Urteil vom Arbeitsgericht Karlsruhe - 6 Ca 569/03

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 98,33 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2003 zu zahlen.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 12/13, die Beklagte trägt 1/13.

4. Der Streitwert wird auf 1.278,23 EUR festgesetzt.

5. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Die Klägerin verfolgt einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Monat August 2003.
Die Klägerin war bei der Beklagten, die mehrere Einzelhandelsgeschäfte betreibt und mehr als fünf Arbeitnehmer i. S. d. § 23 KSchG beschäftigt, seit dem 02.01.2002 in einem Einzelhandelsgeschäft als Verkäuferin beschäftigt. Als monatliche Vergütung waren 1.278,23 EUR brutto vereinbart. Die Klägerin arbeitete in der 6-Tage-Woche. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein nicht datierter schriftlicher Arbeitsvertrag zugrunde (Anlage zur Klageschrift, ABL. 7-12). Die Beklagte sprach zunächst mit Schreiben vom 17.07.2003 eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2003 aus (Anlage zur Klageschrift, ABL. 13). Ob der Klägerin darüber hinaus am 02.08.2003 eine außerordentliche Kündigung zuging, ist streitig. In dem Haus, in dem die Klägerin wohnt, wohnen insgesamt zwei Mietparteien. Der Arzt für Allgemeinmedizin K (Herxheim) stellte der Klägerin am 01.08.2003 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) für die Zeit vom 01.08.2003 bis zum 15.08.2003 aus (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 21.01.2004, ABL. 42, vgl. auch Erläuterung der Klägerin im Kammertermin vom 09.03.2004, Seite 1 des Protokolls, ABL. 53). Der Arzt für Allgemeinmedizin S (Karlsruhe) stellte der Klägerin am 18.08.2003 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 16.08.2003 bis zum 30.08.2003 (Samstag) aus, ebenfalls als Erstbescheinigung (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 21.01.2004, ABL. 43). Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben ihres jetzigen Prozeßbevollmächtigten vom 03.09.2003 u. a. zur Zahlung der Vergütung für den Monat August 2003 auf ( Anlage zur Klageschrift, ABL. 5 -6). Die jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten lehnten diesen Anspruch mit Schreiben vom 04.09.2003 unter Berufung auf eine außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 01.08.2003 ab (Anlage zur Klageschrift, ABL. 14 -15). Mit der vorliegenden Klage vom 27.09.2003, die am 30.09.2003 beim Arbeitsgericht Karlsruhe einging und der Beklagten am 11.10.2003 zugestellt wurde, verfolgt die Klägerin den Anspruch gerichtlich.
Die Klägerin trägt im wesentlichen vor, sie habe das von der Beklagten in Bezug genommene fristlose Kündigungsschreiben vom 01.08.2003 nicht erhalten. Sie habe am 02.08.2003 nichts von ihrem Arbeitgeber erhalten, auch keine andere Post als eine fristlose Kündigung. Vielmehr habe die Beklagte ihr nur noch ihre Lohnsteuerkarte zugeschickt, dies müsse im September gewesen sein (Seite 1 des Protokolls über den Gütetermin vom 27.11.2003, ABL. 35). Der Briefkasten der Klägerin sei am 02.08.2003 geleert worden. Bei der Post habe sich kein Schreiben der Beklagten befunden, auch an den folgenden Tagen nicht. Die Klägerin bestreite deshalb die Richtigkeit der im Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG abgegebenen Erklärung. Da die angebliche Zustellung während der Ferienzeit erfolgt sei, in der bei der Post Aushilfen als Urlaubsvertretung eingesetzt seien, sei von einer noch höheren als der normalen Fehlerhäufigkeit der Post auszugehen. Die Klägerin sei am 01.09.2003 bei ihrem jetzigen Prozeßbevollmächtigten vorstellig geworden und habe im ersten Gespräch nur die ordentliche Kündigung, keine außerordentliche Kündigung erwähnt. Sie habe auch keine Ahnung, auf welche Gründe die fristlose Kündigung gestützt werde. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 01.08.2003 und vom 18.08.2003 habe jeweils noch am selben Tag der Bruder der Klägerin, Herr Ö, bei der Beklagten abgegeben. Er habe sie persönlich beim Marktleiter Herrn M abgegeben, ohne daß auch nur mit einem Wort eine fristlose Kündigung erwähnt worden sei. Die Klägerin habe am Morgen des 16.08.2003 Frau W telefonisch informiert, sie sei nach wie vor krank. In diesem Gespräch sei keine Rede davon gewesen, daß das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt worden sei.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.278,23 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.09.2003 zu bezahlen.
