arbeiten möglich sein. Die Klägerin wurde aufgrund von gemeinsam getroffenen Absprachen und nicht aufgrund einseitiger Anweisung der Beklagten tätig, indem sie frei darin war, der Beklagten in unbeschränktem Umfang Sperrzeiten vorzugeben und Urlaub nach freier Wahl zu nehmen.
122Der Sachvortrag der Klägerin zu inhaltlichen Vorgaben ist nicht nur pauschal, sondern betrifft im Wesentlichen Vorgaben zu Arbeitsergebnissen, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch Selbstständigen erteilt werden können, ohne daraus auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages schließen zu müssen. Namentlich betrifft dies die Behauptung der Vorgabe der Themen, der Benutzung bestimmten Filmmaterials, der Gestaltung von Beiträgen mit Interviews, der Verfassung von Skripten und des Schneidens von Videos. All diese Vorgaben sind arbeitsergebnisorientiert. Der Verweis der Klägerin auf angebliche Vorgaben von Vorgesetzten zu „Art und Weise“ der Durchführung ihrer Arbeit ist pauschal, für die Beklagte nicht einlassungsfähig und damit unbeachtlich. Die Klägerin trägt nicht konkret – etwa durch eingehende Schilderung von alltäglichen Abläufen – personenbezogene, ablauf- und verfahrensorientierte Vorgaben oder Anleitungen zu ihrer Vorgehensweise und ihrer Motivation vor. Sie beschreibt vielmehr die Arbeitssituation einer Person, die sowohl Arbeitnehmer als auch freier Mitarbeiter einer Rundfunkanstalt sein kann. Wie unter (3) bereits näher ausgeführt, fehlen im Übrigen konkrete Angaben der Klägerin dazu, wonach ihr die Möglichkeit einer selbständigen Erledigung ihrer Arbeit von der Beklagten so weitgehend genommen wurde, dass von der Eingliederung in einen von dem Auftraggeber geplanten arbeitsteiligen Prozess auszugehen wäre.
123(5) Eine – Indizwirkung für ein Arbeitsverhältnis entfaltende – Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Beklagten gab es allenfalls in Ansätzen. Zwar hat die Beklagte der Klägerin eine E-Mail-Adresse, einen Team-Account und IT-Zugänge z. B. zur Videobearbeitung zur Verfügung gestellt. Andererseits hatte die Klägerin bei der Beklagten keinen festen Arbeitsplatz, keine Telefondurchwahl und arbeitete unstreitig mit zahlreichen verschiedenen Personen zusammen. Das Bild ist insoweit höchstens ambivalent; jedenfalls genügen die vorgetragenen Ansätze für eine Eingliederung in den Betrieb der Beklagten nicht, um im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung gemäß § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB auf die Begründung eines Arbeitsverhältnisses schließen zu können.
124(6) Die Gesamtbetrachtung unter Würdigung der schriftlichen Vertragssituation, der Grundrechte der Beklagten und des Sachvortrags beider Parteien führt deshalb dazu, dass das Vertragsverhältnis der Parteien als freies Mitarbeiterverhältnis zu qualifizieren ist und es daher an der Voraussetzung der Begründung eines Arbeitsverhältnisses als notwendige Bedingung für einen Erfolg der Klageanträge zu 1) und zu 2) fehlte.
1252. Der gegen die Kündigung des Honorar-Rahmenvertrags gerichtete und aufgrund der Unbegründetheit des Klageantrags zu 1) zur Entscheidung angefallene Hilfsantrag zu 3) ist begründet, denn die Beklagte hat nicht dargelegt, dass sie die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen eingehalten hätte. Die Kündigung ist auch nicht in eine ordentliche fristgerechte Kündigung umzudeuten, weil während der Laufzeit des befristeten Honorar-Rahmenvertrags nur eine außerordentliche Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses zulässig ist.
