Urteil vom Arbeitsgericht Essen - 8 Ga 50/03
Tenor
I. Die Verfügungsbeklagte wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- € in jedem Fall der Zuwiderhandlung, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern der Verfügungsbeklagten, G. P. L., C. K., B. L., zu unterlassen
1.) für ihre Arbeitnehmer einseitig einen Notdienst im Rahmen gewerkschaftlicher Arbeitskampfmaßnahmen im Rahmen der Tarifauseinandersetzungen 2003 für die Niederlassungen in F. und E. einzurichten oder aufrechtzuerhalten;
2.) im Rahmen eines einseitig eingerichteten Notdienstes in diesen Niederlassungen ihre Arbeitnehmer unter Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen im Fall von Verstößen gegen die einseitige Notdienstbestellung vom 21.07.2003 zu Notdienstarbeiten zu verpflichten.
II. Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Verfügungsklägerin zu 1/3 und der Verfügungsbeklagten zu 2/3 auferlegt.
IV. Der Streitwert wird auf 20.000,- € festgesetzt.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Berechtigung der Verfügungsbeklagten, in ihren Niederlassungen in E. und F. im Rahmen eines von der Verfügungsklägerin organisierten Streiks einseitig einen Notdienst einzurichten.
3Die Verfügungsklägerin kündigte als Tarifvertragspartei mit Schreiben vom 16.12.2002 gegenüber dem tarifschließenden Bundesverband Deutscher X.- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) fristgerecht zum 30.04.2003 die für das X.- und Sicherheitsgewerbe NRW bestehenden Lohn-, Gehalts-, und Ausbildungstarifverträge.
4Die Verfügungsbeklagte ist ein Sicherheitsunternehmen in Nordrhein-Westfalen, das u.a. in F. und in E. eine Niederlassung betreibt. In den Niederlassungen in F. sind ca. 235 Mitarbeiter und E. ca. 240 Mitarbeiter beschäftigt. Die Niederlassung in F. betreut 40 Kunden bzw. Objekte in Separatwachdienst. Die Niederlassung in E. betreut ca. 49 Kunden bzw. Objekte.
5Die Tarifverhandlungen über den Neuabschluss der gekündigten Tarifverträge scheiterten Ende April 2003. Auch durch einen Schlichtungsversuch des nordrhein-westfälischen Landeschlichters konnte der Tarifkonflikt nicht beigelegt werden. Die Verfügungsklägerin führte in der Zeit vom 07.07.2003 bis 11.07.2003 in über 30 Betrieben des X.- und Sicherheitsgewerbes in NRW, u.a. in den Niederlassungen der Verfügungsbeklagten in F. und E., Urabstimmungen durch. Rund 80 % der befragten w. Mitglieder entschieden sich für die Durchführung eines Arbeitskampfes. Mit Beginn der Frühschicht am 22.07.2003 um sechs Uhr rief die Verfügungsklägerin rund 800 Beschäftigte im Ruhrgebiet und Rheinland zur Arbeitsniederlegung auf. Hiervon sind insgesamt sieben Unternehmen des X.- und Sicherheitsgewerbe, u.a. auch die Verfügungsbeklagte betroffen.
6Mit Schreiben vom 15.05.2003 (Anlage K 1 zum Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 22.07.2003), vom 11.06.2003 ( Anlage K 3 zum Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 22.07.2003) und vom 15.7.2003 (Anlage K 4 zum Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 22.07.2003) forderte die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin auf, Verhandlungen über eine Notstandsvereinbarung für den Fall eines Arbeitskampfes aufzunehmen. Mit Schreiben vom 18.07.2003 - wegen dessen Inhalt wird auf die Anlage K 5 zum Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 22.07.2003 verwiesen - teilte die Verfügungsklägerin mit, dass sie das Schreiben der Verfügungsbeklagten 15.07.2003 als gegenstandslos betrachte, weil seit dem 17.07.2003 durch den Sekretär des w. Bezirks E., S. L., mit der Firma L. über Notdienstvereinbarungen verhandelt werde.
