Urteil vom Arbeitsgericht Hagen - 5 Ca 442/11
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.614,60 Euro festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten für die Monate Juli 2010 bis einschließlich Juli 2011 darüber, ob die Klägerin nach dem von ihr beanspruchten Entgelttarifvertrag der Arbeiterwohlfahrt (AWO) NRW oder auf der Grundlage der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nach den von der Tarifgemeinschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mit dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ e.V.) abgeschlossenen Tarifverträgen zu vergüten ist.
3Die 1980 geborene Klägerin war zunächst ab dem 21.12.2006 befristet beim AWO Bezirksverband Westliches Westfalen e.V. im Seniorenzentrum I beschäftigt. Mit dem befristeten Arbeitsvertrag vom 29.06.2007 (Blatt 36 bis 39 der Akte) wurde sie ab dem 01.07.2007 von der Beklagten, welche ein Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen mit Sitz wie der AWO Bezirksverband Westliches Westfalen e.V. und mit diesem konzernmäßig verbunden ist, als „Hauswirtschaftshilfe“ eingestellt. Nachdem die ursprüngliche Befristung dieses Arbeitsverhältnisses insgesamt fünfmal verlängert wurde, besteht aufgrund des Anerkenntnisurteils vom 10.12.2010 in dem Rechtsstreit – 5 Ca 2482/10 – ab dem 01.01.2011 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien. Dabei ist der Einsatzort der Klägerin weiterhin das AWO Seniorenzentrum I auf dem bisherigen Arbeitsplatz. Bei einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von zuletzt 20 Stunden erhielt die Klägerin von der Beklagten neben einer Einsatzzulage von 0,80 Euro brutto pro Stunde und diversen Zuschlägen den Stundenlohn des jeweils geltenden IGZ-DGB-Entgelttarifvertrages für die Entgeltgruppe 1, nämlich in den Monaten Juli 2010 bis April 2011 einen Stundensatz von 7,80 Euro brutto und ab Mai 2011 einen Betrag in Höhe von 7,99 Euro brutto pro Stunde (vgl. die Kopien der Verdienstabrechnungen für die Monate Juli 2010 bis Februar 2011 auf Blatt 17 bis 34 der Akte, für März 2011 auf Blatt 67 bis 69 der Akte, für April 2011 auf Blatt 77 und 78 der Akte, für Juni 2011 auf Blatt 110 bis 112 der Akte sowie für Juli 2011 auf Blatt 119 und 120 der Akte). Dies erfolgte auf der Grundlage der auf Seite 1 des Arbeitsvertrages vom 29.06.2007 (Blatt 36 bis 39 der Akte) unter der Überschrift „Tarifliche Regelung“ zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung, wonach auf das Arbeitsverhältnis im Sinne einer dynamischen Verweisung die folgenden IGZ-DGB-Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung finden: Manteltarifvertrag Zeitarbeit (MTV), Entgeltrahmentarifvertrag Zeitarbeit (ERTV), Entgelttarifvertrag Zeitarbeit (ETV) und der Tarifvertrag Beschäftigungssicherung Zeitarbeit.