Die Beklagte hat
die Klage hinsichtlich eines Teilbetrags in Höhe von 98,33 EUR brutto (Vergütung für den 01.08.2003 und 02.08.2003) anerkannt.
Im übrigen beantragt die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
10 
Die Beklagte trägt im wesentlichen vor, sie habe das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 01.08.2003 fristlos gekündigt, nachdem die Klägerin gegenüber der Mitarbeiterin Frau W im Hinblick auf eine angekündigte Einteilung in eine andere Filiale erklärt habe, in diesem Fall werde sie ab dem nächsten Tag krank sein. Die Beklagte habe das Kündigungsschreiben vom 01.08.2003 (Anlage B 2, ABL. 32) noch am selben Tag mittels Einwurf-Einschreiben aufgegeben. Dazu bezieht sich die Beklagte auf den Einlieferungsbeleg vom 01.08.2003 (Anlage B 3, ABL. 33). Das Schreiben sei der Klägerin am 02.08.2003 zugegangen. Dazu bezieht sich die Beklagte auf den Auslieferungsbeleg für Einschreiben vom 02.08.2003 (Anlage B 4, ABL. 34). Da die Klägerin diese Kündigung nicht innerhalb von drei Wochen nach dem 02.08.2003 durch Klage angegriffen habe, sei die fristlose Kündigung wirksam und stehe jeglichen Vergütungsansprüchen der Klägerin ab dem 03.08.2003 entgegen. Die Klägerin habe den durch den Auslieferungsbeleg erbrachten Anscheinsbeweis nicht erschüttern können. Für die Beklagte sei neu, daß der Bruder der Klägerin am 01.08.2003 und am 18.08.2003 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abgegeben haben solle. Unrichtig sei auch, daß die Klägerin Frau W am 16.08.2003 telefonisch über die Fortdauer ihrer - von der Beklagten insgesamt bestrittenen - Arbeitsunfähigkeit informiert habe.
11 
Zu den weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst der Anlagen sowie auf die Protokolle über den Gütetermin vom 27.11.2003 und über den Kammertermin vom 09.03.2004 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Dem auf Zahlung der Vergütung für den 01.08.2003 und den 02.08.2003 nebst Zinsen gerichteten Teil des Klageantrags hat das Gericht durch Anerkenntnisteilurteil stattgegeben, denn die Beklagte hat diesen Anspruch im Sinne des § 307 ZPO anerkannt.
13 
Im übrigen hat die Kammer die Klage abgewiesen, weil die Klage insoweit zwar zulässig, jedoch unbegründet ist.
A.
14 
Die Klägerin hat für den Monat August 2003 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, der den durch Anerkenntnisteilurteil ausgeurteilten Betrag von 98,33 EUR brutto übersteigt. Der letztgenannte Betrag ist die Vergütung für den 01.08.2003 und den 02.08.2003. Die Höhe berechnet sich wegen der Tätigkeit der Klägerin in der 6-Tage-Woche folgendermaßen: 1.278,23 EUR brutto geteilt durch 26 und multipliziert mit 2. Ansprüche für die Zeit vom 03.08.2003 bis zum 31.08.2003 hat die Klägerin dagegen nicht, denn in diesem Zeitraum bestand kein Arbeitsverhältnis der Parteien mehr. Das folgt daraus, daß die Klägerin am 02.08.2003 eine außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten erhielt, die gemäß §§ 4, 7 KSchG (in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung) als wirksam gilt.
I.
15 
Die Kammer geht aufgrund der Würdigung des wechselseitigen Parteivorbringens sowie im Hinblick auf den von der Beklagten vorgelegten Einlieferungsbeleg und den von der Beklagten vorgelegten Auslieferungsbeleg davon aus, daß das von der Beklagten in Bezug genommene Kündigungsschreiben vom 01.08.2003 (Anlage B 2) am 02.08.2003 der Klägerin zuging, da es an diesem Tag in den Hausbriefkasten der Klägerin gelegt wurde.
