Urteil vom Arbeitsgericht Hamm - 3 Ca 2238/12
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.458,90 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2012 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Der Streitwert wird auf 1.458,90 € festgesetzt.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um die Vergütung des Klägers nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (im Folgenden: AWbG NW) für die Zeit der Teilnahme an einem Seminar.
3Der Kläger ist bei der Beklagten seit mehreren Jahren in deren Werk in I beschäftigt.
4Mit Schreiben vom 25.06.2012 (Bl. 5 d. Akte) lud die IG Metall Verwaltungsstelle Hamm-Lippstadt den Kläger zu einem Seminar zum Thema „Weimarer Demokratie und faschistische Diktatur - Der Kampf um soziale Rechte“ ein. Unter dem 02.07.2012 (Bl. 8 d. Akte) teilte der Kläger der Beklagten schriftlich mit, dass er beabsichtige in der Zeit vom 02.09. bis 14.09.2012 an diesem Seminar teilzunehmen und hierfür Bildungsurlaub zu beanspruchen. Veranstalter des Seminars war die IG Metall Bildungsstätte Berlin, die mit Anerkennungsbescheid vom 26.04.2010 (Bl. 41 d. Akte) von der Bezirksregierung Detmold als Träger für die Durchführung von Bildungsveranstaltungen anerkannt worden war.
5Für das genannte Seminar wurde im Bildungsprogramm 2012 der IG Metall, einsehbar in allen IG Metall-Verwaltungsstellten, im Internet unter: igmetall-bildung-in-berlin, sowie per Aushang im Betrieb geworben. Nach dem mit der Klageschrift in Kopie vorlegten Themenplan (Bl. 11 d. Akte) wendete sich das Seminar an interessierte Arbeitnehmer und Betriebsräte. Folgende Themen wurden behandelt:
6„- Wie erklären wird uns diese historische Niederlage?
7- Mit welcher Politik gelang es dem Faschismus, die Unterstützung breiter Massen zu erhalten, auch in der Arbeiterschaft?
8- Welche Konsequenzen hatte die Zerschlagung einer demokratischen Betriebsverfassung?
9- Welche Auswirkungen hatte diese Entwicklung auf die Betriebsverfassung der Bundesrepublik Deutschland?“
10Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgelegten Themenplan verwiesen.
11Da die Beklagte die Freistellung des Klägers zur Teilnahme abgelehnt hatte, erklärte dieser unter dem 19.07.2012 (Bl. 15 d. Akte), dass er gem. § 5 Abs. 4 AWbG NW gleichwohl an der Bildungsveranstaltung teilnehmen werde, was er auch tat. Die Beklagte verweigert nunmehr die Zahlung der Vergütung für die Zeit der Seminarteilnahme in Höhe von 1.458,90 € brutto.
12Der Kläger ist der Auffassung, das Seminar habe den Voraussetzungen des AWbG NW entsprochen. Ausgeschrieben im Internet sei es für jedermann freizugänglich und buchbar gewesen. Zudem verweise er auf die Bescheinigung zur Jedermann-Zugänglichkeit vom 12.07.2012 (Bl. 13 d. Akte), erteilt von der IG Metall Verwaltungsstelle Hamm-Lippstadt. Der Veranstalter - die IG Metall Bildungsstätte Berlin - , sei ein anerkannter Träger i. S. d. § 10 AWbG NW.
13Das Seminar entspreche inhaltlich auch den Vorgaben des AWbG und behandele ein klassisches Thema politischer Bildung. Es habe sich nicht um eine „Funktionsträgerschulung“ gehandelt.
14Zwar habe die IG Metall ihm vorläufig den Entgeltausfall erstattet verbunden mit der Verpflichtung, den Betrag zurückzuerstatten, falls er obsiege. Für seine Aktivlegitimation sei das aber nicht von Belang, da die Ansprüche nicht abgetreten seien. Insoweit werde die Beklagte nicht von ihrer Zahlungsverpflichtung an ihn befreit.
15Der Kläger beantragt,
16die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.458,90 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB gem. § 247 BGB seit dem 31.10.2012 zu zahlen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Sie trägt vor, der Kläger sei aufgrund der Erstattung des Entgeltausfalls durch die IG Metall schon nicht aktivlegitimiert.
