Urteil vom Arbeitsgericht Paderborn - 2 Ca 1818/10
Tenor
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 31.01.2011 fortbesteht.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 6.060,00 Euro festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines zwischen den Parteien geschlossenen Aufhebungsvertrages.
3Die Klägerin ist seit dem 1. März 2000 bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Ihr Bruttoeinkommen betrug zuletzt jährlich 24.240,00 Euro.
4Die Beklagte beschäftigt ca. 80 Arbeitnehmer.
5In der 38. Kalenderwoche 2010 bot die Klägerin einem Kunden eine Waschtischplatte mit einer Stärke von 8 cm und einer durchgehenden Kante als Sichtkante an. Das Auftragsvolumen betrug ca. 2.500,00 Euro bis 3.000,00 Euro. Am nächsten Tag wurde die Klägerin von der Arbeitsvorbereitung darauf hingewiesen, dass das Angebot der Klägerin mit einer 8-cm-Platte technisch nicht ausführbar sei. Daraufhin wurde die Klägerin von dem Geschäftsführer der Beklagten L zu sich gebeten, wobei auch die Personalleiterin der Beklagten C bei dem Gespräch anwesend war. Der Geschäftsführer der Beklagten zeigte der Klägerin als Alternative ein Ausstellungsstück mit einer Platte, die aus zwei zusammengeleimten 4-cm-Platten mit einer in der Mitte vorhandenen Fuge an der Sichtkante bestand. Ob die Klägerin bei dem Gespräch von dem Geschäftsführer der Beklagten aufgefordert wurde, ein Foto von der neuen Platte zu machen und es dem Kunden zukommen zu lassen, ist zwischen den Parteien streitig. Anschließend bot die Klägerin dem Kunden telefonisch eine Platte wie die des ihr gezeigten Ausstellungsstücks an. Auf die Frage des Kunden nach Alternativen bot sie dem Kunden eine sogenannte HPL-Kante an. Ein entsprechender Auftrag wurde von dem Kunden erteilt.
6Am 23. September 2010 wurde die Klägerin von der Personalleiterin C mündlich abgemahnt, weil sie kein Foto des Ausstellungsstückes an den Kunden übersandt hatte. Der Klägerin wurde angekündigt, dass sie dies auch noch schriftlich erhalte. Darüber hinaus wurde die Klägerin aufgefordert, eine Chronologie über das von ihr unterbreitete Angebot zu erstellen. Dieser Aufforderung kam die Klägerin nach.
7Am 30. September 2010 fand um 10:30 Uhr ein Gespräch der Personalleiterin C mit ihrem jetzigen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt Prof. Dr. N, im Betrieb der Beklagten statt. In dem Gespräch berichtete Frau C von dem Vorfall mit der Klägerin, der zu dem Gespräch am 23. September 2010 geführt hatte. Darüber hinaus erklärte Frau C, dass es seit längerem Probleme mit der Arbeitsleistung der Klägerin gebe und dass es im Jahr 2008 Abmahnungen sowie am 12. Januar 2010 eine Ermahnung gegeben habe.
8Rechtsanwalt Prof. Dr. N erklärte nach Aufnahme der Sozialdaten und auch des sonstigen Inhalts des Arbeitsverhältnisses, dass eine Kündigung definitiv nicht gerechtfertigt sei. Im Hinblick darauf, dass das Arbeitsverhältnis möglicherweise auch von der Klägerin mittlerweile als belastend empfunden werde, kamen Frau C und Prof. Dr. N darüber überein, mit der Klägerin ein Personalgespräch mit dem Ziel zu führen, einen Aufhebungsvertrag zu schließen. Da der Aufhebungsvertrag unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist geschlossen werden sollte, wurde entschieden, das Gespräch noch am 30. September 2010 zu führen. Rechtsanwalt Prof. Dr. N rief in seiner Kanzlei an und diktierte einen Aufhebungsvertrag am Telefon, den die Kanzlei sodann per E-Mail an Frau C übersandte. Frau C druckte den Aufhebungsvertrag aus. Bevor die Klägerin zu dem Gespräch gerufen wurde, teilte Rechtsanwalt Prof. Dr. N Frau C mit, es sei wichtig, dass in dem gesamten Gespräch das Wort „Kündigung“ nicht erwähnt werde, da dies zur Anfechtbarkeit des Aufhebungsvertrages führen könne.