16 
1. Die Klägerin hat zunächst die Existenz des von der Beklagten vorgelegten Kündigungsschreibens in der gebotenen schriftlichen Form nicht bestritten. Somit ist unstreitig, daß es ein solches Kündigungsschreiben gab. Insbesondere hat die Klägerin nicht behauptet, am 02.08.2003 oder in den Tagen danach andere Post von der Beklagten erhalten zu haben. Vielmehr hat sie ausdrücklich vorgetragen, in diesem Zeitraum nichts von der Beklagten erhalten zu haben.
17 
2. Nach der Überzeugung der Kammer steht fest, daß der Klägerin das Kündigungsschreiben zuging.
18 
a) Gemäß § 130 Abs. 1 BGB wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem anderen zugeht, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird. Eine schriftliche Kündigung geht der anderen Vertragspartei dabei dann zu, wenn die Kündigung derartig in den Machtbereich des Empfängers gelangt, daß unter gewöhnlichen Umständen mit Kenntnisnahme zu rechnen ist. Da der Hausbriefkasten eines Empfängers regelmäßig zu dessen Machtbereich gehört, geht ein Kündigungsschreiben regelmäßig mit Einwurf in einen solchen Briefkasten zu (allgemeine Auffassung, vgl. LAG Hamm 22.05.2002 3 Sa 847/01 - zitiert nach Juris, zu B II 4 a der Gründe).
19 
b) Darlegungs- und beweisbelastet für den Zugang der Kündigung ist die Vertragspartei, die sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Kündigung beruft, hier die Beklagte.
20 
aa) Die Beklagte hat nicht allein durch die Vorlage des Auslieferungsbelegs der Deutschen Post AG vom 02.08.2003 (Anlage B 4) den vollen Beweis erbracht. Denn der Auslieferungsbeleg ist keine öffentliche Urkunde im Sinne der §§ 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 ZPO. Im Bereich der einfachen Briefzustellung ist die Deutsche Post AG nicht sogenannter beliehener Unternehmer (zu den Einzelheiten der Begründung vgl. LAG Hamm 22.05.2002 - 3 Sa 847/01 - a.a.O., zu B II 4 b der Gründe m. w. N.).
21 
bb) Für den Einwurf des Kündigungsschreibens am 02.08.2003 spricht aber der sogenannte Beweis des ersten Anscheins.
22 
Dazu muß zunächst ein typischer Geschehensablauf feststehen, d. h. ein Sachverhalt, bei dem nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge geschlossen werden kann. Dieser Sachverhalt muß entweder unstreitig oder mit Vollbeweis bewiesen sein. Die Typizität beurteilt der Richter nach der Lebenserfahrung. Der Vorgang muß zu jenen gehören, die schon auf den ersten Blick nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten "Muster" abzulaufen pflegen.
23 
Das hier die Grundlage für den Anscheinsbeweis bildende typische Geschehen ist der Umstand, daß sowohl ein Einlieferungsbeleg der Deutschen Post AG, als auch ein Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG existiert. Auf Letzterem hat der Postzusteller den Einwurf des Schreibens handschriftlich bestätigt. Der Kammer ist bekannt und bewußt, daß auch die Deutsche Post AG weit davon entfernt ist, fehlerfrei zu arbeiten. Jedoch ist auch nach der Privatisierung aufgrund der Lebenserfahrung immer noch davon auszugehen, daß bei Existenz eines Einlieferungsbelegs und eines vom Zusteller unterschriebenen Auslieferungsbelegs das betreffende Schriftstück tatsächlich, wie dort dokumentiert, in den Hausbriefkasten des Empfängers eingeworfen wurde. Daß die Mitarbeiter der Post Briefe zumindest dann, wenn sie die ordnungsgemäße Zustellung bestätigen, richtig ausliefern, ist immer noch der sehr weit überwiegende Normalfall. Die Zustellungen laufen nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster ab. Darauf kann auch heute noch vertraut werden, denn die Richtigkeit des Zugangs ist der einzige Zweck des Zustellungsvorgangs. Somit ist sowohl dem einzelnen Zusteller, als auch dessen Arbeitgeber bewußt, daß es sich um eine extrem wichtige und unter allen Umständen exakt durchzuführende Verrichtung handelt. Dafür, daß auch heute noch auf die Zuverlässigkeit der Deutschen Post AG vertraut werden kann, spricht ergänzend der Umstand, daß die Bundesrepublik Deutschland dieses Unternehmen immerhin bei den förmlichen Zustellungen mit Hoheitsbefugnissen "beleiht" und dadurch zur -fingierten -Behörde im Sinne des § 415 ZPO macht. Nach richtiger Auffassung ist deshalb die Grundlage für den Beweis des ersten Anscheins durch den Einlieferungsbeleg in Verbindung mit der technischen Reproduktion des unterschriebenen Auslieferungsbelegs gegeben (AG Paderborn 03.08.2000 -51 C 76/00 -NJW 2000, 3722; Reichert NJW 2001, 2523, 2524; offengelassen von OLG Düsseldorf 18.12.2001 -4 U 78/01-zitiert nach Juris; gegen die Annahme des Anscheinsbeweises [allerdings wohl aufgrund einer Besonderheit des konkreten Falles, vgl. dazu die Analyse von Reichert a.a.O.] LG Potsdam 27.07.2000 -11 S 233/99 -NJW 2000, 3722 sowie wohl auch LAG Hamm 22.05.2002 -3 Sa 847/01 -zitiert nach Juris. Bei der letztgenannten Entscheidung bestand die Besonderheit, daß der Auslieferungsbeleg zwar existierte, jedoch ein offensichtlich fehlerhaftes Datum auswies).
