Urteil vom Arbeitsgericht Hagen - 1 Ca 1168/05
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, die Freigabe des beim Amtsgericht Dortmund, AZ.: 4 HL 255/04 hinterlegten Betrages von 5.533,02 EURO nebst Zinsen in Höhe von eins vom Tausend monatlich seit dem 05.05.2005 zu bewilligen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf 5.533,02 EURO festgesetzt.
1
Tatbestand :
2Die Parteien streiten um die Frage, wem der von der V1-Lebensversicherung AG beim AG Dortmund hinterlegte Rückkaufswert einer Lebensversicherung zusteht.
3Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der C1 T1 AG mit Sitz in D2; das Insolvenzverfahren wurde durch Beschluss des AG Dortmund am 30.04.2004 eröffnet (Bl. 6, 7 d.A.). Die Insolvenzschuldnerin ihrerseits ist hervorgegangen aus der S3 C3 AG, bei der der Beklagte auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 59 –64 d.A.) seit dem 16.06.1999 als Entwicklungsleiter beschäftigt war. Unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens übertrug die Klägerin das Sachanlagevermögen, den Firmenwert sowie weitere Beteiligungen der Insolvenzschuldnerin an die S3 S4 GmbH, bei der der Beklagte noch heute beschäftigt ist. In einer Mitteilung an den Beklagten vom 30.04.2004 (Bl. 79a, b d.A.) wies die Klägerin den Beklagten darauf hin und erläuterte, es handele sich um einen Betriebsübergang. Über diese rechtliche Bewertung streiten die Parteien nicht.
4Die S3 C3 AG schloss mit Wirkung zum 01.07.1999 eine Direktversicherung als Versicherungsnehmerin zugunsten des Beklagten als versicherte Person bei der V1 Lebensversicherung AG unter der Versicherungsscheinnummer T 1234567.1-123 ab. Eine Kopie des Versicherungsscheins ist zur Gerichtsakte gereicht (Bl. 67-77 d.A.). Sowohl auf Bl. 8 des Versicherungsscheines (Bl. 74 d.A.) als auch im dazugehörigen Antrag vom 30.06.1999 ( Bl. 8, 8a d.A.) heißt es u.a. wörtlich:
5Der versicherten Person wird auf die Leistung aus der ... Versicherung ..... ein nicht übertragbares und nicht beleihbares unwiderrufliches Bezugsrecht unter nachstehendem Vorbehalt eingeräumt:
6Dem Versicherungsnehmer bleibt das Recht vorbehalten, alle Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles endet, es sei denn, die versicherte Person hat die Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit nach dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung erfüllt.
7Zwischen der S3 C3 AG und dem Beklagten wurde ergänzend am 25.04.2003 vereinbart, dass die arbeitsvertraglich vereinbarte Sonderzahlung als Umwandlung von Barlohn in die Versicherung einfließt und der Beklagte unwiderruflich bezugsberechtigt ist. Auf die Vereinbarung (Bl. 65, 66 d.A.) wird Bezug genommen. Diese Vereinbarung der Unwiderruflichkeit des Bezugsrechts wurde gegenüber der V1 Lebensversicherung AG nicht angezeigt und fand keinen Eingang in das Versicherungsvertragsverhältnis zwischen der S3 C3 AG und dem Versicherungsunternehmen, wie die Parteien übereinstimmend im Kammertermin erklärt haben.
8Die Klägerin verlangte die Auskehrung des Rückkaufswertes der Versicherung zuletzt mit Schreiben vom 12.08.2004 (Bl. 20 – 22 d.A.) von der V1. Diese wiederum hinterlegte den Rückkaufswert beim AG Dortmund zum AZ 4 HL 255/04 (Bl. 23, 24 d.A.). Aufforderungen zur Einwilligung in die Freigabe des hinterlegten Betrages an den Beklagten zuletzt unter Fristsetzung zum 04.05.2005 lehnte dieser ab.
9Die Klägerin meint, sie sei aufgrund der Vereinbarung zum eingeschränkt widerruflichen Bezugsrecht im Versicherungsvertrag zwischen ihr als Partei kraft Amtes und der V1 befugt, die Lebensversicherungssumme zur Masse zu ziehen. Dies entspreche der ständigen arbeitsgerichtliche Rechtsprechung insbesondere des Bundesarbeitsgerichts. Soweit der Bundesgerichtshof jüngst eine andere Auffassung vertreten habe, folge die Klägerin dieser nicht.
