Urteil vom Anwaltsgerichtshof NRW - 1 AGH 38/14
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 12.09.2014 wird aufgehoben, soweit die Beklagte dem Kläger einen belehrenden Hinweis dahin erteilt hat, dass die Verwendung des Wortes „Standorte“ auf der Homepage der Klägerin gegen das Gebot, eine Zweigstelle ausreichend nach außen kenntlich zu machen, sowie gegen das Verbot der irreführenden Werbung verstoße, letzteres hinsichtlich des Standortes L jedoch nur soweit sich der belehrende Hinweis auf die Zeit ab dem 01.10.2014 bezieht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegen einander aufgehoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicher-heitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Berufung wird für beide Parteien zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
1
Tatbestand
2Die Klägerin zu 2) [im Folgenden: die Klägerin], deren Hauptsitz sich in C befindet, teilte jedenfalls im Februar 2014 auf ihrer Homepage mit: „X vor Ort. Wir sind für Sie da. Der Hauptsitz unserer Kanzlei befindet sich in der Kurstadt C. Außerdem sind wir noch an drei weiteren Standorten für Sie da: in O, L und N“ (vgl. Ausdrucke des Internet-auftritts der Klägerin, ausgedruckt am 05.02.2014 Bl. 2, 4 bis 7 BA). Geschäftsführer der Klägerin ist der Kläger zu 1) [im Folgenden: der Kläger].
3Mit Schreiben vom 17.02.2014 äußerte die Beklagte in einem Schreiben, in dessen Adressfeld es im Anschluss an die Bezeichnung der Klägerin heißt: „Herrn Ge-schäftsführer Rechtsanwalt X persönlich/vertraulich“, dass durch die Angabe der weiteren Standorte der Eindruck einer Größe entstehe und das Vor-handensein von weiteren Kanzleisitzen vermittelt werde, was nicht den Tatsachen entspreche. Dort seien keine Zweigstellen errichtet; vielmehr stelle ein Büroservice-Anbieter die angegebenen Telefonnummern und sein Büro zur Verfügung, so dass dort bei Bedarf Büroräume stunden- oder tageweise angemietet werden könnten. Eine Rechtsanwaltsgesellschaft könne nur Zweigniederlassungen oder auswärtige Sprechtage anbieten; Zweigstellen seien der Beklagten jedoch nicht angezeigt worden.
4Daraufhin teilte die Klägerin in einem seitens des Klägers unterzeichneten, in der „Ich“-Form abgefassten Schreiben vom 31.03.2014 der Beklagten mit, dass es sich bei den weiteren Standorten nicht um Zweigniederlassungen, sondern um Zweig-stellen handele. Der Büroservice beschränke sich auf die Standorte L und N; in O bestünde eine Bürogemeinschaft mit den RAen K pp.. Die Standorte erfüllten alle Kriterien einer Zweigstelle. Die Möglichkeit, Zweigstellen zu unterhalten, führe immer zu dem Eindruck von Größe, so dass keine gegen § 6 BORA verstoßende Werbung vorliege.
5Daraufhin erteilte die Beklagte mit Schreiben vom 12.09.2014 adressiert „persönlich/vertraulich“ an den Kläger einen belehrenden Hinweis. Es könne dahinstehen, ob es sich bei den Standorten um Zweigniederlassungen oder um Zweigstellen handele. Handele es sich um Zweigniederlassungen ergäbe sich eine Anzeigepflicht aus § 59 m Abs. 1 Satz 1 BRAO. Im Falle von Zweigstellen ergäbe sich die Anzeigepflicht aus § 27 BRAO. In jedem Fall sei ein Verstoß gegen die Anzeigepflichten gegeben. Ferner läge durch die Verwendung des Wortes „Standort“ ein Verstoß gegen das Erfordernis der Kenntlichmachung einer Zweigstelle vor. Dies verstoße gegen das Verbot der irreführenden Werbung nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 UWG, weil nach außen der Eindruck erweckt werde, es handele sich um personell voll-wertige und in der Erreichbarkeit vergleichbare Kanzleisitze. Zudem sei auch ein Verstoß gegen §§ 43 b BRAO, 6 BORA gegeben, da durch die uneingeschränkte Angabe dreier weiterer Standorte der Eindruck von Größe und das Vorhandensein von weiteren personell gleichwertig ausgestalteten Kanzleisitzen vermittelt werde, welche gerade nicht lediglich als Zweigstellen ausgestattet seien. Unter Gesamt-abwägung der angeführten Verstöße erscheine es noch ausreichend in der Sache einen belehrenden Hinweis zu erteilen und von weitergehenden Maßnahmen abzusehen. Beigefügt ist dem Schreiben der Beklagten eine Rechtsmittelbelehrung.
6Dieser Bescheid ist am 12.09.2014 mit einem von der Beklagten formulierten und von dem Kläger unterzeichneten Empfangsbekenntnis zugestellt worden, in dem es heißt: „Hiermit bestätige ich den Erhalt des an mich gerichteten belehrenden Hinweises der … in dem gegen mich eingeleiteten Aufsichtsverfahren zum Az. …“.
7Hiergegen haben sich die Klage des Klägers und der Klägerin gerichtet.
8Sie haben geltend gemacht, dass das Aufsichtsverfahren gegen die Klägerin eingeleitet worden sei, während sich der belehrende Hinweis allein an den Kläger richte. Der belehrende Hinweis sei deshalb an den falschen Adressaten gegangen, da er sich inhaltlich allein auf die Klägerin beziehe.