24 
Die Klägerin hat den Anschein nicht erschüttert. Für die Erschütterung genügt es, wenn die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs besteht. Die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bedürfen des vollen Beweises (Zöller - Greger ZPO 24. Aufl. Vor § 284 Rn. 29 m. w. N.).
25 
Insoweit hat die Klägerin zwar vorgetragen, bei der Leerung keine Post der Beklagten vorgefunden zu haben. Es fehlt aber an dem erforderlichen Beweisantritt. Da es sich nicht um einen Vorgang handelt, bei dem auf Seiten der Beklagten ein sogenannter "Repräsentant" beteiligt gewesen wäre, handelt es sich nicht um einen Fall, in welchem auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Anhörung der Klägerin als Partei ausreichend wäre (vgl. EGMR 27.10.1993 -37/1992/382/460 -NJW 1995, 1413; BVerfG 21.02.2001 -2 BvR 140/00 -NJW 2001, 2531). Die Voraussetzungen einer Parteivernehmung von Amts wegen gemäß § 448 ZPO liegen ebenfalls nicht vor.
26 
Die Klägerin hat die Vermutungsgrundlage auch nicht durch den - von ihr unter Beweis gestellten - Vortrag erschüttert, ihr Bruder habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils am Tage ihrer Ausstellung bei dem Marktleiter Herrn M abgegeben, ohne daß dieser auf die fristlose Kündigung hingewiesen habe. Hinsichtlich der Abgabe der ersten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 01.08.2003 folgt dies schon daraus, daß am 01.08.2003 auch nach dem Vortrag der Beklagten noch keine fristlose Kündigung zugegangen war. Hinsichtlich des 18.08.2003 ist der Anscheinsbeweis durch den Vortrag der Klägerin ebenfalls nicht erschütterbar. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß Herr M entweder nicht über die Kündigung informiert war, oder zwar informiert war, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aber im Hinblick auf eine damals noch mögliche Kündigungsschutzklage entgegennahm, oder daß Herr M schlichtweg keine Diskussionen mit dem Bruder der Klägerin führen wollte und deshalb zu dem Thema Kündigung schwieg.
27 
Soweit die Klägerin den Anschein durch den Vortrag bezüglich des Telefonats mit Frau W am 16.08.2003 erschüttern will, gelingt dies ebenfalls nicht.
28 
Es ist auch hier nach der Lebenserfahrung nicht auszuschließen, daß Frau W nicht über die fristlose Kündigung informiert war oder daß sie zwar informiert war, das Thema von sich aus aber nicht ansprechen wollte, weil ein derartiges Gespräch im Zweifel unerfreulich geworden wäre.
29 
Nach alledem hat die Klägerin den Beweis des ersten Anscheins nicht erschüttert.
II.
30 
Da die Klägerin nach dem Zugang der Kündigung am 02.08.2003 bis zum Ablauf des Montags, des 25.08.2003, keine Klage erhoben hatte, mit der sie die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung geltend machte, gilt die Kündigung gemäß §§ 4, 7 KSchG in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung als wirksam. Denn die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung bereits länger als sechs Monate im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG beschäftigt, und die Beklagte weist die erforderliche Betriebsgröße gemäß § 23 KSchG auf. Die Klägerin hat keine Unwirksamkeit der Kündigung behauptet, die auf anderen Gründen als des fehlenden außerordentlichen Kündigungsgrundes beruhte und die deshalb nach der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung des Kündigungsschutzgesetzes noch nach Ablauf der dreiwöchigen Kündigungsfrist erfolgreich geltend gemacht werden könnte.