4Mit Wirkung zum 01.07.2010 ist im MTV, ERTV und ETV die Regelung in § 1 zum Geltungsbereich um den folgenden Satz ergänzt worden:
5„Der Tarifvertrag findet keine Anwendung auf Zeitarbeitsunternehmen und –unternehmensteile, die mit dem Kundenunternehmen einen Konzern im Sinne des § 18 Aktiengesetz bilden, wenn
6a) das Zeitarbeitsunternehmen in einem ins Gewicht fallenden Maße zuvor beim Kundenunternehmen beschäftigte Arbeitnehmer übernimmt und
7b) die betroffenen Arbeitnehmer auf ihrem ursprünglichen oder einem vergleichbaren Arbeitsplatz im Kundenunternehmen eingesetzt werden und
8c) dadurch bestehende im Kundenunternehmen wirksame Entgelttarifverträge zuungunsten der betroffenen Arbeitnehmer umgangen werden.“
9Mit ihrer am selben Tage vorab per Telefax (Blatt 1 bis 7 der Akte) beim Arbeitsgericht Hagen eingegangenen Klage vom 02.03.2011 (Blatt 8 bis 14 der Akte) verlangt die Klägerin für die Monate Juli 2010 bis Februar 2011 die Summe der Differenzbeträge zwischen dem Stundenlohn nach dem Entgelttarifvertrag der AWO NRW für die Entgeltgruppe 2 Stufe 2 von 9,78 Euro brutto, dem dortigen Überstundenentgelt von 12,22 Euro brutto pro Stunde sowie den tariflichen Zuschlagsbeträgen für die Arbeit zu besonderen Zeiten (vgl. die Kopien der Tabellen auf Blatt 15 und 16 der Akte)einerseits und den von der Beklagten nach den IGZ-DGB-Tarifverträgen gezahlten Beträge andererseits, insgesamt 1.643,39 Euro brutto. Wegen der Berechnung dieser Forderung wird auf die Darstellung in der Klageschrift vom 02.03.2011 auf den Seiten 5 und 6 (Blatt 12 und 13 der Akte) verwiesen und Bezug genommen. Nach dem gleichen Schema begehrt die Klägerin die Differenzbeträge für den Monat März 2011 in Höhe von 179,37 Euro brutto mit ihrer Klageerweiterung vom 26.04.2011 (Blatt 65, 66 der Akte), für den Monat April 2011 in Höhe von 182,12 Euro brutto mit der Klageerweiterung vom 27.05.2011 (Blatt 75, 76 der Akte), für den Monat Mai 2011 in Höhe von 193,42 Euro brutto mit der Klageerweiterung vom 07.07.2011 (Blatt 103, 104 der Akte), für den Monat Juni 2011 in Höhe von 154,11 Euro brutto mit der Klageerweiterung vom 02.08.2011 (Blatt 108, 109 der Akte) und für den Monat Juli 2011 in Höhe von 262,19 Euro brutto mit der Klageerweiterung vom 23.08.2011 (Blatt 117, 118 der Akte), jeweils nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit.
10Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie nach den Grundsätzen des equal pay Anspruch auf Bezahlung nach den für das Kundenunternehmen einschlägigen Tarifverträgen der AWO NRW rückwirkend ab dem 01.07.2010 habe. Es sei davon auszugehen, dass die im jeweiligen § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge geregelten Voraussetzungen der Geltungsbereichsausnahme vorliegen würden. Die Beklagte habe insbesondere auch in einem ins Gewicht fallenden Maße zuvor beim Kundenunternehmen beschäftigte Arbeitnehmer übernommen, nämlich alle im Seniorenzentrum I befristet Beschäftigten, deren Verträge mit der AWO ausgelaufen seien. Wegen der erheblichen Bedeutung des Arbeitsplatzes für sie habe sie ebenfalls das Angebot auf Beschäftigung zu den Bedingungen des Leiharbeitsvertrages mit einer wesentlich geringeren Vergütung auf demselben Arbeitsplatz angenommen. Soweit die Beklagte auf den Wortlaut der Regelung des § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge abstellen und dabei aus der Verwendung der Zeitform des Präsens insbesondere unter Buchstabe a) nur eine Änderung der Rechtslage für erst ab dem 01.07.2010 übernommene Arbeitnehmer ableiten wolle, könne dem nicht gefolgt werden. Wie die Kopie der freien Enzyklopädie aus Wikipedia auf Blatt 89 und 90 der Akte zeige, könne das Präsens auch in der resultativen und historischen Form benutzt werden. Sie selbst sei zwar in der Vergangenheit übernommen worden, werde aber von der Beklagten weiterhin auf ihrem ursprünglichen Arbeitsplatz eingesetzt und es würden zu ihren Ungunsten die bei der AWO geltenden Entgelttarifverträge umgangen. Es handele sich hierbei also um einen in der Vergangenheit entstandenen, jedoch noch andauernden Zustand, der sich erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses ändern würde. Wenn wirklich nur zukünftige Voraussetzungen gemeint wären, stelle sich die Frage, weshalb die Tarifvertragsparteien dann diese Zeitform nicht auch unter Buchstabe a) gewählt hätten. Im Übrigen sei fraglich, ob angesichts der zahlreichen Gesetzesänderungen und gesellschaftspolitischen Diskussionen ein Vertrauen der Arbeitnehmerverleiher in die bisherige Rechtslage überhaupt hätte entstehen können. Zudem gehe es hier um die grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung, welche hier dazu führen würde, dass es in den Betrieben nicht zu Unstimmigkeiten zwischen den einzelnen Beschäftigtengruppen komme. Nach den vorliegenden Informationen hätten sich die Tarifvertragsparteien während der Verhandlungen über die Rückwirkung der tariflichen Norm allerdings nicht ausdrücklich verständigt.