9Zwar sei gegenüber der Klägerin noch kein belehrender Hinweis ergangen; da die Klägerin dies jedoch befürchten müsse, wenn die Beklagte die falsche Zustellung bemerke, bestehe auch das Feststellungsinteresse für ihre Klage gerichtet auf die Feststellung, dass die Klägerin zu 2) keine Pflichtverstöße im Sinne des belehrenden Hinweises begangen habe. Ein Hilfsantrag, gerichtet auf Aufhebung des belehrenden Hinweises gegenüber der Klägerin, werde gestellt für den Fall, dass das Gericht den belehrenden Hinweis auch gegenüber der Klägerin als zugestellt erachte.
10Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht gemäß § 27 BRAO sei nicht gegeben. Eine gegenteilige Sichtweise der Beklagten sei mit dem klaren Wortlaut von § 59 m Abs. 2 BRAO und der Entstehungsgeschichte dieser Norm nicht zu vereinbaren.
11Zu einer Kenntlichmachung einer Zweigstelle als einer solchen bestünde keine Verpflichtung. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des BGH vom 16.06.2012
12Az I ZR 74/11. Außerdem werde der Begriff des Standorts von einer Vielzahl von Kanzleien gleich welcher Rechtsform verwendet.
13Die von der Klägerin verwendeten Standorte führten auch nicht zu irreführenden Angaben. Für den Verbraucher sei durchaus die eingeschränkte Erreichbarkeit gewährleistet, da zwangsläufig die Präsenz nicht gleichzeitig an allen Standorten gewährleistet werden könne. Die Auffassung der Beklagten, eine Terminierung und eine Erreichbarkeit eines Anwalts sei vor Ort kurzfristiger und flexibler zu gestalten, treffe nicht zu und werde der vorangeschrittenen Spezialisierung vieler Berufsträger nicht gerecht. Auch würden bei allen überörtlich tätigen Kanzleien vor allem wichtige Berufsträger für mehrere Standorte aufgeführt.
14Ein Verstoß gegen § 6 BORA liege schließlich ebenfalls nicht vor. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten basiere allein auf einem fehlerhaften Verständnis von Zweigstellen iSd § 27 BRAO.
15Nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 20.02.2015 hat die Klägerin ihre Klage zurückgenommen.
16Der Kläger beantragt,
17den belehrenden Hinweis aufzuheben.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Sie macht geltend, dass sich das Aufsichtsverfahren allein gegen den Kläger aufgrund seiner Funktion als Geschäftsführer und damit als Organ der Klägerin gerichtet habe. Es gehöre zu dessen Aufgaben, auf die Einhaltung der beruflichen Pflichten zu achten. Die Klägerin sei weder Beschwerdegegnerin im Aufsichts-verfahren noch Adressatin des angefochtenen Bescheids und damit nicht beschwert, so dass ihre Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei.
21In der Sache nimmt die Beklagte Bezug auf ihren Bescheid sowie auf eine in BRAK-Mitt. 2014, 320 veröffentlichte Entscheidung des Landgerichts Hamburg. Auch die von dem Kläger zu verantwortende Homepage der Klägerin werbe mit Städtenamen ohne dort – dies gelte jedenfalls für L und N - physisch vertreten zu sein.
22Entscheidungsgründe
23Die zulässige Klage des Klägers hat teilweise Erfolg.
241.
25Die Klage des Klägers ist als Anfechtungsklage statthaft (§ 112a Abs.1, § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 VwGO).
26Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 und 4 BRAO hat der Vorstand der Rechtsanwaltskammer die Aufgabe, die Kammermitglieder in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren sowie die Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. Es ist zu Recht anerkannt, dass für die Kammer-vorstände auch die Möglichkeit besteht, bei berufsrechtswidrigem Verhalten zwischen einfacher Belehrung und Rüge einen sogenannten belehrenden Hinweis bzw. eine missbilligende Belehrung zu erteilen (vgl. BGH Beschluss vom 21.01.2014 AnwZ (Brfg) 67/12; BGH NJW 2012, 3102 Rn. 12; BGH Beschluss vom 24.10.2012 AnwZ (Brfg) 14/12 Rn. 4; Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 73 Rn. 31; Feuerich/ Weyland/Böhnlein a.a.O. § 112a Rn. 24).
27Belehrende Hinweise bzw. missbilligende Belehrungen, sind nach der Recht-sprechung des BGH (Urteil vom 27.10.2014 – AnwZ (Brfg) 67/13 Rn. 7; BGH Urteil vom 03.11.2014 – AnwZ (Brfg) 72/13 Rn. 7) namentlich dann, wenn sie mit einem Handlungsverbot verbunden sind, als in die Rechtsstellung des Rechtsanwalts eingreifende Verwaltungsakte anzusehen, die mit der Anfechtungsklage angefochten werden können.
28Zwar hat die Beklagte davon abgesehen, eine Entscheidungsformel zu verwenden; ein konkretes Verbot oder ein Unterlassungsgebot wird nicht formuliert. Der Bescheid beschränkt sich darauf, einen Verstoß gegen die Anzeigepflicht einer Zweigstelle, gegen das Erfordernis der Kenntlichmachung einer Zweigstelle festzustellen sowie einen Hinweis darauf zu geben, dass der Eindruck des Vorhandenseins weiterer personell gleichwertig ausgestatteter Kanzleisitze zu vermitteln.