126a) Die Kündigung ist nicht durch Ablauf der Klagefrist gemäß § 4 Satz 1, § 7, § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG wirksam geworden, weil die Klägerin keine Arbeitnehmerin der Beklagten war – eingehend dazu oben 1. a) – und überdies das Rubrum berichtigt worden ist, was für sich genommen selbst bei einer Arbeitnehmereigenschaft zur Wahrung der Klagefrist geführt hätte (vgl. dazu BAG 15.03.2001 – 2 AZR 141/00, zu B. III. 1. der Gründe). Die Klage ist der Beklagten innerhalb von drei Wochen – gerechnet ab dem Datum des Kündigungsschreibens – zugestellt worden.
127b) Gemäß § 18 Abs. 6 TVaP, § 626 Abs. 1 BGB kann das freie Mitarbeiterverhältnis der Parteien aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche fristlose Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erklärt werden. Die Kündigungserklärungsfrist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Wird die Frist versäumt, ist die Kündigung auch dann unwirksam, wenn Tatsachen vorliegen, die einen wichtigen Grund für die Beendigung des Vertragsverhältnisses ausmachen. Die Beklagte hat angesichts des Sachvortrags der Klägerin zu diesem Thema nicht dargelegt, dass die Kündigungserklärungsfrist von ihr eingehalten worden wäre. Aus ihrem Sachvortrag kann unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung anerkannten Darlegungs- und Beweislast mangels konkreter Angaben zur Berechnung der Dauer einer etwaigen Fristhemmung durch Ermittlungen und zur konkreten Kenntniserlangung der kündigungsberechtigten Personen prozessual nur auf eine Fristhemmung bis ungefähr Mitte Dezember 2021 geschlossen werden, so dass die Kündigungserklärung am 11.02.2022 als verfristet gilt. Die Kündigungserklärungsfrist lief bei Zugrundlegung des Sachvortrags der Beklagten auf die konkreten Rügen der Klägerin bereits zwischen Weihnachten und dem Jahresende 2021 ab. Im Einzelnen:
128aa) § 626 Abs. 2 BGB ist ein gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand (BAG 23.01.2014 – 2 AZR 582/13, Rn. 22; BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, Rn. 17 m.w.N.). Ziel von § 626 Abs. 2 BGB ist es, dem Dienstverpflichteten rasch Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nehmen wird (BAG 23.01.2014 – 2 AZR 582/13, Rn. 22; BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, Rn. 17; LAG Baden-Württemberg 03.11.2021 – 10 Sa 7/21, Rn. 56 ff.).
129bb) Die Ausschlussfrist beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat und ihm deshalb die Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses möglich ist (BAG 11.06.2020 – 2 AZR 442/19, Rn. 36; BAG 07.02.2020 – 2 AZR 570/19, Rn. 29; BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, Rn. 18; APS/Vossen, 6. Aufl. 2021, § 626 BGB Rn. 125). Auch grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, Rn. 18 m.w.N.; APS/Vossen, 6. Aufl. 2021, § 626 BGB Rn. 125). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG 11.06.2020 – 2 AZR 442/19, Rn. 36). Von der völligen Unkenntnis des Kündigungssachverhalts ist der Fall zu unterscheiden, dass schon einige Tatsachen bzw. Umstände bekannt sind, die auf einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung hindeuten. Dann kann der Lauf der Ausschlussfrist bereits ausgelöst werden (BAG 07.02.2020 – 2 AZR 570/19, Rn. 30 m.w.N.).