11Die Klägerin beantragt,
12die Beklagte zu verurteilen, an sie
13- 14
1. einen Betrag in Höhe von 1.643,39 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 10.03.2011,
- 16
2. einen weiteren Betrag in Höhe von 179,37 Euro brutto nebst5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 28.04.2011,
- 18
3. einen weiteren Betrag in Höhe von 182,12 Euro brutto nebst5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 01.06.2011,
- 20
4. einen weiteren Betrag in Höhe von 193,42 Euro brutto nebst5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 14.07.2011,
- 22
5. einen weiteren Betrag in Höhe von 154,11 Euro brutto nebst5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 05.08.2011 und
- 24
6. einen weiteren Betrag in Höhe von 262,19 Euro brutto nebst5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 26.08.2011
zu zahlen.
26Die Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Sie steht auf dem Standpunkt, dass die Regelausnahme in § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge für die Klägerin nicht einschlägig sei, weil sie als sogenannte Drehtür- oder Schleckerklausel ausschließlich die zukünftige Benachteiligung von Leiharbeitnehmern verhindern und nicht in der Vergangenheit liegende Tatbestände für die Zukunft sanktionieren wolle. Die Änderungen der Tarifverträge seien u.a. dem Umstand geschuldet, dass der Gesetzgeber eine Erneuerung des AÜG beschlossen habe, die eine ähnliche Regelung wie die heutige tarifvertragliche Bestimmung beinhalte. Der Gesetzgeber habe in einer Übergangsvorschrift zum zeitlichen Anwendungsbereich bestimmt, dass die Klausel ab dem Verkündungstag (01.05.2011) mit Rückwirkung für Leiharbeitsverhältnisse ab dem 15.12.2010, nämlich dem Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gesetzes, gelte. In der AÜG-Novelle ist also die Rückwirkung ausdrücklich vorgeschrieben, allerdings nicht für Leiharbeitsverhältnisse, die vor dem 15.12.2010 begründet worden seien. Die IGZ-DGB-Tarifverträge würden keine solche Rückwirkungsregelungen enthalten und seien schon vom Wortlaut her in der grammatikalischen Zeitform des Präsens eindeutig zukunftsbezogen. Dies ergebe sich insbesondere unter Berücksichtigung des § 7 ERTV des IGZ-DGB-Tarifwerks, der ausdrücklich anordne, dass die Änderungen in § 1 erst ab dem 01.07.2010 gelten würden. Darüber hinaus hätte den Tarifvertragsparteien bei ihren Verhandlungen der Referentenentwurf der Gesetzesänderung vorgelegen und dieser sei auch Gegenstand ihrer Erörterungen gewesen. Dabei habe Einigkeit darüber bestanden, dass erst ab dem 01.07.2010 vom Tatbestand erfasste Vorgänge zum equal payment hätten führen sollen. Im Übrigen könne sie sich gegenüber einer Rückwirkung der Regelausnahme in § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge auf Vertrauensschutz berufen, da es zuvor eine vergleichbare Regelung nicht gegeben habe. Wegen des Vorbringens der Beklagten hierzu im Einzelnen wird auf die Ausführungen in ihrem Schriftsatz vom 09.06.2011 unter 2. auf den Seiten 3 bis 6 (Blatt 97 bis 100 der Akte) verwiesen und Bezug genommen.
29E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
30I.
