Urteil vom Arbeitsgericht Hamburg (4. Kammer) - 4 Ga 3/19

Tenor

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, die Antragstellerin vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2022, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit einer um 25 % verringerten (bisher auf durchschnittlich 40 Wochen-stunden basierenden) Jahresarbeitszeit durch jeweils blockweise Freistellung der Antragstellerin von ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung in den Monaten Januar, Februar und März der Jahre 2020, 2021 und 2022 zu beschäftigen und während der Zeit ein verstetigtes monatliches, entsprechend verringertes Entgelt zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Streitwert beträgt € 13.632,60.

Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Wunsch der Verfügungsklägerin, ihre jährliche Arbeitszeit in einem Zeitraum von 3 Jahren um 25 % zu verringern, wobei die Verringerung durch Gewährung einer blockweisen Freistellung über 3 Monate unter Zahlung eines verstetigt reduzierten Gehaltes begehrt wird (sog. Brückenteilzeit im Blockmodell).

2

Die Verfügungsklägerin ist seit dem 01. März 2005 als Kundenbetreuerin im internationalen und deutschen Bereich bei der Verfügungsbeklagten in Vollzeit beschäftigt und erzielte zuletzt eine Bruttomonatsvergütung von € 4.544,20. Die Verfügungsbeklagte ist ein Druckdienstleister und beschäftigt mehr als 200 Arbeitnehmer. Die Unternehmensgruppe der Verfügungsbeklagten bietet Leistungen im Tief- und Rollenoffsetdruck, der Weiterverarbeitung und Logistik an.

3

Die Parteien verbindet ein Arbeitsvertrag vom 27. Oktober 2008 nebst Änderungsvertrag vom 15. August 2017. Wegen der Einzelheiten wird auf das Anlagenkonvolut AST 1 (Bl. 64-70 der Akte) Bezug genommen.

4

Mit Schreiben vom 31. Mai 2019 beantragte die Verfügungsklägerin die Verringerung ihrer Arbeitszeit gemäß § 9a TzBfG um 25 % für den Zeitraum 2020 – 2022 unter blockweisen Freistellung in den Monaten Januar, Februar und März. Dem Antrag beigefügt war ein von der Klägerin erstelltes Vertretungskonzept. Wegen der Einzelheiten wird auf das Anlagenkonvolut AST 3 (Bl. 73-74 der Akte) Bezug genommen.

5

Die Verfügungsklägerin lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 19. Juli 2019 ab und gab zur Begründung lediglich an, dass sie mit dem Antrag nicht einverstanden sei (Anlage AST 4, Bl. 75 der Akte). Hiergegen wendete sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 04. September 2019 (Anlage AST 5, Blatt 76 der Akte). Die Verfügungsbeklagte nahm hierauf mit Schreiben vom 09. September 2019 Stellung und begründete ihre Ablehnung damit, dass eine Brückenteilzeit im Blockmodell unter Zahlung eines verstetigten Entgelts nicht Gegenstand eines Teilzeitantrags im Sinne der §§ 8, 9a TzBfG sein könnte. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das Anlagenkonvolut AST 6 (Bl. 77 der Akte) Bezug genommen. Hierauf entgegnete die Verfügungsklägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Oktober 2019 (Anlage AST 7, Bl. 78-83 der Akte) und bot u.a. eine anderweitige Verteilung der Freistellungsblöcke an. Dies führte jedoch weiterhin nicht zu einer Einigung mit der Verfügungsbeklagten.

6

Mit ihrem am 21. Oktober 2019 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verfolgt die Verfügungsklägerin ihr Begehren weiter. Zudem hat die Verfügungsklägerin am 21. Oktober 2019 Hauptsacheklage erhoben.