130Allerdings darf der Kündigungsberechtigte, der bislang lediglich Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begänne. Dies gilt indes nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen und Beweismittel verschaffen soll, die ihm die Entscheidung darüber ermöglichen, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 07.02.2020 – 2 AZR 570/19, Rn. 30; BAG 27.06.2019 – 2 ABR 2/19, Rn. 23; BAG 01.06.2017 – 6 AZR 720/15, Rn. 66; BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, Rn. 18; APS/Vossen, 6. Aufl. 2021, § 626 BGB Rn. 127). Es wird dazu in der Rechtsprechung vertreten, dass ein Zeitraum von zwei Monaten für die Durchführung von Ermittlungen zu lang ist, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine solche Ermittlungsdauer rechtfertigen (LAG Rheinland-Pfalz 31.08.2020 – 3 Sa 98/20, Rn. 102; in diese Richtung auch APS/Vossen, 6. Aufl. 2021, § 626 BGB Rn. 128, allerdings zugleich mit dem Hinweis, dass es keine feste Regelfrist gibt). Der Abschluss eines Strafverfahrens zu dem Kündigungsvorwurf kann jedenfalls grundsätzlich abgewartet werden (APS/Vossen, 6. Aufl. 2021, § 626 BGB Rn. 127a m.w.N.). Dies gilt aber nicht für die Durchführung unternehmensinterner Ermittlungen, für die vielmehr der Grundsatz der gebotenen Eile der Aufklärung zur Anwendung gelangt (LAG Baden-Württemberg 03.11.2021 – 10 Sa 7/21, Rn. 57 ff.).
131cc) Nach ständiger Rechtsprechung ist der Kündigungsberechtigte für die Einhaltung der Ausschlussfrist darlegungs- und beweispflichtig (BAG 16.07.2015 – 2 AZR 85/15, Rn. 61; BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, Rn. 21; LAG Köln 16.10.2019 – 5 Sa 221/19, Rn. 48; LAG Berlin-Brandenburg 20.05.2021 – 10 Sa 1667/20, Rn. 26). Derjenige, der eine Kündigung aus wichtigem Grund ausspricht, muss demnach darlegen und ggf. beweisen, dass er von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erst innerhalb der letzten zwei Wochen vor ihrem Ausspruch erfahren hat. Diese Darlegungspflicht ist nicht bereits erfüllt, wenn der Kündigende lediglich allgemein vorträgt, er kenne die Kündigungsgründe nicht länger als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung. Er muss vielmehr die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat (BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, Rn. 21; LAG Köln 16.10.2019 – 5 Sa 221/19, Rn. 48; LAG Berlin-Brandenburg 20.05.2021 – 10 Sa 1667/20, Rn. 26; LAG Mecklenburg-Vorpommern 27.07.2021 – 2 Sa 25/21, Rn. 47; OLG München 25.03.2009 – 7 U 4835/08, zu II. 1. a) der Gründe). Um den Zeitpunkt, in dem der Wissensstand des Kündigungsberechtigten ausreicht, bestimmen zu können, und um es dem Gekündigten zu ermöglichen, die behauptete Schilderung zu überprüfen und gegebenenfalls qualifiziert zu bestreiten, muss grundsätzlich angegeben werden, wie es im Einzelnen zu der Aufdeckung des Kündigungsgrundes gekommen sein soll (BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, Rn. 21 m.w.N.; LAG Köln 16.10.2019 – 5 Sa 221/19, Rn. 48; LAG Berlin-Brandenburg 20.05.2021 – 10 Sa 1667/20, Rn. 26). Hat der Kündigungsberechtigte noch Ermittlungen durchgeführt, muss er hierzu darlegen, welche Tatsachenbehauptungen unklar und daher ermittlungsbedürftig waren, und welche – sei es auch nur aus damaliger Sicht – weiteren Ermittlungen er zur Klärung der Zweifel angestellt hat (BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, Rn. 21; LAG Köln 16.10.2019 – 5 Sa 221/19, Rn. 48; LAG Mecklenburg-Vorpommern 27.07.2021 – 2 Sa 25/21, Rn. 47).
132dd) Unter Anlegung dieser Maßstäbe hat die Beklagte nicht schlüssig dargelegt, dass sie die außerordentliche fristlose Kündigung rechtzeitig, d. h. innerhalb der letzten zwei Wochen nach zügiger Ausermittlung des Sachverhalts, ausgesprochen hätte.