7Für die Niederlassung der Verfügungsbeklagten in E. wurden am 17.07.2003 und 21.07.2003 Verhandlungen über den Abschluss einer Notdienstvereinbarung geführt. Diese führten zu keinem Ergebnis, weil die Verfügungsbeklagte, wie sie in ihrem Schreiben vom 21.07.2003 selbst ausführt, sich im Rahmen der Verhandlungen über eine Notdienstvereinbarung weigerte, die Namen und Bezeichnungen der von ihr betreuten Objekte und die entsprechenden Kundendaten zu nennen. Wegen den Einzelheiten dieses Schreiben wird auf die zur Akte gereichte Kopie (Bl. 38 d.A.) verwiesen. Die Verhandlungsführer der Verfügungsklägerin wurden aufgefordert, ein Verschwiegenheitserklärung zu unterzeichen. In dem vorformulierten Text war eine Vertragsstrafe in Höhe von 2.560,- € für jeden nachgewiesenen Verstoß gegen die Verschwiegenheitsverpflichtung vorgesehen. Die Verhandlungsführer der Verfügungsklägerin weigerten sich, diese Vereinbarung zu unterzeichnen. Das Angebot des Vertreters der Verfügungsklägerin, die Verhandlungen am 17.07.2003 abends oder am 18.07.2003 fortzuführen, wurde von der Verfügungsbeklagten abgelehnt.
8Der stellvertretende Geschäftsführer des w.-Bezirks F., Herr H., erfuhr am Vormittag des 21.07.2003, dass die zentrale Tarifkommission der Verfügungsklägerin beschlossen hatte, die Niederlassung der Verfügungsbeklagten in F. ab dem 22.07.2003 zu bestreikten. Er bot in Namen der Verfügungsklägerin am 21.07.2003 um 11:00 Uhr zunächst telefonisch und dann um 11:15 Uhr per Fax Verhandlungen über die Einrichtung eines Notdienstes in der Niederlassung in F. für den 21.07.2003 für die Zeit von 12:00 Uhr bis 13:30 Uhr, alternativ für 19:00 Uhr bis 20:30 Uhr an. Die Verfügungsbeklagte teilte der Verfügungsklägerin um 16:16 Uhr mit, dass die für den 21.07.2003 angebotene Zeit für die Verhandlungen nicht ausreichen würde. Die Verfügungsbeklagte teilte mit, dass sie erst am 24.07.2003 um 14:00 Uhr in Lage sei, Verhandlungen zu führen. Mit Schreiben vom 21.07.2003 hat die Verfügungsklägerin diesen Termin bestätigt.
9Die Verfügungsklägerin rief am 21.07.2003 zu Arbeitsniederlegungen in den Niederlassung der Verfügungsbeklagten in F. und E. ab dem 22.07.2003 auf. Die Verfügungsbeklagte ließ ein auf den 21.07.2003 datiertes Schreiben, das mit Notdienstbestellung bei Streik überschrieben ist, an ca. 120 Mitarbeiter, darunter auch Mitglieder der Verfügungsklägerin, der Niederlassung in F. und E. verteilen. Wegen dem Inhalt dieses Schreibebens wird auf die zur Akte gereichte Kopie (Bl. 34 d.A.) Bezug genommen.
10Die Verfügungsklägerin hat von der Notdienstbestellung erst am Abend des 21.07.2003 erfahren. Die Niederlassung der Verfügungsbeklagten in F. und E. werden seit dem 22.07.2003 von der Verfügungsklägerin bestreikt. Seit Beginn des Streiks beteiligen sich in den Niederlassungen E. und F. weniger als 50 % der bei der Verfügungsbeklagten beschäftigten Mitarbeiter.
11Die Verfügungsbeklagte leitet am 23.07.2003 bei dem Betriebsrat der Niederlassung E. das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs.1 BetrVG zu der beabsichtigten fristlosen Kündigung der Mitarbeiter N. N., L. X. und N. H. ein. Zur Begründung der beabsichtigten fristlosen Kündigungen hat die Verfügungsbeklagten in den jeweiligen Zustimmungsantragsformularen (Anlage 1 zum Schriftsatz der Verfügungsklägerin vom 23.07.2003 ) angeführt Arbeitsverweigerung, Verstoß gegen die Notdienstanordnung.. Diese Mitarbeiter sind dem Streikaufruf der Verfügungsklägerin gefolgt und haben sich an dem Streit beteiligt.