9Sodann wurde die Klägerin gegen 11:00 Uhr in das Büro von Frau C gerufen. Die Einzelheiten des mit der Klägerin geführten Personalgesprächs sind zwischen den Parteien streitig. Unstreitig wurde der Klägerin jedenfalls von Prof. Dr. N, der das Gespräch führte, mitgeteilt, man wolle sich mit ihr über die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses unterhalten. Der Geschäftsführer sei wegen des Vorgangs nach wie vor erheblich verärgert. Die Klägerin versuchte sich daraufhin zu rechtfertigen. Daraufhin las Rechtsanwalt Prof. Dr. N der Klägerin den vorbereiteten Aufhebungsvertrag vor. Im Anschluss schwieg die Klägerin und unterschrieb schließlich den ihr vorgelegten Aufhebungsvertrag (Bl. 30/ 31 d. A.).
10Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 5. Oktober 2010 focht die Klägerin den Aufhebungsvertrag gemäß §§ 123, 119 BGB an.
11Mit einem am 19. Oktober 2010 per Fax eingegangenen Schriftsatz begehrt die Klägerin die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den Aufhebungsvertrag vom 30. September 2010 nicht beendet wurde.
12Die Klägerin ist der Auffassung, der Aufhebungsvertrag sei wegen der von ihr erklärten Anfechtung nichtig. Abmahnungen habe es im Vorfeld nicht gegeben. Im Jahr 2008 sei die Klägerin wegen eines aufgetretenen Fehlers lediglich ermahnt worden. Am 12. Januar 2010 habe es lediglich ein gemeinsames Gespräch zu dem Thema Qualitätssicherung und Vermeidung von Fehlern stattgefunden, in dem keine Vorwürfe gegenüber der Klägerin erhoben worden seien.
13Am 30. September 2010 habe Rechtsanwalt Prof. Dr. N das Gespräch damit eröffnet, dass er der Klägerin mitteilte, man wolle sich über die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses unterhalten und ob sie wüsste, worum es gehe. Daraufhin habe er die Klägerin aufgefordert, noch einmal den Ablauf des Gespräches mit Herrn L zu schildern. Bei ihrer Darstellung des Vorfalls habe die Klägerin nochmals erklärt, sich an die Anweisung mit dem Foto nicht erinnern zu können. Dem habe Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. N sofort widersprochen und in diesem Zusammenhang aus der von der Klägerin angefertigten Chronologie vorgelesen, in der sich die Klägerin im letzten Teil für das Versehen entschuldigte und um Vertrauen warb. Hierauf habe Prof. Dr. N Bezug genommen und der Klägerin erklärt, dass Herr L kein Vertrauen mehr zu ihr habe und dieses auch nicht wieder erlangen könne. Der Geschäftsführer könne auf dieser Basis nicht mit der Klägerin zusammenarbeiten. Ob sie dies nicht selbst erkenne. Als die Klägerin versucht habe, sich gegen die Vorwürfe zu wehren, sei ihr erklärt worden, dass es zu einem Aufhebungsvertrag keine Alternative gebe. Sobald der Vertrag unterzeichnet sei, sei sie freigestellt. Frau C habe in diesem Gespräch die ganze Zeit nichts gesagt. Daraufhin habe die Klägerin den Eindruck gewonnen, dass ihr Pflichtverstoß auch von einem externen Rechtsanwalt geprüft worden sei und auch aus dessen Sicht nur die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht komme. Rechtsanwalt Prof. Dr. N habe ihr den vorbereiteten Aufhebungsvertrag vorgelesen und der Klägerin danach einen Kugelschreiber entgegengehalten und gesagt „Ich bitte Sie, das zu unterschreiben“. Die Klägerin habe zu Ziffer 1) des Aufhebungsvertrags gefragt, ob sie den Arbeitsplatz sofort zu räumen habe, was von Rechtsanwalt Prof. Dr. N bejaht worden sei. Daraufhin habe die Klägerin geschwiegen. Weitere Erörterungen durch Prof. Dr. N zu dem Aufhebungsvertrag, insbesondere zu der Regelung in Ziffer 5), habe es nicht gegeben. Als seitens der Klägerin keine Reaktion erfolgt sei, habe Rechtsanwalt Prof. Dr. N zu ihr gesagt: „Unterschreiben Sie jetzt, sonst sehen wir uns vor Gericht“. Daraufhin habe die Klägerin den Vertrag unterschrieben, obwohl sie eigentlich eine Bedenkzeit gewollt habe. Nach Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages durch die Klägerin habe Rechtsanwalt Prof. Dr. N sinngemäß geäußert, dass es so das Beste sei und auf die derzeit gute Lage am Arbeitsmarkt hingewiesen.