133(1) Die Beklagte trägt schon nicht im Sinne der Rechtsprechung zum Umfang der Darlegungslast vor, wie genau (d. h. im Einzelnen) sie zu welchen Erkenntnissen gekommen ist, die ihr Anlass für die Kündigung vom 11.02.2022 gaben. Ihr Vortrag erschöpft sich im Wesentlichen in der weitgehend pauschalen Behauptung, dass sie erst durch den schriftlichen Untersuchungsbericht von Herrn N. und Frau A. von den streitgegenständlichen Äußerungen der Klägerin auf Facebook und deren Bedeutung konkret erfahren habe und dass in den über zwei Monaten zuvor intensive Ermittlungen und Recherchen durchgeführt worden seien. Einzelheiten des Ablaufs der Kenntnisnahme des streitgegenständlichen Kündigungssachverhalts teilt sie nicht mit und ermöglicht der Klägerin damit weder eine eigene Prüfung noch die Möglichkeit, die Behauptungen in der Folge ggf. qualifiziert zu widerlegen. Sie äußert sich nicht dazu, wann wem welche Veröffentlichung auf Facebook bekannt geworden ist und inwieweit dies Anlass für etwaige weitere Ermittlungsschritte gab. Auch trägt die Beklagte nicht vor, in welcher Person sie von dem Kündigungssachverhalt erfahren hat. Sie ist überdies der – angesichts des Medienechos und der Einladung des Intendanten in den Bundestag durchaus lebensnahen – Behauptung der Klägerin, dass der schriftliche Untersuchungsbericht der Beklagten bereits vor der Pressekonferenz von Herrn N. und Frau A. am 06.02.2022 bekannt gewesen sei, nicht – etwa durch Mitteilung von Details der Vorlage des schriftlichen Untersuchungsberichts bei den kündigungsberechtigten Personen – entgegengetreten.
134(2) Die Behauptung der Beklagten, von dem Kündigungssachverhalt im Wesentlichen erst durch den schriftlichen Untersuchungsbericht erfahren zu haben, steht zudem teilweise in Widerspruch zu dem Umstand, dass die Beklagte sich bereits Anfang Dezember 2021 in der Lage sah, die Klägerin zu problematischen Facebook-Veröffentlichungen anzuhören. Zumindest ein erster Teil des streitgegenständlichen Sachverhalts musste der Beklagten also bereits spätestens Anfang Dezember 2021 bekannt sein. Welcher Teil des Sachverhalts dies exakt war und wann im Einzelnen welche weiteren Erkenntnisse aufgrund welcher Ermittlungsmaßnahmen erlangt worden sind, ergibt sich aus dem Sachvortrag der Beklagten nicht.
135Die Beklagte legt auch nicht im Einzelnen dar, wie sie durch den Untersuchungsbericht konkrete Erkenntnisse über den Kündigungssachverhalt erlangt haben will, weil sie sich nicht im Einzelnen zu dem die Klägerin betreffenden Inhalt des Untersuchungsberichts und dessen Verhältnis zu ihren tatsächlichen Behauptungen im Prozess geäußert hat. Sie hätte etwa zumindest die Klägerin betreffende Auszüge aus dem Bericht vorlegen oder diesbezüglichen konkreten Sachvortrag halten können. Bis auf sehr kurze und die Äußerungen der Klägerin überhaupt nicht betreffende Auszüge hat sie den Untersuchungsbericht nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht und auch nicht die keineswegs ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung der Klägerin, dass die streitgegenständlichen Veröffentlichungen bereits Mitte Oktober 2021 abgespeichert und der Beklagten in der Folge bekannt geworden seien, widerlegt. Der Vortrag der Beklagten ist damit insgesamt deutlich zu ungenau, um auf die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist schließen zu können.