12Die Verfügungsklägerin vertritt die Auffassung, dass die Verfügungsbeklagte nicht berechtigt sei, im Rahmen ihres seit dem 22.07.2003 begonnenen Streiks einseitig einen Notdienst einzurichten. Sie hält die Notdienstbestellung mit Schreiben vom 21.07.2003 für unwirksam. Die Verfügungsbeklagten würde durch ihr Verhalten rechtswidrig in das Streikrecht der Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten und damit auch in das Streikrecht der Verfügungsklägerin eingreifen. Die Verhandlungen über eine Notdienstvereinbarung für die Niederlassung E. seien bisher daran gescheitert, dass die Verfügungsbeklagte - was unstreitig ist - sich geweigert hat, die Daten der von ihr betreuten Kunden und Objekte zu nennen, für die die Verfügungsbeklagten die Einrichtung eines Notdienstes für notwendig erachtet. Für die Verfügungsklägerin sei die sachliche Überprüfung der Begründetheit des Notdienstkonzepts unerlässlich, um zu vermeiden, dass durch ein unbegründet umfangreiches Notdienstkonzept rechtswidrig in das individuelle Streikrecht der Arbeitnehmer eingegriffen werde. Eine Überprüfung sei auch erforderlich, um zu überprüfen, ob der Notdienst dazu eingesetzt werde, das Streikrecht der Verfügungsklägerin zu unterlaufen und diese in ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Betätigungsfreiheit zu verletzen. Die Vorenthaltung der Namen und Adressen der Kunden bzw. der Objekte, bei denen die zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer eingesetzt werden, mache diese Prüfung unmöglich.
13Die Verfügungsklägerin beantragt,
141.)die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verurteilen, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- € in jedem Fall der Zuwiderhandlung, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten für die Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu unterlassen
15a.) für ihre Arbeitnehmer einseitig einen Notdienst im Rahmen gewerkschaftlicher Arbeitskampfmaßnahmen einzurichten oder aufrechtzuerhalten;
16b.) im Rahmen eines einseitig eingerichteten Notdienstes ihre Arbeitnehmer unter Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen im Fall von Verstößen gegen die einseitige Notdienstbestellung zu Notdienstarbeiten zu verpflichten;
172.)die Verfügungsbeklagte unter Androhung eines Zwangsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung bis zu 25.000,00 €, ersatzweise Zwangshaft bis zu sechs Monaten für die Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten, zu verpflichten, bei er Bestimmung von Art, Umfang und Personaleinsatz des Notdienstes aus Anlass gewerkschaftlicher Arbeitskampfmaßnahmen mit der Verfügungsklägerin zusammenzuwirken;
18Die Verfügungsbeklagte beantragt,
19den Antrag zurückzuweisen.
20Die Verfügungsbeklagte vertritt die Auffassung, dass sie berechtigt sei, für ihre Niederlassungen in E. und F. einseitig einen Notdienst einzurichten. Sie hält die mit Schreiben vom 21.07.2003 ausgesprochene Notdienstbestellung für wirksam. Daher besteht nach ihrer Auffassung kein Verfügungsanspruch. Ihre Mitarbeiter hätten unterschiedliche sicherheitsrelevante Aufgaben ihrer Kunden übernommen. Zu diesen Aufgaben gehöre die Überwachung von Brandmeldeanlagen, die Überwachung von technischen Anlagen sowie die Durchführung von Eingangs- und Ausgangskontrollen. Wegen der Einzelheiten des diesbezüglichen Vorbringens der Verfügungsbeklagten wird auf ihre Ausführungen im Schriftsatz vom 22.07.2003 auf Seite 2 und 3 verwiesen.
