Urteil vom Arbeitsgericht Hagen - 4 Ga 14/00
Tenor
Der Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den Verfügungskläger als Scanner-Operator entsprechend der bisherigen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses zu beschäftigen.
Der Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Verfahrenswert wird auf DM festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten darum, ob der Verfügungsbeklagte (im folgenden Beklagter) den Verfügungskläger (im folgenden Kläger) tatsächlich zu beschäftigen hat oder nicht.
3Der am geborene, verheiratete, einem Kinde gegenüber unterhaltsverpflichtete Kläger trat mit Wirkung vom als technischer Angestellter in die Dienste der Gemeinschuldnerin. Bei einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von war er zuletzt als Scanner-Operator beschäftigt. Seine Ehefrau ist mit einem Grad von % schwerbehindert, der Kläger selbst zu %. Seit Mitte 1999 ist er den Schwerbehinderten gleichgestellt (Bescheid des Arbeitsamtes Hagen vom , Blatt 16 der Akte).
4Am 01.06.2000 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet. Der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 07.06.2000 stellte er den Kläger unter Anrechnung auf bestehende Urlaubsansprüche von der Arbeit frei (Blatt 9 der Akte). Mit ihm wurden weitere 35 Mitarbeiter freigestellt. Der Scanner-Operator wird weiterbeschäftigt. Er ist Jahre alt, etwas länger als der Kläger beschäftigt, verheiratet und keinen weiteren Personen gegenüber unterhaltsverpflichtet.
5Am 28. Juni 2000 schlossen der Beklagte und der Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. Am 30.06.2000 kündigte der Beklagte daraufhin allen Arbeitnehmern zum 30.09.2000. Das Arbeitsverhältnis zum Kläger kündigte er bisher nicht.
6Mit dem am 09. Juni 2000 bei Gericht eingegangenen Antrag begehrt der Kläger die Verurteilung des Beklagten zu seiner tatsächlichen Weiterbeschäftigung als Scanner-Operator.
7Der Kläger ist der Auffassung, daß ihn die Freistellung härter träfe als den in der gleichen Funktion weiterbeschäftigten Kollegen . Zu berücksichtigen sei nämlich, daß seine Frau zu % schwerbehindert und ohne Einkommen sei und er ein Kind zu unterhalten habe. Daß er nun Arbeitslosengeld erhielte, träfe ihn besonders stark. Zudem verlöre er den Überblick über die laufenden Aufträge und eine spätere Integration in den Betrieb würde dadurch erschwert. Seinen Sachvortrag macht er glaubhaft durch Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vom 07.06.2000 (Blatt 8 der Akte).
8Der Kläger beantragt,
9dem Beklagten aufzugeben, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes von bis zum 50.000,-- DM bzw. Zwangshaft, ihn als Scanner-Operator entsprechend der bisherigen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses einzusetzen und tätig werden zu lassen.
10Der Beklagte beantragt,
11den Antrag zurückzuweisen.
12Er trägt vor: Die Freistellung der Mitarbeiter sei aufgrund der wirtschaftlichen Lage erforderlich gewesen. Insoweit nehme er Bezug auf das Gutachten vom (Blätter 29 bis 37 der Akte). Der Kläger verkenne die insolvenzspezifischen Probleme. Wenn keine sinnvolle Beschäftigung der Arbeitnehmer möglich sei und sie aus der Masse nicht bezahlt werden könnten, müsse die Freistellung durch den Insolvenzverwalter erfolgen. Eine solche Freistellung, die letztlich nur den Verzicht auf die Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer beinhalte, sei ohne weiteres zulässig. Dem könne das Interesse des Arbeitnehmers an seiner tatsächlichen Arbeitsleistung nicht mehr entgegenstehen, zumal eine sinnvolle Tätigkeit wegen der betrieblichen Einschränkung nicht möglich sei. Wenn auch die Entgeltansprüche des Arbeitnehmers nicht gesichert aus der Masse gezahlt werden könnten, sei es dem Arbeitnehmer auch nicht mehr zuzumuten, noch Arbeitsleistungen zu erbringen. Im übrigen sei das BAG in seiner Entscheidung vom 18.12.1986 (ZIP 1987, 798) ohne weiteres von der Zulässigkeit der Freistellung durch den Konkursverwalter ausgegangen.
13Dem Kläger stünde deshalb weder Verfügungsanspruch noch Verfügungsgrund zur Seite.
14Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
16Der Antrag ist begründet.
17I.
18Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund sind gegeben. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund des zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhaltes aus Rechtsgründen fest.