B.
I.
31 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO und entspricht dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Parteien .
II.
32 
Die Streitwertfestsetzung beruht dem Grunde nach auf § 61 Abs. 1 ArbGG. Die Höhe entspricht gemäß §§ 3, 4 ZPO dem bezifferten Hauptforderungsbetrag.
III.
33 
Die Kammer hat die in § 64 Abs. 3 a Satz 1 ArbGG vorgesehene Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung der Berufung in den Urteilstenor aufgenommen. Die Kammer hat die Berufung gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Denn das Urteil der erkennenden Kammer beruht tragend auf der Annahme, daß ein Einlieferungsbeleg und ein Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG beim Einwurfeinschreiben die Grundlage für einen Beweis des ersten Anscheins des Einwurfs des zuzustellenden Schriftstücks in den Postbriefkasten des Empfängers bilden. Diese Frage ist, soweit ersichtlich, noch nicht höchstrichterlich entschieden.

Gründe

 
12 
Dem auf Zahlung der Vergütung für den 01.08.2003 und den 02.08.2003 nebst Zinsen gerichteten Teil des Klageantrags hat das Gericht durch Anerkenntnisteilurteil stattgegeben, denn die Beklagte hat diesen Anspruch im Sinne des § 307 ZPO anerkannt.
13 
Im übrigen hat die Kammer die Klage abgewiesen, weil die Klage insoweit zwar zulässig, jedoch unbegründet ist.
A.
14 
Die Klägerin hat für den Monat August 2003 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, der den durch Anerkenntnisteilurteil ausgeurteilten Betrag von 98,33 EUR brutto übersteigt. Der letztgenannte Betrag ist die Vergütung für den 01.08.2003 und den 02.08.2003. Die Höhe berechnet sich wegen der Tätigkeit der Klägerin in der 6-Tage-Woche folgendermaßen: 1.278,23 EUR brutto geteilt durch 26 und multipliziert mit 2. Ansprüche für die Zeit vom 03.08.2003 bis zum 31.08.2003 hat die Klägerin dagegen nicht, denn in diesem Zeitraum bestand kein Arbeitsverhältnis der Parteien mehr. Das folgt daraus, daß die Klägerin am 02.08.2003 eine außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten erhielt, die gemäß §§ 4, 7 KSchG (in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung) als wirksam gilt.
I.
15 
Die Kammer geht aufgrund der Würdigung des wechselseitigen Parteivorbringens sowie im Hinblick auf den von der Beklagten vorgelegten Einlieferungsbeleg und den von der Beklagten vorgelegten Auslieferungsbeleg davon aus, daß das von der Beklagten in Bezug genommene Kündigungsschreiben vom 01.08.2003 (Anlage B 2) am 02.08.2003 der Klägerin zuging, da es an diesem Tag in den Hausbriefkasten der Klägerin gelegt wurde.
16 
1. Die Klägerin hat zunächst die Existenz des von der Beklagten vorgelegten Kündigungsschreibens in der gebotenen schriftlichen Form nicht bestritten. Somit ist unstreitig, daß es ein solches Kündigungsschreiben gab. Insbesondere hat die Klägerin nicht behauptet, am 02.08.2003 oder in den Tagen danach andere Post von der Beklagten erhalten zu haben. Vielmehr hat sie ausdrücklich vorgetragen, in diesem Zeitraum nichts von der Beklagten erhalten zu haben.
17 
2. Nach der Überzeugung der Kammer steht fest, daß der Klägerin das Kündigungsschreiben zuging.
18 
a) Gemäß § 130 Abs. 1 BGB wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem anderen zugeht, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird. Eine schriftliche Kündigung geht der anderen Vertragspartei dabei dann zu, wenn die Kündigung derartig in den Machtbereich des Empfängers gelangt, daß unter gewöhnlichen Umständen mit Kenntnisnahme zu rechnen ist. Da der Hausbriefkasten eines Empfängers regelmäßig zu dessen Machtbereich gehört, geht ein Kündigungsschreiben regelmäßig mit Einwurf in einen solchen Briefkasten zu (allgemeine Auffassung, vgl. LAG Hamm 22.05.2002 3 Sa 847/01 - zitiert nach Juris, zu B II 4 a der Gründe).