21Ein Verfügungsgrund, so meint die Verfügungsbeklagte, würde nicht vorliegen. Es sei zu berücksichtigen, dass in dem Geschäftsbereich der Verfügungsbeklagten ein harter Konkurrenzkampf herrsche. Es seien diverse Konkurrenten, die nicht von dem Streik bedroht seien, an diverse Auftraggeber herangetreten, um diese abzuwerben. Es stehe zu befürchten, dass die Verfügungsbeklagte bei Nichtaufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs durch Durchführung eines Notdienstes zahlreiche Aufträge verlieren würde. Angesichts des harten Konkurrenzkampfes sei dies für die Verfügungsbeklagte existenzgefährdend. Die Rechte der Verfügungsklägerin seien, so meint die Verfügungsbeklagte, nicht beeinträchtigt, weil diese als streikführende Gewerkschaft zur Duldung der notwendigen Sicherungsarbeiten verpflichtet sei. Die Rechte der vom Notdienst betroffenen Arbeitnehmer seien nicht gefährdet, da diese arbeitsvertraglich zur Leistung des Notdienstes verpflichtet seien. Soweit es der Verfügungsbeklagten verwehrt wäre ihre Überwachungstätigkeit im Rahmen eines Notdienstes aufrechtzuerhalten würde dies zu einer existenziellen Gefahr für die Bevölkerung im Umfeld der überwachten Industrieanlagen führen. Die Verhandlung über eine Notdienstvereinbarung in E. seien gescheitert, weil der Verhandlungsführer der Verfügungsklägerin auf die Nennung des Namens der Sicherungsobjekte bestanden habe. Diese könne die Verfügungsbeklagte aus datenschutzrechtlichen bzw. arbeitsvertraglichen Geheimhaltungspflichten nicht nennen.
22Die Verfügungsklägerin hat ihre tatsächlichen Angaben in dem Antragsschriftsatz und in dem Schriftsatz vom 23.07.2003 glaubhaft gemacht durch die eidesstattliche Versicherung des stellvertretenden Geschäftsführers w. Bezirk F. Herrn M. H. vom 22.07.2003 (Anlage 3 zum Antragsschriftsatz vom 21.07.2003 Bl. 35 d.A.) durch die Vorlage der Pressemitteilungen vom 07.07.2003 und 21.07.2003 (Anlage 1 zum Antragsschriftsatz vom 21.07.2003 Bl. 31bis 33 d.A), die Vorlage des Schreibens der Verfügungsbeklagten vom 21.07.2003 (Anlage 2 zum Antragsschriftsatz vom 21.07.2003 Bl. 34 d.A.), der Vorlage ihrer beiden Schreiben vom 21.07.2003 (Anlage 4 zum Antragsschriftsatz vom 21.07.2003 Bl. 36, 37 d.A.), der Vorlage des Schreibens der Verfügungsbeklagten vom 21.07.2003 (Anlage 5 zum Antragsschriftsatz vom 21.07.2003 Bl. 38 d.A.), durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Gewerkschaftssekretärs w. Bezirk E. Herr S. L. vom 23.07.2003 (Anlage 2 zum Schriftsatz der Verfügungsklägerin vom 23.07.2003.) und durch die Vorlage der Anlage 1 zum Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 23.07.2003.
23Die Verfügungsbeklagte hat ihre tatsächlichen Angaben in dem Antragserwiderungsschriftsatz vom 22.07.2003 glaubhaft gemacht durch eidesstattliche Versicherung des Leiters der Niederlassung F. D. G. vom 23.07.2003, durch die Vorlage ihres Schreibens vom 15.05.2003 (Anlage K 1 zum Schriftsatz vom 22.07.2003), durch Vorlage ihrer Schreibens vom 11.06.2003 (Anlage 3 zum Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 22.07.2003), durch Vorlage ihres Schreiben vom 15.07.2003 (Anlage K 4 zum Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 22.07.2003) und durch Vorlage des Schreibens der Verfügungsklägerin vom 18.07.2003 (Anlage K 5 zum Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 22.07.2003.).
24Wegen den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
25Entscheidungsgründe
26Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und war daher im übrigen zurückzuweisen.
27I.
28Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung vom 22.07.2003 ist bezüglich des unter Ziffer 2.) gestellten Antrags unzulässig, weil dieser den Streitgegenstand nicht hinreichend genau bezeichnet und damit keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat (vgl. zu diesem Erfordernis Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessrecht, 23. Auflage, § 935, Rdnr. 4). Die Verfügungsklägerin hat weder in dem Antrag selbst noch in der Begründung der Antragsschrift vom 22.07.2003 ausgeführt, in welcher Art und Weise die Verfügungsbeklagte mit der Verfügungskläger bei der Planung und Durchführung des Notdienstes zusammenwirken soll.
29II.
30Der Antrag der Verfügungsklägerin zu Ziffer 1 ist dagegen zulässig (1.) und begründet (2.).
311.)
32Der Antrag zu Ziffer 1.) ist zulässig. Das Urteilsverfahren ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG die richtige Verfahrensart. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts F. ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 17 ZPO, weil die Verfügungsbeklagte ihren Sitz in F. hat. Der - nach Auffassung der Kammer unpräzise formulierte - Antrag der Verfügungsklägerin zu Ziffer 1.) war als prozessuale Erklärung dahin auszulegen, dass diese sich gegen den zunächst beabsichtigten und später von der Verfügungsbeklagten durchgeführten Notdienst im Rahmen der seit 22.07.2003 stattfindenden Arbeitskampfmaßnahmen in der Niederlassung der Verfügungsbeklagten in F. und E. richtet.
332.)
34Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist insoweit begründet, da sowohl die Voraussetzungen des erforderlichen Verfügungsanspruchs (a.) als auch die Voraussetzungen des Verfügungsgrundes (b.) von der Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht worden sind.
35a.)
36Der von der Verfügungsklägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich in analoger Anwendung der §§ 823, 1004 BGB. Die einseitige Einrichtung und Durchführung eines Notdienstes durch die Verfügungsbeklagte in ihren Niederlassungen in F. und E. sowie die einseitige Bestellung von Mitarbeitern durch das Schreiben vom 21.07.2003 zur Durchführung von Notdienstarbeiten während des seit dem 22.07.2003 durchgeführten Arbeitskampfes verletzen unmittelbar das individuelle Streikrecht der herangezogenen Arbeitnehmer und damit mittelbar auch das Streikrecht der Verfügungsklägerin. Das Recht der Verfügungsklägerin, einen Streik zur Erzwingung eines Tarifvertrages durchzuführen, gehört zum Kernbereich der den Gewerkschaften durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Betätigungsgarantie als Bestandteil der kollektiven Koalitionsfreiheit (vgl. BVerfGE 93, Seite 365, 393 m.w.N.). Dieses Recht ist ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 BGB, dessen Verletzung einen Unterlassungsanspruch der betroffenen Gewerkschaft nach §§ 823, 1004 BGB auslöst.
37aa.)
38Die Verfügungsbeklagte hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass Arbeitnehmer auch während eines gewerkschaftlich organisierten Streiks verpflichtet sind, notwendige Notdienst- und Erhaltungsarbeiten durchzuführen (vgl. BAG, Urteil vom 31.01.1995, 1 AZR 142/94, AP Nr. 135 zu Art. 9 GG Arbeitskampf m.w.N.). Diese Einschränkung des Streikrechts führt nach der Überzeugung der Kammer aber nicht dazu, dass die Verfügungsbeklagte berechtigt wäre, im Rahmen eines gewerkschaftliche organisierten Arbeitskampfes einseitig einen Notdienst anzuordnen und durchzuführen. Die Kammer vertritt - jedenfalls für den Regelfall - in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Frankfurt a.M. vom 22.04.1969 (Urteil vom 22.04.1969 - 5 Sa 627/68, AP Nr. 40 zu Art. 9 GG Arbeitskampf), der Entscheidung des Landesarbeitsgericht Niedersachsen vom 01.02.1980 (Urteil vom 01.02.1980 - 10 Sa 110/79, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf), einer nicht veröffentlichen Entscheidung der 12. Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 25.03.1992 ( Urteil vom 25.03.1993, 12 Ga 7/92) und in Übereinstimmung mit Teilen der arbeitsrechtlichen Literatur (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 10 Auflage, § 194, Rdnr. 12 m.w.N.; Brox in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Auflage, Rdnr. 293) die Auffassung, dass die Organisation eines arbeitskampfbedingten Notdienstes nicht allein durch den Arbeitgeber erfolgen kann. Vielmehr ist ein solcher Notdienst grundsätzlich gemeinsam von Arbeitgeber und der streikenden Gewerkschaft zu organisieren mit der Folge, dass die einseitige Organisation durch den Arbeitgeber als rechtswidriger Eingriff in das Streikrecht der betroffenen Arbeitnehmer und Gewerkschaft zu qualifizieren ist. Die Kammer macht sich die rechtlichen Erwägungen in den zuvor zitierten Entscheidungen, insbesondere die Ausführungen des Arbeitsgerichts Stuttgart in dem Urteil vom 25.03.1993 auf den Seiten 7 bis 10 der Entscheidungsgründe zu eigen (vgl. Anlage 4 des Schriftsatzes der Verfügungsklägerin vom 24.07.2003.).
