Urteil vom Arbeitsgericht Herford - 1 Ca 1355/08
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die klagende Bundesagentur 75.944,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 08.11.2008 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Der Streitwert wird auf 75.944,45 € festgesetzt.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche aus übergegangenem Recht.
3Mit Beschluss vom 17.09.2007 wurde über das Vermögen der U2 M1-GmbH, in B1 das Insolvenzverfahren eröffnet. Gegenstand des Unternehms waren die Herstellung und der Vertrieb von Draht- und Metallwaren, insbesondere die Herstellung und der Vertrieb von Drahtplatten, Stanzteilen und Metallständern sowie damit alle im Zusammenhang stehende Geschäfte. Die Klägerin zahlte an die Arbeitnehmerin der Schuldnerin rückständige Arbeitsentgeltansprüche als Insolvenzgeld betreffend den Zeitraum 01.03.2007 bzw. 01.04.2007 oder 01.05.2007 bis 31.05.2007 an insgesamt 29 Arbeitnehmer. Wegen der einzelnen Mitarbeiter und der an diese gezahlten Beträge wird auf die Anlage K 2 zur Klageschrift (Bl. 30 d.A.) verwiesen.
4Unter dem 26.01.2007 wurde von den Gesellschaftern der U2 M1-GmbH die Beklagte gegründet. Zeitgleich wurde am 26.01.2007 die Firma U1 I1-GmbH. & Co KG gegründet. An diese Gesellschaft waren zuvor im Gründungsstadium von der U2 M1 GmbH mit Kaufvertrag vom 28.12. das gesamte bewegliche Sachanlagevermögen der Schuldnerin veräußert worden. Die Gesellschafter brachten darüber hinaus das von der Insolvenzschuldnerin genutzte Betriebsgrundstück in die Immobiliengesellschaft ein. Die Betriebsimmobilien und die Betriebsschäftsausstattung wurden sodann an die Insolvenzschuldnerin und nach Neugründung an die Beklagte vermietet. Wegen der Einzelheiten wird diesbezüglich auf den Bericht des Insolvenzverwalters vom 19.11.2007 verwiesen (Anlage K 1 zur Klageschrift, Bl. 9 ff. d.A.). Am 15.03.2007 übertrugen die Gesellschafter ihre Anteile an der U2 M1-GmbH an eine Firma C1-T1 C2 GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer S2 S3.
5Durch Vertriebs- und Kooperationsvertrag vom 19.03.2007 übertrug die Insolvenzschuldnerin den Vertrieb sämtlicher von ihr hergestellter und vertriebener Produkte für das Vertragsgebiet Gesamt-Europa an die Beklagte. Die Beklagte verpflichtete sich im Gegenzug alle Erzeugnisse nur von der Insolvenzschuldnerin zu beziehen. Der Vertrieb erfolgt ab dem 19.03.2007 nur noch im Namen und auf Rechnung der Beklagten.
6Ab März 2007 zahlte die insolvente U2 M1-GmbH keine Löhne und Gehälter an ihre Arbeitnehmer mehr. Am 29.05.2007 stellte der Geschäftsführer den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Mit Beschluss vom 30.05.2007 wurden Sicherungsmaßnahmen angeordnet. Alle Mitarbeiter der Insolvenzschuldnerin erklärten am 31.05.2007 fristlose Eigenkündigungen.
7Die Beklagte beschäftigte jedenfalls einen Teil der Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin in der Folgezeit weiter. Drei Arbeitnehmer wurden von der Beklagten bei der BEK am 04.06.2007 angemeldet. Weitere Arbeitnehmer wurden bei der jeweiligen Krankenkasse angemeldet am 11.06., 12.06., 13.06. und 18.06.2007.
8Die klagende Bundesagentur forderte die Beklagte mit Schreiben vom 21.10.2008 unter Fristsetzung zum 11.10.2008 zur Zahlung auf rückständige Lohnansprüche in Höhe des insgesamt an Insolvenzgeld gezahlten Betrages von 75.944,45 EUR auf. Die Beklagte wies mit Anwaltsschreiben vom 07.11.2008 die Forderung zurück. Wegen der diesbezüglichen Schreiben wird auf die Anlagen K 3 und K 4 zur Klageschrift (Bl. 31 ff. und 33 ff. d.A.) verwiesen.