19 
b) Darlegungs- und beweisbelastet für den Zugang der Kündigung ist die Vertragspartei, die sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Kündigung beruft, hier die Beklagte.
20 
aa) Die Beklagte hat nicht allein durch die Vorlage des Auslieferungsbelegs der Deutschen Post AG vom 02.08.2003 (Anlage B 4) den vollen Beweis erbracht. Denn der Auslieferungsbeleg ist keine öffentliche Urkunde im Sinne der §§ 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 ZPO. Im Bereich der einfachen Briefzustellung ist die Deutsche Post AG nicht sogenannter beliehener Unternehmer (zu den Einzelheiten der Begründung vgl. LAG Hamm 22.05.2002 - 3 Sa 847/01 - a.a.O., zu B II 4 b der Gründe m. w. N.).
21 
bb) Für den Einwurf des Kündigungsschreibens am 02.08.2003 spricht aber der sogenannte Beweis des ersten Anscheins.
22 
Dazu muß zunächst ein typischer Geschehensablauf feststehen, d. h. ein Sachverhalt, bei dem nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge geschlossen werden kann. Dieser Sachverhalt muß entweder unstreitig oder mit Vollbeweis bewiesen sein. Die Typizität beurteilt der Richter nach der Lebenserfahrung. Der Vorgang muß zu jenen gehören, die schon auf den ersten Blick nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten "Muster" abzulaufen pflegen.
23 
Das hier die Grundlage für den Anscheinsbeweis bildende typische Geschehen ist der Umstand, daß sowohl ein Einlieferungsbeleg der Deutschen Post AG, als auch ein Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG existiert. Auf Letzterem hat der Postzusteller den Einwurf des Schreibens handschriftlich bestätigt. Der Kammer ist bekannt und bewußt, daß auch die Deutsche Post AG weit davon entfernt ist, fehlerfrei zu arbeiten. Jedoch ist auch nach der Privatisierung aufgrund der Lebenserfahrung immer noch davon auszugehen, daß bei Existenz eines Einlieferungsbelegs und eines vom Zusteller unterschriebenen Auslieferungsbelegs das betreffende Schriftstück tatsächlich, wie dort dokumentiert, in den Hausbriefkasten des Empfängers eingeworfen wurde. Daß die Mitarbeiter der Post Briefe zumindest dann, wenn sie die ordnungsgemäße Zustellung bestätigen, richtig ausliefern, ist immer noch der sehr weit überwiegende Normalfall. Die Zustellungen laufen nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster ab. Darauf kann auch heute noch vertraut werden, denn die Richtigkeit des Zugangs ist der einzige Zweck des Zustellungsvorgangs. Somit ist sowohl dem einzelnen Zusteller, als auch dessen Arbeitgeber bewußt, daß es sich um eine extrem wichtige und unter allen Umständen exakt durchzuführende Verrichtung handelt. Dafür, daß auch heute noch auf die Zuverlässigkeit der Deutschen Post AG vertraut werden kann, spricht ergänzend der Umstand, daß die Bundesrepublik Deutschland dieses Unternehmen immerhin bei den förmlichen Zustellungen mit Hoheitsbefugnissen "beleiht" und dadurch zur -fingierten -Behörde im Sinne des § 415 ZPO macht. Nach richtiger Auffassung ist deshalb die Grundlage für den Beweis des ersten Anscheins durch den Einlieferungsbeleg in Verbindung mit der technischen Reproduktion des unterschriebenen Auslieferungsbelegs gegeben (AG Paderborn 03.08.2000 -51 C 76/00 -NJW 2000, 3722; Reichert NJW 2001, 2523, 2524; offengelassen von OLG Düsseldorf 18.12.2001 -4 U 78/01-zitiert nach Juris; gegen die Annahme des Anscheinsbeweises [allerdings wohl aufgrund einer Besonderheit des konkreten Falles, vgl. dazu die Analyse von Reichert a.a.O.] LG Potsdam 27.07.2000 -11 S 233/99 -NJW 2000, 3722 sowie wohl auch LAG Hamm 22.05.2002 -3 Sa 847/01 -zitiert nach Juris. Bei der letztgenannten Entscheidung bestand die Besonderheit, daß der Auslieferungsbeleg zwar existierte, jedoch ein offensichtlich fehlerhaftes Datum auswies).
