Urteil vom Arbeitsgericht Hagen - 1 Ca 1420/12
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Zeitausgleichskonto des Klägers
62 Stunden gutzuschreiben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf 1.432.45 Euro festgesetzt.
1
Tatbestand:
2Die Parteien streiten um die Berechtigung der Beklagten, im Zusammenhang mit Kurzarbeit auf das Arbeitszeitkonto des Klägers zuzugreifen.
3Der 1960 geborene Kläger ist seit dem 17.08.1987 bei der Beklagten als Polier und Schachtmeister zuletzt mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt von 3.997,00 Euro und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde nicht abgeschlossen; kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit finden die Tarifverträge u. a. für die Angestellten im Baugewerbe Anwendung.
4Die Beklagte betreibt ein mittelständisches Bauunternehmen; ein Betriebsrat ist gewählt. Der Kläger erlitt am 10.02.2012 einen Arbeitsunfall, aufgrund dessen er bis einschließlich 09.03.2012 arbeitsunfähig erkrankte. Die Bescheinigung wurde jeweils wöchentlich (als Folgebescheinigung) der Beklagten überreicht. Für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit leistete die Beklagte an den Kläger Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle.
5Für den Kläger wird bei der Beklagten ein Arbeitszeitkonto geführt, welches im Rahmen einer "Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit", zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat am 09.02.2011 abgeschlossen, als "Ausgleichskonto" bezeichnet ist. Die vorstehende Betriebsvereinbarung beinhaltet eine Flexibilisierungsmöglichkeit der Arbeitszeit auf der Grundlage eines sog. Arbeitszeitplanes.
6Arbeitsstunden, die aufgrund dieses Arbeitszeitplanes im Verhältnis zur tariflichen Regelarbeitszeit mehr geleistet werden, fließen in das Ausgleichskonto mit maximal 150 Arbeitsstunden an. Diese Betriebsvereinbarung enthält in Ziffer 9 "Poliere" die ausdrückliche Regelung, dass Poliere "gemäß § 3 Nr. 1.3 RTV Angestellte" in die betriebliche Arbeitszeitregelung einbezogen werden. Auf die Betriebsvereinbarung vom 09.02.2011, Bl. 27 ff d. A. wird im übrigen Bezug genommen.
7§ 3 Ziffer 1.31 des Rahmentarifvertrags für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes vom 04.07.2002 regelt, dass Poliere sowie Angestellte, deren Tätigkeit unmittelbar mit derjenigen der gewerblichen Arbeitnehmer in Verbindung stehen, in betriebliche Arbeitszeitregelungen nach den für gewerbliche Arbeitnehmer bestehenden Regelungen des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe einbezogen werden können.
8Unter dem 09.09.2011 schlossen Betriebsrat und Beklagte folgende Betriebsvereinbarung:
9Betriebsvereinbarung
10Aus wirtschaftlichen Gründen und wegen Auftragsmangel sehen wir uns gezwungen, die Kurzarbeit in unserem Betrieb fortzusetzen und für weitere sechs Monate bis zum 31.03.2012 zu verlängern.
11Die Reduzierung der betrieblichen Arbeitszeit kann bei den einzelnen Arbeitnehmern bis zu 100 % betragen. Die Arbeitseinteilung erfolgt abhängig von der Auftragslage und den Auftragseingängen.
12Auf die Kopie Bl. 26 d. A. wird Bezug genommen.
13Mit gleichlautenden Schreiben vom 01. und 08.03.2012 (Kopie Bl. 5 u. 6 d. A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie in der Zeit vom 05.03.2012 bis 09.03.2012 bzw. 12.03.2012 bis 16.03.2012 keinen Arbeitseinsatz für den Kläger habe. Darüber hinaus enthielten die Mitteilungen folgende Formulierung:
14Für diese Zeit erhalten Sie Saison-Kurzarbeitergeld, sofern keine Guthabenstunden mehr auf Ihrem Arbeitszeitkonto vorhanden sind.
15Noch vorhandene Guthabenstunden aus dem Arbeitszeitkonto werden zum Ausgleich für den Arbeitsausfall eingesetzt.
16…
17In der Woche von Montag, dem 05.03.2012 bis Freitag, den 09.03.2012, also während der noch bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers, wie in der Woche vom 12.03. bis 14.03.2012 griff die Beklagte auf insgesamt 62 Stunden im Ausgleichskonto des Klägers zu.
18Gegen diese Vorgehensweise wandte sich der Kläger mit vorprozessualem Schreiben der IG Bau vom 26.04.2012 und verfolgt die Gutschrift von 62 Stunden auf sein Zeitausgleichskonto mit der vorliegenden, bei Gericht am 02.07.2012 eingegangenen Klage weiter, nach dem die Beklagte über die Bauindustrie Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 25.05.2012 Ansprüche im Zusammenhang mit dem Zeitausgleichskonto zurückgewiesen hatte (Geltendmachung und Ablehnung Kopien Bl. 11 u. 12 d. A.).