20Im Grundsatz unstreitig von der IG Metall durchgeführt, besitze diese nicht die erforderliche Trägeranerkennung. Das Seminar sei deshalb nicht von einem anerkannten Träger der Weiterbildung durchgeführt worden.
21Zudem sei das Seminar auch nicht allgemein zugänglich. Bereits das Einladungsschreiben spreche gezielt nur Gewerkschaftsmitglieder an und richte sich von daher nur an eine abgegrenzte Teilnehmergruppe. Eine Vermutung der Allgemeinzugänglichkeit resultiere auch nicht aus der Trägeranerkennung. Für das Seminar seien erhebliche Kosten in Höhe von 2.741,40 € angefallen, die für Mitglieder von der IG Metall übernommen würden. Insoweit werde auch bereits im Einladungsschreiben auf die Möglichkeit der Kostenübernahme hingewiesen. Deshalb richte sich das Seminar augenscheinlich nicht an interessierte Arbeitnehmer, die derartige Erstattungen nicht erhielten. Denn kein Nicht-IG Metall-Mitglied würde solche Kosten zur Teilnahme aufbringen.
22Auch inhaltlich entspreche das Seminar nicht den Anforderungen des AWbG NW. Es handele sich ersichtlich um eine Funktionsträgerschulung.
23Wegen des übrigen Vortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
24Entscheidungsgründe
25Die zulässige Klage ist begründet.
26I.
27Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Vergütungszahlung von 1.458,90 € brutto für die Zeit der Teilnahme an der Bildungsveranstaltung gem. § 5 Abs. 4 AWbG NW i. V. m. § 7 AWbG NW.
281. Der Kläger ist aktivlegitimiert.
29Ein Anspruchsübergang auf die vorläufig das Entgelt für diese Zeit leistende IG Metall ist nicht ersichtlich. Der Anspruch ist weder abgetreten noch cessio legis auf die IG Metall übergegangen. Im Falle der Zahlung durch die Beklagte mag sich ein Anspruch der IG Metall gegen den Kläger auf Erstattung ergeben, die Aktivlegitimation des Klägers für diesen Prozess hindert das aber nicht.
302. Die Anspruchsvoraussetzungen für einen Zahlungsanspruch nach dem AWbG NW liegen vor. Die Beklagte hat die Freistellung zu Unrecht verweigert, so dass der Kläger gem. §§ 5 Abs. 4, 7 AWbG NW einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts für die Dauer der Seminarteilnahme in unstreitiger Höhe von 1.458,90 € brutto hat.
31a) Der Kläger hat die Beklagte gem. § 5 Abs. 1 AWbG NW mit Schreiben vom 02.07.2012 und damit 6 Wochen vor Beginn des Seminars über die Teilnahme informiert. Die Beklagte hat die Freistellung des Klägers aus anderen Gründen als den in § 5 Abs. 2 AWbG NW genannten verweigert. Unter dem 19.07.2012 hat der Kläger schriftlich mitgeteilt, dass er gem. § 5 Abs. 4 Satz 1 AWbG NW gleichwohl an der Veranstaltung teilnehmen werde.
32b) Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger an einer anerkannten Bildungsveranstaltung i. S. d. § 5 Abs. 5 i. V. m. § 9 AWbG NW teilgenommen.
33Nach § 9 Abs. 1 AWbG NW müssen Bildungsveranstaltungen den Grundsätzen des § 1 Abs. 2 bis 4 AWbG NW entsprechen (Nr. 1), von Einrichtungen der Arbeitnehmerweiterbildung durchgeführt werden, die nach § 10 AWbG NW anerkannt sind (Nr. 2), allen Arbeitnehmern zugänglich sein (Nr. 3) und in der Regel täglich acht Unterrichtsstunden, mindestens aber sechs Unterrichtsstunden, von jeweils 45 Minuten umfassen (Nr. 4).
34Nach Auffassung der erkennenden Kammer liegen diese Voraussetzungen nach den Darlegungen des Klägers vor.
35aa) Das Seminar „Weimarer Demokratie und faschistische Diktatur - Der Kampf um soziale Rechte“ erfüllt die Anforderungen des § 1 AWbG NW.