24 
Die Klägerin hat den Anschein nicht erschüttert. Für die Erschütterung genügt es, wenn die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs besteht. Die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bedürfen des vollen Beweises (Zöller - Greger ZPO 24. Aufl. Vor § 284 Rn. 29 m. w. N.).
25 
Insoweit hat die Klägerin zwar vorgetragen, bei der Leerung keine Post der Beklagten vorgefunden zu haben. Es fehlt aber an dem erforderlichen Beweisantritt. Da es sich nicht um einen Vorgang handelt, bei dem auf Seiten der Beklagten ein sogenannter "Repräsentant" beteiligt gewesen wäre, handelt es sich nicht um einen Fall, in welchem auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Anhörung der Klägerin als Partei ausreichend wäre (vgl. EGMR 27.10.1993 -37/1992/382/460 -NJW 1995, 1413; BVerfG 21.02.2001 -2 BvR 140/00 -NJW 2001, 2531). Die Voraussetzungen einer Parteivernehmung von Amts wegen gemäß § 448 ZPO liegen ebenfalls nicht vor.
26 
Die Klägerin hat die Vermutungsgrundlage auch nicht durch den - von ihr unter Beweis gestellten - Vortrag erschüttert, ihr Bruder habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils am Tage ihrer Ausstellung bei dem Marktleiter Herrn M abgegeben, ohne daß dieser auf die fristlose Kündigung hingewiesen habe. Hinsichtlich der Abgabe der ersten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 01.08.2003 folgt dies schon daraus, daß am 01.08.2003 auch nach dem Vortrag der Beklagten noch keine fristlose Kündigung zugegangen war. Hinsichtlich des 18.08.2003 ist der Anscheinsbeweis durch den Vortrag der Klägerin ebenfalls nicht erschütterbar. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß Herr M entweder nicht über die Kündigung informiert war, oder zwar informiert war, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aber im Hinblick auf eine damals noch mögliche Kündigungsschutzklage entgegennahm, oder daß Herr M schlichtweg keine Diskussionen mit dem Bruder der Klägerin führen wollte und deshalb zu dem Thema Kündigung schwieg.
27 
Soweit die Klägerin den Anschein durch den Vortrag bezüglich des Telefonats mit Frau W am 16.08.2003 erschüttern will, gelingt dies ebenfalls nicht.
28 
Es ist auch hier nach der Lebenserfahrung nicht auszuschließen, daß Frau W nicht über die fristlose Kündigung informiert war oder daß sie zwar informiert war, das Thema von sich aus aber nicht ansprechen wollte, weil ein derartiges Gespräch im Zweifel unerfreulich geworden wäre.
29 
Nach alledem hat die Klägerin den Beweis des ersten Anscheins nicht erschüttert.
II.
30 
Da die Klägerin nach dem Zugang der Kündigung am 02.08.2003 bis zum Ablauf des Montags, des 25.08.2003, keine Klage erhoben hatte, mit der sie die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung geltend machte, gilt die Kündigung gemäß §§ 4, 7 KSchG in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung als wirksam. Denn die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung bereits länger als sechs Monate im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG beschäftigt, und die Beklagte weist die erforderliche Betriebsgröße gemäß § 23 KSchG auf. Die Klägerin hat keine Unwirksamkeit der Kündigung behauptet, die auf anderen Gründen als des fehlenden außerordentlichen Kündigungsgrundes beruhte und die deshalb nach der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung des Kündigungsschutzgesetzes noch nach Ablauf der dreiwöchigen Kündigungsfrist erfolgreich geltend gemacht werden könnte.
B.
I.
31 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO und entspricht dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Parteien .
II.
32 
Die Streitwertfestsetzung beruht dem Grunde nach auf § 61 Abs. 1 ArbGG. Die Höhe entspricht gemäß §§ 3, 4 ZPO dem bezifferten Hauptforderungsbetrag.
III.
33 
Die Kammer hat die in § 64 Abs. 3 a Satz 1 ArbGG vorgesehene Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung der Berufung in den Urteilstenor aufgenommen. Die Kammer hat die Berufung gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Denn das Urteil der erkennenden Kammer beruht tragend auf der Annahme, daß ein Einlieferungsbeleg und ein Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG beim Einwurfeinschreiben die Grundlage für einen Beweis des ersten Anscheins des Einwurfs des zuzustellenden Schriftstücks in den Postbriefkasten des Empfängers bilden. Diese Frage ist, soweit ersichtlich, noch nicht höchstrichterlich entschieden.

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