7

Die Verfügungsklägerin bestreitet das Vorliegen entgegenstehender betrieblicher Gründe. Zudem habe die Verfügungsbeklagte mit ihrem Angebot, der Verfügungsklägerin für die beantragten Monate unbezahlt freizustellen, zu erkennen gegeben, dass sie keine Einwände gegen die Abwesenheit der Verfügungsklägerin in diesen Monaten habe. Soweit die Verfügungsbeklagte lediglich darauf verweisen will, dass in den Monaten der Freistellung kein verstetigtes Gehalt gezahlt werden könne, habe sie die unzumutbare Höhe der Kosten nicht dargelegt. Dem Einwand der arbeitgeberseitigen Vorleistungspflicht hätten die Parteien – wie von der Verfügungsklägerin angeboten – dadurch Abhilfe leisten können, in dem der Zeitpunkt des Beginns der Zahlung eines entsprechend reduzierten Gehaltes vorgezogen und/oder der Zeitpunkt des Beginns der blockweisen Freistellung nach hinten verschoben worden wäre. Beides habe die Verfügungsbeklagte abgelehnt.

8

Die Eilbedürftigkeit sei auch nicht dadurch widerlegt, dass die Verfügungsklägerin mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewartet habe. Die Verfügungsklägerin habe abgewartet, bis die Verhandlungen über eine gütliche Beilegung gescheitert waren.

9

Die Verfügungsklägerin beantragt,

10

1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, die Antragstellerin vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2022, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit einer um 25 % verringerten (bisher auf durchschnittlich 40 Wochen-stunden basierenden) Jahresarbeitszeit durch jeweils blockweise Freistellung der Antragstellerin von ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung in den Monaten Januar, Februar und März der Jahre 2020, 2021 und 2022 zu beschäftigen und während der Zeit ein verstetigtes monatliches, entsprechend verringertes Entgelt zu zahlen.

11

Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.,

12

2. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, die Antragstellerin vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2022, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit einer um 25 % verringerten (bisher auf durchschnittlich 40 Wochen-stunden basierenden) Jahresarbeitszeit durch jeweils blockweise Freistellung der Antragstellerin von ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung in den Monaten Januar, März und Mai der Jahre 2020, 2021 und 2022 zu beschäftigen und während der Zeit ein verstetigtes monatliches, entsprechend verringertes Entgelt zu zahlen.

13

Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1. und zu 2.

14

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, die Antragstellerin vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2022, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit einer um 25 % verringerten (bisher auf durchschnittlich 40 Wochen-stunden basierenden) Jahresarbeitszeit durch jeweils blockweise Freistellung der Antragstellerin von ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung in den Monaten Januar, März und November der Jahre 2020, 2021 und 2022 zu beschäftigen und während der Zeit ein verstetigtes monatliches, entsprechend verringertes Entgelt zu zahlen.

15

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

16

die Anträge abzuweisen.

17

Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, dass die Verfügungsklägerin nicht nur eine Verringerung und Neuverteilung der Arbeitszeit, sondern eine umfassende Neuregelung der bestehenden Vergütungsabrede begehre. Die Parteien hätten bisher vereinbart, dass sich die Arbeitszeit nach den betrieblichen Belangen richte und dabei eine durchschnittliche Regelarbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich vereinbart sei. Die Neuregelung würde lauten, dass die Arbeitszeit in den Monaten Januar bis März 0 Stunden und in den Monaten April – Dezember 40 Stunden betrage. Nach § 614 BGB sei die Vergütung nach Leistung der Dienste zu entrichten, so dass es nicht möglich sei, der Verfügungsklägerin ohne Arbeitsleistung in den Freistellungsmonaten Januar bis März ein Gehalt zu zahlen.

18

§ 9a TzBfG könne der Verfügungsklägerin kein Recht gewähren, eine Wertguthabenvereinbarung nach § 7b SGB IV zu erzwingen. Die Zahlung eines versteigten Entgelts sei mit erheblichen Kosten verbunden sei. Dies ergäbe sich bereits aus § 7e SGB IV, da eine Wertguthabenvereinbarung gesondert gegen Insolvenz abzusichern sei.

19

Zudem müsse sich die Verfügungsklägerin im Rahmen ihres Teilzeitantrags im Rahmen ihres bisherigen Arbeitszeitmodells halten. Vereinbart sei eine Regelarbeitszeit von durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich und keine Jahresarbeitszeit.