36Nach § 1 Abs. 2 AWbG NW dient Arbeitnehmerweiterbildung der beruflichen und der politischen Weiterbildung sowie deren Verbindung, wobei die berufliche Weiterbildung nach Abs. 3 die berufsbezogene Handlungskompetenz der Beschäftigten fördert und verbessert deren berufliche Mobilität verbessert. Nach Abs. 4 verbessert politische Arbeitnehmerweiterbildung das Verständnis der Beschäftigten für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge und fördert damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf.
37Bildungsveranstaltungen gelten nur dann als anerkannt, wenn sie § 1 Abs. 2 AWbG entsprechen. Das AWbG enthält keine abschließende Liste von Sachthemen, die Inhalt einer politischen Weiterbildung sein können. Zu Abgrenzungszwecken ist deshalb auf das vom Bundesverfassungsgericht im Interesse des Gemeinwohls liegende Ziel abzustellen, "das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern" (BVerfG Beschluss vom 15.12.1987 - 1 BvR 563/85, juris, Rdnr. 92). Insoweit dient eine Bildungsveranstaltung der politischen Arbeitnehmerweiterbildung, wenn nach dem didaktischen Konzept sowie der zeitlichen und sachlichen Ausrichtung der einzelnen Lerneinheiten das Erreichen dieses Ziels in einem pädagogisch organisierten Lernprozess ermöglicht werden soll (BAG Urteil vom 16.05.2000 – 9 AZR 241/99, juris, Rdnr. 16).
38Vor diesem Hintergrund ist die erkennende Kammer der Auffassung, dass es sich nach dem vorlegten Themenplan bei dem streitigen Seminar um eine Maßnahme der politischen Weiterbildung im Sinne des § 1 Abs. 2, 4 AWbG gehandelt hat.
39Denn danach befasste sich die Veranstaltung mit der Weimarer Demokratie, deren Bedeutung und Auswirkung auf Arbeitnehmerrechte und ihrem Scheitern durch Aufstieg der faschistischen Diktatur. Gründe für die Niederlage durch Unterstützung breiter Massen auch aus der Arbeitnehmerschaft, die Zerschlagung einer demokratischen Betriebsverfassung sowie die Auswirkung dieser Entwicklung auf die Betriebsverfassung der BRD waren Themenschwerpunkte. Insoweit dienen die genannten Themen der Verbesserung und Förderung des Verständnisses der Arbeitnehmer für die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenhänge auf den Gebieten der Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik.
40Wenn sich die Veranstaltung ihrem Themeninhalt nach auch mit der Anerkennung der Gewerkschaften als Ausfluss der Novemberrevolution 1918, sowie dem ersten Betriebsräte-Gesetz von 1920 befasste, so steht dieser Umstand der Anerkennung als politische Weiterbildung i. S. d. AWbG nicht entgegen und macht die Veranstaltung nicht zu einer Funktionsträgerschulung. Dem Themenplan lässt sich nämlich nicht entnehmen, dass Ziel und Konzept der Veranstaltung die Darstellung der allgemeinen Koalitionsaufgaben der Gewerkschaften war. Vielmehr sollte auf breiter Ebene erarbeitet werden, welche Auswirkungen der politische Wandel während der Weimarer Republik bis hin zu ihrem Scheitern durch Machtübernahme der Nationalsozialisten auf Betriebsverfassung und Arbeitnehmerrechte hatte.
41bb) Die Veranstaltung wurde auch von einer Einrichtung der Arbeitnehmerweiterbildung durchgeführt, die nach §§ 10, 11 AWbG anerkannt ist, § 9 Abs. 1 Nr. 2 AWbG.
42Das streitige Seminar wurde durch die IG Metall durchgeführt und fand in der IG Metall Bildungsstätte Berlin statt. Mit Anerkennungsbescheid der Bezirksregierung Detmold vom 26.04.2010 wurde die IG Metall Bildungsstätte Berlin als Einrichtung der Arbeitnehmerweiterbildung i. S. d. § 10 AWbG anerkannt, § 11 Abs. 2 AWbG.