14Den Klageantrag zu 2) aus der Klageschrift vom 19. Oktober 2010 hat die Klägerin im Kammertermin vom 16. Februar 2011 zurückgenommen.
15Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
16festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag vom 30. September 2010 nicht aufgelöst worden ist.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die Beklagte ist der Auffassung, Anfechtungsgründe bzw. sonstige Unwirksamkeitsgründe lägen nicht vor.
20Zu Beginn des Gesprächs habe Rechtsanwalt Prof. Dr. N der Klägerin mitgeteilt, man wolle sich mit ihr über die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses unterhalten. Der Geschäftsführer sei wegen des Vorgangs nach wie vor erheblich verärgert. Die Klägerin habe halbherzig in Abrede gestellt, der Geschäftsführer der Beklagten ihr die Weisung gegeben habe, ein Foto für den Kunden zu fertigen. Nachdem Frau C die Klägerin darauf hingewiesen habe, dass sie doch auch bei dem Gespräch zugegen gewesen sei und die Anweisung unmissverständlich gewesen sei, habe sich die Klägerin hierzu nicht mehr geäußert. Rechtsanwalt Prof. Dr. N habe dann der Klägerin den Aufhebungsvertrag vorgelegt. Er habe der Klägerin dazu erklärt, er werde den Aufhebungsvertrag jetzt zunächst einmal am Stück vorlesen und sodann mit der Klägerin anschließend noch einmal Punkt für Punkt durchgehen. Dies sei auch so geschehen. Zu Ziffer 1) habe Prof. Dr. N der Klägerin die Einhaltung der für sie maßgeblichen Kündigungsfrist erläutert sowie erklärt, dass sie bei Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags von der Arbeitsleistung freigestellt sei und weiter die Vergütung erhalte, wobei eine Anrechnung auf Urlaubsansprüche der Klägerin erfolge. Des Weiteren habe Prof. Dr. N der Klägerin die Bedeutung und Wirkungsweise der Ziffer 3) des Aufhebungsvertrages erläutert. Zu Ziffer 4) des Aufhebungsvertrages habe Prof. Dr. N der Klägerin die Bedeutung von Beendigungs- und Zwischenzeugnis erklärt sowie der Klägerin angeboten, den Aufhebungsvertrag so zu ändern, dass statt der Note „gut“ ein „sehr gut“ erteilt werde. Dies könne die Klägerin sich aussuchen, wobei die Note „gut“ von vielen Arbeitnehmern bevorzugt werde, weil sie bei Arbeitgebern eine höhere Glaubwürdigkeit genieße. Die Klägerin habe hierzu erklärt, der Aufhebungsvertrag könne so bleiben und das „gut“ sei in Ordnung. Weiterhin habe Rechtsanwalt Prof. Dr. N die Ziffer 5) des Aufhebungsvertrags angesprochen und hierzu erläutert, dass der Aufhebungsvertrag dazu diene, eine vernünftige Trennung herbei zu führen. Weiterhin habe er erklärt, dass es keineswegs sicher sei, ob die Beklagte überhaupt – und – wenn ja – in welcher Höhe Schadensersatzansprüche geltend machen könne. Die Ziffer 5) des Aufhebungsvertrages diene dazu, abschließend zu klären, dass solche Ansprüche jedenfalls nicht bestünden.
21Rechtsanwalt Prof. Dr. N habe die Klägerin sodann gefragt, ob sie alle diese Punkte verstanden habe. Dies habe die Klägerin bejaht. Auf die Frage von Prof. Dr. N, wie sie zum Abschluss dieses Aufhebungsvertrages stehe, habe sie geschwiegen. Die Personalleiterin C sowie Prof. Dr. N hätten ihr Zeit zum Überlegen gelassen, obgleich die Klägerin nicht ausdrücklich um Bedenkzeit gebeten habe. Schließlich habe die Klägerin den Aufhebungsvertrag mit einer Bemerkung sinngemäß dahingehend unterzeichnet, dass es so wohl das Beste sei.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe:
24Die Klage ist zulässig und begründet.
25I.