20

Das Angebot eines Sonderurlaubs sei aufgrund der Teamstruktur gegenwärtig nicht mehr möglich. Das Team bestehe nur noch aus zwei Mitarbeitern, der Verfügungsklägerin und Herrn R.. Sollte die Verfügungsklägerin tatsächlich drei Monate pro Jahr abwesend sein, wäre eine vernünftige Vertretung aufgrund der Mitarbeiterzahl künftig nicht mehr möglich. Das als Anlage AST 3 vorgelegte Vertretungskonzept spiegele nicht mehr den Einsatzbereich der Verfügungsklägerin ab Beginn der begehrten Teilzeit im Januar 2020 wieder.

21

Den Anträgen zu 2) und 3) stehe § 8 Abs. 6 TzBfG entgegen, da die Verfügungsbeklagte den Antrag der Verfügungsklägerin berechtigt abgelehnt habe.

22

Die Anträge müssten zudem aufgrund der Vorwegnahme der Hauptsache erfolglos bleiben, da die Verfügungsbeklagte verpflichtet wäre, organisatorische Änderungen vorzunehmen. Die Verfügungsklägerin habe nicht dargelegt, dass die einstweilige Verfügung zur Abwehr wesentlicher Nachteile erforderlich sei. Insbesondere habe sie nicht konkret dargelegt, aus welchen Gründen sie eine Freistellung im Blockmodell benötigen würde.

23

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst ihren Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

24

Der zulässige Antrag ist begründet. Die Verfügungsbeklagte hat die Verfügungsklägerin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache in den Jahren 2020, 2021 und 2022 mit einer um 25 % reduzierten Arbeitszeit unter Freistellung in den Monaten Januar, Februar und März zu beschäftigen und der Verfügungsklägerin über den gesamten Zeitraum ein verstetigtes Gehalt zu zahlen, bei dem die bisherige Vollzeitvergütung um 25 % zu reduzieren ist.

25

Die Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht, werden wie folgt kurz zusammengefasst (§ 313 Abs. 3 ZPO):

I.

26

Nach § 62 Abs. 2 ArbGG und den dort in Bezug genommenen §§ 935, 940 ZPO kann das Arbeitsgericht bei Streitigkeiten "aus dem Arbeitsverhältnis" (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 b ArbGG) einstweilige Verfügungen unter anderem zum Zweck der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, sofern diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint; entsprechendes gilt in Bezug auf den Streitgegenstand, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechtes einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Diese Voraussetzungen sind hier für die von der Verfügungsklägerin erstrebten Reduzierung ihrer Arbeitszeit erfüllt. Dem Erlass der hiesigen Verfügung steht auch nicht im Wege, dass der von der Verfügungsklägerin erstrebte Anordnungszustand im Ergebnis eine Entscheidung in der Hauptsache vorwegnimmt. Hierzu im Einzelnen:

1.

27

Nach § 9a Abs. 1 TzBfG kann ein Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeber, der mehr als 45 Mitarbeiter beschäftigt, verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit für einen im Voraus zu bestimmenden Zeitraum von mindestens einem Jahr und höchstens 5 Jahren für einen im Voraus zu bestimmenden Zeitraum verringert wird, sofern das Arbeitsverhältnis – wie das der Verfügungsklägerin – länger als sechs Monate bestanden hat. Gemäß § 9a Abs. 2 TzBfG kann der Arbeitgeber das Verlangen des Arbeitnehmers ablehnen, soweit betriebliche Gründe entgegenstehen. § 9a TzBfG verweist in Abs. 3 auf die weiteren Regelungen aus § 8 Abs. 2-5 TzBfG.