39bb.)
40Der von der Verfügungsbeklagten einseitige eingerichtete und organisierte Notdienst in ihren Niederlassungen in F. und E. sowie die einseitige Bestellung von ca. 120 Mitarbeitern zur Durchführung von Notdienstarbeiten mit Schreiben vom 21.07.2003 sind nach Auffassung der Kammer als rechtswidrig zu beurteilen.
41Nach Auffassung der Kammer erfolgte die Einrichtung eines Notdienstes in den Niederlassungen in F. und E. am 21.07.2003 und die Bestellung von ca. 120 Mitarbeitern zur Durchführung von Notdienstarbeiten gerade im Hinblick auf den für den 22.07.2003 erwarteten Streik, um der Verfügungsklägerin die Durchführung des Arbeitskampfes zu erschweren. Zunächst erscheint der Kammer die Anzahl der herangezogenen Mitarbeiter - insgesamt ca. 120 Mitarbeiter verteilt auf beide Niederlassungen - gemessen an der gesamten Belegschaft von 475 Mitarbeiter ( ca. 240 Mitarbeiter in E. und 235 Mitarbeiter in F.) als unangemessen hoch. Hierbei handelt es sich immerhin um ca. 39 % der Belegschaft. Denn der Notdienst im Rahmen eines - wie hier zulässigen - gewerkschaftlichen Streiks dient nur dazu, um notwendige und existenzsichernde Maßnahmen durchzuführen. Die Verfügungsbeklagte hat keine konkreten Tatsachen vorgetragen, aus denen sich die Notwendigkeit eines Notdienstes in einem solchen Umfang ergeben würde. Die Notdienstbestellung mit Schreiben vom 21.07.2003 wurde auch an Mitglieder der Verfügungsklägerin gerichtet, die an den ausgerufenen Arbeitskampf teilnehmen wollten. Dies erscheint im Hinblick auf den Umstand, dass ohnehin nur 50 % der Belegschaft beider Niederlassungen zum Arbeitskampf aufgerufen worden sind und angesichts des geringen Organisationsgrades bei der Verfügungsbeklagten bedenklich. Denn die Verfügungsbeklagte hat nicht dargelegt, aus welchen Grunde gerade streikende Mitglieder der Verfügungsklägerin zur Durchführung von Notdienstarbeiten bestellt werden mussten. Sie hätte sich bei der Notdienstbestellung zunächst auf nichtstreikende Arbeitnehmer beschränken können. Plausible Gründe dafür, warum dies nicht möglich gewesen sein soll, hat die Verfügungsbeklagte nicht vorgetragen. Der Einwand der Verfügungsbeklagten, sie würde bei Nichtaufrechterhaltung des eingesetzten Notdienstes zahlreiche Aufträge verlieren, ist schon deshalb unbeachtlich, da dieser pauschale Vortrag mit keinerlei Tatsachen belegt ist. Zudem ist es gerade Sinn und Zweck eines gewerkschaftlichen Streiks, auf den Arbeitgeber einen wirtschaftlichen Druck auszuüben. Für eine Existenzgefährdung der Verfügungsbeklagten fehlt jeglicher substantiierter Sachvortrag. Auch der Vortrag der Verfügungsbeklagten zu einer angeblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. der Gefährdung der Bevölkerung für den Fall, dass sie keinen Notdienst durchführen würde, ist nicht mit konkreten Tatsachen belegt und damit ebenfalls unbeachtlich. Würde man der Verfügungsbeklagten aufgrund des bisherigen Sachvortrages derzeit das Recht einräumen, im Rahmen des seit dem 22.07.2003 durchgeführten gewerkschaftlichen Streiks den einseitig angeordneten Notdienst aufrechtzuerhalten bzw. durchzuführen, wäre das Streikrecht der zum Notdienst bestellten Arbeitnehmer und damit das Streikrecht der Verfügungsklägerin massiv beeinträchtigt. Die Verfügungsbeklagte könnte der Verfügungsklägerin die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen dadurch unmöglich machen, dass sie streikende Arbeitnehmer zu Notdienstarbeiten heranzieht, ohne dass die Notwendigkeit die Maßnahme von der