26Die Klage ist zulässig. Der Klageantrag zu 1) war als allgemeiner Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 1 ZPO auszulegen. Zwar entspricht die Formulierung des Klageantrags § 4 Satz 1 KSchG, wobei eine derartige Antragstellung nur bei einer Kündigungsschutzklage im Anwendungsbereich von § 4 bzw. § 13 KSchG sowie bei einer Entfristungsklage gemäß § 17 TzBfG zulässig ist. Der Antrag konnte jedoch dahingehend ausgelegt werden, dass nach § 256 ZPO die zulässige Feststellung begehrt wird, das Arbeitsverhältnis habe über den im Aufhebungsvertrag genannten Zeitpunkt, nämlich den 31. Januar 2011 hinweg fortbestanden (vgl. BAG vom 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 – juris).
27II.
28Die Klage ist auch begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 30. September 2010 mit Ablauf des 31. Januar 2011 seine Beendigung gefunden.
291.
30Die Klägerin hat den Aufhebungsvertrag vom 30. September 2010 gemäß § 123 Abs. 1 2. Fall BGB mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB angefochten.
31Gemäß § 123 Abs. 1 2. Fall BGB kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt wurde, die Erklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten. Eine Drohung im Sinne dieser Vorschrift setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügungen in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Der Drohende muss dabei mit Nötigungswillen handeln, also den Willen haben, den anderen Teil zu der Abgabe einer Willenserklärung zu bestimmen. Ihm muss bewusst sein, dass sein Verhalten die Willensbildung des Empfängers der Drohung beeinflussen kann. Dazu ist zwar nicht erforderlich, dass der Drohende mit einem Schädigungsvorsatz handelt oder sich durch die Drohung einen Vorteil verschaffen will. Die Drohung muss jedoch bewusst darauf gerichtet sein, dem Bedrohten zu der Einschätzung zu verleiten, nur zwischen zwei Übeln wählen zu können, von denen die Abgabe der empfohlenen Erklärung nach der Einsicht des Drohenden als das geringere Übel gegenüber den sonst zu erwartenden Maßnahmen erscheinen soll (vgl. BAG vom 15. Dezember 2005 – 6 AZR 197/05 – NZA 2006, 841).
32Für die Anfechtung des Aufhebungsvertrages wegen widerrechtlicher Drohung ist es nicht erforderlich, dass die Drohung durch den Arbeitgeber selbst erfolgte. Für die Drohungsanfechtung ist es unerheblich, von welcher Person die Drohung stammt. Diese kann auch von einer Hilfsperson des Arbeitgebers oder von einem Dritten ausgehen (vgl. BAG, a. a. O.; BAG vom 12. Mai 2010 – 2 AZR 544/08 – NZA 2010, 1250). Des Weiteren ist nicht erforderlich, dass die Drohung ausgesprochen wird. Vielmehr kann eine Drohung auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen, wobei auf die Gesamtumstände abzustellen ist (vgl. BAG vom 15. Dezember 2005, a. a. O.).
33Darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen einer widerrechtlichen Drohung ist die Klägerin als Anfechtende. Vorliegend bedurfte es nach Auffassung der Kammer keiner Beweisaufnahme zur Klärung der Einzelheiten des vor Abschluss des Aufhebungsvertrages am 30. September 2010 geführten Gespräches zwischen der Klägerin, Frau C und Rechtsanwalt Prof. Dr. N. Insbesondere musste kein Beweis darüber erhoben werden, ob die von der Klägerin behaupteten Aussagen von Prof. Dr. N, Herr L könne auf dieser Basis nicht mit ihr zusammenarbeiten, zu einem Aufhebungsvertrag gebe es keine Alternative und wenn sie den Aufhebungsvertrag nicht unterschreibe, sehe man sich vor Gericht, zutreffen.
34Denn auch unter Zugrundelegung des Vorbringens der Beklagten zum Inhalt des vor dem Aufhebungsvertrag geführten Gesprächs liegt nach Auffassung der Kammer eine widerrechtliche Drohung durch schlüssiges Verhalten vor.
35Zwar hat die Beklagte vorgetragen, dass der Klägerin keine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Aussicht gestellt wurde und das Wort „Kündigung“ in dem gesamten Gespräch keine Erwähnung gefunden hat. Auch mit dem von der Klägerin behaupteten „Wiedersehen vor Gericht“ für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrages sei nicht gedroht worden. Aufgrund der Gesamtumstände des Gesprächs wurde der Klägerin jedoch nach Ansicht der Kammer durch schlüssiges Verhalten in Aussicht gestellt, der Vorfall aus der 38. Kalenderwoche werde rechtliche Konsequenzen für sie haben.