136(3) Die Beklagte trägt überdies angesichts des Bestreitens der Klägerin nicht in prozessual hinreichendem Umfang vor, dass sie notwendige Ermittlungsmaßnahmen mit der gebotenen Eile durchgeführt hätte und dass der Fristbeginn damit während der Durchführung der Ermittlungen nach Anhörung der Klägerin durchgehend gehemmt gewesen sei. Nach eigener Behauptung erfuhr sie durch die Veröffentlichung eines Artikels in der Süddeutschen Zeitung am 30.11.2021 erstmals von problematischen Äußerungen der Klägerin. Sowohl ausgehend von diesem Datum als auch ausgehend von der Anhörung der Klägerin am 03.12.2021 sind bis zu der Fertigstellung des Untersuchungsberichts und damit dem behaupteten Abschluss der Ermittlungen mehr als zwei Monate verstrichen. Damit müsste ein besonders gelagerter Fall vorliegen, der außergewöhnlich intensive bzw. langwierige Ermittlungsmaßnahmen gerechtfertigt hätte. Einen solchen besonders gelagerten Fall hat die Beklagte nicht dargelegt. Aber auch unabhängig davon ergeben sich die erforderliche Dauer der Ermittlungsmaßnahmen und ihre eilige Durchführung nicht aus dem Vortrag der Beklagten, weil sie Ermittlungsschritte überhaupt nicht im Einzelnen dargelegt hat.
137Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang allgemein vorträgt, dass sie Äußerungen der Klägerin mit Äußerungen anderer Personen – von welchen Personen und mit welchem Inhalt genau bleibt offen – ins Verhältnis setzen und einer eingehenden Bewertung unterziehen musste, ist dieser rechtliche Ansatz für die Kammer nicht nachvollziehbar. Zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens hat die Beklagte vorgetragen, dass die Klägerin bei Erstellung der streitgegenständlichen Facebook-Beiträge mit Dritten zusammengewirkt hätte. Es handelt sich nicht um einen Fall komplexer Wirtschaftskriminalität mit Zusammenwirken zahlreicher Beteiligter (dazu und zur etwaigen Hemmung der Kündigungserklärungsfrist bis zur Vorlage eines Untersuchungsberichts in solchen Fällen etwa Giese/Dachner, NZA 2022, S. 538 ff.; a. A. – individuelle Fristberechnung auch in komplexen Untersuchungskonstellationen – LAG Baden-Württemberg 03.11.2021 – 10 Sa 7/21, Rn. 57 ff.). Es ist nachvollziehbar, dass Veröffentlichungen der Klägerin recherchiert, verifiziert, übersetzt und geprüft werden mussten. Aus dem Sachvortrag der Beklagten ergibt sich aber nicht, warum dafür ein längerer Zeitraum als wenige Tage erforderlich war. Welche Erkenntnisse zu welchen Beiträgen der Klägerin bei Facebook im Rahmen der Ermittlungen wann vorlagen, warum daraus eine besondere Komplexität folgte und warum welche weiteren Ermittlungsschritte insoweit notwendig wurden und überdies tatsächlich und zeitlich konkretisiert durchgeführt worden sind, ergibt sich aus dem pauschalen Sachvortrag der Beklagten nicht. Die weitere Behauptung der Beklagten, dass der Untersuchungskommission „Material“ anonym zugespielt worden sei, ist nicht einlassungsfähig und damit prozessual unbeachtlich.
138Anerkannt werden kann damit aus Gründen der Darlegungslast ein Zeitraum von allenfalls ca. zwei Wochen nach dem 03.12.2021, bis die Kündigungserklärungsfrist zu laufen begann. Soweit die Beklagte sich auf die Bedeutung der Angelegenheit und die daraus folgende Notwendigkeit einer externen Ermittlung beruft, ist selbstverständlich anzuerkennen, dass die Beklagte den in der Medienberichterstattung erhobenen Antisemitismusvorwürfen intensiv, differenziert und planvoll nachgehen und insbesondere auch etwaige strukturelle Probleme und daraus folgenden etwaigen Handlungsbedarf identifizieren wollte. Diesem Ziel stand aber – soweit dem Sachvortrag der Parteien zu entnehmen – keineswegs entgegen, parallel eine die Klägerin betreffende arbeitsrechtliche Aufklärung und Prüfung in der gebotenen Eile durchzuführen, daraus folgende individualarbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen und erst in einem zweiten und ggf. ungleich komplexeren Schritt, womöglich auch viele Wochen oder Monate später, etwaige strukturelle Mängel zu identifizieren, für die Zukunft abzustellen und die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Dem Sachvortrag der Beklagten lässt sich nicht im Ansatz entnehmen, dass – gerade auch angesichts des ungleich umfassenderen Auftrags der Untersuchungskommission (vgl. Anlage B 8 zur Duplik vom 16.06.2022, Bl. 366 der Akte) – etwaige die Klägerin betreffende Zwischenergebnisse nicht bereits deutlich vor Februar 2022 vorlagen und Anlass zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen geben konnten.