43cc) Gem. § 9 Abs. 1 Nr. 3 AWbG war die Veranstaltung auch allen Arbeitnehmern zugänglich, sog. Jedermannzugänglichkeit.
44„Für jedermann zugänglich“ im Sinne von § 9 Satz 1 AWbG i. V. m. § 2 Abs. 4 Satz 1 AWbG ist eine Bildungsveranstaltung, wenn sie den nach § 2 AWbG anspruchsberechtigten Arbeitnehmern offensteht. Richtet sich die Veranstaltung nur an Gewerkschaftsmitglieder, ist sie nicht für jedermann zugänglich (BAG Urteil vom 21.10.1997 – 9 AZR 253/96, juris, Rdnr. 29).
45Für das Seminar wurde im Bildungsprogramm 2012 der IG Metall, per Aushang im Betrieb aber auch im Internet und damit für jedermann einsehbar geworben. Zuzugeben ist der Beklagten, dass durch das „Bildungsprogramm 2012“ der IG Metall, welches in den IG-Metall-Verwaltungsstellen zur Einsicht auslag, vorrangig Gewerkschaftsmitglieder angesprochen werden. Dennoch wurde sowohl per Aushang im Betrieb für alle Arbeitnehmer als auch im Internet zugänglich für jeden für die Veranstaltung geworben und damit allen Arbeitnehmern die Möglichkeit der Teilnahme eröffnet. Der Themenplan weist ausdrücklich daraufhin, dass sich das Seminar an alle interessierten Arbeitnehmer(innen) und Betriebsräte richtet. Insoweit ist die Kammer der Auffassung, dass eine hinreichende Bekanntmachung für alle interessierten Arbeitnehmer anzunehmen ist. Die Teilnahme war auch nicht von einer Gewerkschafts- oder Branchenzugehörigkeit abhängig, sondern für jeden Arbeitnehmer frei buchbar. Gegenteiliges hat die Beklagte auch nicht behauptet.
46Soweit der Beklagte vorträgt, wegen der hohen Seminarkosten und der Kostenübernahme nur für Gewerkschaftsmitglieder seien Nicht-Mitglieder faktisch von der Teilnahme ausgeschlossen worden, so ist dem nicht zu folgen. Ob tatsächlich nur Mitglieder der Gewerkschaft teilgenommen haben, ist angesichts der Jedermannzugänglichkeit ohne Belang. Ein gewerkschaftlicher Veranstalter kann mit Rücksicht auf satzungsgemäß geleistete Mitgliedsbeiträge den teilnehmenden eigenen Mitgliedern die Erstattung der Kosten in Aussicht stellen. Dadurch wird die Jedermannzugänglichkeit der Veranstaltung nicht ausgeschlossen (vgl. BAG a. a. O., Rdnr. 35).
47Auch die an den Kläger seitens seiner Gewerkschaft gerichteten Schreiben bieten keine Anhaltspunkte dafür, dass Nicht-Mitglieder nicht angesprochen bzw. ausgeschlossen werden sollten. Tatsache ist, dass der Kläger Gewerkschaftsmitglied ist. Als solches wurde er in den Schreiben auch angesprochen, mehr nicht. Allein daraus den Ausschluss von Nicht-Mitgliedern herzuleiten, überzeugt nicht. Die Einladung vom 25.06.2012 (Bl. 5 d. Akte), auf die die Beklagte in diesem Zusammenhang Bezug nimmt, erfolgte aufgrund einer im Januar 2012 erfolgten Anmeldung des Klägers, was seinem Schreiben vom 18.01.2012 (Bl. 16 d. Akte) zu entnehmen ist. Insoweit ist der Kläger nicht ohne Anlass allein aufgrund seiner Gewerkschaftsmitgliedschaft „auf Verdacht“ von der IG Metall zu dem Seminar eingeladen worden.
48dd) Die übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 4 AWbG liegen. Das hat die Beklagte auch nicht bestritten.
49Nach alledem liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung des Arbeitsentgelts für die Dauer der Seminarteilnahme gem. §§ 5 Abs. 4, 7 AWbG NW vor.
503. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 BGB.
51II.
52Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. ArbGG, 91 ZPO. Der Streitwertfestsetzung liegen §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO zugrunde.
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