36Maßgeblich hierfür ist zum Einen, dass auf Seiten der Beklagten das Personalgespräch durch einen externen Rechtsanwalt geführt wurde. Allein aufgrund dieses Umstandes musste die Klägerin davon ausgehen, dass sich der Vorfall aus der 38. Kalenderwoche als sehr bedeutsam darstelle, weil die Beklagte sogar einen Rechtsanwalt einschaltete und diesen das Gespräch führen ließ. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Rechtsanwalt Prof. Dr. N zur Einleitung des Gesprächs unstreitig auf die Verärgerung des Geschäftsführers der Beklagten hinwies, ohne jedoch klarzustellen, dass die Klägerin aufgrund des Vorfalls keine Konsequenzen für den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses befürchten musste.
37Zum anderen ergibt sich eine konkludente Drohung auch aus der Regelung in Ziffer 5) des Aufhebungsvertrages und zwar selbst dann, wenn man die von der Beklagten behauptete Erläuterung dieser Regelung berücksichtigt. Gemäß Ziffer 5) des Aufhebungsvertrages macht die Arbeitgeberin gegen die Arbeitnehmerin Schadensersatzansprüche in Zusammenhang mit dem dort genannten Auftrag nicht geltend. Von „etwaigen“ Schadensersatzansprüchen ist nicht die Rede. Zu dieser Ziffer habe Rechtsanwalt Prof. Dr. N nach dem Vorbringen der Beklagten erläutert, der Aufhebungsvertrag diene dazu, eine vernünftige Trennung herbei zu führen, weil keineswegs sicher sei, ob die Beklagte überhaupt und „wenn ja“ in welcher Höhe Schadensersatzansprüche geltend machen könne. Aufgrund der Regelung in Ziffer 5) und der Erörterungen hierzu musste die Klägerin jedenfalls befürchten, dass es bei Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrages möglicherweise eine „unvernünftige“ Trennung mit rechtlichen Konsequenzen in Form von Schadensersatzansprüchen geben könne.
38Wegen der gesamten Umständen, unter denen das Personalgespräch geführt wurde, ging die Kammer auch unter Zugrundelegung des Beklagtenvorbringens von einem konkludenten Inaussichtstellen rechtlicher Konsequenzen für die Klägerin wegen des Vorfalls in der 38. Kalenderwoche aus.
39Dies war auch widerrechtlich. Eine Drohung mit rechtlichen Konsequenzen ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber diese nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Die Widerrechtlichkeit kann sich regelmäßig nur aus der Inadäquanz von Mittel und Zweck ergeben. Hat der Drohende an der Erreichung des verfolgten Zwecks kein berechtigtes Interesse oder ist die Drohung nach Treu und Glauben nicht mehr als angemessenes Mittel zur Erreichung des Zwecks anzusehen, so ist die Drohung widerrechtlich (vgl. BAG vom 15. Dezember 2005, a. a. O.).
40Ein verständiger Arbeitgeber durfte aufgrund des Vorfalls in der 38. Kalenderwoche keine rechtlichen Konsequenzen gegen die Klägerin, insbesondere auch keine Schadensersatzansprüche, in Erwägung ziehen. Dass der Vorfall auch unter Berücksichtigung der Vorfälle aus 2008 und vom 12. Januar 2010 nicht geeignet sind, einen Kündigungsgrund darzustellen, hat die Beklagte nach der Vorbesprechung mit ihrem jetzigen Prozessbevollmächtigten selbst so gesehen, auch wenn dies der Klägerin gegenüber im Gespräch nicht zum Ausdruck gebracht wurde. Aufgrund des beiderseitigen Vortrags zu der von der Beklagten behaupteten Pflichtverletzung der Klägerin in der 38. Kalenderwoche ist jedoch nicht ersichtlich, dass überhaupt ein Schadensersatzanspruch der Beklagten in Betracht kommen könnte. Dass die von der Klägerin angebotene Variante mit der HPL-Kante, über die der Kunde schließlich den Auftrag erteilte, zu irgendwelchen Problemen oder Schäden geführt hat, ist nicht erkennbar. Insbesondere ist nicht ersichtlich, welcher Schaden der Beklagten dadurch entstanden sein könnte, dass die Klägerin dem Kunden nicht das Foto von dem Ausstellungsstück mit den zwei geleimten 4-cm-Platten übersandte. Selbst in dem Fall, dass die Klägerin der behaupteten Weisung nachgekommen wäre, wäre überhaupt nicht sicher gewesen, dass der Kunde eine solche Bestellung getätigt hätte. Ein verständiger Arbeitgeber hätte daher aufgrund der von der Klägerin begangenen Pflichtverletzung nicht ernsthaft Schadensersatzansprüche gegen die Klägerin in Erwägung gezogen und diese noch als eigenen Regelungspunkt in den Aufhebungsvertrag aufgenommen.