139(4) Die Beklagte konnte sich der Anforderungen an die in der ständigen Rechtsprechung anerkannte Notwendigkeit eiliger Ermittlungen und der diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast auch nicht dadurch begeben, dass sie eine externe Untersuchung in Auftrag gegeben hatte. Sie hatte keine grundsätzlich zum Abwarten berechtigenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, sondern eine private Untersuchung angestoßen und deren Zuschnitt und ggf. auch Ablauf zumindest teilweise in der Hand. Ihr ist die Geschwindigkeit des Handelns der von ihr beauftragten Personen analog § 278 Satz 1 BGB, der einen allgemeinen Rechtsgedanken der Verantwortungszuschreibung enthält und auch für Obliegenheiten gilt (vgl. MünchKomm-BGB/Grundmann, 9. Aufl. 2022, § 278 BGB Rn. 24 m.w.N.), zuzurechnen. Dieser Aspekt ist rechtlich deutlich von der Frage zu trennen, dass während der Untersuchung gewonnene Erkenntnisse der privaten Ermittlungspersonen mangels Kündigungsberechtigung für sich genommen nicht zu einem Beginn der Kündigungserklärungsfrist führten. Der Unterschied zu einer staatsanwaltschaftlichen Aufklärung liegt in dem von dem Dienstberechtigten selbst definierten, deshalb mitgesteuerten und zumindest potentiell parteiischen Auftrag, während die Staatsanwaltschaft unabhängig von zeitlichen Erwartungen und Vorgaben des Dienstberechtigten sowie für und gegen den Beschuldigten ermittelt (§ 160 Abs. 2 StPO). Sinn und Zweck von § 626 Abs. 2 BGB ist zudem die schnelle Klarheit für den präsumtiven Kündigungsempfänger. Dies erfordert, private Ermittlungen auch dann nach allgemeinen Grundsätzen – d. h. eilige Durchführung und Abschluss, wenn weitere aussagekräftige Erkenntnisse nicht mehr zu erwarten sind – zu behandeln, wenn sie institutionalisiert, also etwa wie hier durch eine Untersuchungskommission, durchgeführt werden (LAG Baden-Württemberg 03.11.2021 – 10 Sa 7/21, Rn. 57 ff.).
140Die Beklagte hatte in Kenntnis der auch arbeitsrechtlichen Dimension einen Untersuchungsauftrag erteilt. Es bestanden daher entweder Auskunfts- und ggf. Weisungsrechte an Herrn N. und Frau A. aus dem dem Untersuchungsauftrag zu Grunde liegenden Vertrag, so dass es den Verantwortlichen bei der Beklagten zur Fristwahrung gemäß § 626 Abs. 2 BGB oblag, z. B. durch die Einholung von Zwischenauskünften und etwaige Weisungen zu weiteren zügigen Ermittlungen für eine Fristwahrung durch Gewährleistung einer Fristhemmung zu sorgen bzw. bei Abschluss der Ermittlungen rechtzeitig die Klägerin betreffende Maßnahmen zu ergreifen; ggf. hat die Beklagte dies versäumt. Oder aber die Beklagte hätte sich, wenn solche Rechte vertraglich ausgeschlossen worden wären bzw. sie rein tatsächlich von Anfang Dezember 2021 bis Anfang Februar 2022 keinerlei Zwischenstände zu den Ermittlungen erhalten hätte, analog § 278 Satz 1 BGB der in Bezug auf arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen die Klägerin womöglich unzureichenden Geschwindigkeit der Untersuchungskommission unterworfen. Ob einer dieser denkbaren Abläufe zutrifft oder ob es tatsächlich nachvollziehbare und nur nicht schlüssig dargelegte Gründe für die lange Dauer der Ermittlungen gab, ist dem Gericht nicht bekannt. Die Entscheidung beruht auf dem diesbezüglich unzureichenden bzw. teils unschlüssigen Sachvortrag der Beklagten. Die vorstehenden Ausführungen sollen allein begründen, warum die Kammer die allgemein anerkannten Maßstäbe an die gebotene Geschwindigkeit der Sachverhaltsaufklärung angelegt hat.