28

Nach dem Parteivortrag geht die erkennende Kammer davon aus, dass dem Teilzeitwunsch der Verfügungsklägerin keine hinreichenden betrieblichen Gründe entgegenstehen.

a)

29

Nach § 9a Abs. 2 TzBfG hat der Arbeitgeber der Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen (S. 1). Gemäß § 8 Abs. 4 S. 2 TzBfG liegt ein betrieblicher Grund insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder aber die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Es genügt, dass der Arbeitgeber rational nachvollziehbare Gründe hat. Dringende betriebliche Gründe sind nicht erforderlich. Die Gründe müssen jedoch hinreichend gewichtig sein (zu den Voraussetzungen im Einzelnen BAG, Urteil vom 30.09.2003 - 9 AZR 665/02 - AP Nr. 5 zu § 8 TzBfG, unter III 1. der Gründe).

30

Der Arbeitgeber kann daher die Ablehnung nicht allein mit einer abweichenden unternehmerischen Vorstellung von der "richtigen" Arbeitszeitverteilung begründen. Ob hinreichend gewichtige betriebliche Gründe zur Ablehnung berechtigen, ist gerichtlich festzustellen. Dazu gilt folgende dreistufige Prüfungsfolge:

31

In der ersten Stufe ist festzustellen, ob überhaupt und wenn ja welches betriebliche Organisationskonzept der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung zugrunde liegt. Organisationskonzept ist das Konzept, mit dem die unternehmerische Aufgabenstellung im Betrieb verwirklicht werden soll. Die Darlegungslast dafür, dass das Organisationskonzept die Arbeitszeitregelung bedingt, liegt beim Arbeitgeber. Die Richtigkeit seines Vortrages ist arbeitsgerichtlich voll überprüfbar. Die dem Organisationskonzept zugrundeliegende unternehmerische Aufgabenstellung und die daraus abgeleiteten organisatorischen Entscheidungen sind jedoch hinzunehmen, soweit sie nicht willkürlich sind. Voll überprüfbar ist dagegen, ob das vorgetragene Konzept auch tatsächlich im Betrieb durchgeführt wird.

32

In einer zweiten Stufe ist zu prüfen, inwieweit die Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen des Arbeitnehmers tatsächlich entgegensteht. Dabei ist auch der Frage nachzugehen, ob durch eine dem Arbeitgeber zumutbare Änderung von betrieblichen Abläufen oder des Personaleinsatzes der betrieblich als erforderlich angesehene Arbeitszeitbedarf unter Wahrung des Organisationskonzeptes mit dem individuellen Arbeitszeitwunsch des Arbeitnehmers zur Deckung gebracht werden kann.

33

Ergibt sich, dass das Arbeitszeitverlangen des Arbeitnehmers nicht mit dem organisatorischen Konzept und der daraus folgenden Arbeitszeitregelung in Übereinstimmung gebracht werden kann, ist in einer dritten Stufe das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen, nämlich die Frage, ob durch die vom Arbeitnehmer gewünschte Abweichung die in § 8 Abs. 4 S. 2 TzBfG genannten besonderen betrieblichen Belange oder das betriebliche Organisationskonzept und die ihm zugrunde liegende unternehmerische Aufgabenstellung wesentliche beeinträchtigt werden.

b)

34

Nach Durchführung dieser dreistufigen Prüfung ergibt sich, dass keine betrieblichen Gründe dem Wunsch der Verfügungsklägerin auf Arbeitszeitreduzierung entsprechend der gewünschten Verteilung entgegenstehen. Insbesondere fehlt es schon an der Darlegung eines entgegenstehenden Organisationskonzeptes.

aa.

35

Schon im Rahmen der ersten Prüfungsstufe zeigt sich, dass sich aus den Darlegungen der Verfügungsbeklagten betriebliche Gründe im Sinne der Regelung nicht ergeben.

36

Die Verfügungsbeklagte beruft sich darauf, dass ab Januar 2020, also zeitgleich mit dem Beginn des Freistellungsblockes, eine betriebliche Umorganisation erfolgen solle, wonach die Verfügungsklägerin nur noch mit Herrn R. ein Team bilden soll. Danach sei eine Vertretungssituation nicht mehr gewährleistet.