29Allerdings ist der Bereich präventiver Hinweise ohne Regelungscharakter auch dann verlassen, wenn die Belehrung erkennen lässt, dass sich die Rechtsanwaltskammer im Vorgriff auf eine bei Zuwiderhandeln ohne Weiteres erfolgende Einleitung eines Rügeverfahrens oder eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens bereits auf eine ver-bindliche Regelung der aufgeworfenen Fragen festgelegt hat. Dies ist hier nach dem Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 12.09.2014 der Fall. Für das Vorliegen eines Verwaltungsakts spricht schließlich, dass die Belehrung mit einer Rechts-mittelbelehrung versehen und förmlich zugestellt worden ist.
302.
31Die Beklagte hat zu Recht den belehrenden Hinweis an den Kläger – und nicht etwa an die frühere Klägerin - gerichtet.
32Ausgangspunkt ist, dass der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer nach § 74 Abs. 1 Satz 1 BRAO ein Rügerecht gegenüber Rechtsanwälten hat, die die ihnen obliegen-den Pflichten verletzten. Nach § 59 f Abs. 1 BRAO werden Rechtsanwaltsgesell-schaften von Rechtsanwälten „verantwortlich geführt“; nach § 35 GmbHG vertritt der Geschäftsführer die GmbH. Überdies folgt aus der Zusammenschau der §§ 60 Abs. 1 Satz 3, 74 Abs. 6, 115 c BRAO weitergehend, dass auch solche Geschäfts-führer einer Rechtsanwaltsgesellschaft, die nicht Rechtsanwälte sind, für ihr Fehl-verhalten im Zusammenhang mit ihrer Geschäftsführertätigkeit zur Verantwortung zu ziehen sind. Da Adressat der verpflichtenden Bestimmungen die Rechtsanwaltsge-sellschaft ist (Henssler/Prütting/Dittmann, 4. Aufl., § 115 c BRAO Rn. 2), jedoch eine Rechtsanwaltsgesellschaft als juristische Person anwaltsgerichtlich nicht belangt werden kann (Feuerich/Weyland, 8. Aufl., § 115 c BRAO Rn. 1; Gaier/Wolf/Göcken/ Zuck, 2. Aufl., § 115 c BRAO Rn. 2 ), ist es allgemein anerkannt, dass sämtliche
33– selbst berufsangehörig oder nicht - Geschäftsführer auf die Einhaltung der der Rechtsanwaltsgesellschaft obliegenden beruflichen Pflichten zu achten haben (Feuerich/Weyland, 8. Aufl., § 74 BRAO Rn. 1; Henssler/Prütting/Hartung, 4. Aufl., § 74 BRAO Rn. 60; aA Lang BRAK-Mitt. 2013, 159 nach dessen Auffassung weder die RA-Gesellschaft noch ihr Geschäftsführer disziplinarrechtlich belangt werden können).
343.
35Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs im Ver-waltungsverfahren bestehen nicht. Das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 17.02.2014 ist an den Kläger ausdrücklich in seiner Geschäftsführereigenschaft gerichtet (vgl. die dortige Adressierung). Allerdings heißt es im Text dieses Schreibens „Ihre Homepage“, was nicht auf den Kläger, sondern nur auf die Klägerin zutrifft. Tatsächlich war dem Kläger nicht entgangen, dass sich das Aufsichts-verfahren gegen ihn persönlich richtete. Denn in seiner Stellungnahme vom 31.03.2014 verwendet der Kläger (nicht die frühere Klägerin) die Formulierung „ich mich“. Überdies hatte der Kläger im Klageverfahren umfassende Gelegenheit zur Stellungnahme.
364.
37Die Anfechtungsklage des Klägers hat Erfolg, soweit ihm die Beklagte einen belehrenden Hinweis dahin erteilt hat, dass er durch die Verwendung des Wortes „Standorte“ gegen das Gebot, eine Zweigstelle ausreichend nach außen kenntlich zu machen, verstoßen habe. Der Senat legt den belehrenden Hinweis der Beklagten in diesem Zusammenhang dahin aus, dass die Beklagte mit dem Bemängeln des Fehlens einer „ausreichenden Kenntlichmachung“ zum Ausdruck gebracht hat, dass der Internetauftritt um eine zusätzliche Kenntlichmachung zu ergänzen sei.
38Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 2010, 3787 Rn. 28 = BRAK-Mitt. 2010, 267) korrespondiert der Begriff der „Zweigstelle” nach allgemeinem Sprachgebrauch mit dem – im Gesetz nicht verwandten – Begriff der „Hauptstelle”; deshalb bilden die Begriffe „Kanzlei“ und „Zweigstelle“ keine Gegensätze. Bei der Zweigstelle und der Hauptstelle handelt es sich danach (BGH a.a.O. Rn. 28) jeweils um Niederlassungen der „Kanzlei”, die sich danach unterscheiden, in welcher der Rechtsanwalt seine berufliche Tätigkeit ihrem Schwerpunkt nach entfaltet.
39Eine gesetzliche Pflicht, den Zusatz „Zweigstelle“ zu verwenden, sieht die BRAO nicht ausdrücklich vor. Ob sich eine solche Pflicht gleichwohl begründen lässt, ist umstritten (vgl. insoweit den Streitstand bei Feuerich/Weyland, 8. Aufl., § 27 BRAO Rn. 28; Gaier/Wolf/Göcken/Siegmund, 2. Aufl., § 27 BRAO Rn. 93; Henssler/Prütting, 4. Aufl., § 27 BRAO Rn. 24). Die Beklagte steht in dem angefochtenen belehrenden Hinweis (unter II. 2.) selbst auf den Standpunkt, dass die Verwendung des Zusatzes „Zweigstelle“ nicht zwingend erforderlich sei.