9Mit der am 25.11.2008 eingegangenen Klage begehrt die Klägerin nunmehr die Zahlung des entsprechenden an Insolvenzgeld aufgewandten Betrages.
10Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei gemäß § 613 a Abs.1 BGB aufgrund eines Betriebsüberganges in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen eingetreten und hafte für die auf sie übergegangenen Lohnansprüche gemäß § 187 Satz 1 SGB III.
11Ein Betriebsübergang habe vorgelegen, da die Beklagte sämtliche materiellen Betriebsmittel der Insolvenzschuldnerin übernommen habe, in den gleichen Betriebsräumen tätig sei und die gleichen Tätigkeiten verrichte. Ferner behauptet sie, die Kundschaft der Insolvenzschuldnerin sei 1 zu 1 übernommen worden. Darüber hinaus seien dazu alle Mitarbeiter der Insolvenzschuldnerin von der Beklagten übernommen worden.
12Die klagende Bundesagentur ist der Ansicht, ein Betriebsübergang habe bereits zwei Monate vor Ausspruch der Eigenkündigungen der Arbeitnehmer stattgefunden. Bereits ab dem 19.03.2007 seien die Arbeitnehmer für die Beklagte tätig geworden.
13Die klagende Bundesagentur ist der Ansicht, es spiele für eine Haftung keine Rolle, ob die Arbeitnehmer unmittelbar übernommen worden seien oder zunächst Eigenkündigungen ausgesprochen hätten. Jedenfalls seien die Eigenkündigungen als Umgehungsgeschäfte nichtig, wenn man nicht bereits von einem Übergang der Arbeitsverhältnisse gemäß § 613 a BGB vor Ausspruch dieser Kündigungen ausgehe.
14Die Klägerin beantragt,
15die Beklagte zu verurteilen, 75.944,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.11.1008 an die Klägerin zu zahlen.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Die Beklagte ist der Ansicht, ein Betriebsübergang liege jedenfalls vor dem Zeitpunkt des Ausspruchs der Eigenkündigungen der Mitarbeiter der Gemeinschuldnerin hinsichtlich der Produktion nicht vor. Sie, die Beklagte, habe sich aufgrund von Gesellschafterdifferenzen und auch aufgrund nicht vorhandener Finanzmittel Ende Juni nicht mehr mit einer Aufgabe ihrer Geschäftstätigkeit befasst, sondern mit einer Fortsetzung des Geschäftsbetriebes unter Aufnahme einer eigenen Produktion.
19Beweis: Zeugnis des Herrn F2 W1, Zeugnis des Herrn S2 S3, Zeugnis des Rechtsanwalts M3 H2.
20Zum Zeitpunkt der eigenen Aufnahme des Geschäftsbetriebes hätten die Arbeitsverhältnisse mit den Mitarbeitern aufgrund ausgesprochener Eigenkündigung nicht mehr bestanden.
21Sie ist der Ansicht, die Eigenkündigungen würden auch keine Umgehungsgeschäfte beinhalten, sie behauptet dazu, die Eigenkündigungen seien ohne Zusage eines neuen Arbeitsplatzes und ohne Druck von den Arbeitnehmern ausgesprochen worden. Die Mitarbeiter seien von dem seinerzeitigen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin S3 ausdrücklich darüber informiert worden, dass keine Verpflichtung zur Eigenkündigung bestehe und ein neuer Arbeitsplatz bei ihr, der Beklagten, nicht zugesichert werden könne.
22Beweis: Zeugnis des Herrn S2 S3.
23Sämtliche Eigenkündigungen seien zur Absicherung des Anspruchs auf Insolvenzgeld ausgesprochen worden.
24Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
25Entscheidungsgründe
26Die Klage ist zulässig und begründet.
27Die Beklagte haftet für Lohnansprüche gegenüber der Klägerin in Höhe der Insolvenzgeldzahlungen, da Lohnansprüche gemäß § 613 a Abs.2 BGB, 182, 187 SGB III auf die Klägerin übergegangen sind.