19Der Kläger trägt vor:
20Der Zugriff auf das Zeitausgleichskonto des Klägers sei während der bestehenden Arbeitsunfähigkeit unzulässig gewesen; für die drei Tage nach Wiedergenesung des Klägers seien die Arbeiten an der Baustelle, an der der Kläger eingesetzt gewesen sei, weiter geführt worden.
21Die Voraussetzungen der Betriebsvereinbarung über die Flexibilisierung der Arbeitszeit vom 09.02.2011 lägen erkennbar nicht vor.
22Der Kläger beantragt,
23die Beklagte zu verurteilen, dem Zeitausgleichskonto des Klägers 62 Stunden gutzuschreiben.
24Die Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Sie trägt vor:
27Da arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer nicht besser gestellt werden dürften als arbeitsfähige Arbeitnehmer, sei die Beklagte berechtigt gewesen, für die infolge der Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitsstunden auf das Zeitausgleichskonto für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit zuzugreifen. Die Arbeit bei der Beklagten sei im streitgegenständlichen Zeitraum teilweise infolge wirtschaftlicher Gründe ausgefallen. Eine Poliertätigkeit für den Kläger sei auf der von ihm genannten Baustelle für die Zeit ab dem 05.03.2012 nicht möglich gewesen; es seien lediglich einfache, restliche Betonierarbeiten und Aufräumarbeiten durchzuführen gewesen.
28Während der Durchführung der Arbeiten vor dem 05.03.2012 sei auf jener Baustelle ein Vertretungspolier eingesetzt worden, da der Kläger erkrankt gewesen sei. Dessen Polierarbeiten seien am 02.03.2012 ebenfalls dort beendet gewesen.
29Im Kammertermin vom 09.10.2012 hat der Vertreter der Beklagten ergänzend ausgeführt, dass er davon ausgehe, dass zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung über Kurzarbeit vom 09.09.2011 eine regelmäßige Kommunikation über den Arbeitseinsatz stattgefunden habe.
30Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.
31Entscheidungsgründe:
32Die zulässige Klage ist begründet.
33Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gutschrift von 62 Arbeitsstunden auf sein Zeitausgleichskonto aus seinem Arbeitsvertrag (§ 611 BGB) i. V. m. Ziffer 4.5 der Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit vom 09.02.2011.
34Der Beklagten stand nämlich eine rechtlich wirksame Möglichkeit, wegen des Arbeitsausfalls vom 05.03. bis 14.03.2012 – diesen unterstellt – auf das Zeitausgleichskonto des Klägers zuzugreifen, nicht zu.
35a)
36Zunächst ist die Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit vom 09.02.2011 nicht geeignet, eine entsprechende Grundlage darzustellen, da sie Regelungen im Falle der Kurzarbeit, also des vorübergehenden Arbeitsausfalls, für die vorliegende Sachverhaltskonstellation nicht enthält. Sofern man die Ziffer 4.5 der vorstehenden Betriebsvereinbarung als Instrument für den Zugriff auf das Ausgleichskonto versteht, bezieht sich dieser ausschließlich auf Situationen "außerhalb der Schlechtwetterzeit", also nach der gesetzlichen Definition des § 101 Abs. 1 SGB III für die Zeit vom 01. Dezember bis zum 31. März.
37b)
38Auch eine tarifliche Ermächtigung zum Zugriff auf das Ausgleichskonto ist nicht gegeben.
39Zwar enthält die Regelung des § 4 Ziff. 6 BRTV Bau eine tarifliche Ermächtigung zur Anordnung von Kurzarbeit, indessen ist diese Regelung schon nach dem Anwendungsbereich des Bundesrahmentarifvertrages auf gewerbliche Arbeitnehmer beschränkt; der Rahmentarifvertrag für die technischen und kaufmännischen Angestellten und für die Poliere des Baugewerbes in der Fassung vom 04.07.2002 enthält eine vergleichbare Ermächtigung für die Angestellten nicht.
40c)
41Die Beklagte hat auch nicht über eine rechtswirksame Betriebsvereinbarung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG i. V. m. § 77 Abs. 4 BetrVG gegenüber dem Kläger wirksam Kurzarbeit für den streitgegenständlichen Zeitraum angeordnet mit der Folge, dass sich die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers in dieser Zeit reduziert hätte und der weiteren Folge, dass insoweit über die Betriebsvereinbarung vom 09.02.2011 ein Zugriff auf das Arbeitszeitkonto – vielleicht – möglich gewesen wäre.