40Zur Briefbögengestaltung nach § 10 BORA hat der BGH (NJW 2013, 314 = BRAK-Mitt. 2012, 226) entschieden, dass ein Rechtsanwalt nicht verpflichtet ist, auf seinen Briefbögen durch Verwendung der Begriffe „Kanzlei“ und „Zweigstelle“ kenntlich zu machen, wo er seine Kanzlei und wo er Zweigstellen unterhält. Er ist danach auch nicht verpflichtet, auf seinen Briefbögen den Standort der Kanzlei im Sinne von § 27 Abs. 1 BRAO anzugeben. Er hat nach dieser Bestimmung auf solchen Briefbögen nur die Anschrift der Zweigstelle und nicht auch die Anschrift der (Haupt-)Kanzlei anzugeben.
41Nach Auffassung des Senats sind diese Grundsätze zur Briefbögengestaltung auf die Gestaltung eines Internetauftritts übertragbar. Nichts spricht dafür, die Angaben auf einer Homepage strengeren Anforderungen zu unterwerfen als die Angaben auf einem Briefbogen. Mit beiden Gestaltungsmitteln tritt der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwaltsgesellschaft in die Öffentlichkeit; sie müssen sich dabei stets an denselben Maßstäben messen lassen.
42Ist der Rechtsanwalt damit rechtlich nicht verpflichtet, seine einzelnen Kanzleisitze als „Kanzlei“ oder „Zweigstelle“ kenntlich zu machen, kann der Klägerin von vorn-herein nicht vorgehalten werden, unterhaltene Zweigstellen seien auf der Homepage nicht ausreichend gekennzeichnet, ohne dass es an dieser Stelle darauf ankäme, ob es sich bei den „Standorten“ der Klägerin um Zweigstellen handelt. Denn die Er-wähnung der Kanzleisitze erfolgt im hier in Rede stehenden Internetauftritt keines-wegs unterschiedslos. Durch die Formulierung „Der Hauptsitz unserer Kanzlei be-findet sich in der Kurstadt C. Außerdem sind wir noch an drei weiteren Standorten für Sie da …:“ ist auf der Homepage eine Differenzierung in der Weise vorgenommen worden, dass eine Abstufung in Gestalt der Unterscheidung zwischen „Hauptsitz“ und „drei weiteren Standorten“ erfolgt ist. Damit erweckt die Internetseite nicht den Eindruck, dass alle vier Standorte gleichrangig seien; vielmehr wird klar, dass C als Hauptsitz herausgehoben ist und dass den weiteren drei Standorten eine geringe Wertigkeit als dem Hauptsitz zukommt.
43Eine weitergehende Kenntlichmachung dieser drei weiteren Standorte als Zweig-stelle ist damit rechtlich von vornherein nicht zu verlangen. Deshalb ist der dies fordernde belehrende Hinweis der Beklagten in jedem Fall zu Unrecht erfolgt. Der angefochtene Beschluss unterliegt deshalb insoweit der Aufhebung.
445.
45Soweit die Beklagte den belehrenden Hinweis erteilt hat, dass die gleichlautende Verwendung des Begriffs des Standorts gegen das Verbot der irreführenden Werbung verstoße, weil nach außen der Eindruck erweckt werde, es handele sich um vollwertige, personell gleichwertig ausgestattete und in der Erreichbarkeit ver-gleichbare Kanzleisitze, gilt folgendes:
465.1.
47Im Hinblick auf die Erörterungen im Senatstermin und die belegten Darlegungen der Kläger im Schriftsatz vom 23.03.2015 ist von folgenden tatsächlichen Umständen auszugehen:
48In O bestand und besteht eine Bürogemeinschaft zwischen der Klägerin und den Rechtsanwälten K, wobei die Klägerin Untermieterin in den Räumen der Rechtsanwälte K ist. Die Zusammenarbeit ist so ausgestaltet, dass insolvenz-rechtliche Mandate, die an diese Rechtsanwälte herangetragen werden, für die Klägerin angenommen werden und ein Termin mit dem Kläger organisiert wird, der dann in dem angemieteten Raum bei den Rechtsanwälten K wahrgenommen wird.
49Im N war für die Klägerin bis zum 31.12.2013 zunächst allein ein Büro-dienstleister tätig. Ab dem 01.01.2014 war die Klägerin Untermieterin in den Kanzleiräumen des Rechtsanwalts Dr. A; der Kläger ist dort jeweils freitags anwesend gewesen. Zum 01.01.2015 ist es zu einer Kanzleiübernahme durch die Klägerin gekommen; Rechtsanwalt Dr. A ist dort ausgeschieden; die anwaltlichen und nichtanwaltlichen Mitarbeiter sind nunmehr Beschäftigte der Klägerin; alleiniger (Haupt-)Mieter sämtlicher Kanzleiräume ist seit Jahresbeginn 2015 die Klägerin.
50In L war für die Klägerin bis zum 30.09.2014 allein ein Bürodienstleister tätig. Nach Kündigung dieses Vertrags im September 2015 ist die Klägerin in L nicht mehr tätig. Seit Oktober 2014 ist für die Klägerin in P ein Bürodienstleister tätig. In den Räumlichkeiten des dortigen Dienstleisters hält die Klägerin einen regelmäßigen Sprechtag ab, und zwar einmal wöchentlich.