141Die Anforderungen an die Darlegungslast zur Fristwahrung werden von der Kammer insoweit auch nicht überspannt, da Auskünfte zu konkreten Ermittlungsschritten bei der Untersuchungskommission eingeholt werden könnten, wenn sie der Beklagten nicht ohnehin bereits vorlägen. Zumindest als Nebenpflicht aus dem dem Untersuchungsauftrag zu Grunde liegenden Vertrag folgen derartige Auskunftspflichten der Ermittlungspersonen, um der Beklagten die Verteidigung in einem Zivilprozess zu ermöglichen (§ 666 BGB, ggf. in Verbindung mit § 675 Abs. 1 BGB).
142c) Die Kündigung vom 11.02.2022 kann auch nicht gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, weil gemäß § 18 Abs. 6 TVaP eine ordentliche Kündigung des befristeten Honorar-Rahmenvertrags ausgeschlossen ist.
143Gemäß § 140 BGB ist eine Umdeutung möglich, falls ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. Voraussetzung einer Umdeutung ist, dass das andere Rechtsgeschäft nicht nichtig wäre und die Tatbestandsvoraussetzungen des anderen Rechtsgeschäfts vorlägen, da das nichtige Rechtsgeschäft sonst den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts nicht entspräche (näher BeckOGK/Beurskens, Stand 01.10.2021, § 140 BGB Rn. 53 f.).
144Danach bestand ein Recht zur ordentlichen Kündigung nur bei dem ersten Honorar-Rahmenvertrag, den die Parteien 2019 geschlossen hatten (§ 18 Abs. 6 Satz 1 TVaP). Der ab dem 01.01.2022 geltende Honorar-Rahmenvertrag war bereits der dritte, den die Parteien geschlossen hatten. § 18 Abs. 6 Satz 2 TVaP sieht das Recht zur ordentlichen Kündigung befristeter Beschäftigungsverhältnisse (d. h. ab dem zweiten Honorar-Rahmenvertrag) nur für den Mitarbeiter vor. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass die Beklagte nur außerordentlich fristlos kündigen konnte. Davon gehen im Übrigen nach der diesbezüglichen mündlichen Erörterung in der Kammerverhandlung auch beide Parteien aus.
145d) Somit endet der Honorar-Rahmenvertrag der Parteien und damit das Beschäftigungsverhältnis erst mit Ablauf seiner Befristung (31.12.2023).
146III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Urteilskostenquote wurde gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG unter Ausklammerung des zurückgenommenen Hilfsantrags auf Zahlung gebildet, da über diesen Antrag nicht entschieden worden ist. Die Klägerin hat mit ihrer Kündigungsschutzklage obsiegt (3/7 der Kosten) und mit den übrigen Anträgen verloren (4/7 der Kosten). Wegen der Bewertung der entschiedenen Anträge wird auf IV. verwiesen.
147IV. Den Rechtsmittelstreitwert hat die Kammer gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG, §§ 3 ff. ZPO unter Berücksichtigung des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit und der in § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG regelten Grundsätze mit sieben durchschnittlichen Bruttomonatsvergütungen im Urteil festgesetzt. Auf den Kündigungsschutz- und den Befristungskontrollantrag entfallen jeweils drei Bruttomonatsvergütungen (vgl. Ziffern I. 11. und 20. des Streitwertkatalogs). Die auf den Hilfsantrag zu 3) mitentschiedene Statusfrage wurde mit einer weiteren Bruttomonatsvergütung bewertet.
148V. Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG sind nicht gegeben. Die Zulässigkeit einer Berufung für beide Parteien ergibt sich aus § 64 Abs. 2 b), c) ArbGG.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- §§ 145 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)