42Vorauszuschicken ist, dass eine einseitige Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit durch Direktionsrecht der Beklagten im Sinne des § 106 GewO nicht möglich ist (Schreiben vom 01.03. und 08.03.2012), da Arbeitszeit und Vergütung wechselseitige Hauptleistungspflichten der Vertragsparteien sind, die dem Direktionsrecht nicht zugänglich sind (BAG, Urt. v. 17.01.1995, 1 AZR 283/94 bei juris, Rdnr. 16, Urt. v. 12.10.194, 7 AZR 398/93 zu II 1 d. Gründe).
43Die Betriebsvereinbarung vom 09.09.2011, welche sich mit Kurzarbeit befasst, ist nicht geeignet, eine Rechtsgrundlage für eine vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit des Klägers darzustellen.
44Zwar wirkt eine förmliche Betriebsvereinbarung im Sinne des § 77 Abs. 4 BetrVG wie eine Rechtsnorm auf die Arbeitsverhältnisse ein und bestimmt deren Inhalte, so dass sie grundsätzlich ohne Rücksicht auf den Willen der betroffenen Arbeitnehmer eine Änderung der Arbeitsbedingungen auch hinsichtlich der Arbeitszeit und der Lohnzahlungspflichten ermöglicht.
45Allerdings setzt die Betriebsvereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 (vgl. BAG, Urt. v. 11.07.1990, 5 AZR 557/89) voraus, dass diese Betriebsvereinbarung den mitbestimmungspflichtigen Gegenstand selbst im Wesentlichen regelt oder aber zumindest Rahmenregelungen vorsieht, die sicherstellen, dass das kraft Gesetzes bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht durch einseitige Anordnungsbefugnisse des Arbeitgebers leerläuft (so ausdrücklich BAG, Urt. v. 26.07.1988, DB 1989, S. 384 bei juris, Rdnr. 30; aktuell BAG, Beschl. v. 17.01.2012, 1 ABR 45/10 bei juris, Rdnr. 26).
46Für den Bereich der Kurzarbeit muss eine Betriebsvereinbarung regelmäßig Beginn und Dauer der Kurzarbeit, Lage- und Verteilung der Arbeitszeit, Auswahl der von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer und Abteilungen sowie die einzelnen Tage des Ausfalls festlegen (Däubler u.a., BetrVG 11. Aufl., § 87 Rdnr. 104). Mindestens muss aber eine solche Betriebsvereinbarung Rahmenregelungen über das innerbetrieblich exakt einzuhaltende Verfahren oder die Übertragung der Regelung z.B. auf eine paritätisch besetzte Kommission nebst Verfahrensregelungen beinhalten (BAG, Urt. v. 26.07.1988, 1 AZR 54/87 a. a. O. m. w. N.).
47Diesen Erfordernissen wird die Betriebsvereinbarung vom 09.09.2011 erkennbar nicht gerecht, da sie keine der genannten Mindestanforderungen erfüllt.
48d)
49Unterstellt man die Erörterungen des Beklagtenvertreters im Kammertermin vom 09.10.2012, dass über die jeweiligen Arbeitsausfälle auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 09.09.2011 jeweils Gespräche mit dem Betriebsrat stattgefunden haben, aufgrund derer dann die Arbeitssituation einschließlich der Arbeitsausfälle geplant worden ist, so ergibt dies kein anderes Ergebnis. Wenn auch § 87 Abs. 1 BetrVG für die Ausübung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrats ausdrücklich selbst keine Formen vorschreibt, sondern nur die Verwirklichung des Mitbestimmungsrechtes einfordert, so genügt doch eine formlose Betriebsabsprache, eine sog. Regelungsabrede, nicht den Erfordernissen, die § 77 Abs. 4 BetrVG für die unmittelbare und zwingende Wirkung auf die Arbeitsverhältnisse vorschreibt. Eine formlose Regelungsabrede würde sich in der Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates erschöpfen, aber keine Rechte im Verhältnis zum Arbeitnehmer begründen (BAG, Urt. v. 14.02.1991, 2 AZR 415/90, NZA 1991, S. 607 m. w. N.; LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 09.10.2009, 14 Sa 1173/09 bei juris, Rdnr. 60).
50e)
51Weitere Gestaltungsmittel, um auf eine Reduzierung der vereinbarten Arbeitszeit im Arbeitsverhältnis des Klägers zuzugreifen, wie etwa eine einzelvertragliche Vereinbarung oder den Ausspruch einer (rechtswirksamen) nderungskündigung, hat die Beklagte nicht dargelegt.
52Nach alledem hatte die Klage Erfolg.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 ZPO. Danach hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits als unterlegene Partei zu tragen.
54Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Die Höhe hat die Kammer mit dem Wert von 62 Arbeitsstunden auf der Grundlage der Arbeitszeit- und –entgeltvereinbarungen ermittelt.
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