37

Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass bei der Prüfung des Vorliegens betrieblicher Gründe auf die Umstände zum Zeitpunkt der Ablehnung abzustellen ist (vgl. BAG, Urteil vom 20. Januar 2015, 9 AZR 735/13). Die Verfügungsbeklagte behauptet weder, dass die betriebliche Umorganisation bereits im September 2019 beschlossen war und bereits greifbare Formen angenommen hat, noch, dass die Umorganisation tatsächlich zum Januar 2020 umgesetzt wird. Vielmehr hat die Verfügungsbeklagte auf Nachfrage der Kammer ausgeführt, dass eine Umorganisation – in welcher konkreten Form? – zwar „im Prozess“ sei, die Umsetzung aber noch nicht begonnen habe und noch nicht feststehe, wann diese umgesetzt werde. Somit sind sowohl die konkrete Ausgestaltung als auch der zeitliche Ablauf völlig unsubstantiiert geblieben, so dass für die Kammer nicht erkennbar war, weshalb eine Vertretung nicht möglich sein soll. Dabei ist es der Verfügungsbeklagten nicht gelungen, nachvollziehbare Einwendungen gegen das der Antragstellung beigefügte Vertretungskonzept (Anlage AST 3, Bl. 74 d.A.) darzulegen. Ebenso wenig hat sie erklären können, weshalb das von der Verfügungsklägerin mit Stand 03. November 2019 in der Kammerverhandlung vorgelegte Vertreterkonzept, das zum Gegenstand der Erörterung gemacht wurde, nicht praktikabel sein soll. Zudem erklärt sie nicht, weshalb es ihr nicht möglich oder zumutbar sein soll, dass Begehren der Verfügungsklägerin im Rahmen ihrer Umstrukturierung zu berücksichtigen, wenn sie schon von sich aus eine Umstrukturierung plant.

38

Zudem hat die Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung nochmals bestätigt, dass die Gewährung unbezahlten Sonderurlaubs weiterhin möglich scheint, es nur einer Absprache mit der zuständigen Führungskraft bedürfe, für welche Monate dies gewährt werde. Die Verfügungsbeklagte erklärt nicht, weshalb bei einem unbezahlten Sonderurlaub in gleichem zeitlichen Umfang eine Vertretung oder Umorganisation der Aufgaben sichergestellt werden könnte, nicht jedoch bei einer Inanspruchnahme von Blockteilzeit nach § 9a TzBfG.

39

Die Darlegungs- und beweisbelastete Verfügungsbeklagte hat es somit versäumt, ein betriebliches Organisationskonzept darzulegen, das dem Arbeitszeitverlangen entgegensteht.

bb)

40

Soweit die Verfügungsbeklagte der Auffassung ist, dass dem Teilzeitwunsch der Verfügungsklägerin die Kosten für eine Wertguthabenvereinbarung und Absicherung einer solchen gegen Insolvenz entgegen stehen, scheitert sie auch mit diesem Argument. Zum einen war es der Verfügungsbeklagten nicht möglich, diese Kosten in irgendeiner Weise zu beziffern, so dass sich die Kammer kein Bild von der Höhe der Kosten und dem Mehraufwand machen konnte. Die Verfügungsbeklagte beschränkt sich auf den pauschalen Hinweis, dass eine Prüfung ergeben habe, dass die Kosten bei einer konzernweiten Einführung zu hoch seien. Dies kann einer Vereinbarung bezogen auf die Verfügungsklägerin nicht entgegenstehen, denn im Fall der Verfügungsklägerin bedarf es keiner konzernweiten Regelung. Würde man bereits den Hinweis auf zusätzliche Kosten ausreichen lassen, so würde dies den gesetzlichen Anspruch aus § 9a TzBfG leerlaufen lassen. Sowohl etwaige Mehrverwaltungskosten als auch etwaige „Reibungsverluste und Arbeitsablaufstörungen“ haben danach jedenfalls dann hinter dem Schutzzweck des Gesetzes zurückzutreten, wenn diese – wie schon im Text des § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG vorgezeichnet – kein unverhältnismäßiges Ausmaß annehmen (vgl. BAG v. 18.05.2004, Az. 9 AZR 319/03). Dass dergleichen hier in Aussicht stände, ist aber nicht konkret dargelegt.