51Damit ergibt sich folgende tatsächliche Situation:
52In O bestand und besteht eine Bürogemeinschaft mit dort ansässigen Rechtsanwälten.
53In L war für die Klägerin bis einschließlich September 2014 allein ein Büro-dienstleister tätig. Ab Oktober 2014 ist an dessen Stelle ein Büroservice in P getreten, wobei die Klägerin dort einmal wöchentlich einen Sprechtag abhält.
54In N hat die Klägerin in einer dort untergemieteten Räumlichkeit einmal wöchentlich einen Sprechtag abgehalten.
555.2.
56Anders als die Beklagte meint folgt eine Irreführung nicht bereits daraus, dass für alle auf der Homepage genannten Städte gleichlautend der Begriff des Standorts ver-wendet wird. Denn bereits vorstehend ist dargelegt worden, dass durch die For-mulierung „Der Hauptsitz unserer Kanzlei befindet sich in der Kurstadt C. Außerdem sind wir noch an drei weiteren Standorten für Sie da …:“ auf der Homepage der Klägerin eine Differenzierung in der Weise vorgenommen worden ist, dass eine Abstufung in Gestalt der Unterscheidung zwischen „Hauptsitz“ und „drei weiteren Standorten“ erfolgt ist. Damit erweckt die Internetseite nicht den Eindruck, dass alle vier Standorte gleichrangig seien; vielmehr wird klar, dass C als Hauptsitz herausgehoben ist und dass den weiteren drei Standorten eine geringere Wertigkeit als dem Hauptsitz zukommt. Allerdings findet sich bei den „drei weiteren Standorten“ untereinander keine weitere Unterscheidung, so dass der Internetauftritt der Klägerin somit den Eindruck nahelegt, dass diese „drei weiteren Standorte“ untereinander gleichartig und gleichwertig sind. Allerdings ist der Begriff des Standorts sehr unscharf. Laut duden.de sind Synonyme für Standort Begriffe wie Lage, Lokation, Ort, Platz, Position, Sitz, Stelle und Stellung. Damit ist der Begriff Standort so nichtssagend, dass eine Irreführung allein mit seiner Verwendung nicht verbunden sein könnte.
57Allerdings hat sich die Klägerin auf ihrer Homepage nicht auf die Verwendung des Begriffs des Standorts beschränkt; vielmehr hat sie die Formulierung „… sind wir noch an drei weiteren Standorten für Sie da“ verwendet. Einer solchen Formulierung ist ein weitergehender Aussagegehalt beizumessen als allein dem Begriff des Stand-orts. Denn die erweiterte Formulierung bringt zum Ausdruck, dass eine (physische) Präsenz vorhanden sei. Das Vorhandensein einer bloßen Kommunikationsmög-lichkeit allein reicht nicht aus, um die Aussage eines „da zu sein“ zu rechtfertigen. Sind lediglich Vorkehrungen dafür geschaffen, in zunächst technisch vermittelte und sodann persönliche Kommunikation zu treten, liegt allein die Bereitschaft vor, „da hin zu kommen“. Bei Vorhaltung einer bloßen Gelegenheit zur Kommunikation geht von der Formulierung „sind wir … für Sie da“ eine Irreführung aus.
585.3.
59Daran gemessen und angesichts der oben dargestellten tatsächlichen Verhältnisse ist der belehrende Hinweis der Beklagten, soweit sich dieser auf die Standorte O und N bezieht, zu Unrecht erfolgt; die Klage des Klägers hat deshalb insoweit Erfolg. Hinsichtlich des Standorts L ist die Klage des Klägers begründet, soweit sie sich auf die Zeit ab dem 01.10.2014 bezieht:
60Der Senat hat keinen Zweifel, dass von der Formulierung „sind wir … für Sie da“ keine Irreführung ausgeht, wenn – wie das bezogen auf die Stadt O der Fall war und ist - eine Bürogemeinschaft mit einer vor Ort bestehenden Rechtsanwalts-kanzlei eingegangen wurde. Eine derartige Bürogemeinschaft mit einer örtlichen Kanzlei vermittelt nicht nur eine bloße Kommunikationsmöglichkeit, sondern schafft ein solches Maß von auch physischer Präsenz, dass durch die auf der Homepage der Klägerin verwendete Formulierung eine Irreführung nicht verbunden ist.
61Bezogen auf die Stadt N enthält die von der Klägerin auf ihrer Homepage verwendete Formulierung keine Irreführung. Durch die zum Jahresanfang 2014 erfolgte Anmietung einer Räumlichkeit innerhalb einer örtlich ansässigen Rechts-anwaltskanzlei und regelmäßig einmal wöchentlich abgehaltener Sprechtage liegt auch hier nicht nur die Vorhaltung einer bloßen Kommunikationsmöglichkeit vor, sondern einer ständigen physischen Präsenz. Für die Zeit ab Jahresbeginn 2015 gilt dies umso mehr als es zu diesem Zeitpunkt zu einer Übernahme jener Kanzlei durch die Klägerin gekommen, in deren Räumlichkeiten diese zuvor einen Raum gemietet und ihre Sprechtage abgehalten hatte.