Verfügungsklägerin überprüft werden könnte. Zu Lasten der Verfügungsbeklagten spricht auch, dass sie bei dem Betriebsrat der Niederlassung in E. das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG zur beabsichtigten fristlosen Kündigung der streikenden Mitarbeiter N., X. und H. wegen Verstoß gegen die Notdienstbestellung eingeleitet hat. Durch diese Maßnahme wird auf die übrigen Mitarbeiter, die sich entgegen der Notdienstbestellung vom 21.07.2003 an dem Streik beteiligen, ein unangemessener Druck ausgeübt. Dieser könnte dazu führen, dass sich ein großer Teil der streikwilligen Arbeitnehmer dazu entschließt, dem Streikaufruf der Verfügungsklägerin nicht zu folgen, um den eigenen Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Daher kann der einseitig eingerichtete Notdienst von der Verfügungsbeklagten als Druckmittel eingesetzt werden, um den seit dem 22.07.2003 in ihren Niederlassungen in E. und F. durchgeführte Streik faktisch zu unterbinden.
42Die Kammer vertritt die Auffassung, dass die Verfügungsbeklagte aufgrund des bisherigen Vortrages des Verfügungsbeklagten auch nicht im Sinne eines Notwehrrechts berechtigt war, ihre Mitarbeiter mit Schreiben vom 21.07.2003 zu dem einseitig eingerichteten Notdienst zu bestellen bzw. diesen Notdienst aufrecht zu halten. Denn die Verfügungsbeklagte hat nicht schlüssig vorgetragen, dass die Verfügungsklägerin die Verhandlungen über eine Notdienstvereinbarung, insbesondere für die Niederlassung in E. am 17.07.2003 und 21.07.2003, unberechtigt und bewusst hat scheitern lassen. Die Verfügungsbeklagte hat eingeräumt, dass sie sich im Rahmen der Verhandlungen über die Notdienstvereinbarung für die Niederlassung in E. geweigert hat, die Namen und Bezeichnungen der von ihr betreuten Objekte und die entsprechenden Kundendaten zu nennen. Die Verhandlungsführer der Verfügungsklägerin habe auf deren Nennung bestanden, so dass die am 17.07.2003 und 21.07.2003 geführten Verhandlungen gescheitert sind. Nach Auffassung der Kammer hätte die Verfügungsbeklagte den Verhandlungsführern der Verfügungsklägerin diese Informationen zur Verfügung stellen müssen. Ohne Kenntnis der Objekte und Kunden, bei denen ein Notdienst eingerichtet werden muss, ist es der Verfügungsklägerin nicht möglich, die Angaben der Verfügungsbeklagten zu überprüfen. Die bloße Beschreibung der betreffenden Objekte ohne namentliche Nennung ist nicht ausreichend. Die Verfügungsklägerin benötigt auch die namentliche Nennung der Kunden und Objekte, um prüfen zu können, ob die Einrichtung eines Notdienstes auch erforderlich ist. Nur so kann verhindert werden, dass die Verfügungsbeklagte die Einrichtung eines Notdienstes dazu nutzt, um den von der Verfügungsklägerin getragenen Streik zu unterlaufen. Die Verfügungsbeklagte beruft sich zwar auf Geheimhaltungspflichten gegenüber ihren Kunden und auf arbeitsvertragliche Geheimhaltungspflichten ihrer Verhandlungsführer bzw. Geschäftsführer. Diese Geheimhaltungspflichten, die offensichtlich dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen dienen, müssen gegenüber dem durch Art 9 Abs. 3 GG geschützten Streikrecht der Verfügungsklägerin, das zum Kernbereich der Betätigungsgarantie gehört, zurücktreten. Daher mussten die Verhandlungsführer der Verfügungsklägerin auch die strafbewährte Verschwiegenheitserklärung nicht akzeptieren. Nach Auffassung der Kammer hätten Verhandlungen über den Abschluss einer Notdienstvereinbarung für die Niederlassung in F. auch am 21.07.2003 nach Abschluss der Verhandlungen über die