31Die zulässige Leistungsklage in Gestalt der zur Entscheidung gestellten Zahlungsanträge ist unbegründet.
32Die Klägerin hat keinen Anspruch für die streitgegenständlichen Monate Juli 2010 bis einschließlich Juli 2011 auf (Nach-)Zahlung der Differenzen zwischen den sich aus den Tarifverträgen der AWO NRW ergebenden Entgeltbeträgen und den unter Zugrundelegung der IGZ-DGB-Tarifverträge von der Beklagten gezahlten Vergütungsbeträgen.
33Soweit sich die Klägerin dazu nämlich auf das equal pay- bzw. equal treatment-Prinzip beruft, steht dem entgegen, dass die in § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge geregelte Geltungsbereichsausnahme für die Klägerin nicht einschlägig ist. Das ergibt sich bereits im Wege der Auslegung dieser Tarifnorm, so dass es auf die insbesondere im Schriftsatz der Beklagten vom 09.06.2011 unter 2. auf den Seiten 3 bis 6 (Blatt 97 bis 100 der Akte) angesprochene Rückwirkungsproblematik nicht mehr ankommt.
341.
35Nach der im Arbeitsvertrag vom 29.06.2007 (Blatt 36 bis 39 der Akte) auf Seite 1 unter der Überschrift „Tarifliche Regelung“ getroffenen Vereinbarung finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien im Sinne einer dynamischen Verweisung die dort genannten IGZ-DGB-Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. Dazu gehören auch der MTV, der ERTV und der ETV, welche die an die Klägerin für die streitgegenständlichen Monate von der Beklagten erbrachten Lohnzahlungen bestimmen.
36In diesen IGZ-DGB-Tarifverträgen ist in § 1 Satz 2 zum Geltungsbereich mit Wirkung zum 01.09.2010 jeweils die folgende Regelung aufgenommen worden:
37„Der Tarifvertrag findet keine Anwendung auf Zeitarbeitsunternehmen und –unternehmensteile, die mit dem Kundenunternehmen einen Konzern im Sinne des § 18 Aktiengesetz bilden, wenn
38a) das Zeitarbeitsunternehmen in einem ins Gewicht fallenden Maße zuvor beim Kundenunternehmen beschäftigte Arbeitnehmer übernimmt und
39b) die betroffenen Arbeitnehmer auf ihrem ursprünglichen oder einem vergleichbaren Arbeitsplatz im Kundenunternehmen eingesetzt werden und
40c) dadurch bestehende im Kundenunternehmen wirksame Entgelttarifverträge zuungunsten der betroffenen Arbeitnehmer umgangen werden“.
412.
42Es ist wegen der Formulierung „und“ zwischen a) und b) sowie zwischen b) und c) unproblematisch und zwischen den Parteien auch überhaupt nicht im Streit, dass alle drei genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen, damit diese Ausnahme vom Geltungsbereich der IGZ-DGB-Tarifverträge eingreifen kann. Davon kann jedoch bei der Klägerin nicht ausgegangen werden, weil jedenfalls die Auslegung des § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge ergibt, dass die bereits seit dem 01.07.2007 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten stehende Klägerin nicht unter den Anwendungsbereich dieser Tarifnorm fällt.
43a)
44Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen (so BAG, Urteil vom 17.10.2007 – 4 AZR 755/06 -, NZA-RR 2008, 306, 308 unter III. 3. a) der Gründe, Rdnr. 26 mit weiteren Nachweisen).
45Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urteil vom 26.01.2005 – 4 AZR 6/04 -, NZA-RR 2005, 660, 662 unter I. 2. a) bb) (2) (c) (bb) der Gründe mit weiteren Nachweisen).
46b)
47In Anwendung dieser Grundsätze ist die in § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge geregelte Geltungsbereichsausnahme mit der von der Beklagten vertretenen Auffassung dahingehend auszulegen, dass diese Tarifnorm keine Anwendung findet auf Leiharbeitsverhältnisse, die bereits vor dem Inkrafttreten der geänderten Tarifverträge und damit vor dem 01.07.2010 begründet worden sind.