19Der Kläger ist seit dem als Scanner-Operator tätig. Geregelt wird das Arbeitsverhältnis durch den am geschlossenen Anstellungsvertrag (Blätter 6 und 7 der Akte). Im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses hat der Kläger nicht nur Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung, er kann vielmehr auch verlangen, entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen tatsächlich beschäftigt zu werden (BAG, Urteil vom 10.11.1955 in AP Nr. 2 zu § 611 BGB "Beschäftigungspflicht"; BAG, Urteil vom 13.06.1990 in EzA Nr. 44 zu § 611 BGB "Beschäftigungspflicht"). Eine Freistellung gegen den Willen des Klägers ist nur zulässig, wenn überwiegende und schutzwürdige Interessen des Beklagten dies gebieten (BAG, Urteil vom 19.08.1976 in AP Nr. 4 zu § 611 "Beschäftigungspflicht"). Dies gilt entgegen der Auffassung des Beklagten auch für ihn als Insolvenzverwalter. Er ist Partei kraft Amtes und übt die Arbeitgeberfunktion aus. Ein "originäres Freistellungsrecht" ist ihm nicht zuzubilligen (so auch Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 18. Juni 1996 - 9 Ga 17108/96 - in ZAP ERW 1997, 62 - 64 mit Anmerkung Berscheid). Zutreffend ist allerdings die Auffassung des Beklagten, grundsätzlich Arbeitnehmer dann freistellen zu dürfen, wenn für sie eine sinnvolle Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht besteht und die Zahlung ihrer Arbeitsvergütungen durch die Insolvenzmasse nicht sichergestellt ist. Der vorliegende Fall bietet aber die Besonderheit, daß der Beklagte den Arbeitskollegen des Klägers tatsächlich als Scanner-Operator weiterbeschäftigt, für ihn also Beschäftigungsmöglichkeit hat und ihm auch Arbeitsvergütung zahlen kann. Bei dieser Fallgestaltung ist es dem Beklagten zuzumuten, die schutzwürdigen Interessen des den Schwerbehinderten gleichgestellten Klägers zu berücksichtigen. § 14 II 1 SchwbG sieht die besondere Förderung des Schwerbehinderten vor. Daraus läßt sich die Verpflichtung des Arbeitgebers herleiten, den Schwerbehinderten entsprechend seinen Möglichkeiten auch tatsächlich einzusetzen (BAG, Urteil vom 10.07.1991 in NZA 1992, 27). Hinzu kommt, daß der Kläger gegenüber dem tatsächlich weiterbeschäftigen Scanner-Operator sozial schutzwürdiger ist, weil er eine nicht berufstätige, zu % schwerbehinderte Ehefrau und ein Kind zu unterhalten hat. Das war vom Beklagten bei der Freistellung zu berücksichtigen. Er hätte mithin nicht den Kläger, sondern dessen Arbeitskollegen von der Arbeit freistellen können und müssen.
20Gründe dafür, ob dem dringende betriebliche Erfordernisse bzw. überwiegende schutzwürdige Interessen des Beklagten entgegenstehen, hat dieser nicht vorgetragen. Die Darlegungslast für diesen Ausnahmetatbestand obliegt allerdings ihm (LAG München, Urteil vom 19.08.1992 in NZA 1993, 1130). Der Beklagte hat sich darauf beschränkt, die Rechtsansicht zu vertreten, ohne weitere Nachprüfbarkeit seiner Entscheidung dazu berechtigt zu sein, Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen.
21Wie dargelegt, wird die besondere Situation des Klägers dieser generell vertretenen Auffassung des Beklagten nicht gerecht. Er ist deshalb zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Klägers, notfalls unter Freistellung dessen Arbeitskollegen, verpflichtet.
22Mittlerweile, das ist unstreitig zwischen den Parteien, ist das Arbeitsverhältnis zu dem Scanner-Operator gekündigt, während das des Klägers ungekündigt fortbesteht. Bei einer möglichen Fortführung des Unternehmens wäre der Kläger fortzubeschäftigen. Insoweit ist der Einwand von ihm nachvollziehbar, ohne tatsächliche Beschäftigung verlöre er den Bezug zum Produktionsprozeß, was seine tatsächliche, spätere Integration erheblich erschweren würde. Damit ist auch der Verfügungsgrund gegeben. Dem Kläger kann nicht zugemutet werden, das Hauptsacheverfahren abzuwarten, weil sein Recht, im bestehenden Arbeitsverhältnis tatsächlich beschäftigt zu werden, zumindest bis zum 30. September 2000, nicht zu sichern wäre.
23II.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, diejenige der Streitwertfestsetzung auf den §§ 61 I ArbGG, 3 ZPO. Der Verfahrenswert war mit zwei monatlichen Bruttoarbeitsvergütungen des Klägers zu bewerten.
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