41Die konkludente Drohung mit möglichen rechtlichen Konsequenzen aus dem Vorfall war für die Erklärung der Klägerin auch ursächlich, wobei es genügt, dass sie nach der Vorstellung des Drohenden mit ursächlich gewesen sind. Das ist schon dann anzunehmen, wenn ohne die Beeinflussung die Willenserklärung entweder überhaupt nicht, nicht in der gewählten Form oder nicht zu dieser Zeit abgegeben worden wäre (vgl. BAG vom 15. Dezember 2005, a. a. O.).
42Auch die Unmittelbarkeit des Drucks als Voraussetzung einer widerrechtlichen Drohung ist gegeben. In Fällen, denen dem Arbeitnehmer eine angemessene Bedenkzeit oder eine Widerrufsfrist eingeräumt bzw. ihm die Möglichkeit eröffnet wird, sich über die Aussichten einer angedrohten Kündigung vor Unterzeichnung oder vor dem Eintritt der Unwiderruflichkeit des Aufhebungsvertrages etwa durch Einholung juristischen Rates oder Rücksprache mit dem Personalrat zu informieren, ist zweifelhaft, ob von einer rechtswidrigen Beeinflussung der Willensbildung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber ausgegangen werden kann (vgl. BAG vom 15. Dezember 2005, a. a. O.). Vorliegend ist der Klägerin keine angemessene Bedenkzeit eingeräumt worden. Ihr ist auch nicht die Möglichkeit eingeräumt worden, sich ihrerseits anwaltlich beraten zu lassen. Alleine der Umstand, dass die Klägerin nach dem Vorbringen der Beklagten in ihrem Schweigen vor Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages nicht gestört oder bedrängt wurde, reicht nicht aus, um die Unmittelbarkeit der widerrechtlichen Drohung zu beseitigen.
432.
44Selbst wenn man das Vorliegen einer widerrechtlichen Drohung der Beklagten mit rechtlichen Konsequenzen durch konkludentes Verhalten verneinte, weil der Klägerin weder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einseitige Erklärung der Beklagten in Aussicht gestellt wurde, noch Schadensersatzansprüche nach dem Vorbringen der Beklagten als sicher angekündigt wurden, bleibt es bei der Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages vom 30. September 2010. Denn der Aufhebungsvertrag kam nach Ansicht der Kammer unter Verstoß gegen allgemeine Gebote des fairen Verhandelns zustande.
45Zwar führt es grundsätzlich nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrages, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit, noch ein Rücktritts- bzw. Widerrufsrecht einräumt und ihm das Thema des beabsichtigten Personalgesprächs vorher nicht mitgeteilt hatte (vgl. BAG vom 30. September 1993 – 2 AZR 268/93 – NJW 1994, 1021). Jedoch kann der Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers, z. B. bei Vertragsverhandlungen zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten, allein über Informationspflichten sowie mit dem Gebot fairen Verhandelns begegnet werden (vgl. BAG vom 27. November 2003 – 2 AZR 135/03 – NZA 2004, 597; Vgl. Kittner u.a., KSchR, Einleitung, Rdnr. 314; Lorenz, JZ 1977, 277 ff).
46Vorliegend war die Kammer der Auffassung, dass die Beklagte bei Abschluss des Aufhebungsvertrages vom 30.09.2010 das Gebot fairen Verhandelns verletzt hat. Dies ergibt sich maßgeblich aus der fehlenden Waffengleichheit bei Abschluss des streitgegenständlichen Aufhebungsvertrages.