62Bezogen auf die Stadt L bedarf es einer differenzierten Betrachtung: Hier bestand bis einschließlich September 2014 allein ein Büroservice ohne dass die Klägerin dort regelmäßige Sprechtage abgehalten hätte. Damit waren in der Stadt L lediglich Vorkehrungen für eine Kommunikationsgelegenheit getroffen worden ohne dass eine physische Präsenz gegeben war. Bei einer solchen Gestaltung der tatsächlichen Verhältnisse geht von der auf der Homepage der Klägerin verwendeten Formulierung „sind wir … für Sie da“ eine Irreführung aus.
63Für die Zeit ab Anfang Oktober 2014 gilt dies allerdings nicht mehr. Zwar bestand von diesem Zeitpunkt an in der Stadt P ebenfalls ein Büroservice; dort hielt die Klägerin jedoch regelmäßig einmal wöchentlich Sprechtage ab. Durch die nunmehr hinzu getretene physische Präsenz geht von der auf der Homepage der Klägerin verwendeten Formulierung „sind wir … für Sie da“ keine Irreführung aus.
64Damit ergibt sich, dass von der auf der Homepage der Klägerin verwendeten Formulierung zum Zeitpunkt des Erlasses und der Bekanntgabe durch Zustellung des angefochtenen Bescheides eine Irreführung ausging, während dies für den Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Rahmen der Anfechtungsklage des Klägers nicht mehr der Fall war.
65Dies hat zur Folge, dass der belehrende Hinweis zum Zeitpunkt seiner Erteilung gegenüber der Klägerin zutreffend ergangen ist; bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist der belehrende Hinweis zu Unrecht ergangen.
66Damit kommt es darauf an, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Recht-mäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, soweit es sich hierbei um einen belehrenden Hinweis handelt, angesichts eingetretener Veränderungen in den tatsächlichen Verhältnissen abzustellen ist. Der Senat beantwortet diese Frage für einen Fall wie den hier in Rede stehenden dahin, dass es auf die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung ankommt.
67Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 190, 187 Rn. 10 = NJW 2011, 3234 = BRAK-Mitt. 2011, 246) bestimmt sich bei Anfechtungsklagen der für die gerichtliche Nachprüfung eines Verwaltungsakts maßgebliche Beurteilungszeitraum nach dem zu Grunde liegenden materiellen Recht. Dieses legt nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Aufhebung eines belastenden Verwaltungs-akts fest, sondern bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt sie erfüllt sein müssen. Daher sind tatsächliche oder rechtliche Entwicklungen, die erst nach Abschluss des behördlichen Verwaltungsverfahrens oder gar erst nach Beendigung des erst-instanzlichen Gerichtsverfahrens eintreten und die zu einer abweichenden Be-urteilung führen würden, nur dann der jeweiligen gerichtlichen Entscheidung zu Grunde zu legen, wenn das materielle Recht ihre Berücksichtigung zulässt.
68Für verwaltungsbehördliche Rücknahme- oder Widerrufsverfügungen in berufs- oder gewerberechtlichen Zulassungsverfahren folgt aus der Rechtsprechung des BGH (a.a.O.), dass das materielle Recht regelmäßig den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens als maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die gerichtliche Überprüfung vorgibt, weil das materielle Recht in den genannten Fällen ein eigen-ständiges Wiederzulassungsverfahren vorsieht.
69Für Klagen gegen den Widerruf der Gestattung des Führens einer Fachanwalts-bezeichnung ist nach der Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 2014, 1083 Rn. 9 = BRAK-Mitt. 2014, 212) weder auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Verwaltungsverfahrens noch auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachen-verhandlung im gerichtlichen Verfahren abzustellen, sondern auf den Ablauf des jeweiligen Jahres, in dem die nach § 15 Abs. 1 S. 2 FAO in jedem Kalenderjahr aufs Neue zu erfüllende Fortbildungspflicht des Fachanwalts zu erfüllen war.
70Die Frage, auf welchen Zeitpunkt im Falle von Anfechtungsklagen gegen belehrende Hinweise abzustellen ist, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung, soweit ersicht-lich, noch nicht beschäftigt. Bei der Beantwortung dieser Fragestellung ist nach Auf-fassung des Senats von folgenden Erwägungen auszugehen:
71Die Anfechtbarkeit belehrender Hinweise findet seine Grundlage darin, dass der Bereich präventiver Hinweise ohne Regelungscharakter verlassen ist, wenn die Belehrung erkennen lässt, dass sich die Kammer im Vorgriff auf eine bei Zuwider-handeln gegen das Verbot bzw. die Unterlassung ohne Weiteres erfolgende Ein-leitung eines Rügeverfahrens oder eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens bereits auf eine verbindliche Regelung der aufgeworfenen Fragen festgelegt hat (BGH NJW 2015, 72 Rn. 7 = BRAK-Mitt. 2015, 45; vgl. auch Senat BRAK-Mitt. 2014, 207, 208). Diese Festlegung ist die für den betroffenen Rechtsanwalt nachteilige Wirkung, mit der in die Rechtsstellung des Rechtsanwalts eingegriffen wird.
72Die Wirkung des belehrenden Hinweises der Beklagten auf einen irreführenden Charakter der auf der Homepage der Klägerin verwendeten Formulierung geht deshalb über einen nur punktuellen Bezug auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses bzw. Bekanntgabe des belehrenden Hinweises hinaus. Vielmehr entwickelt der belehrende Hinweis seiner Natur nach wegen der zum Ausdruck gebrachten Festlegung seitens der Rechtsanwaltskammer für weitere Verfahren Wirkungen auch für die Zukunft. Es ist deshalb ebenso wie bei Verwaltungsakten mit Dauer-wirkung, bei denen die Wirkung nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern während eines bestimmten Zeitraums eintritt (vgl. Posser/Wolff/Decker, 2. Aufl., § 113 VwGO Rn. 22.1 zum Stichwort Dauer-Verwaltungsakt), auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen.