10Die Klägerin beantragt
11den Beklagten zu verurteilen, die Freigabe des beim Amtsgericht Dortmund , AZ 4 HL 255/04, hinterlegten Betrages von € 5.533,02 nebst Zinsen in Höhe von eins vom Tausend monatlich seit dem 05.05.2005 an die Klägerin zu bewilligen.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Der Beklagte ist der Auffassung, mit der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei davon auszugehen, dass die Regelung im Versicherungsvertrag zum Bezugsrecht dahingehend auszulegen sei, dass dieses im Insolvenzfalle des Arbeitgebers vollständig unwiderruflich werde. Denn der Zweck des Vorbehalts zum BetrAVG liege darin, den Arbeitnehmer bis zur Unverfallbarkeit seiner Anwartschaft zur Betriebstreue anzuhalten. Dieser Zweck könne in der Insolvenz nicht mehr erreicht werden.
15Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die ausgetauschten und zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze.
16Entscheidungsgründe :
17A.
18Die Klage ist zulässig.
19Die Rechtswegzuständigkeit ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG.
20Die Klägerin als Insolvenzverwalterin ist mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Stelle der früheren Arbeitgeberin des Beklagten, der Firma C1 T1 AG, getreten und übt als Partei kraft Amtes für diese deren Rechte aus (vgl. zur Amtstheorie nur BAG, 04.12.1986, NZA 1987, S. 460; 10.08.1988, ZIP 1988, 1587 (1588)). Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung; das BAG vertritt auch weiterhin die Amtstheorie (BAG, Urteil 03.04.2001 auch– 9 AZR 143/00 – Pressemitteilung; Urteil 11.12.01 – 9 AZR 459/00 – Pressemitteilung; vgl. auch Lakies, Die Verfügungsansprüche der Arbeitnehmer in der Insolvenz, in: NZA 2001, S. 521 ff. (524)).
21B.
22Die Klage ist auch begründet.
23Die Klägerin hat einen Anspruch auf Einwilligung in die Auskehrung des beim AG Dortmund hinterlegten Betrages aus dem Rückkaufswert der oben näher bezeichneten Versicherung aus § 812 Abs. 1, S. 1, 2 Alt. BGB zuzüglich der geltend gemachten Zinsen dem Beklagten gegenüber, weil der Beklagte die aus der Hinterlegung durch die V1 entstandene Rechtsposition ohne Rechtsgrund und auf Kosten der Klägerin erlangt hat (vgl. zur Anspruchsgrundlage Palandt-Heinrichs, BGB, vor § 372 Anm. 6). Denn die Klägerin ist berechtigt, die zu Gunsten des Beklagten abgeschlossene Lebensversicherung bei der V1 Lebensversicherung AG der Insolvenzmasse zuzuführen.
24a)
25Dem Beklagten steht nämlich ein Aussonderungsrecht nach §§ 47, 48 InsO nicht zu, weshalb der Rückkaufswert in die Vermögenszuständigkeit der Insolvenzmasse fällt.
26aa)
27Nach ständiger Rechtsprechung des BAG, der sich die erkennende Kammer anschließt, müssen das Versicherungsverhältnis und das zwischen dem Unternehmen und dem Beschäftigten bestehende Versorgungsverhältnis voneinander unterschieden werden (siehe nur BAG, Urteil vom 26.02.1991 – 3 AZR 213/90 -, in: NZA 1991, S. 845 ff; Urteil vom 17.10.1995 – 3 AZR 622/94 –, in: DB 1996, S. 1240 ff.; Urteil vom 08.06.1999 – 3 AZR 136/98 -, in: NZA 1999, S. 1103 ff.). Bei einer Direktversicherung besteht ein sogenanntes Dreiecksverhältnis. Der Unternehmer ist Versicherungsnehmer. Der Beschäftigte ist Versicherter. Dem Beschäftigten stehen nur die im Versicherungsvertrag vereinbarten Bezugsrechte zu. Stimmen diese Bezugsrechte nicht mit der Versorgungszusage überein, so hat der Unternehmer seine arbeits- bzw. dienstvertraglichen Versorgungspflichten nicht vollständig erfüllt. Der Beschäftigte hat dann gegen den Unternehmer einen Anspruch auf Abänderung des Bezugsrechts. Die Rechte aus dem Versicherungsvertrag hängen nur insoweit von den Rechten aus dem arbeits- bzw. dienstvertraglichen Versorgungsverhältnis ab, als dieses Rechtsverhältnis aufgrund einer versicherungsvertraglichen Vereinbarung oder kraft Gesetzes auf das Versicherungsverhältnis einwirkt.
28In einer solchen Konstellation kann der Insolvenzverwalter das Bezugsrecht aufgrund des Versicherungsvertrages widerrufen, wenn dies in diesem Vertragsverhältnis möglich ist. Er handelt dann zwar möglicherweise arbeitsvertragswidrig, wenn dem betroffenen Arbeitnehmer arbeitsvertraglich ein unwiderrufliches Bezugsrecht zugesagt worden ist und macht sich deshalb schadensersatzpflichtig im Verhältnis zu dem/der betroffenen Arbeitnehmer/in. Bezüglich eines daraus resultierenden Schadensersatzanspruch ist der/die betroffene Arbeitnehmer/in jedoch auf eine Anmeldung zur Insolvenztabelle zu verweisen (BAG, 08.06.1999, a.a.O., NZA 1999, S. 1105); ggf. handelt es sich um einen Masseanspruch, was hier nicht zu entscheiden war.