28Die Beklagte hat den Betrieb der Insolvenzschuldnerin bereits vor dem 01.06.2007 durch Rechtsgeschäft übernommen. Gemäß § 613 a Abs. 1 BGB setzt ein rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang die Übernahme eines Betriebes bzw. Betriebsteils unter Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit voraus. Die wirtschaftliche Einheit bezieht sich dabei auf eine organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen zum Zwecke einer auf Dauer angelegten Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Ob eine gesamte wirtschaftliche Einheit übertragen wird, richtet sich danach, ob nach der Gesamtwürdigung die wesentlichen Betriebsmittel wie Gebäude oder bewegliche Güter bzw. der Wert der materiellen Betriebsmittel, der Kundschaft und Kundenbeziehung dergestalt übernommen werden, dass die Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten mit allenfalls unwesentlicher Unterbrechung weiter verrichtet werden. Dazu kann auch die Übernahme der Arbeitnehmer gehören, soweit der wesentliche Teil der Hauptbelegschaft und insbesondere know-how-Träger übernommen werden. Die Identität der Einheit kann auch durch andere Merkmale vermittelt werden, wie das Personal, die Führungskräfte, Arbeitsorganisation oder Betriebsmethoden. Den für das Vorliegen eines Betriebsübergangs in der Gesamtwertung maßgeblichen Kriterien kommt - je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach der Produktions- und Betriebsmethoden- unterschiedliches Gewicht zu (vgl. BAG Urteil vom 22.07.2004, 8 AZR 350/03 in AP BGB § 316 a Nr. 274; BAG Urteil vom 18.03.1999, 8 AZR 159/098, BAGE 91, 121; sowie EuGH Beschluss vom 11.03.1997, RS.-C 13/95 in AP EWG-Richtlinien Nr. 77/187 Nr. 14). In Bereichen, in denen – wie hier – zumindest in der Produktion matierelle Betriebsmittel übertragen werden, ist entscheidend, ob diese Betriebsmittel als Einheit weiter genutzt werden.
29Nach diesen Maßstäben lag hier ein Betriebsübergang des kompletten Betriebes der Insolvenzschuldnerin vor.
30Unzweifelhaft und unstreitig ergibt sich aus dem Vertriebs- und Kooperationsvertrages vom 19.03.2007, dass die Schuldnerin den Vertrieb sämtlicher von ihr hergestellter oder vertriebener Produkte für das Vertragsgebiet Gesamt-Europa auf die Beklagte übertragen hat. Das ist hinsichtlich des reinen Vertriebes auch zwischen den Parteien nicht streitig. Unabhängig davon, ob der Vertrieb und die Produktion eigenständige Betriebsteile darstellen und in diesem Fall nur die diesem Betriebsteil zuzuordnenden Arbeitsverhältnisse und nicht die der Produktion zuzuordnenden Arbeitsverhältnisse übergehen könnten, lag aber auch ein Betriebsübergang hinsichtlich der gesamten Produktion vor dem 01.06.207 vor. Die Beklagte betreibt die Geschäfte in denselben Betriebsräumen, nutzt sämtliche weitere Betriebsmittel, die zuvor die Insolvenzschuldnerin genutzt hat. Sie hat insbesondere die gesamte Geschäftsausstattung, Geschäftsräume und insbesondere die Produkte der Insolvenzschuldnerin übernommen. Die Tätigkeiten der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten unterscheiden sich nach unbestrittenem Vorbringen der Klägerin nicht. Für die Übertragung einer betrieblichen Einheit spricht auch die Übernahme der Kundschaft.