48Bereits der Wortlaut dieser Tarifnorm spricht für dieses Auslegungsergebnis. Denn mit der Verwendung der grammatikalischen Zeitform des Präsens in der Regelung des § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge haben die Tarifvertragsparteien einen Zukunftsbezug, der mit einer gewollten Rückwirkung nicht vereinbar ist, hergestellt. Dort heißt es nämlich zu den Voraussetzungen für diese Geltungsbereichsausnahme im Wesentlichen, wenn ein Zeitarbeitsunternehmen … Arbeitnehmer übernimmt und diese … im Kundenunternehmen eingesetzt werden und dadurch … Entgelttarifverträge … umgangen werden.
49Unabhängig von den grammatikalischen Überlegungen im Schriftsatz der Klägerin vom 27.05.2011 auf der Seite 3 (Blatt 86 der Akte) kann aus der Verwendung des Präsens entnommen werden, dass ein in der Vergangenheit – hier durch die Übernahme des beim Kundenunternehmen beschäftigten Arbeitnehmers – bereits begründetes (Leih-)Arbeitsverhältnis hiermit nicht gemeint sein kann (vgl. dazu: LAG Bremen, Urteil vom 11.05.2004 – 1 Sa 271/03 -, juris, unter II. 1. c) cc) der Gründe, Rdnr. 71). Auch die unter b) und c) verwendeten Präsensformen „eingesetzt werden“ und „umgangen werden“ stehen dafür, dass die Vorschrift des § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge nur dann zum Tragen kommt, wenn der Einsatz und die Umgehung noch nicht erfolgt sind, sondern erst noch in der Zukunft durchgeführt werden wird (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 28.09.1994 – 4 AZR 738/93 -, AP Nr. 51 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel unter 3. b) der Gründe auf Blatt 1006).
50Außerdem muss die Regelung des § 7 ERTV des IGZ-DGB-Tarifwerks berücksichtigt werden, die ausdrücklich bestimmt, dass die Änderungen in § 1 erst ab dem 01.07.2010 gelten. Auch dies spricht dafür, dass nur bei einem Kundenunternehmen beschäftigte Arbeitnehmer in den Genuss des § 1 Satz 2 kommen sollen, die mit oder nach Inkrafttreten der neuen Tarifnormen erst durch ein Zeitarbeitsunternehmen übernommen werden, nicht aber diejenigen, die bereits übernommen worden sind; für sie sollen die IGZ-DGB-Tarifverträge selbst bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen unter b) und c) offenbar weiter gelten. Hätten die Tarifvertragsparteien den Willen gehabt, derartige Alt-Leiharbeitsverhältnisse in die Geltungsbereichsausnahme einzubeziehen, so hätte dies ausdrücklich geschehen müssen und nicht – wie es die Klägerin meint – ausdrücklich ein Ausschluss derartiger Alt-Leiharbeitsverhältnisse normiert werden müssen (vgl. dazu: LAG Bremen, Urteil vom 11.05.2004 – 1 Sa 271/03 -, juris, unter II. 1. c) cc) der Gründe, Rdnr. 71 am Ende).