29Dies folgt daraus, dass der Insolvenzverwalter Vermögensgegenstände, an denen kein Aus- oder Absonderungsrecht besteht, der Insolvenzmasse erhalten und für die möglichst weitgehende gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzforderungen sorgen muss (BAG, Urteil vom 26.02.1991, a.a.O., unter III der Gründe; Urteil vom 17.10.1995, a.a.O., unter II. 3. der Gründe).
30Vorliegend war die Unwiderruflichkeit der Bezugsrechte aus der Lebensversicherung, die die damalige S3 C3 AG zugunsten des Beklagten bei der V1 Lebensversicherung AG abgeschlossen hatte, nur im Verhältnis Beklagter zu S3 C3 AG vereinbart (Vertragsabrede vom 25.04.2003, vom Beklagten vorgelegt). Die Unwiderruflichkeit war nicht Gegenstand des Versicherungsvertragsverhältnisses der S3 C3 AG zum Versicherungsunternehmen geworden. Die Klägerin konnte daher wirksam die Lebensversicherung Nr. T 1234567.1-123 bei der V1 Lebensversicherung AG widerrufen und den Rückkaufswert auch zur Insolvenzmasse ziehen, ohne sich aus §§ 47, 48 InsO zahlungspflichtig dem Beklagten gegenüber zu machen. Er ist auf die Geltendmachung einer arbeitsvertraglichen Schadensersatzforderung zu verweisen, s.o.
31bb)
32Der Beklagte kann sich für ein Recht am Rückkaufswert der Versicherung auch nicht auf ein etwaiges Treuhandverhältnis stützen, aus dem ihm ein Aussonderungsrecht zugestanden habe, das die Klägerin verletzt habe (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.03.1992 – 17 U 201/91 – DB 1992, 1981 (Leitsatz)). Denn dadurch würden im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und Bundesverwaltungsgerichts die arbeitsrechtlichen und versicherungsrechtlichen Rechtsbeziehungen vermengt (so BAG, Urteil vom 08.06.1999 a.a.O. NZA 1999, S. 1104).
33cc)
34Aus eben diesen Gründen folgt die erkennende Kammer nicht der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 08.06.2005 (IV ZR 30/04; u.a. ZInsO 2005, 768; vgl. zur Kritik an der Entscheidung auch Hinkel, ZInsO 2005, 796-797). Der BGH hat hier (anders noch im Urteil vom 18.07.2002, IX ZR 264/01, bei juris abrufbar) darauf abgestellt, dass eine Auslegung des im Versicherungsvertrag vereinbarten Vorbehalts ergebe, dass dieses im Insolvenzfalle strikt unwiderruflich werde (so auch OLG Düsseldorf, NZA RR 2001, 601). Nach Auffassung der Kammer berücksichtigen diese Entscheidungen nicht, dass eine Auslegung einer Erklärung im Versicherungsverhältnis rechtsdogmatisch nur dann möglich ist, wenn sich in der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Versicherungsgesellschaft eine auslegungsfähige Unklarheit ergibt. Umstände aus dem Arbeitsverhältnis müssen hier unberücksichtigt bleiben, wenn sie, wie der vorliegende Rechtsstreit zeigt, dem Versicherungsunternehmen verborgen bleiben. Im Rechtsverhältnis zur V1 Lebensversicherung AG ist hingegen kein Spielraum für eine Auslegung des Vorbehalts, da dieser eindeutig ist: Die Inbezugnahme der gesetzlichen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen des BetrAVG beschreibt ohne jeden Zweifel den Inhalt des Vorbehalts: er folgt § 1 BetrAVG.
35dd)
36Die Insolvenzverwalterin handelt auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie Vermögensgegenstände, an denen kein Aus- oder Absonderungsrecht besteht, der Insolvenzmasse zuführt und für die möglichst weitgehende gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzforderungen sorgt (vgl. erneut BAG, Urteil vom 08.06.1999 a.a.O. NZA 1999, S. 1105). Soweit die von der Insolvenzschuldnerin übernommenen vertraglichen Pflichten dann nicht erfüllt werden, verweist das Insolvenzrecht auf Schadensersatzansprüche, s.o.
37ee)
38Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Verzug des Beklagten zur Erteilung der Freigabeerklärung ab 05.05.2005, vgl. § 286 BGB.
39C.
40Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 91 ff. ZPO.
41Die Streitwertfestsetzung ergibt sich gemäß §§ 46 Abs. 2, 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ff. ZPO.
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