31Die Beklagte kann sich letztlich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Betriebsteil, der die Produktion betrifft, aufgrund entsprechender neuer Entscheidungen erst im Juni und damit nach Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin fortgeführt wurde und damit nicht vorher übernommen wurde. Das Gericht geht jedenfalls davon aus, dass spätestens mit der Einstellung der Tätigkeit durch die Insolvenzschuldnerin mit der Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung am 29.05.2007 und damit spätestens ab diesem Zeitpunkt die Produktion nahtlos fortgeführt wurde, zumal die Beklagte bereits am 26.01.2007 gegründet wurde und nach unbestrittenem Vorbringen der Klägerin Geschäftsräume und die Geschäftsausstattung bereits nach diesem Zeitpunkt an die Beklagte vermietet wurden. Gegen die Übernahme der Leitungsmacht vor dem 29.05.07 spricht auch nicht, dass die Arbeitsverhältnisse mit der Insolvenzschuldnerin noch fortgeführt wurden und die Abrechnungen und Abwicklung der Lohnansprüche und Lohnzahlungen bis zur Einstellung zunächst noch durch die Insolvenzschuldnerin durchgeführt wurden. Gerade aufgrund des Hintergrundes des Kooperationsvertrages, nach dem der Vertrieb bereits ab dem 19.03.2007 auf die Beklagte übertragen wurde, war davon auszugehen, dass die Leitung der Produktion wenn nicht offiziell aber inoffiziell vor dem 29.05.2007 von der Beklagten erfolgte. Die zunächst erfolgte Übertragung des Vertriebes auf die Beklagte als wirtschaftliches und finanzielles Herzstück eines Betriebes zeigt, dass die Beklagte auch hinsichtlich der Produktion schon in Erwartung der Insolvenz peu à peu die Leitung übernommen hat. Zumindest reicht es bei diesem Hintergrund aufgrund einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast nicht aus, wenn die Beklagte dazu allein vorträgt, die Entscheidung zur Übernahme der Produktion sei erst ab Juni 2007 getroffen worden, ohne genaue Zeitpunkte entsprechender Entscheidungen zu nennen und zu dokumentieren. Einer Beweisaufnahme bedurfte es angesichts des nicht hinreichend substantiierten Vorbringens nicht, zumal nach dem Vorbringen der Beklagten eine kurzfristige Einstellung der Produktion nicht erfolgte und insbesondere zwischenzeitlich Zugriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten der vorläufigen Insolvenzverwalterin zu keinem Zeitpunkt bestanden und dies auch gerade nach dem Konzept wohl vermieden werden sollte. Für eine nahtlose Übernahme der Produktion mit einem Zeitpunkt vor dem 29.05.2007 spricht auch die unmittelbare Anmeldung der Mitarbeiter bei der jeweiligen Krankenkasse bereits ab dem 04.06.2007. Auch unter Berücksichtigung dieses engen Zeitrahmens wäre es Sache der Beklagten gewesen vorzutragen, dass die Mitarbeiter, die die Beklagte zur Erhaltung der Produktion benötigte und beschäftigen wollte, erst aufgrund späterer Entscheidungen nach dem 29.05. bzw. nach Ausspruch der Eigenkündigungen Vertragsangebote erhielten. Vielmehr war mangels gegenteiligen Vortrags der Beklagten davon auszugehen, dass Vertragsabschlüsse bzw. Vereinbarungen vor Anmeldung der jeweiligen Mitarbeiter erfolgten.
32War nach alledem von einem nahtlosen Betriebsübergang nicht nur des Vertriebes, sondern auch der Produktion vor bzw. spätestens mit dem 29.05.07 auszugehen, kam es für die Haftung auch nicht mehr darauf an, ob die Eigenkündigungen sämtlicher Mitarbeiter zum 31.05. wirksam waren oder Umgehungsgeschäfte darstellten. Da Eigenkündigungen, die erst kurz nach Betriebsübergang wirksam wurden, konnte gemäß § 613 a Abs. 2 BGB eine Haftung für rückständige Lohnansprüche nicht mehr beseitigen. Das gilt auch unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob sämtliche zuvor bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigten Mitarbeiter übernommen wurden oder ob nur ein Teil der Arbeitnehmer Vertragsangebote erhielt.
33Rechnerisch ist der Hauptanspruch aufgrund der von der klagenden Bundesagentur überreichten Liste mit entsprechenden Zahlungen an die Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin schlüssig dargelegt. Hinsichtlich der Höhe der Forderung erhebt die Klägerin auch keine Einwendungen.
34Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288, 291 BGB.
35Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 46 Abs. II ArbGG i.V.m. § 91 ZPO.
36Die Streitwertfestsetzung im Urteil beruht auf § 46 Abs. 2 ArbbG i.V.m. § 3 ff. ZPO und § 42 GKG.
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