73Allerdings ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Bescheid der Beklagten in dem hier in Rede stehenden Umfang zunächst bis Ende September 2014 rechtmäßig gewesen und erst ab Oktober 2014 durch die Veränderung der tatsächlichen Verhält-nisse unrechtmäßig geworden ist. Deshalb kann der belehrende Hinweis der Kam-mer insoweit auch allein für die Zeit ab Oktober 2014 aufgehoben werden; für die Zeit bis Ende September 2014 ist die Anfechtungsklage des Klägers unbegründet und deshalb abzuweisen (vgl. Posser/Wolff/Decker, 2. Aufl., § 113 VwGO Rn. 22.1 zum Stichwort Dauer-Verwaltungsakt; Kopp/Schenke, 20. Aufl., § 113 VwGO Rn. 43).
746.
75Die Klage des Klägers ist schließlich unbegründet, soweit sich der Kläger dagegen wendet, dass die Beklagte ihm in dem angefochtenen Bescheid den belehrenden Hinweis erteilt hat, dass er gegen das Gebot, der Kammer die Errichtung einer Zweigstelle der Klägerin unverzüglich anzuzeigen, in seiner Eigenschaft als Ge-schäftsführer der Klägerin verstoßen hat.
76Beide Parteien dieses Rechtsstreits gehen übereinstimmend davon aus, dass einer Rechtsanwaltsgesellschaft die Möglichkeit zukommt, eine Zweigstelle errichten zu können; ihre Rechtsstandpunkte unterscheiden sich dadurch, dass die Klageparteien meinen, dass Zweigstellen einer Rechtsanwaltsgesellschaft keinen speziellen Rege-lungen unterlägen, während die Beklagte meint, es gelten die Regelungen über die Zweigstelle nach § 27 Abs. 2 BRAO.
77Der Senat teilt die Auffassung der Parteien, dass auch eine Rechtsanwaltsgesell-schaft eine Zweigstelle errichten kann. Allerdings unterliegt die Rechtsanwaltsgesell-schaft dabei den sich aus den §§ 27 Abs. 2 Satz 1, 59 m Abs. 1 Satz 1 BRAO ergebenden Anforderungen, so dass der Geschäftsführer zur unverzüglichen Anzeige einer Errichtung verpflichtet ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
78Ausgangspunkt ist, dass für Rechtsanwaltsgesellschaften nach § 59 m Abs. 2 BRAO die Vorschriften des Dritten Abschnitts des Zweiten Teils gelten, nicht jedoch die des Zweiten Abschnitts des Zweiten Teils. Dem entsprechen die Ausführungen in der Amtlichen Begründung (BT-Drucks 13/9829 S, 19) zu § 59 m BRAO, wonach die Vorschriften über die Zulassung bei einem Gericht (§§ 18 – 36) für die in der Rechtsanwaltsgesellschaft tätigen Rechtsanwälte, nicht jedoch für die Rechts-anwaltsgesellschaft selbst gelten. Hieraus lässt sich entgegen der Auffassung der Kläger jedoch nicht der Schluss ziehen, dass die Klägerin bei der Errichtung von Zweigstellen von der Anzeigeverpflichtung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 BRAO freigestellt sei. Vielmehr spräche dies eher dafür, dass es einer Rechtsanwaltsgesellschaft überhaupt verwehrt sei, Zweigstellen zu errichten.
79Eine solche Schlussfolgerung würde jedoch nicht den rechtlichen Gegebenheiten gerecht. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sich die BRAO mit der Frage, ob und in welchem Umfang eine Rechtsanwaltsgesellschaft Zweigniederlassungen, Zweigstellen bzw. Betriebstätten errichten kann, nicht ausdrücklich befasst. Aus § 13 HGB folgt, dass eine Rechtsanwaltsgesellschaft wie jede andere juristische Person Zweigniederlassungen errichten kann und dabei den handelsrechtlichen Anmel-dungserfordernissen unterliegt. Die Möglichkeit, Zweigniederlassungen zu errichten, kann aber nicht dazu führen, dass der Rechtsanwaltsgesellschaft nicht auch die Möglichkeit zukommt, eine Zweigstelle zu errichten. Denn zu beachten ist, dass zu jenem Zeitpunkt, zu dem § 59 m Abs. 2 BRAO durch das am 07.09.1998 verkündete „Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und anderer Gesetze“ (BGBl. I 2600) mit Wirkung zum 01.03.1999 in Kraft trat, noch § 28 Abs. 1 Satz 1 BRAO in der bis zum 31.05.2007 gültigen Fassung galt, nach der ein umfassendes Verbot der Errichtung von Zweigstellen bestand. Zuvor waren gegen das Zweigstellenverbot verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden, die der Senat im Hinblick auf die Art. 3, 12 GG geteilt hatte und die ihm Veranlassung für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG gegeben hatten (Senat BRAK-Mitt. 2006, 177). Im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber das Zweigstellenverbot ohne weitere Rechtsgestaltung lediglich aufgehoben hat, ist seit dem 01.06.2007 die Regelung des § 59 m Abs. 2 BRAO verfassungskonform dahin auszulegen, dass die dort unterbliebene Bezugnahme auf § 27 Abs. 2 Satz 1 BRAO der Möglichkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft, eine Zweigstelle zu errichten, nicht entgegen steht (im Ergebnis ebenso Hartung, 5. Aufl., § 5 BORA Rn. 80; Gaier/Wolf/Göcken/Siegmund, 2. Aufl., § 27 BRAO Rn. 80). Denn nur diese Sichtweise wird dem Grundrecht aus Art. 12 GG gerecht, dass der Rechtsanwaltsgesellschaft umfassende Freiheiten zustehen, soweit nicht Einschränkungen auf verfassungsmäßige Weise vorgenom-men worden sind (vgl. in diesem Zusammenhang Gaier/Wolf/Göcken/Siegmund, 2. Aufl., § 27 BRAO Rn. 79c).
80Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen bedingt diese verfassungskonforme Auslegung des § 59 m Abs. 2 BRAO zugleich, dass die gesetzlichen Vorschriften, die für die Errichtung einer Zweigstelle durch einen Rechtsanwalt bzw. einer Zweig-niederlassung durch eine Rechtsanwaltsgesellschaft gelten, auch für eine seitens einer Rechtsanwaltsgesellschaft errichteten Zweigstelle gelten.
81Denn für die Errichtung von Zweigniederlassungen einer Rechtsanwaltsgesellschaft hat das Gesetz in § 59 m Abs. 1 Satz 1 BRAO eine Mitteilungspflicht gegenüber der Rechtsanwaltskammer installiert, wie sie § 27 Abs. 2 Satz 1 BRAO für den eine Zweigstelle einrichtenden Rechtsanwalt enthält. Dies zeigt, dass nach der gesetz-lichen Konzeption dem Gesichtspunkt einer umgehenden Mitteilung gegenüber der Rechtsanwaltskammer ein hoher Stellenwert zugemessen worden ist. Angesichts des Zwecks der gesetzlich angeordneten Mitteilungspflichten, die Rechtsanwalts-kammern in die Lage zu versetzen, ihre gesetzlichen Aufgaben hinsichtlich der Führung des Rechtsanwaltsverzeichnisses und der Kontrolle im Hinblick auf berufswidriges Verhalten zu erfüllen (vgl. dazu Feuerich/Weyland, 8. Aufl., § 27 BRAO Rn. 8 sowie Feuerich/Weyland/Brüggemann, 8. Aufl., § 59 m BRAO Rn 1), ist es deshalb zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und aus Gründen folge-richtiger systematischer Gesetzesanwendung, dass die Errichtung einer Zweigstelle durch eine Rechtsanwaltsgesellschaft denselben Mitteilungspflichten unterliegt wie die durch einen Rechtsanwalt errichtete Zweigstelle (a.A.Gaier/Wolf/Göcken/ Siegmund, 2. Aufl., § 27 BRAO Rn. 84).
82Der Annahme einer solchen Anzeigepflicht können die Kläger nicht entgegen setzen, dass § 27 Abs. 2 Satz 1 BRAO allein dem Zweck einer sachgerechten Führung des Rechtsanwaltsverzeichnisses diene und Rechtsanwaltsgesellschaften nicht in dieses Verzeichnis aufzunehmen seien. Es trifft zwar zu, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 31 BRAO von der Vorstellung ausgegangen ist, dass in das Rechtsanwaltsverzeichnis allein natürliche Personen und nicht Rechtsanwalts-gesellschaften aufgenommen werden sollen, weil er für deren Aufnahme kein Bedürfnis zu erkennen vermochte (BT-Drucks. 16/11 385 S. 35; kritisch hierzu Gaier/Wolf/Göcken/Siegmund, 2. Aufl., § 31 BRAO Rn. 26; Feuerich/Weyland, 8. Aufl., § 31BRAO Rn. 19e). Allerdings erschöpft sich der Zweck der Anzeigepflicht des § 27 Abs. 2 Satz 1 BRAO nicht allein in dem Bezug auf die sachgerechte Führung des Rechtsanwaltsverzeichnisses. Nach den Vorstellungen des Gesetz-gebers (BT-Drucks. 16/513 S. 15) dient diese Anzeigepflicht zugleich „der Aufsicht der Rechtsanwaltskammer“.
83Damit hat die Beklagte dem Kläger zutreffend den belehrenden Hinweis erteilt, dass er gegen das Gebot, der Kammer die Errichtung einer Zweigstelle der Klägerin un-verzüglich anzuzeigen, in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Klägerin ver-stoßen hat. Insoweit erweist sich die Klage des Klägers als unbegründet.
847.
85Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 112 c BRAO, §§ 155, 167 Abs. 2 VwGO,
86§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
87Der Senat hat die Berufung für beide Parteien wegen grundsätzlicher Bedeutung (§§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 112c Abs. 1 BRAO) zugelassen.
88Rechtsmittelbelehrung
89Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich Berufung eingelegt werden. Die Berufung ist bei dem Anwalts-gerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Heßlerstraße 53, 59065 Hamm, zu stellen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils ist die Berufung zu begründen. Die Begrün-dung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, einzureichen.
90Vor dem Anwaltsgerichtshof und dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmen-gesetzes mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Ferner sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein nach dem Vorstehenden Vertretungsberechtigter kann sich selbst vertreten; es sei denn, dass die sofortige Vollziehung einer Widerrufsverfügung angeordnet und die aufschiebende Wirkung weder ganz noch teilweise wiederhergestellt worden ist. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
91Die Festsetzung des Streitwerts ist unanfechtbar.
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