Notdienstvereinbarung für die Niederlassung in E. durchgeführt werden können. Die Verfügungsbeklagte hat auch nicht schlüssig dargelegt, dass Verhandlungen über eine Notdienstvereinbarung am 22.07.2003 und 23.07.2003 nicht möglich gewesen sind. Daher hat die Verfügungsbeklagte das Scheitern der Verhandlungen über eine Notstandsvereinbarung selbst zu vertreten. Schließlich fehlt - wie bereits ausgeführt - jeglicher substantiierter Vortrag für das Vorliegen einer Existenzgefährdung der Verfügungsbeklagten und für das Vorliegen erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit bzw. für die Bevölkerung für den Fall, dass die Verfügungsbeklagte den einseitig angeordneten Notdienst nicht aufrechterhalten würde.
43b.)
44Auch der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund im Sinne des § 940 ZPO liegt vor. Die in diesem Zusammenhang erforderliche besondere Eilbedürftigkeit ist gegeben. Der Verfügungsklägerin würden wesentliche Nachteile im Sinne des § 940 ZPO drohen, wenn man sie auf den Hauptsacherechtsschutz verweisen würde. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in einem möglichen Hauptsacheverfahren über den geltend gemachten Unterlassungsanspruch wäre der von der Verfügungsklägerin organisierte Streik in den Niederlassungen der Verfügungsbeklagten in F. und E. schon längst beendet. Die Verfügungsbeklagte könnte durch ihr - wie bereits dargelegt - offensichtlich rechtswidriges Verhalten der Verfügungsklägerin die Durchführung des Arbeitskampfes faktisch unmöglich machen. Hierdurch würde, verwiese man die Verfügungsklägerin auf den Hauptsacherechtschutz, ein irreparabler rechtswidriger Zustand geschaffen. In diesen Fällen ist es zulässig, durch den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung, den Rechtsstreit in der Hauptsache vorweg zunehmen. Aus den zuvor genannten Gründen steht der Eilbedürftigkeit auch nicht entgegen, dass die Parteien am 24.07.2003 um 14:00 Uhr Verhandlungen über den Abschluss einer Notstandsvereinbarung für die Niederlassung in F. und E. durchführen. Denn in der Aufrechterhaltung des mit Schreiben vom 21.07.2003 bestellten Notdienstes liegt derzeit weiterhin ein rechtswidriger Eingriff in die Betätigungsfreiheit der Verfügungsklägerin, den diese derzeit nicht zu dulden hat. Allein durch die Aufnahme von Verhandlungen über eine Notdienstvereinbarung wird dieser Zustand nicht beseitigt.
45III.
46Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Der Streitwert war im Tenor des Urteils gemäß §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 3 ZPO auf 20.000,- € festzusetzen. Die Kammer hat den Streitwert angesichts der Bedeutung dieser Entscheidung für den bereits begonnenen Arbeitskampf auf das fünffache des gesetzlichen Regelwerts bemessen.
47Rechtsmittelbelehrung
48Gegen dieses Urteil kann von jeder Partei
49B e r u f u n g
50eingelegt werden.
51Die Berufung muss
52innerhalb einer N o t f r i s t * von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils
53beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax: (0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
54Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle können Vertreter einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis haben Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten Organisationen stehen, solange die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt.
55* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
56gez. Dr. Päuser
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