51Im Übrigen spricht auch die von der Beklagten im Wesentlichen unbestritten vorgebrachte Entstehungsgeschichte des § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge für das gefundene Ergebnis. Die Beklagte hat in ihren Schriftsätzen vom 15.04.2011 auf Seite 3 (Blatt 59 der Akte) und vom 09.06.2011 unter 1. auf Seite 2 (Blatt 96 der Akte) dargelegt, dass die Tarifvertragsänderungen im Zusammenhang gestanden haben mit dem Entwurf zur Änderung des AÜG aus dem Frühjahr 2011. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen der Tarifvertragsparteien lag der Referentenentwurf zur Überarbeitung des AÜG bereits vor und war auch Gegenstand der Erörterungen. Dadurch wussten die Tarifvertragsparteien, dass es für die beabsichtigten, ebenfalls von der equal-treatment-Verpflichtung geprägten Gesetzesnormen keine umfassende Rückwirkung geben sollte. Denn in der Bundestags-Drucksache 17/4804 vom 17.02.2011 zu dem betreffenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung heißt es auf der Seite 1 unter „B. Lösung“ im ersten Absatz ausdrücklich: „Durch die Einführung einer gesetzlichen Regelung (sogenannte Drehtürklausel) soll … der missbräuchliche Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung künftig dadurch verhindert werden, dass vom Gleichstellungsgrundsatz abweichende Regelungen in Tarifverträgen für sie keine Anwendung finden können“. Auch in dem Begründungsteil ist auf Seite 7 unter „A. Allgemeiner Teil“ im zweiten Absatz der Zukunftsbezug der geplanten Neuregelung nochmals erwähnt worden. Das bestätigt die im Gesetzesentwurf in Artikel 1 unter 12. aufgeführte Übergangsvorschrift des § 19 AÜG, wonach § 3 Abs. 1 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 in der bisher geltenden Fassung auf Leiharbeitsverhältnisse, die vor dem 15. Dezember 2010 begründet worden sind, weiterhin anzuwenden sind. Dies hat dann in das Gesetz dadurch Eingang gefunden, dass der § 19 AÜG wie folgt lautet: „§ 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 4 und § 9 Nr. 2 letzter Halbsatz finden keine Anwendung auf Leiharbeitsverhältnisse, die vor dem 15. Dezember 2010 begründet worden sind“. Damit geht es bei der sogenannten Drehtürklausel um die künftige Verhinderung, dass Leiharbeiter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zu schlechteren Bedingungen im selben Unternehmen bzw. Konzern tätig werden (vgl. Rosenau/Mosch, NJW-Spezial 2011, 242 f.).
52Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass dieser Umstand gegen eine von den Tarifvertragsparteien gewollte Rückwirkung des § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge spricht, wenn diese Regelung im Zusammenhang auch mit der Entstehungsgeschichte der Änderungen des AÜG gestanden hat.
53Schließlich muss berücksichtigt werden, dass das gefundene Auslegungsergebnis zu einer klaren und praktisch brauchbaren Regelung führt, während die von der Klägerin gewollte Rückwirkung auf Leiharbeitsverhältnisse, die bereits vor dem 01.07.2010 begründet worden sind, eine unsichere Rechtslage mit sich bringen würde. Es ist dann fraglich, ab wann genau der § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge eingreifen soll.
54Soweit diese Tarifnorm auf das bereits seit dem 01.07.2007 mit der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis der Klägerin keine Anwendung findet und diese dadurch eventuell anders behandelt wird als erst ab 01.07.2010 von der Beklagten eingestellte Leiharbeitnehmer, kann das nicht beanstandet werden. Denn es ist unvermeidlich, dass bei Stichtagsregelungen, die im Interesse der Praktikabilität vorgenommen werden, gewisse Härten vorkommen. Den Tarifvertragsparteien muss es jedoch unbenommen bleiben, Strukturveränderungen auch schrittweise einzuführen (BAG, Urteil vom 28.09.1994 – 4 AZR 738/93 -, AP Nr. 51 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel unter 4. b) der Gründe auf Blatt 1009 R mit weiteren Nachweisen).
553.
56Weil die Klägerin nach alledem nicht unter die in § 1 Satz 2 der IGZ-DGB-Tarifverträge geregelte Geltungsbereichsausnahme fällt, kann sie sich auch nicht mit Erfolg auf das equal pay- bzw. equal treatment-Prinzip berufen mit der Folge, dass sie keinen Anspruch auf die verlangten Differenzen zu den sich aus den Tarifverträgen der AWO NRW ergebenden Entgeltbeträgen hat.
57Da kein Hauptanspruch gegeben ist, besteht auch kein Zinsanspruch.
58II.
59Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 495 Abs. 1 ZPO.
60Als unterliegende Partei hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
61III.
62Die im Urteil gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG zu treffende Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes ist nach den §§ 3 ff. ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 495 Abs. 1 ZPO vorgenommen worden.
63Die Höhe des festgesetzten Streitwertes für die zur Entscheidung gestellten Zahlungsanträge der Klägerin ergibt sich aus der Summe der damit geforderten Hauptsachebeträge.
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