cc)

41

Eine Beeinträchtigung der Sicherheit durch den begehrten Arbeitszeitwunsch der Verfügungsklägerin ist nicht zu befürchten.

dd)

42

Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ist die Verfügungsklägerin nicht darauf beschränkt, weiterhin im Rahmen des bisher praktizierten Modells einer wöchentlich gleichbleibenden Arbeitszeit tätig zu sein. Die Kammer verweist aus das Urteil des BAG vom 18. August 2009 (9 AZR 517/08) zu dem insoweit vergleichbaren § 8 TzBfG, wonach dieser einen Anspruch auf Vertragsänderung begründet, bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs, der hier nicht im Ansatz dargelegt ist.

43

Etwas Anderes folgt auch nicht aus den Regelungen des Arbeitsvertrages, da dieser in § 2 ein jährliches Entgelt vorsieht und die Fälligkeit auf 13 Monatsgehälter verteilt wird. Diese Vereinbarung würde bei dem begehrten verstetigten Entgelt gleichbleiben, nur um 25 % reduziert. Ferner ist in § 3 zur Arbeitszeit geregelt, dass eine durchschnittliche Regelarbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich vereinbart wird. Da die Reduzierung ebenfalls auf die durchschnittliche Arbeitszeit angewendet werden und zum Ausgleich lediglich eine blockweise Freistellung gewährt werden soll, verbleibt es bei einer durchschnittlichen Regelarbeitszeit. Die Regelung des § 614 BGB steht dem mit § 9a TzBfG neu geschaffenen gesetzlichen Anspruch nicht entgegen.

44

Dem Teilzeitrecht folgend ist der Anspruch auf Brückenteilzeit nicht an das Vorliegen bestimmter Gründe (z.B. Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen) gebunden, so dass der Anspruch der Verfügungsklägerin auch nicht deshalb zurückzuweisen war, weil sie ihr Begehren nicht für die Verfügungsbeklagte nachvollziehbar begründet habe.

45

ee) Der Verfügungsbeklagten war auf den Schriftsatz der Verfügungsklägerin vom 01. November 2019 kein weiterer Schriftsatznachlass zu gewähren. Dieser enthielt keinen neuen Tatsachenvortrag. Zudem hatte die Verfügungsbeklagte im Rahmen einer 30-minütigen Unterbrechung der Kammerverhandlung die Möglichkeit, vom Inhalt des Schriftsatzes Kenntnis zu nehmen, ggf. Rücksprache zu halten und hierzu Stellung zu nehmen. Die Verfügungsbeklagte hat lediglich angemerkt, dass aufgrund des Teilzeitantrags eine Umorganisation erforderlich ist. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Anzumerken ist auch insoweit, dass die Verfügungsbeklagte nach ihrem eigenen Vortrag ohnehin eine Umorganisation beabsichtigt, die nicht dem Begehren der Verfügungsklägerin geschuldet ist.

2.

46

Ist der Anerkennung des rechtlichen Anspruchs der Verfügungsklägerin auf Reduzierung der Wochenstunden mit erstrebter Arbeitszeitverteilung nicht auszuweichen, so steht dem Erlass der dieser halb beantragten einstweiligen Verfügung auch nicht entgegen, dass sich die Verfügungsklägerin damit insofern bereits in der "Hauptsache" durchsetzt:

a)