47Bei der Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung wird vertreten, dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt werden muss, bei der Unterredung einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Anderenfalls führe dies zur Unwirksamkeit der Anhörung (vgl. LAG Berlin-Brandenburg vom 16.12.2010 – 2 Sa 2022/10 – juris; LAG Berlin-Brandenburg vom 06.11.2009 – 6 Sa 1121/09 – juris; BAG vom 13.03.2008 – 2 AZR 961/06 – NZA 2008, 809; Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203).
48Zwar muss vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages dem Arbeitnehmer nicht stets die Möglichkeit eingeräumt werden, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Bedient sich jedoch der Arbeitgeber vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages eines externen Rechtsanwalts, indem er diesen das Gespräch mit dem Arbeitnehmer führen lässt, ist nach Auffassung der Kammer unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit dem Arbeitnehmer auch ohne dessen ausdrückliche Nachfrage ebenfalls das Recht einzuräumen, sich seinerseits bei Abschluss des Aufhebungsvertrages anwaltlich beraten zu lassen und ebenfalls einen Rechtsanwalt zur Unterredung mit dem Arbeitgeber und dessen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Hierzu ist ggfs. vom Arbeitgeber ein neuer Termin zur Weiterführung des Gesprächs anzusetzen bzw. dem Arbeitnehmer eine Bedenkzeit zur Einholung juristischen Rats einzuräumen. Der Grundsatz der Waffengleichheit ist nur dann nicht verletzt, wenn der Arbeitnehmer trotz ausdrücklichen Hinweises von der Möglichkeit der Zuziehung eines Rechtsanwaltes keinen Gebrauch machen will.
49Vorliegend hat die Beklagte der Klägerin nicht die Möglichkeit eingeräumt, den vorgelegten Aufhebungsvertrag erst nach Rücksprache mit einem Rechtsanwalt zu unterzeichnen bzw. das Gespräch im Beisein eines von ihr hinzugezogenen Rechtsanwalts fortzuführen.
50Der fehlenden Waffengleichheit steht auch nicht entgegen, dass der Rechtsanwalt der Beklagten – jedenfalls nach dem Vorbringen der Beklagten – der Klägerin in dem Gespräch die einzelnen Ziffern des Aufhebungsvertrages erläuterte. Denn Rechtsanwalt Prof. Dr. N handelte in dem Gespräch nicht als Interessenvertreter der Klägerin, sondern als juristischer Berater der Beklagten, der es um die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin ging. Dies zeigt insbesondere der unterbliebene Hinweis auf den Umstand, dass nach der vorangegangenen rechtlichen Prüfung eine einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund des Vorfalls in der 38. Kalenderwoche nicht in Betracht komme.
51Aufgrund der fehlenden Waffengleichheit bei Abschluss des streitgegenständlichen Aufhebungsvertrages sah die Kammer vorliegend allgemeine Gebote des fairen Verhandelns verletzt.
52Ob daneben noch gesteigerte Aufklärungspflichten der Beklagten bestanden, kann im Ergebnis offen bleiben. In diesem Zusammenhang wird vertreten, dass wenn die Initiative vom Arbeitgeber ausgeht, der Arbeitnehmer automatisch auf alle nachteiligen Folgen hingewiesen werden muss, wie z. B. auf das Risiko, keinen neuen Arbeitsplatz zu finden (vgl. Kittner u.a., a.a.O., Rdnr. 311). Offen gelassen werden kann auch, ob im vorliegenden Fall eine konkrete Aufklärungspflicht dahingehend bestanden hätte, dass wegen des Vorfalls in der 38. Kalenderwoche eine einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte möglich ist.
53Aufgrund der fehlenden Waffengleichheit und des damit einhergehenden Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns besteht ein auf Aufhebung des Vertrages gerichteter Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers über den Grundsatz der Naturalrestitution gemäß § 249 Satz 1 BGB (vgl. Kittner, a. a. O., Rdnr. 313; Lorenz, a. a. O., 280).
54Von daher ist der allgemeine Feststellungsantrag der Klägerin begründet. Der Klage war somit stattzugeben.
55III.
56Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Da sich der zurückgenommene Klageantrag zu 2) auf den gleichen Streitgegenstand, nämlich den Aufhebungsvertrag vom 30.09.2010 bezog, wies dieser keinen eigenen Wert auf, sodass der Beklagten die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen waren.
57IV.
58Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Er wurde mit einem Vierteljahreseinkommen der Klägerin gemäß § 42 Abs. 4 GKG bewertet.
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