47

Richtig ist zwar, dass einstweilige Verfügungen im Sinne der §§ 935, 940 ZPO grundsätzlich nicht zur Befriedigung des Gläubigers führen sollen. Denn im Vordergrund steht zunächst immer nur eine vorläufige, eben "einstweilige" richterliche Intervention in den Konflikt der Beteiligten. Die tatsächliche Anspruchsbefriedigung des Gläubigers oder der sonstige Schutz seiner Rechte ist als Konsequenz einer "einstweiligen" Verfügung andererseits aber auch nicht ausgeschlossen. Anerkannt ist vielmehr auch, dass besondere Lebenssachverhalte eine Ausnahme von dem erwähnten Grundsatz: keine "Vorwegnahme" der Hauptsache – gebieten können. Das gilt etwa dort, wo die Verwirklichung von (mutmaßlichen) Gläubigerrechten – namentlich wegen Zeitablaufs – ausschließlich durch ihre Befriedigung vor Erwirkung eines (ggf. vollstreckbaren) Titels im ordentlichen Verfahren erreichbar ist. Im Interesse der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes nimmt die Rechtsordnung in solchen Problemlagen das Risiko einer materiell unrichtigen Entscheidung im Eilverfahren über den Bestand des erhobenen Anspruchs oder den Schutzgehalt des betroffenen Rechts bewusst in Kauf, sofern nur eine Abwägung der Interessen der Parteien dies zulässt oder gar gebietet (vgl. ArbG Berlin v. 08.07.2005, Az: 28 Ga 13830/05 – zit. nach Juris; Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 2. Auflage Rn. 216)

b)

48

Genauso verhält es sich hier:

49

Ausschlaggebend ist der Umstand, dass das besagte Recht der Verfügungsklägerin auf die besagte Arbeitszeitgestaltung nicht mehr im Nachhinein verwirklicht werden kann. Seine Ausübung ist zeitgebunden. Wird die Verfügungsklägerin tatsächlich gezwungen, ihren Dienst in Vollzeit zu verrichten, so ist ihr Recht – pro rata temporis – verfallen, und zwar insoweit endgültig. Unter solchen Umständen erzeugt sowohl die gerichtliche Intervention als auch ihre Unterlassung "vollendete Tatsachen" und somit einen Zustand, in dem die "Hauptsache vorweggenommen" wird. Insoweit kommt insbesondere zum Tragen, dass die Rechtslage erst mit Rechtskraft gestaltet wird (§ 894 ZPO). Da hier die Folgen der Unterlassung gerichtlicher Intervention nach Lage der Dinge die Verfügungsklägerin weitaus einschneidender träfen als die hier verfügte Anordnung einer – je nach dem Verlauf des Hauptsacheverfahrens möglicherweise nur vorübergehenden – reduzierten Arbeitszeit, erscheint es nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten, das Risiko einer im summarischen Verfügungsverfahren materiell möglicherweise unrichtigen Entscheidung der Verfügungsbeklagten zuzuweisen. Das Bestreiten der Verfügungsbeklagten der gesundheitlichen und/oder persönlichen Gründe ohne weiteren Tatsachenvortrag stellt eine Behauptung ins Blaue hinein dar und ist demnach unbeachtlich. Gleiches gilt für den Hinweis, die Verfügungsklägerin habe in Bezug auf den Vorschlag, sie könne für die begehrten Zeiten unbezahlten Sonderurlaub nehmen, nicht dargelegt, dass sie sich mehrere Monate ohne Vergütung nicht leisten könne.

50

Des Weiteren kann ihr ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit der Gefahr der Arbeitsverweigerung und den daraus resultierenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen nicht zugemutet werden.

51

Soweit die Verfügungsbeklagte auf eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn (Urteil vom 10. April 2002, 4 Ga 23/02) verweisen will, wonach erforderlich sei, dass der Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung offensichtlich gegeben sein müsse und entgegenstehende betriebliche Gründe auf den ersten Blick ausscheiden müssen, vermag dies nicht die Verfügungsbeklagte, sondern die Verfügungsklägerin zu stützen. Wie ausgeführt, vermochte die Verfügungsbeklagte entgegenstehende betriebliche Gründe nicht darzulegen, während die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.

II.

52

Aufgrund des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) war über die Hilfsanträge zu 2) und 3) nicht mehr zu entscheiden.

III.

53

Die Kosten des Verfahrens fallen als unterlegener Partei nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO iVm § 46 Abs. 2 ArbGG der Verfügungsbeklagten zur Last.

54

Den Wert des Verfahrensgegenstandes hat das Gericht aufgrund des § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt. Dabei waren 3 Bruttomonatsgehälter in Höhe von je 4.544,20 € anzusetzen.

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